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20.07.13 / Rechnung ohne den Wirt gemacht / Schweizer und Russen wollen in Tilsit im großen Stil Käse herstellen – Die Grundsteinlegung war bereits geplant

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-13 vom 20. Juli 2013

Rechnung ohne den Wirt gemacht
Schweizer und Russen wollen in Tilsit im großen Stil Käse herstellen – Die Grundsteinlegung war bereits geplant

Die Sortenorganisation Tilsiter Switzerland liegt zwar statt in Ostpreußen in der Schweiz, hat aber nichtsdestoweniger den Ehrgeiz einen möglichst authentischen Tilsiter herzustellen. Aus diesem Grund ist bereits vor sechs Jahren im Beisein deutscher und russischer Tilsiter ein Tilsit im schweizerischen Thurgau gegründet worden. Nun planen die betrieb­samen Eidgenossen ein neues Projekt: den Aufbau einer Käserei in der Stadt am Memelstrom. Geplant ist die Errichtung eines repräsentativen Gebäudekomplexes von 45 mal 30 Metern Größe an der Königsberger Chaussee am südlichen Stadtrand. Er würde damit an der Tangentialstraße zur Hauptstadt Ostpreußens liegen und damit entsprechend gut von der Gebietshauptstadt aus erreichbar sein.

Das Objekt soll aus zwei Hauptteilen bestehen. Da ist zum einen eine dreigeschossige Produktionshalle in Stahlbauweise, die alle notwendigen Produktions-, Lager-, Technik- und Nebenräume umfasst. Und dann ist da ein Anbau vorgesehen mit publikumszugänglichen Bereichen. Ergänzt werden sollen diese beiden Hauptbereiche durch die außenliegenden Nebenbereiche Milchannahme, Spedition und Tanklager.

Im Untergeschoss der Produktionshalle sollen sich die Technik­räume für die Elektroverteilungen, die Sanitärzentrale, die Abwasserneutralisation sowie die Energie- und Heizzentrale befinden. Die Anordnung außerhalb der Hygienebereiche soll problemlose Installations-, Reparatur- und Wartungsarbeiten ermöglichen.

Die Produktionsräumlichkeiten im Erdgeschoss sollen nach den Arbeitsabläufen und dem Hygienekonzept gegliedert werden, von der Anlieferung über die Milchbehandlung, Käsefertigung, dem Salzbad bis zu den Lagerräumen und der Spedition. Für die Einhaltung der Qualitätsstandards sind mehrere Hygieneschleusen geplant.

Das Obergeschoss ist für die Lüftungs- und Klimatechnik vorgesehen sowie für die Besuchergalerie, von der aus die Fertigungsabläufe der Käseherstellung in Augenschein genommen werden können, wobei die Besucherorientierung so weit geht, dass auch Führungen vorgesehen sind. Im Besucheranbau sollen dann ein auf typische Schweizer Gerichte wie Fondue, Raclette und Rösti spezialisiertes Restaurant mit 50 Sitzplätzen, eine kleine Bar und ein Fabrikladen untergebracht werden.

Tilsits Oberbürgermeister Nikolaj Wojschtschew misst dem Projekt große Bedeutung bei: „Der Bau einer Schweizer Käserei in Sowjetsk bedeutet nicht nur die Entstehung eines neuen Betriebes und die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Das ist vor allem die Gelegenheit, eine Seite der historischen Vergangenheit unserer Stadt und ihrer Kultur wiederherzustellen. Es ist auch eine Möglichkeit, die schöne Legende vom Tilsiter Käse zu beleben und seine Herstellung an den Herstellungsort zurückzuholen. Der Tilsiter Käse kehrt in seine Heimat zurück, was ohne Zweifel auch für den Tourismus vom Vorteil sein wird. Einzigartig ist das Projekt auch deswegen, weil der Besucher den gesamten Produktionszyklus der Tilsiter Käseherstellung beobachten kann, den Käse probieren und typische schweizerische Gerichte im Restaurant kosten kann.“

Das Grundstück stellen die Russen zur Verfügung, die Schweizer liefern für die Startphase das notwendige Know-how und übernehmen die erste Ausbildung für die zukünftigen Käsefachleute. Der Direktor der örtlichen Berufsschule, Michail Paschkowskij, will eine Klasse mit 20 Auszubildenden einrichten. Sie sollen eine dreijährige Basisausbildung für Molkereifachleute absolvieren, wobei die Ausbildung ein Praktikum in der Schweiz beinhaltet.

Soweit so gut. Bereits für das Stadtfest im vergangenen Jahr war die Grundsteinlegung der Käserei vorgesehen. Dann wurde sie um ein Jahr verschoben. Bis heute ist sie noch nicht erfolgt. Wo klemmt es, ist die naheliegende Frage. Das Projekt ist da, das Grundstück ist bereitgestellt, die Finanzierung ist geklärt, der Maschinenpark ist vorhanden, die Belegschaft wird vorbereitet – doch plötzlich ist Schweigen im Walde.

Wer Käse herstellen will braucht Milch. Milch gibt es nur, wo Kühe sind. Und hier ist der Knackpunkt. In einem Land, in dem früher große Rinderherden auf saftigen Weiden grasten, sieht man heute nur vereinzelt eine Kuh auf Futtersuche zwischen Unkraut und Disteln. Moderne Rindergenossenschaften, die als Milchlieferant in Frage kämen, haben Seltenheitswert. Bei den bisherigen Recherchen stieß man vorerst nur im Samland auf einen potenziellen Milchproduzenten. Er wäre in der Lage, eine ausreichende und reibungslose Belieferung der Käserei in Tilsit zu gewährleisten. Aber er befindet sich 140 Kilometer von der Käserei entfernt. Der Transportweg ist viel zu lang und bei den Straßenverhältnissen nicht zumutbar.

Nun ist guter Rat teuer. Man kann das Pferd nicht von hinten aufzäumen. Erst müssen in der näheren Umgebung, im Kreis Tilsit-Ragnit oder in der Elchniederung die Voraussetzungen in Form großer Milchwirtschaftsbetriebe geschaffen werden. Der Russe sagt „budjet“ (Es wird schon). Bis dahin heißt es warten. Hans Dzieran


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