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31.08.13 / Die ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-13 vom 31. August 2013

Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,
liebe Familienfreunde,

manchmal genügt nur ein Name, und er wird zum Stichwort für eine Reise in die Vergangenheit, denn er weckt Erinnerungen und bewirkt Emotionen, die zu Fragen und Suchwünschen führen. Das kann ein Familienname oder ein Ortsname sein oder auch einfach nur ein Begriff aus früherer Zeit, den man vergessen hatte. Für Frau Dr. Evelyn Haenel aus dem schweizerischen Eggersriet war der Straßenname „Dinterstraße“ der Auslöser, den ich einmal bei einer Suchanzeige in unsere Kolumne erwähnte. Dabei erklärte ich, dass ich in dieser Königsberger Straße bis zur Flucht gewohnt hatte. In dieser Seitenstraße der Königstraße hatte auch ihre Mutter Erika Vogel – damals Erika Klingberg – gewohnt, ehe die Siebenjährige mit ihrer Mutter Alwine Anna Minna Elfriede Klingberg etwa 1940/41 nach Thüringen zog, da diese dort heiraten wollte. Die unehelich geborene Erika wurde von ihrem Stiefvater Hermann Geschke adoptiert und wuchs dann in Thüringen auf. Sie hat sich aber die Erinnerungen an ihre frühe Kindheit immer noch bewahrt und denkt so gern an die vertraute Sprache ihrer Geburtsheimat zurück. Ihren nun im Oktober bevorstehenden 80. Geburtstag nimmt Tochter Evelyn zum Anlass, den in Ostpreußen befindlichen Wurzeln ihrer Mutter nachzugehen, um ihr damit eine Freude zu bereiten. Vielleicht gelingt es ja, dieses oder jenes aus dem Umkreis der Familie Klingberg zu erfahren, über die Frau Haenel dank einiger Urkunden gute Daten vorlegen kann, während über Erikas Vater nur wenig bekannt ist. Erika Klingberg wurde am 12. Oktober 1933 in Königsberg geboren. Sie hat ihren Vater nie gekannt, kann nur angeben, dass er Paul Kuhn – eventuell auch Kurt Kuhn – hieß und aus Danzig stammte, wo er wohl bei der Polizei beschäftigt war. Über weitere Kenntnisse hinsichtlich ihres Vaters verfügt Erika nicht. Sie hat früher ihre Mutter nicht befragen können, und heute lebt diese nicht mehr. „Angaben über den leiblichen Vater meiner Mutter, der auch nicht mehr leben dürfte, wären für mich wichtig, um die doch spürbare Lücke in der Familiengeschichte im Nachgang etwas zu schließen“, schreibt Frau Dr. Haenel. „Auch wenn meine Großmutter zunächst allein meine Mutter aufziehen musste, gab es offenkundig ein ausgesprochen tragfähiges Umfeld mit einem festen und innigen Zusammenhalt in der Familie. Dieser erlebten Familie mütterlicherseits und deren Lebensumständen möchte ich gerne weiter nachspüren. Natürlich hat meine Mutter, weil sie so früh Königsberg verlassen musste, nur begrenzte Erinnerungen.“

Diese heißt es nun zu erweitern, und deshalb ist Frau Evelyn froh, unsere Ostpreußische Familie gefunden zu haben. Vielleicht können wir wirklich noch Zeitzeugen finden, denen die Familie Klingberg aus der Dinterstraße bekannt war. Erikas Großeltern waren Heinrich Gottlieb Klingberg, *27. Dezember 1849 in Pogauen bei Heiligenwalde, Kreis Königsberg, und Karoline geborene Hoffmann aus Praften, Kreis Königsberg. Er war der Sohn des Instmannes Heinrich Klingberg und seiner Frau Wilhelmine geborene Ziehr aus Pogauen. In den uns von Frau Dr. Haenel übermittelten Dokumenten taucht oft der Name Klingberg auf, der Verwandtschaftsgrad der Betreffenden ist für mich nur schwer erkennbar, aber sie weisen zumeist auf eine Herkunft aus dem Samland hin. Es könnte also noch eine weit verzweigte Verwandtschaft bestehen, im Königsberger Adressbuch ist der Name „Klingberg“ 20-mal vertreten! Die wichtigsten Fragen von Frau Dr. Haenel befassen sich mit der Kinderzeit ihrer Mutter. Wer kann sich noch an Erika Klingberg aus der Dinterstraße erinnern, die 1940 eingeschult wurde. Es müsste sich, weil meine Nichte etwa auch um die Zeit eingeschult wurde, um die Frischbier-Schule handeln. Erinnern sich noch ehemalige Mitschülerinnen an Erika Klingberg, die allerdings nach einem Jahr schon wieder die Schule verließ, um nach Thüringen zu ziehen? Die Hausnummer in der Dinterstraße konnte ich nicht herausfinden, jedenfalls ist im Königsberger Adressbuch von 1941 der Name Klingberg dort nicht verzeichnet. Auch andere Fragen, die Frau Dr. Haenel stellt, stoßen auf Schwierigkeiten. Wie die, in welcher Königsberger Klinik ihre Mutter am 12. Oktober 1933 geboren wurde. Belassen wir es also zuerst einmal mit der Suche nach möglichen Verwandten und Bekannten aus der Königsberger Zeit, dann sehen wir weiter. (Frau Dr. Evelyn Haenel, Obere Zelgstraße 5 in CH-9034 Eggersriet, Schweiz, Telefon 0041/71/5354575, Fax 0041/71/5354595, E-Mail: ehaenel@germanynet.de)

