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10.08.13 / Sittenwidrig statt Öko / Bio-Branche spart an Mitarbeitern, um profitabler zu werden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-13 vom 10. August 2013

Sittenwidrig statt Öko
Bio-Branche spart an Mitarbeitern, um profitabler zu werden

Während der Bio-Branche in der breiten Öffentlichkeit gern höhere ethische Standards zugeschrieben werden, sieht die Realität bei genauerem Hinsehen häufig weniger erfreulich aus. Die Berichte über Lohndumping mehren sich. Als Fingerzeig an andere Agrarbetriebe kann etwa ein Vergleich gelten, der nun vor dem Arbeitsgericht Potsdam geschlossen wurde. Ein Öko-Landwirt hatte zwischen November 2011 und Februar 2013 einer Auszubildenden weniger als die Hälfte von dem gezahlt, was im Tarifvertrag zwischen dem Landesverband Gartenbau und der IG Bauen-Agrar-Umwelt ausgehandelt worden war. Statt 475 Euro im zweiten Lehrjahr und 505 Euro im dritten Jahr, hatte die Auszubildende nur magere 202 Euro erhalten. Zwar ist der Öko-Landwirt nicht Mitglied im Gartenbauverband, nach Ansicht der Potsdamer Arbeitsrichterin habe die Vergütung aber so oder so angemessen sein müssen, um zum Lebensunterhalt beizutragen. Der Bio-Rübchenbauer muss an die Auszubildende nun 2750 Euro an Lehrgeld nachzahlen.

Der Ökobauer muss dabei wahrscheinlich stellvertretend für viele andere Landwirte herhalten. Weitverbreitet ist die Praxis, Lehrlinge mit einem Taschengeld abzuspeisen, statt eine angemessene Vergütung zu zahlen. Zwar werden oft freie Kost und Unterbringung gewährt, darüber hinaus gibt es dann aber nur noch ein minimales Taschengeld. Dass derartiges von der Arbeitsrichterin für sittenwidrig gehalten wird, war während der Verhandlung kaum zu überhören.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Bio-Branche wegen solcherart Lohndumping ins Gerede gekommen ist. Bereits mehrfach haben die Arbeitsbedingungen in Öko-Supermärkten für Aufmerksamkeit gesorgt. Exemplarisch kann der Marktführer „denn’s“ gelten. Bei Deutschlands größter Bio-Supermarktkette müssen die Beschäftigten oft länger arbeiten als erlaubt. Auch die im Arbeitszeitgesetz vorgeschriebenen Ruhezeiten zwischen zwei Schichten würden oft nicht eingehalten, so Vorwürfe ehemaliger Mitarbeiter. Die Folge dieser Arbeitsbedingungen: Die Löhne der rund 1300 Beschäftigen liegen zum Teil unter dem Niveau, das Gewerkschafter und Unternehmer eigentlich als Untergrenze für den Einzelhandel vereinbart haben. Im Klartext: Gezahlt werden Dumpinglöhne.

Damit ist das fränkische Unternehmen in der Branche kein Einzelfall. Ähnlichen Vorwürfen sehen sich auch andere Bio-Supermarktketten ausgesetzt. Der Hintergrund: Trotz – vielleicht sogar wegen – saftiger Preise hinken die Bio-Supermärkte beim Umsatz je Mitarbeiter den etablierten Lebensmittelketten wie Aldi oder Lidl meilenweit hinterher. Während die Preisschraube angesichts des bereits erreichten Niveaus ausgereizt erscheint, bietet sich vielen Öko-Supermärkten ein anderer Faktor an, um profitabler zu werden: die Gehälter der Belegschaft.

Ein Wandel zum Besseren – sprich, deutliche Umsatzsteigerungen je Mitarbeiter – ist in nächster Zeit kaum in Sicht. Angesichts steigender Lebenshaltungskosten sitzt auch in der Mittelschicht das Geld nicht mehr so locker, dass für das Etikett „Bio“ jeder Preis bezahlt wird. Obendrein nehmen auch die etablierten Supermärkte immer stärker Öko-Produkte ins Sortiment. Zu befürchten ist unter diesen Rahmenbedingungen, dass die Öko-Ketten mit ihren untertariflichen Vergütungen sogar den unheilvollen Vorreiter für die gesamte Einzelhandelsbranche machen. N.H.


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