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27.07.13 / Gezielte Desinformation / Während des Zweiten Weltkrieges betrieben Geheimdienste psychologische Kriegsführung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-13 vom 27. Juli 2013

Gezielte Desinformation
Während des Zweiten Weltkrieges betrieben Geheimdienste psychologische Kriegsführung

Heute wird mit Computern spioniert. Der amerikanische NSA muss keine Agenten durch die Welt schicken, um Wissen über andere Staaten oder verdächtige Personen anzuhäufen – er muss lediglich Datenströme überwachen. Vor 70 Jahren war die Spionage noch ein persönliches Handwerk – auch wenn Funksignale und Radiosender zum Geschäft gehörten.

Das „Rookery“, auf Deutsch „Dohlennest“, war das Hauptquartier der „psychologischen Kriegsführung“, die von Sefton Delmer, einem in Deutschland aufgewachsenen Sohn australischer Eltern, geleitet wurde, der in der Baker Street den jungen Franz Leuwer aus Bremen rekrutiert hatte. Dieser hat kurz vor seinem Tod eine Autobiografie geschrieben, die Fragment geblieben ist, die uns aber einen lebendigen Eindruck vom britischen Geheimdienst jener Zeit vermittelt. In Aspley Guise entwickelten und verbreiteten Delmer und sein Team die sogenannte „schwarze Propaganda“. Über eigene Radiosender, die von den deutschen Soldaten empfangen werden konnten – „Atlantiksender Nord“, „Soldatensender Calais“ oder „Gustav Siegfried Eins“ –, versuchten die Briten, den Eindruck zu vermitteln, sie befänden sich hinter den deutschen Reihen, seien bestens informiert über alle deutschen Geheimnisse. Deutsche Soldaten sollten den Glauben an den Führer verlieren, sollten am Sinn des Krieges zweifeln und sogar desertieren.

Franz Leuwer, der den Tarnnamen Frank Lynder trug, hatte von Delmer die Aufgabe bekommen, Karteikarten über jeden Soldaten anzulegen, dessen Name in deutschen Tageszeitungen erwähnt wurde. Wann hat der Soldat geheiratet, wann wurde er befördert, wo ist er stationiert ... Mit einer geschickten Auswertung der nach England gebrachten Tagespresse ließen sich umfassende Persönlichkeitsprofile aufbauen. Über die Propagandasender, als deutsche Stationen getarnt, wurde dann den Soldaten zum Geburtstag oder zum Hochzeitstag gratuliert – subversiv wurde das Vertrauen der Hörer gewonnen.

Zu Delmers Team gehörten neben Frank Lynder aus Bremen auch der Krimi-Schriftsteller Peter Seckelmann aus Berlin, Wolfgang Gans Edler zu Putlitz, der später in die DDR ging, Karl Theodor von und zu Guttenberg aus Franken, späterer Parlamentarischer Staatssekretär im Bonner Bundeskanzleramt, Karl Eduard von Schnitzler, der später Propagandist in Ost-Berlin wurde, sowie der saarländische Sozialdemokrat Max Braun. Später stieß Otto John hinzu, der zum Kreis der Attentäter des 20. Juli gehörte.

Das Team durfte das Anwesen in Aspley Guise nicht verlassen. Frank Lynder war bald nicht mehr nur Rechercheur, sondern kam nun immer häufiger auf Sendung. Sein Bremer Slang mit plattdeutschen Versatzstücken schuf gerade bei norddeutschen Hörern – so bei den U-Boot-Einheiten – ein vertrautes, heimatliches Gefühl.

Ian Fleming, der spätere James-Bond-Autor, hielt die Verbindung zwischen dem „Rookery“ und dem Secret Service. Seine Besuche versüßte er mit Geschenken: amerikanische Zigarren mit gezuckerten Mundstücken oder auch große Dosen mit Prince-Albert-Tabak.

Ob die „schwarze Propaganda“ zur deutschen Niederlage im Zweiten Weltkrieg beigetragen hat, ist heute umstritten. Aber sie hat aus deutschen Emigranten Geheimdienstleute und Propagandisten geformt.

Gleich nach Kriegsende packten Delmer und sein Team die Koffer und gingen nach Deutschland in die britische Zone. Delmer gründete in Hamburg den „German News Service“. Frank Lynder wurde freier Journalist. Erst arbeitete er für Delmers News Service, dann wechselte er zu Reuters, bis er 1954 bei der „Bild“-Zeitung anfing und ein ganz persönliches Verhältnis zu Axel Springer aufbaute. Lynders Freund Peter Seckelmann, der vor dem Krieg Krimis geschrieben hatte, wollte auch Journalist werden, ging dann aber in die Schweiz und schrieb Historienromane. Otto John, ein enger Freund von Seckelmann und Lynder, wurde erster Präsident des deutschen Verfassungsschutzes. Nils Aschenbeck


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