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29.06.13 / Solo auf dem »Nackten Berg« / Der Tiroler Hermann Buhl stand vor 60 Jahren als erster auf dem Gipfel des »Schicksalsbergs der Deutschen« Nanga Parbat

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-13 vom 29. Juni 2013

Solo auf dem »Nackten Berg«
Der Tiroler Hermann Buhl stand vor 60 Jahren als erster auf dem Gipfel des »Schicksalsbergs der Deutschen« Nanga Parbat

Die Einheimischen nennen ihn den „Nackten Berg“ – „Nanga Parbat“. Für die Deutschen ist es ihr „Schick­salsberg“. Als am 3. Juli 1953 dieser Berg erstmals bestiegen wurde, hatten bei früheren Besteigungsversuchen bereits mehr als 20 Bergsteiger und Träger aus dem Kaschmir ihr Leben gelassen. Der Nanga Parbat ist unter den Achttausendern zwar nur der neuntgrößte, aber der mit Abstand gefährlichste. Die Todesrate unter Bergsteigern ist hier höher als an jedem anderen Berg.

Allein die größte Steilwand der Welt, die viereinhalb Kilometer lange nach Süden hin gelegene Rupal-Flanke, flößt Bergsteigern regelrecht Furcht und Schrecken ein. Die Deutschen nehmen solche Herausforderungen gerne an. Der Nanga Parbat sollte „ihr“ Berg werden.

Viele Kletterer sind sich einig: Der Nanga Parbat ist der eindrucksvollste Achttausender. Mehr als 1200 Kilometer vom Mount Everest entfernt am westlichen Ausläufer des Himalayas im pakistanischen Karakorum gelegen, ragt er mit seinen in der Sonne gleißend weißen Steilwänden wie ein glitzernder Kristall weithin sichtbar hervor. Zum nur 25 Kilometer entfernten Indus-Tal beträgt der Höhenunterschied 7000 Meter – auf keinem Kontinent gibt es eine größere Falllinie.

Kein Wunder, dass die Pakistani ihn auch den „König der Berge“ nennen. Obwohl er „nur“ 8125 Meter hoch ist und gerade noch ohne Atemmaske bestiegen werden kann, ist er der mythenreichste Berg. Nur der Mount Everest hat ähnlich viele Geschichten geschrieben. Während auf dessen Gipfel mittlerweile sogar Touristen ohne jede bergsteigerische Erfahrung geführt werden, schaffen es am Nanga Parbat nur die besten Kletterer.

Einer der Besten seiner Zeit, der Brite und Matterhorn-Bezwinger Albert F. Mummery, wollte den Berg 1895 erstmals besteigen. Doch vom Nanga Parbat kam er nicht wieder herunter, er blieb dort verschollen. Als sich ein deutscher Verleger von Alpinliteratur die Rechte an Mummerys Reiseberichten sicherte, schwappte eine Welle an Begeisterung für den „Nackten Berg“ nach Deutschland über. 1932 gab die großangelegte „Deutsch-Amerikanische Himalaya-Expedition“ unter Führung von Willy Merkl nach einem dreiwöchigen Schneesturm erschöpft auf. Zwei Jahre später leitete Merkl erneut eine Expedition, die in einer Katastrophe endete, nachdem ein Orkan die Männer mehr als eine Woche bei klirrender Kälte in 7600 Metern Höhe festgehalten hatte. Insgesamt zwölf Menschen starben, darunter auch Merkl. Noch tragischer endete die dritte große deutsche Expedition, bei der 1937 eine Lawine sieben deutsche Bergsteiger und neun Träger unter sich begrub.

Die NS-Propaganda rief den Nanga Parbat als den „Schicksalsberg der Deutschen“ aus. Ihm wollte sich 1939 auch Heinrich Harrer stellen. Als der Krieg ausbrach, wurde er auf der Rückreise einer Erkundungstour von Briten interniert. Seine Erlebnisse verarbeitete er in seinem mit Brad Pitt verfilmten Bestseller „Sieben Jahre in Tibet“.

Nach dem Krieg lieferte man sich mit Briten, Franzosen und Italienern einen regelrechten Wettlauf um die Erstbesteigung der Achtausender. Die Franzosen legten 1950 vor, als sie auf „ihrem“ Annapurna standen. 1953 kam es zum Fernduell zwischen Briten und Deutschen. Erstere hatten die Nase knapp vorn, als Ende Mai der „britische“ Mount Everest von Edmund Hillary bezwungen wurde – der war zwar Neuseeländer, aber das gehört ja zum Common­wealth. Erst im darauffolgenden Jahr schafften es die Italiener auf „ihren“ K2.

1953 stellte der Münchener Arzt Karl Herligkoffer, – übrigens ein Halbbruder von Willy Merkl – eine Expedition zum Nanga Parbat zusammen. Während er vom Basislager aus die organisatorischen Fäden zog, kam es zu Reibereien unter den Bergsteigern. Als deren Anführer entnervt abreiste, erhielt der Innsbrucker Hermann Buhl im Lager in 6900 Metern Höhe die Anweisung abzusteigen.

Da ausnahmsweise bestes Wetter herrschte, widersetzte sich Buhl der Anordnung und nahm einen bis heute einmaligen Soloaufstieg vor. Am 3. Juli, zwei Stunden nach Mitternacht, macht er sich auf, um 1200 Meter auf welligem Grat anzusteigen. Aufgeputscht von der Droge Pervitin legt er acht Kilometer über den Silbersattel bis zum Vorgipfel zurück. Vor dem Gipfel gilt es noch, einige schwierige Gratzacken zu überwinden, doch schließlich kriecht er um 7 Uhr abends auf allen vieren auf den Gipfel.

Buhl hält sich nur wenige Minuten ganz oben auf und sticht einen Eispickel mit der nepalesischen Fahne als Zeichen seines Gipfelsiegs in den Fels. Der eisige Wind macht ihm zu schaffen. Und die nahende Dunkelheit. Er steigt ab, um sich in 8000 Meter Höhe über Nacht ein Notbiwak ohne Zelt einzurichten. Am nächsten Morgen wankt er hinab. Vom Silbersattel aus sieht er das Hochlager in 6900 Metern Höhe. Es ist niemand da. Verzweifelt ruft er nach seinen Mitstreitern. Doch dann sieht er zwei Gestalten an einem Felsvorsprung. Zwei Weggefährten haben auf ihn gewartet. Er hat es geschafft, zwar mit Erfrierungen an den Zehen, völlig dehydriert und ausgezehrt sowie mit von der Höhensonne verrunzeltem Gesicht, das ihn um 40 Jahre gealtert aussehen lässt, aber geschafft – nach 41 Stunden Alleingang!

Herligkoffer wusste nicht, ob er sich über den Abtrünnigen Buhl, mit dem er sich später vor Gericht um die Verwertungsrechte stritt, freuen oder ärgern sollte. Wie um einen halben Triumph perfekt zu machen, organisierte er 1970 eine Expedition mit dem Südtiroler Brüder-Paar Reinhold und Gün­ther Messner. Anders als Buhl, der den Berg über die Rakhiot-Flanke im Norden bestieg, sollten sie den Gipfel über die riesige Rupal-Steilwand besteigen, die viermal so lang ist wie die berüchtigte Eiger-Nordwand. Es klappte. Günther war von dem extremen Anstieg aber so geschwächt, dass ein geplanter Abstieg über die Rupal-Seite ausgeschlossen war. So stiegen sie erstmals auf der anderen Seite über die westliche Diamir-Flanke herab. Als Reinhold nach einer Abstiegsmöglichkeit suchte, kam sein höhenkranker Bruder vermutlich bei einer Lawine ums Leben. 2005 wurden sterbliche Überreste als die von Günther Messner identifiziert. Sein Bruder Reinhold schaffte es mit knapper Not ins rettende Tal. Beider Schicksal hat Regisseur Joseph Vilsmaier 2010 in „Nanga Parbat“ verfilmt. Harald Tews


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