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27.07.13 / Blick hinter die passable Fassade Deutschlands

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-13 vom 27. Juli 2013

Gastkommentar
Blick hinter die passable Fassade Deutschlands
von Dieter Farwick

Ein erster Blick auf die Fassade Deutschlands führt zu einem positiven Eindruck: Deutschland ist wirtschaftlich und politisch die Nummer 1 in Europa. Wirtschaft, Binnenkonsum und Export wachsen und Deutschland hat die niedrigste Arbeitslosenquote in Europa. Der deutsche Bürger ist mehrheitlich stolz auf sein Land. Die Bundeskanzlerin erzielt hohe Werte bei Meinungsumfragen. Regierung und die meisten Medien bestärken diese Menschen in ihrem „Wohlgefühl“.

Daher lohnt es sich, die Sonde etwas tiefer anzusetzen. In der Wirtschaft, im Export zeigen sich – wie in der Auto-, der Solarindustrie und der Schifffahrtsindustrie – deutliche Bremsspuren. Dort gibt es bereits Insolvenzen, Entlassungen von Personal oder Kurzarbeit. Das verlangsamte Wachstum in China wird sich mittelfristig negativ auswirken. Die Wachstumsprognosen für Deutschland sind nach unten korrigiert worden. Sie liegen für dieses Jahr bei zirka 0,6 Prozent.

Die Verschuldung Deutschlands ist in den Jahren sprudelnder Steuereinnahmen von über 600 Milliarden Euro weiter gestiegen. Sie liegt bei über 80 Prozent des Bruttosozialproduktes – deutlich über der vereinbarten Marke von 60 Prozent im Stabilitätspakt. In absoluten Zahlen liegt Deutschland nicht bei den offiziell genannten zwei Billionen, sondern deutlich darüber, wenn noch gesetzliche Verpflichtungen für die zukünftige Altersvorsorge, Pensionen und Pflegekosten hinzugerechnet werden. Summen von sechs bis acht Billionen werden von Experten als Gesamtbetrag genannt. Im jährlichen Bundeshaushalt sind bereits 40 Milliarden Euro für den Schuldendienst gebunden.

Die Summe der Haftungen für die diversen Rettungsmaßnahmen beläuft sich auf über eine Billion Euro – immerhin das Dreifache des jährlichen Bundeshaushaltes. Es ist unverständlich, dass der Bundestag keine Obergrenze für Haftungen bestimmt hat.

Im Gegensatz zu den offiziellen Erklärungen der Bundesregierung ist bereits bares Geld geflossen – bei dem letzten Schuldenschnitt für Griechenland und mit den ersten beiden Jahresraten für den ESM in Höhe von rund acht Milliarden Euro – für den Rettungsschirm, den es gar nicht mehr geben dürfte. Am 10. Oktober 2012 wurde Finanzminister Wolfgang Schäuble in der „Welt“ mit der „mutigen“ Aussage zitiert: „Die Rettungsschirme laufen aus – das haben wir klar definiert ... Solange Angela Merkel Bundeskanzlerin ist und ich Finanzminister bin, würden Sie diese Wette – dass die Rettungsschirme nicht auslaufen – verlieren. Die Rettungsschirme laufen aus.“ Die Bundeskanzlerin hatte sich bereits vorher festgelegt: „Eine Gemeinschaftshaftung in Europa wird es nicht geben, solange ich lebe“ („Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 1. Juli 2012). Dies sind nur zwei der zahlreichen Täuschungen der deutschen Öffentlichkeit und des deutschen Bundestages mit erheblichen negativen Folgen für die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung und die demokratische Kultur in Deutschland.

Die Vorgaben des Finanzministers aus dem Jahre 2010, dass die Bundeswehr in den nächsten vier Jahren acht Milliarden einzusparen habe – auch durch die Streichung von je 20000 Berufs- und Zeitsoldaten – haben willfährige Verteidigungsminister zur De-facto-Abschaffung der Wehrpflicht und zur Reduzierung der Bundeswehr auf „bis zu 185000 Soldaten“ veranlasst. Es gab keine tiefschürfenden Studien über die wahrscheinlichen Folgen dieser Schnellschussentscheidungen. Die sogenannte „Jahrhundertreform der Bundeswehr“ wird ohne substanzielle Korrekturen die nächsten zwei Jahre nicht überleben. Sie ist unterfinanziert. Die „Jahrhundertreform“ hat auch zu einer neuen Struktur des Bundesministeriums der Verteidigung geführt. Die „Wunschstruktur“ des Ministers Thomas de Maizière hat ursächlich zum Desaster mit dem „Euro-Hawk“ geführt.

