29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
03.08.13 / Kopfgeld oder Trau keinem über 90

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-13 vom 03. August 2013

Moment mal!
Kopfgeld oder Trau keinem über 90
von Klaus Rainer Röhl

Letzte Woche sahen fast drei Millionen Menschen den Film „George“ über den Schauspieler Heinrich George und seinen Tod mit 53 Jahren in einem sowjetischen Straflager im Jahr 1946. Es war 68 Jahre nach Kriegs-ende, in dem gleichen Jahr, in dem Angela Merkel den Grundstein für ein Art „Zentrum gegen Vertreibungen“ legte, die Frucht jahrzehntelanger unermüdlicher Bemühungen der Präsidentin des Bundes der Vertriebenen und CDU-Abgeordneten Erika Steinbach. Sie hat ihr wichtigstes Ziel erreicht: Die Versöhnung der gegen jedes Völkerrecht aus ihrer Heimat Vertriebenen mit jenen Völkern, deren Angehörige einst dieses Kriegsverbrechen der Vertreibung begangen haben. Denn die Vertreibung war ein Kriegsverbrechen, wie viele andere in diesem furchtbarsten aller bisherigen Kriege, den Ernst Nolte einmal den Weltbürgerkrieg genannt hat. Versöhnung also nach fast 70 Jahren, Grundlage für ein neues Europa.

In der gleichen Woche erreicht uns die Nachricht, dass das Simon-Wiesenthal-Zentrum unter der Leitung von Efraim Zuroff alle Deutschen in einer Plakat-Aktion auffordert, noch in der Bundesrepublik und in Österreich lebende Helfershelfer des Nazi-Regimes gegen ein Kopfgeld von bis zu 25000 Euro anzuzeigen. Die Plakate hängen zwei Wochen lang in Köln, Berlin und München – und die Initiatoren rechnen in aller Offenheit damit, für dieses Kopfgeld würden Nachbarn und sogar die eigenen Verwandten die Versteckten denunzieren. Verstehen wir Efraim Zuroff richtig, so fürchtet er, dass die damals Schuldigen, also heute über 90-Jährigen im Bett sterben, ohne „Auge um Auge und Zahn um Zahn“ bezahlt zu haben.

Heinrich George war drei Mal von den Sowjets verhaftet und wieder freigelassen worden. Beim vierten Mal wurde er von einem seiner engsten Mitarbeiter denunziert. Diese Denunziation hat ihn das Leben gekostet. Der erst 53-Jährige ist an Hunger und Entkräftung gestorben.

Die öffentliche Aufforderung zum Denunzieren hat seit den Hexenprozessen tausende Unschuldige das Leben oder die Gesundheit gekostet und schafft ein Klima des gegenseitigen Misstrauens und der Angst. Jeder kontrolliert jeden. So ziehen Jugendliche und junge Erwachsene über das Land auf der Suche nach verborgenen Nazis wie einst in der DDR, wo selbst Kinder, von der Partei zur Denunziation aufgefordert, ihre Eltern anzeigten, die ihre Flucht planten oder auch nur Westfernsehen sahen, und FDJ-Gruppen die Dächer nach Westantennen absuchten.

Örtliche Initiativen und Arbeitsgruppen werden heute bei der Suche nach rechtsradikalen „Verstrickungen“ aktiv und durch reichliche Fördermittel von den Behörden unterstützt. Wenn möglich, versucht man, alle Parteien zu aktivieren. Und man ist dabei erfolgreich, weil sich niemand dem Vorwurf aussetzen will, er unterstütze etwa die „Rechtsradikalen“. Ein Mitglied der Linksradikalen ist aber immer dabei, sprich der Nachfolge-Partei der SED. Schüler werden aufgefordert, das Leben ihrer Großeltern zu durchforsten, ob sie sich vielleicht in „braunen“ Zeiten schuldig gemacht haben. Trau keinem über 90! Hat dein Opa Hitler gedient, vielleicht als Luftschutzwart? War deine Oma im BDM? Hier wohnte ein Faschist. In diesen Häusern haben Juden gewohnt, die man deportiert hat. Das geht von der kleinen Stadt bis zur Wissenschaftselite. Da wird auch dem Oberguru der deutschen Politikwissenschaft und Starkolumnist der „Zeit“, Theodor Eschenburg, Mitarbeit im Dritten Reich vorgeworfen. Bevor die unerbittliche Suche der Nazi-Jäger auch ihn als Mitschuldigen aufgespürt hatte, ist er, fast 95 Jahre alt, jedoch verstorben.

Welches Ziel verfolgt die Plakat-Aktion des Simon-Wiesenthal-Zentrums wirklich? Lassen wir einen alten Gefährten vieler gemeinsamer Veranstaltungen und Initiativen, den deutsch-jüdischen Patrioten Michael Wolffsohn sprechen: „Es ist, das muss ich in aller Härte sagen“, sagte er im Deutschlandradio, „auch institutionelle und vielleicht sogar personelle Wichtigtuerei dabei. Die Belohnungen, die das Simon Wiesenthal-Zentrum, also das Israel-Büro, ausgesetzt hat bei dieser Plakataktion, um einen Nazi-Verbrecher zu finden: zwischen 100 und 25000 Euro. Das ist absurd, das ist ein Aufwiegen in Zahlen, und ich finde es geradezu pietätlos und schamlos, 25000 Euro für Schwerstverbrecher. Das sind doch alles absurde unappetitliche Fragen, die nun mit einer moralisch intensiven Aufarbeitung weniger als nichts zu tun haben. Ich finde das Ganze geschmacklos.“

Aber das letzte Wort über diese Kopfgeld-Jagd soll mein Intim-Feind, „Welt“-Kolumnist und freiberuflich als Antisemiten-Jäger tätiger Journalist Henryk M. Broder haben. Er schreibt zu diesem Plakat: „Wer immer diesen Text geschrieben hat, er trampelt auf den Toten von

Auschwitz herum, um sich in Szene zu setzen ... Bitte keinen zweiten Demjanjuk. Zum Zeitpunkt der Urteilsverkündigung war Demjanjuk 91 Jahre alt und nicht mehr ganz bei sich. Er starb, bevor das Urteil rechtskräftig wurde. Alles, was von seinem Prozess in Erinnerung blieb, ist das Bild eines alten Mannes, der große Mühe hat zu begreifen, was um ihn herum passiert. Egal, was einer getan oder nicht getan hat, irgendwann ist es für einen Prozess vor einem irdischen Gericht einfach zu spät. Erst recht, wenn es um ‚Beihilfe zum Mord in Tausenden Fällen‘ geht; da lässt sich Versäumtes nicht nachholen wie eine verpasste Inspektion beim TÜV. Die ‚Operation Last Chance‘ des Simon Wiesenthal Center ist eine jener Als-ob-Kampagnen, mit denen ‚Engagement‘ simuliert werden soll. Sie wollen nicht auf ein Unrecht, sie wollen auf sich aufmerksam machen: Schaut her, wir tun was!“

Trau keinem über 90? Ich war bei Kriegsende gerade mal 16. Wir, die heute 85-Jährigen, waren damals Kinder. Wir waren in die Diktatur hineingeboren und wuchsen in ihr auf. Wir besaßen keine freie Presse, keine Parteien, keine freien Rundfunkprogramme und schon gar nicht hunderte von Fernsehprogrammen oder Internet. Aber unser Alltag bestand nicht in Hitlerreden und Marschmusik. Wir hörten Tanzmusik oder Swing, oft im englischen Rundfunksender. Wir begeisterten uns nicht für Hitler, sondern für die Nachbarstochter. Wir gingen zur Schule, ins Kino oder in die Eisdiele, verliebten uns und schrieben Gedichte, fuhren im Sommer an die See oder in die Berge. Unser Hauptproblem bestand darin, uns eine lange Hose zu beschaffen, damit wir trotz Jugendverbot ins Kino eingelassen wurden, um Kristina Söderbaum nackt ins Wasser gehen zu sehen. Viele haben damals für sie geschwärmt. Andere für Marika Rökk oder Zarah Leander.

So wie ich lebten rund 80 Millionen Deutsche, die keine Attentate auf Hitler geplant haben und keine Flugblätter der Weißen Rose entwarfen. Mehr als 15 Millionen waren Soldaten, und die allermeisten von ihnen wollen wie unser ehemaliger Bundeskanzler Helmut Schmidt von der Judenvernichtung nichts oder nur gerüchteweise etwas erfahren haben. Sie wollten Deutschland dienen und das war, wie Heinrich George einmal gesagt hat, eben auch Hitler. Sie waren keine Helden des Widerstands, aber auch keine Verbrecher.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren