20.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
20.07.13 / Tanz auf dem Vulkan

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-13 vom 20. Juli 2013

Moment mal!
Tanz auf dem Vulkan
von Klaus Rainer Röhl

Griechenland, irgendwo an der Küste des Peloponnes. Weit vom Massentourismus und Urlaubs-Rummel. Ein Geheimtipp für Rucksacktouristen und Liebhaber der Einsamkeit. Bei Frau Pavlou (Name geändert) kauft man alles ein, was man braucht, an Milch, Brot, Wein, Obst, Waschpulver, Badeschuhen und aufblasbaren Gummitieren. Aber heute ist Frau Lambrou ganz sicher. „Sie“ kommen. „Sie“ sind die holländische Königsfamilie mit ihren drei süßen Kindern. Frau Pavlou kennt sie bereits, denn sie waren schon im vorigen Jahr einmal bei ihr, als sie noch die Kronprinzenfamilie waren und eine geräumige Villa an einer der schönsten Buchten bezogen hatten. Wie schön, die Màxima. Und so natürlich, ganz natürlich. Ganz normal, wie jede andere Familie, betont Frau Pavlou, der das sehr imponiert, immer wieder. Und sie hofft, dass die Königsfamilie, die jetzt kommt, um hier ihre Ferien zu verbringen, auch bei ihr etwas bestellt – dann wäre sie so etwas wie eine königliche Hoflieferantin.

Das wäre nicht nur ein Erfolg für ihr Ansehen im Dorf, sondern schlüge auch wirtschaftlich zu Buche. Denn das Dorf verarmt immer mehr, wie das ganze Land. Immer mehr Kunden kaufen auf Pump, die Abgaben für das Haus und den kleinen Laden sind gestiegen. Griechische Touristen kommen entweder gar nicht oder bleiben nur ein paar Tage. Die Sparmaßnahmen, die die europäischen Geldgeber und der Internationale Währungsfonds der Regierung als Bedingung für die Gewährung der Milliarden-Kredite auferlegt haben, schlagen jetzt erst richtig auf die einzelnen Familien durch. Die Haushaltseinkommen brachen um fast 40 Prozent ein. 25000 der in den letzten 20 Jahren von beiden großen Parteien an treue Mitglieder vergebenen, meist sinnlose Jobs sollen in den nächsten Monaten gestrichen werden. Hinter den Zahlen stehen Familien, die vor dem Nichts stünden, da es so etwas wie Hartz IV hier nicht gibt. Die Arbeitslosigkeit ist eine der höchsten in Europa und die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 62 Prozent. Das heißt, die Jugend eines ganzen Landes wächst ohne erkennbare Zukunft heran. Die – ohnehin niedrigen – Renten sind in einem nicht für möglich gehaltenen Maße gekürzt worden, viele können ihre Miete nicht mehr bezahlen, ihren Strom, ihre Gas-Rechnung.

Die Unzufriedenheit mit der gerade gewählten Regierung und den alten Parteien steigt im ganzen Land. Die Partei des jungen, begabten Demagogen Tsipras hat Zulauf und steht kurz davor, die größte des Landes zu werden. Aber auch die extreme, betont ausländerfeindliche Rechte, die „Goldene Morgenröte“, die bei den letzten Wahlen immerhin zwölf Prozent der Stimmen erhielt, ist im Aufwind und findet immer mehr Anhänger, besonders bei der Jugend. Beide Extremparteien machen Ausländer für Griechenlands Misere verantwortlich. Tsipras linke Syriza sieht die Schuld bei den europäischen Geberländern und besonders bei Angela Merkel, die „Goldene Morgenröte“ macht die in Massen einwandernden Ausländer aus Albanien, Asien und Afrika verantwortlich.

Die Sorglosigkeit der wirtschaftlichen Eliten angesichts der auf sie zurollenden Probleme ist groß. In Griechenland gibt es mehr Superreiche als in Deutschland. Das vermögende Drittel, das sein Kapital längst im Ausland angelegt hat, ist durch die Krise – Firmen-Übernahmen, niedrige Lohnkosten, Grundstückskäufe, Schnäppchen auf Kosten der Armen – noch reicher geworden.