Es war auch nur ein Ortsname, der in Harry Greve aus Dassel sofort Emotionen auslöste, als er ihn in einer Folge unserer Ostpreußischen Familie aus dem Jahr 2007 las: Godrienen! Denn diesen samländischen Ort an der Nordostspitze des Frischen Haffes betrachtet er als sein Heimatdorf, obgleich der am 15. Februar 1945 Geborene nicht in Godrienen zur Welt kam, sondern in Langenberg/Dassel, weil seine Mutter Elfriede Scheffler dorthin geheiratet hatte. Aber die Verbindung zu Ostpreußen und besonders zu dem Königsberger Gebiet ist noch immer sehr ausgeprägt, ja, es wird sogar mit zunehmendem Alter stärker. Und so möchte er mehr über Godrienen wissen, dem Heimatort seiner Mutter Elfriede, die in ihrer ersten Ehe den Nachnamen Boris trug, in der zweiten den Namen Greve. So kommt es, das seine 1938 geborene Schwester Christa Boris heißt, er selber den Namen Greve trägt. Elfriede war die Tochter von Ferdinand Scheffler und seiner Frau Therese. Während Herrn Greves Großvater noch vor der Flucht verstarb, überlebte die Großmutter die Vertreibung, verschied aber bereits 1951. „Sie war eine so liebe Frau“, erinnert sich ihr Enkel, der nun wissen möchte. ob es noch ehemalige Godriener gibt, die sich an die Familie Scheffler erinnern oder ihm über den Herkunftsort seiner Vorfahren berichten können. Bei rund 700 Bürgern dürfte dies schon der Fall sein. Die alte Aufnahme zeigt als „Gruß aus Godrienen“ mehrere Bewohner und rechts ein Ehepaar mit Tochter. (Harry Greve, Orchideenstraße 9, 37586 Dassel, Telefon 05564/999673.)

Und mit Sicherheit wird auch im folgenden Bericht so mancher Leser einen vertrauten Namen entdecken. Frau Heta Laborge aus Elbe-Gustedt hat ihn uns gesandt, weil sie ihn wert fand, veröffentlicht zu werden, und da hat sie Recht. Denn immer wieder fragen Außenstehende, warum wir denn nach so langer Zeit noch versuchen, ungeklärten Fällen nachzugehen. Selbst wenn die Gesuchten nicht mehr unter den Lebenden sind, wirkt die endlich erfahrene Gewissheit über ihr Schicksal beruhigend, die quälende Ungewissheit ist vorbei.