Deutschland wird nicht mehr als verlässlicher Partner für gemeinsame Rüstungsvorhaben oder Aufgabenteilungen betrachtet. Das Ansehen des „Retters Deutschland“ ist bei den Nehmerländern stark gesunken. Der Euro, der Europa vereinen sollte, hat Europa gespalten. EU-Kommissar Günther Oettinger bezeichnet Europa als „Sanierungsfall“.

Die vier etablierten Parteien werden den Weg der „alternativlosen Politik“ fortsetzen – unabhängig von der Farbenkonstellation. Sie wollen Europa – zumindest jedoch die Euro-Zone – zur Haftungs-, Banken- und Schuldenunion entwickeln – koste es, was es wolle. Sie haben sich für die Scheinlösung „Schrecken ohne Ende“ entschieden. Alternativlos. Sie sind sich nicht zu schade, für den Fall des Scheiterns des Euro mit einer steigenden Kriegsgefahr in Europa zu argumentieren.

Die öffentliche Dis-kussion über den Euro und die Euro-Zone kommt den etablierten Parteien nicht ganz ungelegen, da die Expertisen der Euro-Zonen-Gegner bisher bei der Öffentlichkeit nicht durchschlagen. In Verbindung mit der Hochwasserkatastrophe, die jetzt viel Aufmerksamkeit verlangt, wird der deutsche Wahlbürger von dem Blick hinter die Fassade abgehalten. Er würde erkennen, dass dieser Bundesregierung in dieser Legislaturperiode keine entscheidende Reform gelungen ist. Wir haben unverändert die „kalte Progression“ und die „kalte Enteignung“.

Gibt es tatsächlich keine Alternativen? Seit die junge Partei „Alternative für Deutschland“ die Variante „Ende mit Schrecken“ in die öffentliche Diskussion getragen hat, gibt es nahezu wöchentlich mögliche Alternativvorschläge. Deren Umsetzung wäre nicht einfach und auch nicht kostenlos zu haben. In einer mehrjährigen, geplanten Übergangsphase können die Folgen eines Crashs jedoch gemildert werden. In dieser Phase könnte es in Europa kleinere Währungseinheiten geben – mit oder ohne nationale Parallelwährungen, die den betreffenden Staaten die Chance böten, durch Abwertung ihrer Währung ihre verlorengegangene Wettbewerbsfähigkeit und Kreditwürdigkeit zurückzugewinnen. Ein Austritt Deutschlands aus dem Euro sollte als ultima ratio im Köcher bleiben.

Es ist kein Wunder, dass die etablierten Parteien und etliche Medien mit allen Mitteln und Tricks gegen diese Partei agitieren. Wissenschaftler, die vom Staatsgeld leben, „verkaufen“ sich mit Stellungnahmen, die von Glauben, Liebe (zum Staatsgeld) und Hoffnung getragen werden. Natürlich gibt es keine handfesten Beweise für Lösungsansätze in der Zukunft. Aber der Blick in die Vergangenheit gibt einige Hinweise: Der entscheidende Fehler geschah in der Zeit vom 8. bis 10 Mai 2010 mit der Aufhebung der „No bail out“-Klausel des Vertrages von Maastricht. Seither sind über 280 Milliarden nach Griechenland geflossen. Was haben sie den Bürgern Griechenlands gebracht? Nichts. Selbst der IWF hat jüngst erklärt, dass man sich bei diesen Rettungsversuchen durch einen unbegründeten Optimismus zu falschen Entscheidungen hat verführen lassen. Das Geld ist weitestgehend bei den Banken gelandet, die die sogenannte Euro-Krise mit zu verantworten haben.

Bei den Wahlen am 22. September steht die Zukunftsfähigkeit Deutschlands auf dem Spiel.

Der Autor, Brigadegeneral a. D., war Chef des Amtes des Militärischen Nachrichtenwesens der Bundeswehr und ist Autor des Buches „Wege ins Abseits. Wie Deutschland seine Zukunft verspielt“, Osing-Verlag.


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