Die europäisch-amerikanischen Kreditgeber haben oft von der heutigen Regierung gefordert, die Superreichen stärker an der Finanzierung des Staates zu beteiligen. Davon kann bis jetzt überhaupt keine Rede sein. Die griechischen Reeder mit ihren üppigen Einnahmen aus den Schiffstransporten sind beispielsweise bis heute steuerfrei. Die griechische Oberschicht genießt ihre Vorzugsstellung in vollen Zügen und ohne die in Deutschland üblichen Hemmungen. Das sieht in der Realität so aus: Von den malerischen einsamen Buchten im Urlaubsort des Verfassers dieser Zeilen führt eine schmale, gut befahrbare Straße in Richtung des Jachthafens Porto Heli. Nach der siebten Bucht aber hört die Straße plötzlich auf und führt in das umfangreiche Grundstück eines der reichsten Besitzer einer Öl-Raffinerie Vardinojannis. Unweit von unserem Fischerdorf liegt eine Insel, die dem Reeder Livanos gehört. Wenn der gastfreundliche Reeder eine Party feiert, liefert ein nur zu diesem Zweck gebautes Fährschiff Brot und frischen Fisch für die Gäste. Hat einer der Gäste einen Unfall, dann wird schon mal der Arzt der Notfall-Ambulanz in der Nachbarstadt auf die Insel beordert. Ich war Patient und musste solange warten, bis der Arzt gegen Morgen wieder zurück zu seiner Ambulanz durfte.

Unsere kleine einsame Küste ist plötzlich in Mode gekommen, nicht erst seit dem Zuzug der holländischen Königsfamilie. Das hat einen ganz einfachen Grund. Unbeschreiblich schön war es hier schon immer, aber es ist auch sehr weit von Athen entfernt – zwei bis drei Stunden mit dem Auto. Zu viel für ungeduldige Luxus-Urlauber. Bis ein pfiffiger Kopf herausfand, dass man diese Strecke mit dem Hubschrauber auf 20 Minuten verkürzen kann. Seitdem brummen die Hubschrauber in unregelmäßigen Abständen über unseren einsamen Strand. Ein eigens zu diesem Zweck gegründetes Hochglanzmagazin rief kürzlich hier die „Neue griechische Riviera“ aus, deren Krönung der vor einem Jahr errichtete Hotelkomplex „Amanzoe“ mit 36 Bungalow-Villen, feudalen Häusern mit jeweils eigenem Swimming-Pool, ist. Seitdem kann man die Schönheiten der menschenleeren, mit Oliven, Pinien und Feigenbäumen bestandenden Buchten schon für 38000 Euro pro Woche genießen. Alles inklusive.

Aber wer aufmerksam schaut, sieht auch ein Riesenplakat auf einem einzigen stehengebliebenen Bauernhaus mit dem weithin sichtbaren stilisierten Hakenkreuz (dem Mäanderkreuz) und der Werbung für die rechtsextreme „Goldene Morgenröte“. Da sind wir wieder bei der Wirklichkeit des gebeutelten Landes, seinen sorglosen Eliten und seinen Zukunftsaussichten. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung ist kaum noch zu steigern. Wenn nicht ein Wunder geschieht, wie der angekündigte Vertrag mit Aserbaidschan über den Bau einer Pipeline durch den ganzen Balkan, die bis nach Italien führt, ist die Regierung nicht zu halten. Die Schulden sind gewachsen, die Staatseinnahmen stagnieren. Einzig die Chinesen haben einen großen Teil des Hafens Piräus gekauft und wollen ihn zum größten Hafen im Mittelmeer machen, doch ausgerechnet sie haben plötzlich selber Zahlungsschwierigkeiten. Obwohl die gemeinsam regierenden Konservativen der unserer CDU nahestehenden Nea Dimokratia und die in etwa unserer SPD entsprechenden Pasok Neuwahlen wie die Pest fürchten und deshalb auf Gedeih und Verderb zusammenbleiben wollen, werden Neuwahlen auf die Dauer nicht zu vermeiden sein.

Dann erst schlägt für Griechenland die Stunde der Wahrheit. Zusammen mit der radikalen Linken könnten die Rechtsextremisten eine „negative Mehrheit“ gewinnen wie in Weimar Ende 1932, die zur Machtübernahme Hitlers führte.

Der Autor veröffentlichte kürzlich ein Buch über die negative Mehrheit: „Das Ende der Weimarer Republik. Über die Zusammenarbeit von Kommunisten und Nationalsozialisten“, München 2009.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren