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10.08.13 / Bei den Großeltern / Geregelter Ablauf am »Tag des Herrn«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-13 vom 10. August 2013

Bei den Großeltern
Geregelter Ablauf am »Tag des Herrn«

Für das kleine Mädchen, das ich damals war, hatte ein neuer Tag begonnen. Es war einer jener Tage, die das Glück meiner Kindheit ausmachten. Aus tiefem Schlaf erwacht, blick-te ich schon in die Augen meines Großvaters, der auf dem Rand des breiten Bauernbettes saß und mir zulächelte. Sonne lag auf allen Dingen, die sich hier in der Stube des alten Bauernhauses befanden. Die Anwesenheit des Großvaters verhieß mir, dass es Sonntag war.

An einem Wochentag wäre er längst auf seinen Feldern gewesen. Mein nächster Blick fiel durch die offene Tür in die gute Stube, in der auf dem Tisch das Predigtbuch, die Bibel und die Gesangsbücher lagen. Man wartete also nur noch auf mich. Großmutter hatte eine ihrer schönen Sonntagsblusen an, was die Feierlichkeit der kommenden Stunde unterstrich.

Der Tag des Herrn wurde in Großvaters Haus stets mit einer Andacht begonnen, und man hatte ohne mich nicht anfangen wollen. Das trieb mich zur Eile. Nach der Hausandacht ging Großmutter in die Küche. Großvater und ich machten einen Spaziergang, der regelmäßig zu allererst zu den eigenen Feldern führte.

Das Korn wogte. Blumen wuchsen am Weg. Die Wiesen waren grün, und in einer tiefer gelegenen Weide watete der Adebar. Als wir zurückkehrten, stand in der guten Stube, in der nur sonntags gedeckt wurde, das Mittagessen bereit. Es gab Schweinebraten, Gemüse, Schmandsalat und frische Kartoffeln. Und Pudding, hinterher Vanillepudding mit Erdbeeren aus dem Glas. Man brauchte mir nicht zureden, ich aß mit großem Appetit.

Nach der Mahlzeit zogen sich die Großeltern zur Mittagsruhe zurück und ich konnte wieder ins Freie. In der Nähe des großelterlichen Anwesens gab es einen Graben mit einer Verbreiterung an einer Stelle, die die Kühe als Tränke nutzten. Hier schwammen Stichlinge. Mit einem kleinen Eimer und einem „Stippelchen“ ausgerüstet, lief ich dorthin, um zu „angeln“, wie ich es nannte. Tatsächlich aber schöpfte ich die winzigen Fische nur heraus, ein Vergnügen, das ich nur hier fand. Auch kam ich mir sehr nützlich vor, denn ich glaubte, etwas für den Mittagstisch heranzuschaffen. Bis heute weiß ich nicht, wie Großmutter sich immer aus der Affäre zog in diesem „Dilemma“.

Zeigte sich Großvater nach seinem Mittagsschläfchen, wusste ich, dass wir wieder zu einem Spaziergang aufbrechen würden. Diesmal schlugen wir den Weg ein, der zum Strom hinunter führte. Als wir das Ufer erreicht hatten, legte gerade ein Ausflugsdampfer an. Großvater und ich setzten uns und amüsierten uns, wie die Leute sich durch den weißen Sand mühten, der ihnen an der Anlegestelle nicht erspart blieb, was besonders bei den angekommenen Städterinnen recht lustig wirkte. Interessant fand ich auch, das Leben auf den Schleppkähnen zu beobachten, wo sich Kinder, Hunde, Leinen voll Wäsche und manches mehr zeigten.

Kamen wir zurück, war Melkzeit. Ich war zwar müde, ließ es mir aber nicht nehmen, Großmutter auf die Weide zu begleiten, wo sie von den Kühen schon erwartet wurde. Hier gab es für mich meistens das erregendste Erlebnis des Tages, dann, wenn Großmutter mir erlaubte, eine der Kühe zu melken. Ich bekam die älteste, geduldigste zugewiesen und strotzte vor Stolz, wenn ich auf dem Melkschemel vor der Kuh saß. Aber mein Ungeschick und meine Erregung trugen dazu bei, dass ich höchstens jeden dritten Strahl in den Eimer bekam. Großmutter lächelte dazu nur. Sie ließ mich gewähren, bis ich von selbst aufgab.

Der Tag endete mit einem Abendbrot, wie es für mich schmackhafter nicht sein konnte. Es gab deftige Bratkartoffeln und dicke Milch mit Schnittlauch, Ein Abendessen, dem ich heute manchmal noch nachträume. Hannelore Patzelt-Hennig


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