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27.07.13 / Gefesselt von der Omega-Schleife / Vom Kardinal, der lieber in Besançon bleiben als ins Paradies eintreten will – Die Franche-Comté reizt zum Verweilen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-13 vom 27. Juli 2013

Gefesselt von der Omega-Schleife
Vom Kardinal, der lieber in Besançon bleiben als ins Paradies eintreten will – Die Franche-Comté reizt zum Verweilen

Von Deutschland aus ist es nur ein Katzensprung in die Franche-Comté. Dank einer TGV-Direktverbindung kann man schnell mal auf ein Wochenende in der Region vorbeischauen, in der auch das französische Jura liegt.

Wo ist eigentlich die Stadt? Wer mit dem französischen Schnellzug TGV nach Besançon reist, sucht bei der Ankunft vergeblich nach urbanem Leben. Der Bahnhof, der eher einem Flughafenterminal gleicht, liegt mitten in der Wildnis der Franche-Comté. In die Freie Grafschaft, jener französischen Jura-Region zwischen Burgund und der Schweiz, hat uns für einige Tage unsere Freundin Claire eingeladen. Und hätte sie uns nicht am Bahnhof erwartet, wären wir dagestanden wie bestellt und nicht abgeholt.

Die ultramoderne Bahnstrecke, mit der man von Deutschland aus nun mit Tempo 200 schnell und bequem in das Herz der Franche-Comté reisen kann, ist erst seit Ende 2011 in Betrieb, erklärt uns Claire auf der Fahrt ins etwa zehn Kilometer entfernte Besançon. Natürlich gibt es auch in der Stadt einen Bahnhof, aber der sei nur für den Regionalverkehr. Ansonsten verkehren für TGV-Reisende Bus-Shuttles zwischen dem neuen Bahnhof und der Stadt.

Kurz vor der Ankunft in der Altstadt fahren wir durch das Tor eines mächtigen Mauerwerks. „Das ist der äußerste Festungsring unserer Zitadelle“, erklärt Claire und ergänzt stolz, „ab jetzt befinden wir uns in einem Weltkultur­erbe.“ Seit 2008 steht die unter dem Sonnenkönig Ludwig XIV. errichtete Bastion von Besançon auf der Unesco-Welterbeliste. Dank der Schleife, die der Fluss Doubs um die Stadt macht, war Besançon in mittelalterlichen Zeiten für Belagerer so gut wie uneinnehmbar. Die Zitadelle, die an der schmalsten Stelle der Flussschleife rund 100 Meter über der Stadt thront, krönte den Widerstandswillen der Bisontiner, wie die Bewohner Besançons genannt werden.

„Unsere Stadt errang im Mittelalter den Status einer freien Stadt“, erzählt Claire, „und die Bisontiner mussten ihren Wohlstand, den sie durch Weinanbau und Salzhandel erworben hatten, selbst verteidigen.“ Sie sagt das, während wir die älteste Brücke über den Doubs überqueren. Sie war bis in die Neuzeit hinein die einzige, über die man in die Stadt gelangte. Wer die Stadt trockenen Fußes angreifen wollte, konnte es nur über diese Brücke tun. Vor Überfällen aus dem Hinterland schützte die Zitadelle.

Wir kommen in friedlicher Absicht, sehen aber, welche Kämpfe Verkehrsteilnehmer gerade in der Altstadt austragen. Weil für die 117000 Bisontiner an einem Straßenbahnnetz gebaut wird, staut sich überall der Verkehr. Fußgänger und Autofahrer quälen sich durch die Baustellen. Claire wohnt mitten in der Altstadt in einer vom Baulärm noch ruhigen mittelalterlichen Gasse.

