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24.08.13 / Degeneration dominiert / Historiker beschreibt, warum der Westen seine Zukunft verspielt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-13 vom 24. August 2013

Degeneration dominiert
Historiker beschreibt, warum der Westen seine Zukunft verspielt

Im Sommer 1989, also noch vor dem Fall der Mauer, prophezeite der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama das bevorstehende „Ende der Geschichte“ infolge der globalen Einführung der liberalen Demokratie sowie der Marktwirtschaft westlichen Zuschnitts. Heute, 24 Jahre später, würde er dies wohl kaum noch einmal so formulieren, denn der Westen wirkt mittlerweile reichlich angeschlagen. Nach Meinung von Niall Ferguson, einem der führenden Experten für Finanz- und Wirtschaftsgeschichte mit prestigeträchtigen Lehrstühlen in Harvard und Oxford, hat inzwischen sogar eine regelrechte „Große Degeneration“ eingesetzt. Hauptsymptome derselben seien ein stagnierendes Wirtschaftswachstum und horrende Staatsschulden. Die chinesische Wirtschaft wachse mittlerweile achtmal so schnell wie die der USA, deshalb gebe es im Reich der Mitte auch schon 85 Dollarmilliardäre. Und während die westlichen Industrieländer Schulden aufhäufen, die oftmals ihr jährliches Bruttoinlandsprodukt übersteigen, horten die sogenannten Schwellenländer Devisen in Höhe von 5,5 Billionen Dollar. Ebenso negativ schlagen die Überalterung der Bevölkerung, die auseinanderbrechenden Sozialgefüge und die lähmende Bürokratie zu Buche.

Als Ursache für die „Große Degeneration“ des Westens sieht Ferguson den Verfall der vier Hauptkomponenten unserer Zivilisation, als da wären: Demokratie, freie Marktwirtschaft, Rechtsstaatlichkeit und Zivilgesellschaft. Die Demokratie funktioniere nicht mehr, weil die einstmals so souveränen Parlamente zu ohnmächtigen Ja-Sager-Clubs verkommen seien. Und anstatt einer echten Marktwirtschaft gebe es heute das krampfhafte Bemühen um elitäre Besitzstandswahrung, welches mit einem überregulierten Wohlfahrtsstaat einhergehe, der die Unterschichten ruhigstelle: „Im Bienenvergleich gesprochen, schafft der Wohlfahrtsstaat immer mehr abhängige Drohnen, deren Lebensunterhalt von den Arbeitsbienen aufgebracht werden muss. Außerdem muss eine riesige Zahl von Bienen nur dafür abgestellt werden, Ressourcen von den Arbeitern zu den Drohnen zu transportieren.“

Die Rechtsstaatlichkeit wiederum habe sich in eine Herrschaft der Rechtsanwälte sowie weltfremder Verfasser langer, unverständlicher Gesetzestexte verwandelt. Ebenso mutiere die gerühmte Zivilgesellschaft zu einem Tummelplatz von Profilneurotikern, welche im Niemandsland zwischen den Interessen von Politik und Großindustrie operierten. Der Normalbürger hingegen ziehe sich aus der Sphäre der freiwilligen Zusammenschlüsse ohne Gewinnstreben und Bürokratie zurück, weil er die Erfahrung gemacht habe, dass sich der Staat ja doch überall hineindränge und das Zepter übernehme. Der Westen kranke also letztlich an fehlender Freiheit und Eigenverantwortung sowie der Dominanz des Staates beziehungsweise bestimmter Gruppen, welche sich permanent als Regulierer zu betätigen suchen.

Als Gegenrezept verordnet Ferguson radikale Reformen und eine einsichtige Führung, deren Aufgabe darin bestehe, die genannten vier Säulen, auf denen einst die Stärke des Westens beruhte, wieder zu stabilisieren. Dies könne am besten auf dem Wege der Deregulierung, Privatisierung und Liberalisierung geschehen. Sehr viel konkreter wird Ferguson hier allerdings nicht – man spürt, dass dem Wirtschaftshistoriker die Diagnosestellung deutlich besser liegt als das Präsentieren von detaillierten Therapievorschlägen.

Das Buch endet mit einem kurzen Abschnitt, in dem US-Präsident Barack Obama als typischer „Ober-Mandarin“ eines scheinbar allmächtigen, aber letztlich doch degenerierten Staates und als „Stimme des Stillstands“ charakterisiert wird: Die inhaltsleeren Formeln des US-Präsidenten über die angeblichen Segnungen des Staatskapitalismus seien ebenso verstörend wie das Fehlen zündender Zukunftsvisionen. Unter diesen Umständen löse der Gedanke an Fukayamas Optimismus von 1989 regelrecht Wehmut aus. Wolfgang Kaufmann

Niall Ferguson: „Der Niedergang des Westens. Wie Institutionen verfallen und Ökonomien sterben“, Propyläen, Berlin 2013, geb., 210 Seiten, 18 Euro


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