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03.08.13 / Als Ostpreußen Exklave war / Dissertation über Ostseeraum während und nach der Weimarer Republik

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-13 vom 03. August 2013

Als Ostpreußen Exklave war
Dissertation über Ostseeraum während und nach der Weimarer Republik

Das Buch „Ostpreußen, Litauen und die Sowjetunion in der Zeit der Weimarer Republik“ behandelt als Ergebnis einer gründlichen wissenschaftlichen Forschung, wie sich die Wirtschaft und Politik im deutschen Osten unter den Bedingungen der sich neu dargestellten Aspekte, Ereignisse und Vereinbarungen in Folge des Versailler Vertrags im Detail entwickelt hat. Die Untersuchungen beziehen sich überwiegend auf den Zeitraum vom Waffenstillstandsvertrag 1918 bis zum Anfang der 30er Jahre. Die grundlegende Situation Ostpreußens in dieser Epoche wird bereits in der 32-seitigen Einleitung umfassend dargestellt.

In dem in drei Teile thematisch gegliederten Werk wird vordringlich auf die Versuche des Oberpräsidenten für die Beseitigung der Notlage seiner Provinz eingegangen, da sich die Forschungen hauptsächlich auf die Akten des Oberpräsidiums, der Ostpreußischen Vertretung beim Reichs- und Staatsministerium in Berlin sowie der preußischen Zentralministerien stützen. Die einschlägigen archivalischen Quellen wurden primär im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, im Bundesarchiv Abteilung Reich und im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes ausgewertet.

Im ersten Teil beschreibt die Verfasserin Rikako Shindo Bemühungen, Veranstaltungen wie die erste Ostpreußenkonferenz, das Ostpreußenprogramm von 1922 und auch die Pläne für die Errichtung eines Oststaates sowie das Scheitern der Autonomiebestrebungen. Die Rolle der Ostpreußischen Vertretung beim Reichs- und Staatsministerium in Berlin in Verbindung mit den Reichs- und Parteiinteressen wie auch der Not Ostpreußens in den Jahren 1926 bis 1932 wird kompetent und ausführlich dargelegt. Eine Schlüsselposition haben in jener Zeit die Bestrebungen des Oberpräsidenten zur Erlangung weitreichender Befugnisse aufgrund der Isolierung der zur Exklave gewordenen Provinz Ostpreußen nach dem Inkrafttreten des Versailler Vertrags gespielt. Die Hilfsanträge des Oberpräsidenten Ernst-Ludwig Siehr wurden jedoch in Berlin nicht immer befürwortet. Grund hierfür waren die erheblich divergierenden Ziele und Erwartungen.

Die Ausführungen und Darstellungen im zweiten und dritten Teil beschäftigen sich mit den erweiterten Befugnissen sowie die daraufhin wahrgenommenen Verhandlungen des Oberpräsidenten auf die deutschen Beziehungen zu Litauen und die Russlandpolitik des Magistrats von Königsberg. Besondere Beachtung verdienen die hier erstmals zusammenhängend behandelten deutsch-litauischen Verträge der 1920er Jahre, welche bisher in anderen Studien und Abhandlungen lediglich beiläufig erwähnt wurden. Hierzu werden der erste Deutsch-Litauische Handelsvertrag vom Juni 1923 – zu einem Zeitpunkt also, als die Memelkonvention noch Gegenstand schwebender Verhandlungen war – sowie das vom Oberpräsidenten unterzeichnete, vorerst als geheim eingestufte Deutsch-Litauische Binnenschifffahrtsabkommen vom September 1923 näher untersucht. Die Autorin weist darauf hin, dass mit Rücksicht auf Polen das Abkommen erst nach seiner Außerkraftsetzung (1928) im Jahr 1930 in der Gesetzessammlung des litauischen Außenministeriums veröffentlicht wurde.

Auch bleibt die bisher überwiegend auf litauische Quellen basierte und publizierte Darstellung, dass der litauische Einmarsch ins Memelgebiet 1923 im Einvernehmen mit der Reichsregierung erfolgte, nicht unerwähnt. Jedoch verweist die Autorin zu dieser Frage nicht bloß auf den litauischen Forschungsstand. Stattdessen wurde die Frage des Einmarsches aufgrund von bisher weitestgehend unbeachteten Zusammenhängen mit den Handelsvertragsverhandlungen unter Hinzuziehung der deutschen archivalischen Quellen in einem etwas anderem Lichte beleuchtet – diese aktuellen Erkenntnisse verdienen wahrlich eine Beachtung.

Mehr als nur zur Abrundung der Betrachtung umfassen die Ausführungen ebenfalls die politischen Entwicklungen der Region in und um Ostpreußen wie die belasteten polnisch-litauischen Beziehungen jener Zeit. Exemplarisch sei hier die gescheiterte polnisch-litauische Konferenz 1928 in Königsberg sowie das Gutachten des Haager Ständigen Internationalen Gerichtshofes von 1931 über den polnisch-litauischen Streit um den Eisenbahntransitverkehr genannt.

Der dritte Teil thematisiert das Königsberger Russlandgeschäft nach dem Ersten Weltkrieg. Dabei wird hauptsächlich die Russlandpolitik des Königsberger Magistrats unter Oberbürgermeister Hans Lohmeyer im Zusammenhang mit den deutsch-sowjetischen Handelsvertragsverhandlungen analysiert. Das im Rahmen des deutsch-sowjetischen Handelsvertrags zustande gekommene Eisenbahnabkommen wurde durch zwei vertrauliche Noten ergänzt, die unmittelbar die Wirtschaftsinteressen Königsbergs betrafen.

Die Detailtiefe des Buches wird auch durch die Einbeziehung des Friedensvertrages von Brest-Litowsk vom 3. März 1918 oder auch durch die Behandlung des deutsch-polnischen Wirtschaftskriegs von 1925 deutlich. In diesem Kontext wird ebenfalls das ostpreußische Verhältnis zur Sowjetunion, welches vornehmlich auf die wirtschaftlichen und nachbarschaftlichen Vernunftperspektiven der Zeit fokussiert war, ausführlich behandelt. Hierbei ist exemplarisch das vitale Interesse des Königsberger Oberbürgermeisters Hans Lohmeyer im Rahmen seiner Wirtschafts- und Russlandpolitik in Verbindung mit der Ostmesse zu nennen, welches auf die Wiederherstellung des vormals florierenden Handels mit Russland abzielte.

Bei der vorliegenden Veröffentlichung handelt es sich um eine von der Autorin 2008 bei der Humboldt-Universität zu Berlin eingereichte Dissertation im Forschungsbereich Geschichtswissenschaften. Das Buch wird sicherlich dazu beitragen, der Verfasserin eine Reputation als ausgezeichnete Kennerin der Wirtschaft und Politik Ostpreußens nach dem Ersten Weltkrieg zu verschaffen.

In der Gesamtschau lässt sich konstatieren, dass das Lesen des Buches nicht nur Historikern aufgrund des zum Teil erstmalig ausgewerteten Quellenmaterials eine Reihe von Denkanstößen geben kann, zumal weil in Zeiten des relativen Bedeutungsverlustes der Entwicklungen Ostpreußens in der ersten Dekade nach dem Ersten Weltkrieg alleinig die umfangreichen Literatur- und Quellenangaben sowie die im Anhang sich befindlichen Dokumente, Karten und Statistiken zu weiteren Recherchen anregen. Hans-Jörg Froese

Rikako Shindo: „Ostpreußen, Litauen und die Sowjetunion in der Zeit der Weimarer Republik“, Duncker & Humblot, Berlin 2013, geb., 888 Seiten, 149,90 Euro


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