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20.07.13 / Prallvolle Storchenoase / In Rühstädt haben Adebare keinen Grund zur Klage – Das Elbhochwasser bescherte ihnen einen randvollen Speiseschrank

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-13 vom 20. Juli 2013

Prallvolle Storchenoase
In Rühstädt haben Adebare keinen Grund zur Klage – Das Elbhochwasser bescherte ihnen einen randvollen Speiseschrank

Nirgendwo in Deutschland leben mehr Störche als in dem brandenburgischen 500-Seelen-Ort Rühstädt. 136 Adebare sind es. In diesem Jahr haben sie vom Hochwasser der nahen Elbe profitiert. Es gab Nahrung im Überfluss.

Brandenburg gilt als das storchenreichste Bundesland mit 1371 Brutpaaren 2012 und ähnlich vielen in diesem Jahr. Doch das kalte Frühjahr hat zu einzigartigen Verlusten unter den Jungvögeln geführt, in Südbrandenburg mehr als im Norden. Völlig ohne witterungsbedingte Ausfälle blieb Rühstädt in der Prignitz, das seit 1996 den Namen Europäisches Storchendorf trägt – als einziges in der Bundesrepublik und eines von insgesamt neun in Europa. Damals wurden 44 Storchenpaare registriert. Heute sind es wie im vergangenen Jahr 32.

Außer durch ein Fauchen kann sich der Storch nur durch Klappern bemerkbar machen. Und davon macht er regen Gebrauch. Jeder Anlass ist ihm dazu willkommen: Klappern gehört zum Handwerk. „Selbst die jüngsten Störche klappern schon im Nest“, sagt Cordula Czubatynski von der Naturwacht, die seit 20 Jahren die Störche in Rühstädt beobachtet, und fügt hinzu: „Nur hören tut man sie noch nicht.“

Das Geklapper ebbt auch bei der letzten Fütterung des Tages nicht ab. Im Gegenteil. Wenn zwischen halb zehn und zehn Uhr abends alle Altstörche nach getaner Arbeit – sprich Nahrungssuche – heimkommen, ist die Freude besonders groß. Mit Heißhunger stürzen sich die Kinder auf alles, was die Eltern aus ihrem Schlund herauswürgen. „Da kann man schon einmal sehen, wie sie eine ganze Ringelnatter in zwei Hälften reißen und hinunterschlingen, oder ganze Frösche“, erklärt Czubatynski. Zu erkennen ist das oft allerdings schwer, derart groß ist das Gewusel im Storchennest. Selbst beim Blick durchs Fernglas oder Beobachtungsfernrohr muss man genau hinschauen.

Bis zu 65000 kleine und große Gäste kommen jährlich ins Dorf, um beim sogenannten Storchenfeierabend die Vögel zu beobachten. Der beste Aussichtspunkt ist dabei zweifellos der Balkon am Speicher. Bis zu zwölf Personen kann er fassen und je nachdem wie man sich „verrenkt“, sind von dort aus elf, ja gar zwölf Nester zu sehen. Kommentarlos akzeptieren das die Störche nicht. Bei den ersten Balkon-Gästen protestierten die Adebare auf dem Dach darüber merklich: nicht lautstark, dafür feucht. Denn sie ließen ihren Kot demonstrativ auf deren Köpfe fallen. Inzwischen wurde der Balkon überdacht und die Vögel haben sich an die neugierigen Besucher gewöhnt.

In diesem Jahr haben sich 136 Störche in Rühstädt eingenistet, 64 Alte und 72 Junge. Das heißt, es gibt 32 bewohnte Horste, davon 23 Bruthorste, die gleiche Anzahl wie 2012. „Ein gutes Jahr“, sagt Czubatynski, „das Niveau von 1996 mit 44 besetzten Nestern werden wir aber wohl nicht wieder erreichen.“ Auch nicht die Aufzucht von über 90 Jungstörchen, wie man es hier schon einmal erlebt hat. Die Zahl der Paare, die in der Regel von April bis August in Rühstädt Quartier beziehen, wird sich zukünftig wohl auf über 30 einpendeln.

Insgesamt ziehen 46 Elternpaare ihren Nachwuchs groß. Dabei kann ein Paar bis zu fünf Junge haben. „Leider kommt es immer wieder zu Rauswürfen. Auch in diesem Jahr hat es wieder einige gegeben“, so Czubatynski. „In einem Nest sogar gleich vier. Warum, wissen wir nicht genau. Rühstädt selbst war vom Hochwasser nicht betroffen. Doch nur einen Kilometer von der Elbe entfernt, sind ständig Hubschrauber über das Dorf geflogen. Vielleicht hat das bei manchen Vögeln zu viel Stress erzeugt.“ Die anderen Brutstörche haben indes vom nahen Hochwasser profitiert, da dort ein reichhaltiges Nahrungsangebot auf sie wartete.

In diesem kalten und vor allem nassen Frühjahr sind die Rühstädter Störche mit einem blauen Auge davon gekommen. Denn in dem 500-Seelen-Ort war alles relativ trocken geblieben. Wie auf einer Insel der Glückseligen fielen dort keine solchen Regenmassen wie etwa in Linum im Rhinluch nördlich von Berlin, wo zwei Bruten komplett verloren gingen. Derzeit ziehen dort von sieben Paaren fünf neun Junge auf. Zum Vergleich: 2012 hatten neun von zehn Paaren 15 Junge groß gezogen. Noch ärger traf es das Gebiet rund um den Unter- und Oberspreewald, wo etwa 70 Prozent der Jungvögel „verklammten“.

Zu „Verklammungen“ kommt es, wenn Wasser in den Nestern nicht ablaufen kann, die Jungvögel nass werden, völlig auskühlen, erfrieren oder ertrinken. „An diese Größenordnung kann sich keiner erinnern“, erläutert Bernd Elsner, Geschäftsführer vom Nabu Calau. „Die Ursache war, dass die Jungvögel zum fraglichen Zeitpunkt schon über zwei Kilo wogen und die Altvögel sie nicht mehr bedecken, das heißt schützen konnten.“ „Mit dem langen Winter konnten die Störche noch umgehen. Sie sind einfach nicht weitergeflogen, sogar umgekehrt und haben in der Türkei abgewartet, bis sich das Wetter besserte. Mitte April kamen dann zuerst die Männchen an, ein, zwei Tage später folgten die Weibchen. Allerdings haben sie sich dieses Jahr kaum ausgeruht und sofort für Nachwuchs gesorgt“, berichtet Czubatynski.

Schon in der zweiten August­hälfte, so zwischen dem 15. und 27., rüsten sich die Störche wieder zum Rückflug in den Süden. Dann kreisen vor dem Abflug plötzlich rund 200 Störche aus dem gesamten Gebiet über Rühstädt und ab geht es nach Afrika. Meist nehmen die Störche die Ostroute, um schlussendlich mit einer viertel Million Kollegen in Afrika zu überwintern. Was für ein gewaltiges Unternehmen diese Reise ist, belegt allein die Tatsache, dass 80 Prozent der Jungvögel den ersten Vogelzug nicht überleben.

Umso bemerkenswerter ist die Geschichte einer Störchin, die bis 2003 auf der Kirche von Quitzöbel brütete und zuletzt 29 Jahre alt war. Sie zählte zu den drei ältesten bekannten Weißstörchen Deutschlands. Auf der anderen Elbseite in Beuster geboren, kehrte sie geschlechtsreif in die Re­gion zurück und erwählte das zehn Kilometer westlich gelegene Dorf zur Brutstätte. Seit ihrem vermeintlichen Tod ist das Nest verwaist. Jeden Neuankömmling hat der Nachbar von der Fischräucherei seitdem vertrieben. „Fast in jedem Ort“, so Czubatynski, „findet man inzwischen nur noch ein Storchenpaar. Vor

20 Jahren waren es mindestens noch zwei.“ Ähnliches beobachtet man auch im Havelland. Das liegt natürlich auch am Nahrungsangebot. Zu viel Mais ist nichts für Störche.

Was die Familie Adebar mit drei Kindern im Alter von drei bis vier Wochen täglich braucht und im „Restaurant Elbtalaue“ findet, ist im Besucherzentrum nachzulesen: 130 Mäuse, 18 Frösche, 658 Regenwürmer, 682 Wiesenschnaken (mit Larven), 230 Heuschrecken, 332 Spinnen, 665 andere Insekten, zusammen 2715 Tiere. Das Menü ist nicht festgeschrieben. Es können auch Fische, Schlangen oder junge Kaninchen darauf stehen. Wichtig ist die Menge. Ein Jungstorch braucht 1200 bis 1600 Gramm, ein Altstorch 500 bis 800 Gramm, was in unserem Beispiel bis zu 6400 Gramm ergibt – viel Arbeit und viel Geklapper! Helga Schnehagen


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