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29.06.13 / Ungeklärte Verhältnisse / Weder die Regierung noch die Taliban haben genügend Macht, um über Afghanistan zu herrschen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-13 vom 29. Juni 2013

Ungeklärte Verhältnisse
Weder die Regierung noch die Taliban haben genügend Macht, um über Afghanistan zu herrschen

Die afghanischen Sicherheitskräfte haben offiziell im ganzen Land die Sicherheits-Verantwortung übernommen. Aber bereits bei der Aufstellung der Gesprächsdelegation für die Verhandlungen mit den Taliban in Katar zwei Tage später gab es wieder Streit zwischen Präsident Hamid Karsai und den USA. Karsai möchte vor seinem Abtritt im nächsten Jahr seinem Volk beweisen, dass er keine Marionette der USA ist, und setzt auf seinen Bruder als Nachfolger.

Die Übergabe der Kontrolle der letzten elf Provinzen des Landes an die Afghanen war der letzte Schritt in einem Prozess, der mit der Übergabe der Provinz Bamyan im März 2011 begonnen hatte. Die Übergabe der Sicherheitsverantwortung ist eine wesentliche Voraussetzung für die Beendigung des Kampfeinsatzes der Nato, die für Ende 2014 geplant ist. Während des Übergangs sollen die afghanischen Kräfte schrittweise die Planung, Ausführung und Führung von Einsätzen gegen die Aufständischen übernehmen, während sich die Isaf-Truppe auf Beratung und Unterstützung zurückzieht. Parallel dazu werden die regionalen Wiederaufbauteams (PRT), die die wichtigsten Stützpunkte der Nato in dem Land waren, geschlossen oder von den Afghanen fortgeführt, hieß es bei der Nato. Das PRT Kundus, das die Bundeswehr betreibt, soll gegen Ende dieses Jahres übergeben werden.

Während Karsai auf größere Fortschritte bei der Sicherheitslage hinwies, sind westliche Experten diesbezüglich weniger optimistisch. Ihrer Ansicht nach hat sich die Lage in den vergangenen Monaten wieder deutlich verschlechtert. Während die Isaf seit 2010 sinkende Verluste verzeichnet, steigen die der Sicherheitskräfte Afghanistans rapide. Auch die Zahl der getöteten Zivilisten ist im ersten Halbjahr dieses Jahres mit 3092 um 24 Prozent höher als 2012. Erst in den vergangenen Wochen hatten die Taliban durch eine ganze Serie von Anschlägen Kabul schwer getroffen.

Derzeit umfasst die Isaf-Truppe 97800 Soldaten aus 48 Ländern, darunter 4400 aus Deutschland. Das afghanische Heer hat 183000 Soldaten, die Luftwaffe 6700, die afghanische Polizei zählt 151000 Mann. Die Nato lobt seit Längerem die Leistungsfähigkeit der neuen afghanischen Armee, auch wenn gelegentlich Berichte über gescheiterte Einsätze bekannt werden. Aber immer mehr wird allen Akteuren klar, dass weder die Nato noch die einheimische Armee den Aufstand in Afghanistan militärisch entscheiden können.

Das größte Sicherheitsrisiko geht von den radikalislamischen Taliban aus. Aber auch die Taliban haben immer höhere Verluste und können gegen die einheimischen Sicherheitskräfte nicht mehr gewinnen. Bereits im Januar 2012 kam es zu ersten Gesprächen zwischen einem Verbindungsbüro der Taliban in Doha und den USA. Die Taliban setzten die „vorläufigen Gespräche“ zwei Monate später wieder aus und warfen Washington vor, Abmachungen nicht zu erfüllen. Sicher war es kein Zufall, dass zwei Tage nach der Übergabe der Sicherheitsverantwortung in Afghanistan die Taliban-Vertretung in Katar wieder aufgewertet wurde und diese ein „Politisches Büro des Islamischen Emirats von Afghanistan“ in Doha eröffneten. Damit bewiesen die Taliban einmal mehr, dass sie sich als alleinige Vertreter Afghanistan verstehen, während die USA jedoch im Vorfeld von den Taliban verlangen, die Verfassung des Landes anzuerkennen und sich von Al-Kaida loszusagen. Die afghanische Regierung hatte ursprünglich selbst vor, eine Verhandlungsdelegation nach Katar zu schicken, obwohl die Taliban mit diesen „Marionetten der USA“, wie sie sie bezeichnen, gar nicht verhandeln wollen. Jetzt droht Präsident Karsai sogar den Amerikanern die Verhandlungslizenz für seine Regierung zu entziehen, wenn seine eigene Friedensmission nicht zugelassen wird. Von einem Ende des Blutvergießens oder gar einem Waffenstillstand ist man in Afghanistan noch weit entfernt und kaum jemand macht sich Illusionen über die Verhandlungsbereitschaft oder gar Friedensbereitschaft der Taliban. „Auch während den jetzt möglichen Friedensgesprächen werden die Angriffe der Taliban weitergehen“, sagte Mohammed Sohail Shaheen vom neuen Taliban-Büro. Stunden später kamen bei einem Taliban-Angriff auf den US-Stützpunkt Bagram vier US-Soldaten ums Leben.

Die Präsidentenwahl im April 2014, der große symbolische Bedeutung beikommt, weil Karsai nicht mehr antreten darf, könnte eine kritische Phase für die Sicherheit im Lande und die Übergabe der Verantwortung an die Afghanen werden. Politische Beobachter erwarten, dass der Amtsinhaber alles tun wird, um die Wahl eines Nachfolgers aus seinem Umfeld sicherzustellen. In der afghanischen Hauptstadt kursieren Gerüchte, dass der Präsident seinen älteren Bruder Abdul Quayum Karsai im Präsidentenpalast installieren möchte. Quayum ist US-amerikanischer Staatsbürger und hatte in Baltimore ein Restaurant geführt, bevor er 2002 in die Heimat

zurückkehrte. Seit sein Bruder in Kabul mit Hilfe der Amerikaner an der Macht ist, ist Karsai II. zu einem der reichsten Unternehmer des Landes aufgestiegen. Die letzte Präsidentenwahl 2009 war von schweren Betrugsvorwürfen überschattet gewesen. Wenn der Wahlprozess und das Wahlresultat 2014 erneut als unfair empfunden werden, könnten die Taliban davon profitieren. Für sie ist die Präsidentenwahl bereits jetzt „bedeutungslos“, wie sie sagten.

Von der letzten Phase der Übergabe der Macht erhoffen sich die Nato-Kommandeure auch einen psychologischen Effekt. Wenn die Taliban nicht mehr behaupten können, sie kämpften gegen Ausländer, könnte sie dies Sympathien in der Bevölkerung kosten. Doch viele Afghanen glauben selbst nicht an Frieden. Dieser Tage wurde bekannt, dass von 105 Diplomaten, die zurück in ihre Heimat sollten, nur fünf heimkehrten. Der Rest blieb im Ausland, beantragte teilweise Asyl, da er mit einem Bürgerkrieg im Land rechnet. B. Bost


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