19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
20.07.13 / Bizarre Verkehrung der Geschichte / Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen und Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus luden zur Fachtagung über die Befreiungskriege

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-13 vom 20. Juli 2013

Bizarre Verkehrung der Geschichte
Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen und Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus luden zur Fachtagung über die Befreiungskriege

In der kommunistischen Volksrepublik Polen war der von der Sowjetunion verlorene Polnisch-Sowjetische Krieg von 1920 kein Thema. Bei der Rekonstruktion des Grabmals des unbekannten Soldaten in Warschau wurden die Spuren des von der Sowjetunion verlorenen Kampfes entfernt. Insofern darf man von Berlin nichts Nennenswertes aus Anlass des 200. Jubiläums der vom napoleonischen Frankreich verlorenen Befreiungskriege erwarten. Man mag es als hart empfinden, die Rücksichtnahme der Volksrepublik auf Moskau und die der Bundesrepublik auf Paris in einem Atemzug anzusprechen, doch wäre es naiv, die Folgen der Westbindung auf die Behandlung der Geschichte und den ideologischen Überbau der Republik zu ignorieren.

Grundsätzlich gilt hier, dass das Gute aus dem Westen komme und dass das, was vom Westen kommt, gut sei. Letzteres schließt zunehmend auch westliche Soldaten ein. Daran, dass der Einmarsch der Westalliierten eine Befreiung gewesen sei, dürften sich die Bundesbürger ja bereits gewöhnt haben. Aber auch der Einmarsch der Römer zu Zeiten von Arminius (Hermann der Cherusker) oder der Franzosen Napoleons wird zusehends als Chance zur kulturellen Bereicherung interpretiert, so dass die Befreiungskriege gegen die Truppen des französischen Kaiserreiches schon fast einem Widerspruch in sich gleichzukommen scheinen, weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

Insofern ist es schon erwähnenswert, dass die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen in Verbindung mit der Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus diesen Monat in Königswinter eine historische Fachtagung mit dem Thema „1813. Die Befreiungskriege: Geschichte und Erinnerung“ durchgeführt hat. Die Begrüßung nahm Hans-Gün­ther Parplies als Vorsitzender der Kulturstiftung vor. Er benutzte die Gelegenheit, sein Bedauern über das aktuelle Schweigen in Deutschland zu dem Thema zum Ausdruck zu bringen, das er als irritierend und beredt zugleich bezeichnete.

Eine Antwort auf die – nicht gestellte – Frage nach den Gründen für dieses Schweigen gaben indirekt die beiden nachfolgenden Redner. Winfried Halder, der als Direktor des Gerhart-Hauptmann-Hauses an der Veranstaltung teilnahm, sprach im Gegensatz zu Parplies von den „sogenannten Befreiungskriegen“ sowie einem „Mythos“, einer „Mystifizierung“ und einer „Stilisierung“ dieser Kriege. Nach Halders „Einführung in die Tagungsthematik und Moderation“ nahm sich der Ministerialrat Thomas Lindner des Militärreformers August Neidhardt von Gneisenau an. Nach der Vorstellung der eigenen Person zeichnete der Oberstleutnant d. R. erst ein „glattes“ und dann ein „unglattes Bild“, wie er es selber formulierte. Da die preußischen Heeresreformer – noch zumindest – positiv bewertet werden, war das sogenannte unglatte Bild interessanter, bietet es uns doch möglicherweise einen Ausblick, was uns bei der Neudeutung der deutschen Geschichte noch bevorsteht. Lindner kritisierte an Gneisenaus Partisanenkriegskonzept die moralische Unbedingtheit sowie eine Verwilderung und Totalisierung des Krieges, die an Joseph Goebbels Forderung nach dem „totalen Krieg“ erinnere. Man stelle sich einmal vor, auf einem französischen Seminar über die Résistance oder einem polnischen über den Warschauer Aufstand würde hinsichtlich des entsprechenden Partisanenkrieges eine vergleichbare Kritik geübt. Da versagt die Phantasie. Ähnliches gilt für den Versuch, den Wortbestandteil „Befreiung“ in „Befreiungskriege“ dadurch zu relativieren, dass Napoleon Polen ja die nationale Unabhängigkeit gebracht habe. Hier stelle man sich einmal vor, in einem polnischen Seminar würde der Begriff Befreiung für die Beendigung der NS-Herrschaft mit dem Hinweis relativiert, dass Adolf Hitler der Slowakei und Kroatien ja die Unabhängigkeit gegeben habe. So etwas kann man wohl nur vor Deutschen sagen.

Spannend war die Feststellung Lindners, dass die preußische Heeresreform kurzfristig nichts gebracht habe. Dass die Befreiungskriege anders ausgegangen sind als die vorangegangenen Koalitionskriege, habe nicht daran gelegen, dass Napoleons Gegner wegen der Heeresreform stärker gewesen wäre, sondern daran, dass der Korse im Russlandfeldzug seine kampferfahrenen Soldaten verloren habe.

