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13.07.13 / Wenn Polizisten am Ende sind / Todesschuss am Berliner Neptunbrunnen: Die Überlastung der Beamten wird gefährlich

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-13 vom 13. Juli 2013

Wenn Polizisten am Ende sind
Todesschuss am Berliner Neptunbrunnen: Die Überlastung der Beamten wird gefährlich

Nach dem tödlichen Schuss eines Polizisten auf einen psychisch kranken 31-Jährigen in Berlins Zentrum am Neptunbrunnen nahe dem Regierungsviertel rückt ein für die Politik unangenehmes Thema in den Fokus: die brutale Überlastung der Beamten.

Berlins Polizisten stehen unter Druck, nicht nur durch ein Sparkorsett. Kürzlich hat Berlins Polizeipräsident Klaus Kandt erreicht, dass sie keine Parktickets mehr ziehen müssen. Für alle Fahrten außer Eilaufträgen war bisher ein Parkschein zu lösen und privat vorzuzahlen. Die Beamten sollten die Belege sammeln und wurden per Verordnung angehalten, genug Kleingeld mit sich zu führen. In Internetforen wie „Copzone.de“ ließen Polzisten ihren Frust über die als demütigend empfundene Regel ab: „Zuerst dachte ich an einen Aprilscherz!“ Frust weicht Verbitterung, das ergibt ein Leserbrief eines Polizisten mit Führungsaufgabe in einer Berliner „Tageszeitung“, eine unmittelbare Reaktion auf den Tod des Mannes vom Neptunbrunnen.

Thorsten Schlusnath von der 22. Einsatzhundertschaft der Bereitschaftspolizei legt in seinem Brief nicht nur Wert darauf, Bürgern die Polizistensicht bekanntzumachen. Er drückt die Entfremdung der Beamten von ihrer politischen Führung aus. An den Wochenenden bleibe keine Zeit für Erholung und Familie, „weil es in einer Stadt wie Berlin kein einziges Wochenende mehr gibt, an dem nicht für oder gegen irgendetwas demonstriert, Fußball gespielt oder sich einfach bei Volksfesten geprügelt und bis zur Maßlosigkeit Alkohol konsumiert wird, der Tiergarten zum Fetischclub umfunktioniert, Rocker kontrolliert werden müssen, rechte Gruppen überprüft oder bei ,Demo-Übungen‘ überwacht werden müssen und Staatsbesuche stattfinden.“

Verfall und Demoralisierung bedrohen demnach das Selbstverständnis und damit die Handlungsfähigkeit der Polizei: Schlusnath berichtet von hohen Hemmschwellen bei seinen Kollegen, gegen Straftäter das Mittel des Zwangs einzusetzen, „teilweise so hoch, dass das Bild einer Polizei entsteht, die sich vor dem Polizeipräsidium ohne Grund ,ohrfeigen‘ lassen muss, damit die Situation nur nicht eskaliert“. Von „tief sitzendem Frust“ und einer „Gesellschaft, die längst den Einblick verloren hat“, was Polizisten leisten, klagt der Beamte.

Anders als frühere tragische Fälle wirft der Tod des Mannes vom Neptunbrunnen ein Schlaglicht auf den Zustand der Polizei. Bei einem ähnlichen Vorfall im Oktober 2012 wurde ein mit einem Messer Bewaffneter durch Schüsse der zu Hilfe gerufenen Beamten schwer verletzt. Passanten filmten mit dem Mobiltelefon, stellten das Material ins Internet.

Polizisten diskutierten die Notsituation ihrer medial bloßgestellten Kollegen: „Tut mir leid, aber wer mit einem Messer hantiert und nicht auf die Beamten hört ...“, schreibt ein Forumsnutzer auf der Internetseite „Beamten­talk.de“. Ein anderer spricht hingegen von „groben Fehlern“ der Kollegen.

Bei der Diskussion um das Verhalten im Fall Neptunbrunnen stehen die Beamten abermals vor allem als Buhmänner da. Leserkommentare thematisieren nicht den Einsatz von Gewalt als letztes Mittel, sondern den Einsatz von Gewalt durch Polizisten überhaupt und verweisen auf Videos angeblicher Polizeigewalt.

„Ich bin seit einem halben Jahr wieder in Berlin und bin überrascht, wie schnell meine Beamten angegangen werden und wie viel Misstrauen ihnen gegenüber gebracht wird“, sagte Kandt zu dem Vorfall. Kandt beorderte in Reaktion auf den Leserbrief die Führungsebene der Bereitschaftspolizei zum internen Gespräch. Ob die Polizei als Prügelknabe zur Sprache kam, dem „von einer bestimmten Klientel sofort reflexartig der Vorwurf rassistischer Äußerungen“ gemacht wird, wie Schlusnath schreibt, ist unbekannt. Auch wenn der Beamte diese „Klientel“ zu nennen vermeidet, aus Schlusnaths Beispielen wie dem „Camp am Oranienplatz“ geht hervor, dass linke Gruppen gemeint sind.

Eine politische Umgebung, die der Polizei viel abverlangt und sie zugleich immer weniger handeln lässt, kritisiert auch ein aktueller „Evaluationsbericht zum Berliner Modell“ der Deutschen Polizeigewerkschaft (DpolG). Von einer „dramatischen Höhe der Arbeitsverdichtung“ und „unerträglichen Arbeitszeiten“ ist die Rede. Auch bei der Gewerkschaft der Polizei (GdP) gärt es. Der Landesbezirksvorsitzende Michael Purper begrüßt das sogenannte „Bremer Modell“: Polizisten erheben bevorzugt keine Bußgelder mehr, sondern ermahnen die Bürger. Das zielt ins Herz von Politikern, die von der Polizei vor allem eines erwarten und die Uniformierten ansonsten aber gern im Regen stehen lassen: Geld einnehmen für die klamme Staatskasse. „Unsere Senatoren wollen nie etwas gehört, gesehen oder gesagt haben, wenn es um die bessere Bezahlung geht. Nun ist es an den Beschäftigten, sich ihrerseits nicht um die Belange des Arbeitgebers zu scheren“, so Purper in dem Papier vom 1. Juli.

Der Todesschuss ist somit ein Warnschuss an die Politik: Zwischen Sparen, Reallohnverlust und politisch verordnetem härteren Schichtdienst gehen Polizisten bei mangelnder Anerkennung zum Notdienst, zur reinen Verwaltung der Missstände über. Das sich die Lage in Berlin bald bessert, ist unwahrscheinlich, denn Kandt muss trotz neuer Polizisten die politischen Vorgaben zum Verwaltungssparen umsetzen. Sverre Gutschmidt


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