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29.06.13 / Eine ganz besondere Festival-Note / Woodstock war gestern – Heute locken klassische Musikfeste das Publikum zu einem Happening unter freiem Himmel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-13 vom 29. Juni 2013

Eine ganz besondere Festival-Note
Woodstock war gestern – Heute locken klassische Musikfeste das Publikum zu einem Happening unter freiem Himmel

Rund 700 Musikfestivals überbrücken die Sommerpause der Konzert- und Opernhäuser. Dann wird das Publikum mit Open-Air-Erlebnissen oder klassischen Genüssen in Scheunen oder andere verrückte Orte geködert. Trotz musikalischer Übersättigung und trotz Urlaubszeit strömt dann ein erlebnishungriges Publikum zu den Festivals. Nur ein verregneter Sommer kann das Geschäft vermiesen.

„Ein Festival ist eine einzigartige Gelegenheit, unterschiedliche Menschen und unterschiedliche Kulturen kennenzulernen. Zu­sammen mit den Künstlern, die durch ihre Kunst wahre Meister in der Kommunikation darstellen, sind sie starke Brückenbauer zwischen den Kulturen – und sogar zwischen den Zivilisationen“, schreibt die Europäische Festival Vereinigung auf ihrer Internetseite. Dass Musik keine Grenzen kennt, ist nichts Neues. Dass im Kolosseum von El Jem in Tunesien – mit Platz für 35000 Zuschauer nach dem Kolosseum in Rom und dem Amphitheater von Capua das drittgrößte Theater des Römischen Reiches – seit Jahrzehnten im Juli ein international hochkarätiges Klassik-Festival stattfindet, das traditionell vom Wiener Opernball-Orchester eröffnet wird, mag manchen dann doch überraschen (29. Juni bis 20. September).

Umgekehrt bedeuten Festivals im eigenen Land internationale Gäste. Matthias von Hülsen, Intendant der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern (MV): „Unsere ­24. Saison bietet alles, was die Festspiele MV so auszeichnet: eine ganz besondere Mischung aus Vielfalt, Vertrautem und Neuem mit vielen jungen und etablierten Spitzenmusikern und Ensembles aus aller Welt.“ Und Daniel Hope, Künstlerischer Direktor, ergänzt: „Amerika ist voller Vorfreude auf MV! Neben dem bereits etablierten Brückenschlag nach New York sind auch wieder die Musiker meines Savannah Music Festivals dabei.“

Auch eine Nummer kleiner tragen Festspiele wie die von Meck­lenburg-Vorpommern mit in diesem Jahr 115 Konzerten an 79 Spielstätten (15. Juni bis 14. September) dazu bei, Land und Leute kennenzulernen. Von den 66000 Besuchern 2012 kamen 59 Prozent aus Mecklenburg-Vorpommern und 41 Prozent von außerhalb. Grund genug, von Hülsen mit dem Tourismuspreis des Landes auszuzeichnen. „Denn“, so Tobias Woitendorf vom Tourismusverband MV, „die Festspiele sind ein kulturtouristischer Leuchtturm, der das Image Meck­lenburg-Vorpommerns beispielhaft befördert hat und dessen Bedeutung in reinen Zahlen gar nicht zu ermessen ist.“

Ähnliches gilt für das Schleswig-Holstein Musik Festival, das bei der Gründung der MV-Festspiele 1990 Pate stand. In seiner 28. Saison (6. Juli bis 25. August) präsentiert es an 66 Spielstätten in 44 Orten von Schleswig-Holstein, Hamburg sowie Teilen Dänemarks und Niedersachsens insgesamt 118 Konzerte, zusätzlich drei Musikfeste auf dem Lande und ein Kindermusikfest. Dafür stehen 112000 Eintrittskarten zur Verfügung (Besucher 2012: 111000).

Dazu hat sich das SHMF seit 1996 mit jährlich wechselnden Länderschwerpunkten die Völkerverbindung via Musik auf seine Fahnen geschrieben. 2012 stand die Musikwelt Chinas im Vordergrund. Etwa die Hälfte der 145 Konzerte war ihr gewidmet. In diesem Jahr steht das Baltikum im Fokus, welches das SHMF um eine Dimension erweitert: die politische Kraft der Musik. Ein gigantisches Sängerfest (am 3. August) erinnert an die „Singende Revolution“, mit der die Balten sich um 1990 gegen das Sowjetregime auflehnten. Dazu versammelten sich zwischen 1987 und 1991 immer mehr Menschen auf öffentlichen Plätzen und in Stadien, um mit Volksliedern gegen die Unterdrückung zu demonstrieren. Seine Traditionen offen zu zeigen war im Baltikum lange verboten gewesen. Höhepunkt war die singende Menschenkette, zu der sich am 23. August 1989 zwei Millionen Balten von Wilna über Riga bis Reval zusammengefunden hatten. Verschiedene Chöre empfinden dieses Ereignis nun nach und erinnern damit gleichzeitig an die Vorläufer der heutigen Festivals. Waren im 18. und 19. Jahrhundert Musikfeste doch vor allem Treffpunkt von Chören und Volkskünstlern.

