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27.07.13 / Als Weimars Außenminister ist er Legende / Gustav Stresemann stand allerdings auch 103 Tage als Kanzler einer großen Koalition an der Spitze der Reichsregierung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-13 vom 27. Juli 2013

Als Weimars Außenminister ist er Legende
Gustav Stresemann stand allerdings auch 103 Tage als Kanzler einer großen Koalition an der Spitze der Reichsregierung

„Die Rentenmark geschaffen, Mitteldeutschland in Ruhe, der bayerische Aufstand zusammengebrochen, die Rheinlandfrage, die zeitweilig so aussah, als verlören wir das Rheinland, zur Ruhe gebracht durch die beginnende innere Gesundung, die Außenpolitik für künftige Entwicklung freigemacht durch eine Politik, die den Mut fand, den Ruhrkampf zu beendigen“, so bilanzierte Gustav Stresemann im November 1923 seine Kanzlerschaft, die vor 90 Jahren, am 13. August 1923, ihren Anfang nahm.

Die Biografie des am 10. Mai 1878 in der Berliner Luisenstadt geborenen Gustav Stresemann könnte die Vorlage für ein Drehbuch in bester Hollywood-Manier bieten: Ein Mann kämpft sich aus dem Nichts hoch und in der Geschichte steht sein Name für: Reichskanzler und Außenminister, Friedensnobelpreisträger, Begründer der deutsch-französischen Freundschaft, Vorkämpfer für ein geeintes Europa. Und das in einer der turbulentesten Phasen der jüngeren deutschen Geschichte, als nach dem Ersten Weltkrieg das Land darniederlag, als der Kaiser gehen musste und die Republik ausgerufen wurde.

Mehr Berliner Klischee geht kaum: Der Vater betrieb eine Budike, verbunden mit einer Abfüllanlage für Flaschenbier. Das warf gerade so viel ab, dass der Älteste auf eine weiterführende Schule, das Realgymnasium in Berlin-Friedrichshain, geschickt werden konnte. Für die anderen sieben Geschwister reichte es nicht mehr. Glück im Unglück hatte der Erstgeborene auch insofern, als er nach dem Abitur 1897 wegen seiner angegriffenen Gesundheit nicht zum Militär musste und so bereits im darauffolgenden Jahr in Berlin ein Studium aufnehmen konnte, das er in Leipzig fortsetzte. Er belegte zunächst Literatur und Geschichte, machte dann aber einen gewaltigen Schwenk zur Nationalökonomie. Trotz des Studienfachwechsels reichte er bereits 1901 die Dissertation ein, ihr Thema: „Die Entwicklung des Berliner Flaschenbiergeschäfts“.

Der junge Nationalökonom ging als Verbandsvertreter und Lobbyist in die Wirtschaft. Erste Station war der Verband der Deutschen Schokoladenfabrikanten. Nebenher übernahm er die Geschäftsführung des Bezirksvereins Dres­den/Baut­zen des Bundes der Industrie (BDI). Auf seine Anregung wurde der Verband sächsischer Industrieller gegründet, dem er bis 1919 als Syndikus angehörte. Der Verband hatte bei seiner Gründung 180 Mitgliedsbetriebe, nach zehn Jahren waren es 5000.

So richtig auf der Schokoladenseite angekommen war der Schokolade-Lobbyist Gustav Stresemann, als er 1903 Käte Kleefeld heiratete, eine Jüdin evangelischen Glaubens, deren Vater wohlhabender Industrieller in Berlin war. Entsprechend standesgemäß wurde das Paar in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche getraut. Aus der Ehe gingen zwei Söhne hervor.

Bereits seit seinen frühen Jahren war Stresemann politisch aktiv. Er war Mitglied des Nationalsozialen Vereins Friedrich Naumanns und wechselte nach dessen Auflösung 1903 in die Nationalliberale Partei. Bei der sogenannten Hottentottenwahl 1907 machte er Stimmung für die Flotten- und Kolonialpolitik des Kaisers. Er gewann den Wahlkreis Annaberg und zog als jüngster Abgeordneter in den Reichstag ein. Seine Mitgliedschaften im Deutschen Flottenverein und im Deutschen Kolonialverein waren da nahezu selbstverständlich. Diesen außenpolitischen Kurs behielt er auch im Ersten Weltkrieg bei. Er galt gar als Erich Ludendorffs „junger Mann“.

Außenpolitisch konservativ und in vielen Punkten ein getreuer Gefolgsmann des Kaisers, setzte sich Stresemann innenpolitisch infolge der Revolution in Russland für eine Stärkung des Reichstages ein. Er sprach dem Kaiser das Recht ab, nach Gutdünken einen Kanzler einzusetzen. Sein Ziel war die Abschaffung des preußischen Drei-Klassen-Wahlrechts und die Einführung einer parlamentarischen Monarchie. Nach der Novemberrevolution wurde aus dem Anhänger der parlamentarischen Monarchie ein sogenannter Vernunftrepublikaner, unter dessen Führung sich die 1918 gegründete rechtsliberale Deutsche Volkspartei (DVP) zu einer staatstragenden Kraft der Weimarer Republik entwickelte.

Hierzu gehörte auch, dass die DVP Regierungsverantwortung übernahm, 1923 mit ihrem Vorsitzenden Stresemann gar den Kanzler stellte. Die Probleme waren groß in diesem Krisenjahr 1923 und die große Koalition aus Sozialdemokratie, Liberalismus und politischem Katholizismus, auf die Stresemann sich stützte, heterogen und entsprechend fragil. In einem Brief an seine Frau hatte Stresemann die Übernahme dieses Amtes als „beinahe politischen Selbstmord“ klassifiziert. Und nach 103 Tagen war tatsächlich Schluss, als die Sozialdemokraten aus der Koalition ausschieden und ins Lager der Opposition wechselten.

Das Ende der Kanzlerschaft Stresemanns bedeutete jedoch nicht sein politisches Ende. Als Außenminister konnte Stresemann seine Arbeit von 1923 bis 1929 fortsetzen. Er suchte – und fand – die Annäherung an Frankreich, um die Isolation des Reiches aufzuheben, er förderte den

Dawes-Plan, der die Reparationsleistungen mindern sollte und war maßgeblich am Abschluss der Verträge von Locarno beteiligt, in denen Frankreich, Belgien und Deutschland auf eine Änderung ihrer Grenzen verzichteten. Diese Bilanz war größer als die seiner Kanzlerschaft. Die internationale Gemeinschaft dankte es. Gemeinsam mit seinem französischen Amtskollegen Aristide Briand wurde dem deutschen Außenminister 1926 der Friedensnobelpreis verliehen.

Am 3. Oktober 1929 erlitt Gustav Stresemann einen tödlichen Schlaganfall. An seinem Staatsbegräbnis nahmen hunderttausende Menschen teil, so viele wie seit der Beisetzung von Kaiser Wilhelm I. nicht mehr. Klaus J. Groth


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