In den zweiten Stock ihrer Wohnung gelangt man nur von einer außen an der Hinterhoffassade angebrachten Treppe. Claire zeigt auf einen Holzverschlag draußen auf dem Treppenabsatz. „Das war früher mal das Plumps-Klo für alle Bewohner des Hauses“, sagt sie, „aber keine Sorge, wir haben jetzt alle drinnen ein modernes Badezimmer.“

Die nächsten Tage erkunden wir Besançon und Umgebung. Trotz sommerlicher Dauersonne, herrschen in der Stadt erträgliche Temperaturen dank des Doubs, der die Stadt wie ein Omega umfließt und so von allen Seiten für leichte Abkühlung sorgt. Vom Rathaus aus schlendern wir die langgestreckte Grand Rue entlang zur Zitadelle. In der Hauptstraße befinden sich nicht nur viele kleinere Läden und Souvenirshops, sondern auch ein Platz mit den Geburtshäusern der Erfinder der Kinematografie, der Brüder Lumière, sowie des Nationaldichters Victor Hugo („Der Glöck­ner von Notre-Dame“). Letzter lebte zwar nur als Baby dort, ehe die Eltern wegzogen, trotzdem wird ab September in seinem Geburtshaus ein Hugo-Museum eröffnet. Vis-à-vis befindet sich ein Haus, dessen Fenster zum Teil Motive von Gustave Courbet zeigen: Eine Erinnerung an den aus der Gegend stammenden impressionistischen Aktmaler, der hier Kunst studiert hatte.

Das Ende der Grand Rue markiert die im 12. Jahrhundert erbaute Kathedrale St. Jean, die von Romanik bis Barock alle möglichen Stilmoden mitgemacht hat. Claire zeigt auf einen Kardinalshut, der an der Decke im Altarraum hängt: „Bei uns hat es Tradition, die Hüte verstorbener Kardinäle aufzuhängen. Es heißt, dass sie ins Paradies eingetreten sind, wenn der Hut von allein herabfällt.“ Der letzte Kardinal hat es damit wohl nicht eilig. Sein Hut hängt dort oben schon seit 1936.

Nach einem kleinen Anstieg betreten wir die Zitadelle. Sie liegt auf einen Hügel, den der Doubs umfließt. Hier an der schmalsten Stelle des Omegas beträgt die Entfernung zwischen den Flussläufen keine 500 Meter, an der breitesten unten in der Stadt sind es 1,5 Kilometer. Einige Zwergziegen und Straußenvögel begrüßen die Besucher am Eingang der Zitadelle, wie denn diese „kleine Stadt“ (italienisch: cittadella) neben einem Widerstands- und einem Heimatmuseum sowie einem Insektarium und einem Aquarium auch einen Zoo mit 400 Tieren beherbergt. Bis vor Kurzem hätten noch Paviane in den weitläufigen, rundum mit Elektrozäunen abgesicherten Festungsgräben gelebt, erfahren wir von Claire. Weil aber die Kletterkünstler die Fugen aus den Mauern kratzten und Steine entfernt hätten, mussten sie ins Exil. Die Beschädigung des Weltkultur­erbes, das mit jährlich 250000 Gästen der meistbesuchte Ort der Franche-Comté ist, konnte nicht länger geduldet werden.

Die Zitadelle war eine von rund 160 Festungswerken, die der Baumeister Sébastien de Vauban für Ludwig XIV. errichtet hatte. Dazu musste Besançon aber erst ero­bert werden. Denn die Franche- Comté war bis 1678 Teil des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation. Im Frieden von Nimwegen gelangte die Freigrafschaft zu Frankreich, das zuvor Besan­çon besetzt hatte und die Stadt anstelle von Dole zur Hauptstadt der Franche-Comté machte.

Dass durch den Salzhandel reiche Dole im Süden ist eine Reise wert, versichert Claire. Sie aber macht mit uns eine kleine Rundfahrt ins Jura. In Salins-les-Bains besichtigen wir eine unterirdische Saline und lassen uns in der Salztherme verwöhnen; in Arbois schlendern wir durch die Weinberge des kleinen, aber feinen Anbaugebiets des Jura und lassen uns den ein oder anderen guten Tropfen schmecken; und in Montbéliard bewundern wir deutsche Akkuratesse, protestantische Klarheit und Bauten des Baumeisters Heinrich Schickhardt. Denn Mömpelgard, wie die Stadt auf Deutsch heißt, war 400 Jahre lang eine württembergische Exklave. Zu Deutschland hat man hier ein gutes Verhältnis und Deutsch ist Pflichtfach an vielen Schulen der Franche-Comté. So wünscht uns auch Claire nicht „adieu“, sondern „auf Wiedersehen“, als sie uns zum futuristischen Bahnhof von Besançon bringt und wir unsere nur knapp vierstündige Direktfahrt zurück nach Frankfurt antreten. Harald Tews


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