Einst selbst als Chorsänger trat Michael Herrmann auf, der Vater des Rheingau Musik Festivals und bis heute sein Intendant. Mit 112000 Besuchern 2012 steht es an der Spitze der Trias von Deutschlands größten Musikfesten. Das Land Hessen dankte ihm seine private Initiative mit der Verleihung des Hessischen Verdienstordens und der Goethe-Plakette. Im Gegensatz zu den leicht rückläufigen Zahlen im Norden, präsentiert das RMF in seiner 26. Saison (29. Juni bis 31. August) die Rekordzahl von 159 Konzerten an 45 Spielstätten in der Region zwischen Frankfurt, Wiesbaden und Lorch. Auch mit einem Etat von 7,6 Millionen Euro übertrifft das Festival Schleswig-Holstein mit sieben Millionen und Mecklenburg-Vorpommern mit 4,1 Millionen. Dazu verfügt keines der anderen Festivals über derart starke Medienpartner, die seine Konzerte live oder zeitversetzt ins europäische und außereuropäische Ausland übertragen. Im letzten Jahr gingen 33 Konzerte vom Rheingau um die Welt.

Eines der ältesten Musikfestivals in Deutschland ist der Choriner Musiksommer (22. Juni bis 1. September), der die Wirren nach 1989 erfolgreich bewältigt hat und 2013 mit 18 großen Konzerten in der Klosterruine und einem weiteren Konzert in der Dorfkirche sein 50. Jubiläum begeht. 850000 Besucher in 400 Konzerten zählt der Musiksommer seit 1964, bis zu 30000 waren es im Jahre 1988 und 23500 im Jahr 2012. Für jedes Konzert sind 2000 Besucher zugelassen, davon 600 auf der Rasenfläche im Innenhof. Ganz bewusst sind im Jubiläumsjahr bedeutende Klangkörper aus dem Osten der Republik eingeladen, darunter dessen berühmte Knabenchöre, der Dresdner Kreuzchor und der Thomanerchor Leipzig. Die Tradition der Musikfeste lässt grüßen.

Trotz eines leichten Rückgangs der Besucherzahlen sind Festivals nach wie vor attraktive Unternehmen, die sich in der Regel größtenteils aus Eintritts- und Sponsorengeldern finanzieren. Und das sogar bei einem wachsenden Angebot. Am 18. August 2012 beispielsweise zählte das Choriner Team 170 Veranstaltungen allein in Berlin/Brandenburg – von der Potsdamer Schlössernacht über die Seefestspiele am Wannsee mit Carmen bis hin zu einem Konzert im Rahmen der Sommerreihe auf Gut Liebenberg. Bundesweit dürften je nach Zählart rund 700 größere und kleinere Festivals den Sommer mit Musik erfüllen.

Was macht Festivals ausgerechnet in der Urlaubszeit, wenn viele potenzielle Besucher verreist sind, so erfolgreich? Von Hülsen: „Das Festival unterscheidet sich von dem normalen Konzertbetrieb dadurch, dass es einen Gastgeber hat, Gasträume, dass man jemanden besucht, ein Land, eine Stadt oder einen Ort, um ein besonderes Erlebnis damit zu verbinden. Es hebt einen aus dem Alltag völlig heraus und das macht das Besondere aus.“

Und der britische Geiger Daniel Hope ergänzt: „Was meinen Sie, wie meine Freunde aus Amerika, die hier in einer Renaissance-Scheune aus dem 16. Jahrhundert musizieren, die älter ist als ihr eigenes Land, aus dem Staunen nicht herauskommen. Das ist für Musiker und Publikum gleichermaßen schön.“

Urlaubsmuffel schätzen außerdem die lockere Oper-Air-Atmosphäre vieler Festivals. Ein verregneter Sommer kann allerdings sowohl Besuchern wie den Festivalveranstaltern dann einen Strich durch die Rechnung machen. Helga Schnehagen


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