Frau Maria Nagaitschik geborene Schnell lebte mit ihrer großen Familie in Kölmersdorf, Kreis Lyck auf einem großen Bauernhof mit Pferdezucht. Ein großer Teil der Kölmersdorfer wurde im Sommer 1944 erst in das 40 Kilometer entfernte Grabnick evakuiert, dann nach Dietrichswalde bei Allenstein. Herr Nagaitschik war Anfang August verstorben und wurde von seiner Tochter Eva zurück nach Kölmersdorf gebracht und in der Heimaterde begraben, obwohl die Front schon nah war. Frau Marie war mit Tochter Ruth und einigen Pferden bei Familie Jaczkowski in Dietrichswalde untergekommen. Sie blieb auch, als einige Kölmersdorfer auf die Flucht gingen. Die Russen kamen und nahmen Ruth und die Pferde mit. Die Tochter kam nicht wieder, denn wie sich später herausstellte, war sie nach Sibirien verschleppt worden. Sohn Rudolf galt als vermisst, der andere Sohn an der Front, die Töchter mit ihren Familien irgendwo auf der Flucht. Maria Nagaitschik versuchte dann doch, sich nach Westen durchzuschlagen. Unterwegs schloss sie sich einem älteren Mann und dessen Tochter an. Sie verloren sich in dem Durcheinander und trafen sich dann durch Zufall in Berlin auf der Straße wieder! Gemeinsam kamen die Drei unter großen Schwierigkeiten nach Gielow, Kreis Malchin in Mecklenburg und fanden in einem Pferdestall Unterkunft. Sie konnten sich durch Arbeit auf dem Hof notdürftig ernähren. Frau Nagaitschik war aber so geschwächt, dass sie am 10. November 1944 in dem Pferdestall verstarb. Sie wurde an der Friedhofsmauer von Gielow mehr verscharrt als begraben. Dann erlag auch der Vater der jungen Frau den qualvollen Zuständen. Seine Tochter musste sich nun alleine durchschlagen. Schließlich landete sie im niedersächsischen Wolfenbüttel. Das Gesangbuch, das Frau Maria immer bei sich getragen hatte, war von ihr mitgenommen worden. In ihm stand die Widmung: „Rudolf Nagaitschik zur Einsegnung am 15. März 1934 von seiner Schwester Lilli“. Auch als die Frau heiratete und nun unter dem Namen Pfeiffer mit ihrem Ehemann nach Hannover zog, nahm sie das Gesangbuch mit. Als ihr Mann nach dessen Herkunft fragte, erzählte sie ihm die Geschichte der Maria Nagaitschik. Herr Pfeiffer fühlte sich verpflichtet, deren Tod mit genauen Angaben beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) zu melden. Inzwischen hatten sich die aus Gefangenschaft heimgekehrten Kinder der Verstorbenen in der Gegend von Braunschweig wieder gefunden und einen Suchantrag nach ihrer Mutter gestellt – ohne Erfolg. Man ließ Maria Nagaitschik dann 1965 für tot erklären. Eines Tages meldete sich der Suchdienst, weil er weitere Nachforschungen angestellt hatte und aufgrund der Angaben von Herrn Pfeiffer fündig geworden war. Man setzte sich sofort mit Frau Pfeiffer in Verbindung und erfuhr bei Besuchen in Hannover die näheren Umstände des Todes ihrer Mutter. Bei einem gemeinsamen Besuch in Gielow fand man aber keinerlei Spuren mehr vor. Die Familie Nagaitschik war aber dankbar, dass das Schicksal ihrer Mutter endlich aufgeklärt worden war. Das Gesangbuch, das dazu beigetragen hatte, ist heute im Besitz des 93-jährigen Robert Nagaitschik in Wolfenbüttel, wo er in dem Seniorenheim Steinhäuser Gärten seinen Lebensabend verbringt.

Keine Widmung enthält das evangelische Gesangbuch, das ich seit Jahren treu bewahre, weil es bisher nicht den rechtmäßigen Besitzer gefunden hat. So will ich es erneut unseren Lesern vorstellen in der Hoffnung, dass es jetzt in die richtigen Hände kommt. Es handelt sich um ein aufwendig mit Goldschnitt und Golddruck gestaltetes Gesangbuch in einem dazu passenden Kästchen, das dazu beigetragen hat, dass das Buch in einem außergewöhnlich guten Zustand ist. Es gibt einen einzigen Hinweis auf die ehemalige Besitzerin, denn ihr Name steht in Goldprägung auf der Rückseite: Grete Szelies 1924. Bisher hatte ich immer geglaubt, die Jahreszahl bezöge sich auf die Konfirmation, aber da habe ich mich wohl geirrt. Denn beim nochmaligen Durchblättern des über 900 Seiten starken Buches im Format DIN A6, das 536 Liedtexte enthält, entdeckte ich einen Anhang „Hilfe in der Not“, als Ergänzung zu dem Hauptteil, dem „Evangelischen Gesangbuch für Ost- und Westpreußen“, gedruckt 1926 in der Ostpreußischen Druckerei und Verlagsanstalt in Königberg“. Dieser Anhang wurde herausgegeben und gedruckt von der Christlichen Verlagsbuchhandlung Ludwig Sakuth in Szillen Ostpreußen im Jahre 1930. Das macht die Suche erheblich leichter. Der Nachname der Besitzerin deutet in das nördliche Ostpreußen, nun bestätigt dies die Verlagsangabe. Da das Buch nach 1930 gekauft wurde, muss es sich bei der Jahreszahl 1924 um das eingravierte Geburtsdatum der Besitzerin handeln. Es ist anzunehmen, dass diese es zu ihrer Konfirmation erhalten hat, also um 1938/39. So wäre es gut möglich, dass Grete Szelies noch lebt, wenn auch unter anderem Namen, oder dass sich Nachkommen von ihr finden. Sollte sich niemand melden dürften sich vielleicht Angehörige der Verlegerfamilie Sakuth aus Szillen/Schillen für das noch wie neu wirkende Gesangbuch interessieren. Jedenfalls hoffe ich, dass dieser Schatz aus unserer Familien-Fundgrube nun den Platz findet, der ihm gebührt.

Eure Ruth Geede


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