Ein Höhepunkt zumindest des ersten Seminartages war der Programmpunkt „Herolde der Befreiung – Theodor Körner und Ernst Moritz Arndt (Lesungen)“. Das lag zum einen daran, dass hier Zeitzeugen zu Worte kamen, und zum anderen an der Inbrunst, mit der Hajo Buch die Texte vortrug.

Am zweiten Tagungstag thematisierte Halder den Rheinbundfürsten Friedrich August I. von Sachsen, der bis zum Schluss, sprich bis zu seiner Gefangennahme, zu Napoleon gehalten hatte. Das schlechte Image dieses Mannes begründete Halder nicht etwa damit, dass er zumindest in den Augen der Preußen und der deutschen Nationalbewegung ein Verräter an der deutschen Sache gewesen ist, sondern mit der Darstellung seiner Person durch den Historiker Heinrich von Treitschke. Erstmals wurden in diesem Seminar nun auch Ausbeutung und Zwangsrekrutierungen offen angesprochen – aber nicht etwa im Zusammenhang mit dem Verhalten der Franzosen in Deutschland, sondern mit dem der Preußen in Sachsen. Halder machte aus seiner Sympathie für Fried­rich August kein Hehl. Ausdrück­lich bejahte er die nach der Vereinigung der DDR mit der Bundesrepublik vorgenommene Versetzung des Fried­rich-August-Denkmals von Ernst Rietschel vom Japanischen Palais, wohin es in der Weimarer Zeit verbannt worden war, auf den Schlossplatz. Er tat dieses mit der Begründung, dass der Sachsenkönig „im Herzen Dresdens“ richtig stehe. Nicht ohne Humor sprach Halder die Möglichkeit an, dass sich ein antipreußischer Effekt aus Oberbayern, wo er aufgewachsen ist, während seines längeren Aufenthalts in Sachsen verstärkt haben könnte.

Nach Halders Loblied auf den napoleontreuen Rheinbundfürsten blies Bettina Severin-Barboutie in ihrem Referat über die „Befreiungskriege im Rheinland“ in dasselbe Horn. Die Bevölkerung des linksrheinischen Deutschland habe sich an der französischen Fremdherrschaft – Severin-Barboutie spricht von der „sogenannten Fremdherrschaft“ – nicht gestört. Vielmehr hätten Rheinländer aus dem benachbarten Rheinbund um Aufnahme in das Kaiserreich gebeten. Widerständiges Verhalten sei nicht selten restaurativ gewesen und habe sich nicht gegen die Franzosenherrschaft, sondern gegen die Anforderungen des modernen Staates an seine Bürger gerichtet. Zudem sei die Herrschaft der Franzosen für die Deutschen ja nichts Neues gewesen, denn aus der Zeit des Heiligen Römischen Reiches seien sie ja bereits Personalunionen von deutschen Territorien und fremden Reichen gewohnt gewesen.

Angesichts dieser Einheitlichkeit der Stoßrichtung kam dann auch aus dem Publikum die „Glaubensfrage“ an das Podium, ob es denn nun die Befreiungskriege für eine Befreiung der Deutschen von der Fremdherrschaft halte oder aber für ein Herausdrängen der Errungenschaften der Französischen Revolution aus Deutschland, das zu bedauern sei. Mit Ausnahme von Parplies, der sich einer Stellungnahme enthielt, antwortete der Rest des Podiums, sprich Halder und Severin-Barboutie, Schwarzweißmalerei sei unangebracht und in der Geschichtswissenschaft müsse man differenzieren.

Das anschließende Vortragsthema „Geteilte Erinnerung – Die Befreiungskriege in der Geschichtspolitik in Ost und West“ hätte hier die Möglichkeit zur Selbstreflexion geboten, doch konzentrierte sich Gerd Fesser aus Jena in seinem durchaus hörenswerten Beitrag vornehmlich auf die Politik der DDR.

Abgerundet wurde das zweitägige Vortragsprogramm dieser sehr gut organisierten Tagung, in der niemals Langeweile aufkam, durch Referate der Buchautorin Karin Feuerstein-Praßer über Königin Luise und des Professors Tilman Mayer zum Thema „Befreiungskriege und Nationalstaatsbildung“.

Am dritten und letzten Semi­nartag wurde die Ausstellung des Oberschlesischen Landesmuseums in Ratingen-Hösel „,Das Vaterland ist frey‘ – 200 Jahre Befreiungskriege“ besucht, über die in dieser Zeitung bereits berichtet wurde. Was bleibt, ist der Eindruck eines Kompromisses dergestalt, dass die Kulturstiftung das Thema vorgegeben hat und das Gerhart-Hauptmann-Haus dafür beim Programm und damit bei der inhaltlichen Ausrichtung das letzte Wort hatte. M.R.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren