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31.08.13 / Von Parteiendemokratie abgestoßen / Ausgerechnet Weizsäcker-Tochter kritisiert politisches System der Gegenwart

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-13 vom 31. August 2013

Von Parteiendemokratie abgestoßen
Ausgerechnet Weizsäcker-Tochter kritisiert politisches System der Gegenwart

Der Buchtitel lässt aufhorchen: „Warum ich mich nicht für Politik interessiere.“ Das möchte uns ausgerechnet die Tochter des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker erklären? Es kommt dann doch anders, der Titel dient nämlich als Aufhänger für eine kritische Beleuchtung des deutschen Parteienstaates, von dem sich nach Frau von Weizsäcker die meisten Bürger längst abgehängt fühlen, „denn seine Regel lautet, das zu tun, was Partei und Staat vorgeben“. „Warum ich mich nicht für ,diese‘ Art von Politik interessiere“ müsste also das Buch eigentlich betitelt sein. Wenn man erst einmal verstanden hat, worum es ihr geht, folgt man den zugespitzen Analysen der Autorin mit Aufmerksamkeit.

Die 1958 geborene Juristin Beatrice von Weizsäcker war unter anderem als freie Mitarbeiterin im Bundeskanzleramt und als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Bundesfamilienministerin Rita Süssmuth tätig, später als Redakteurin beim „Tagesspiegel“ in Berlin. Seit Jahren wirkt sie in leitender Funktion vor allem in Bewegungen, Stiftungen und Kommissionen der Evangelisch-Lutherischen Kirche mit. Die Erstveröffentlichung des Buches erfolgte im Wahljahr 2009, als nicht weniger als 14 Wahlen auf Landes- und Bundesebene anstanden, was für die Autorin denn auch Anlass genug bot, die Postenkungelei der Parteien („der ausgekungelte Bundespräsident“, damals Horst Köhler) anzuprangern. Für die vorliegende unveränderte Neuausgabe erwarb der Verlag Bastei Lübbe die Rechte.

Kurz und bündig erklärt uns von Weizsäcker, wie es dazu kam, dass unser Land mehrheitlich von stromlinienförmigen, karriere-orientierten Volksvertretern regiert wird. Gemäß dem Grundgesetz darf das Volk sein Parlament nur zur Hälfte, nämlich mit der Erststimme, wählen, während der andere Teil der Abgeordneten über die Landeslisten in den Bundestag einzieht. Letztere sind mithin reine Parteienvertreter. Seinerzeit war das Grundgesetz als Provisorium vorgesehen, und solche Vorgaben wurden vorsichtshalber erlassen, aufgrund leidvoller Erfahrung in der Weimarer Republik. Unsere Repräsentative Demokratie sei aber inzwischen zur Parteiendemokratie verkommen, kritisiert von Weizsäcker, und nicht ohne Grund sei der Anteil der frustrierten, politikverdrossenen Nichtwähler stetig gewachsen. In unserem Parteienstaat werde Politik von „Sachzwängen“ und Wahlversprechen bestimmt, sei zum Jagdgebiet von Parteikarrieristen mutiert. In dem geschlossenen System hätten Seiteneinsteiger so gut wie keine Chance – es sei denn, man hat die richtigen Beziehungen; dabei drückt sich die Autorin auch keineswegs darum herum, Namen zu nennen.

Zwar hat es sich längst herumgesprochen, dass das deutsche Volk mündig ist, dennoch melde sich kein Volksvertreter mit dem Vorschlag zu Wort, den Bürgern auf der Grundlage einer geänderten Verfassung mehr direkte politische Einflussnahme zuzubilligen. Mehr noch: Auch jenseits der Wahlen solle sich das Volk nicht zu Wort melden, betont sie, „weil zu befürchten steht, dass den Politikern das Wort missfällt. Darum wehren sich auch so viele gegen Volksbefragungen auf Bundesebene.“ Es wäre nun zu erwarten gewesen, dass sich von Weizsäcker an dieser Stelle entschieden für Volksbegehren und Volksbefragungen, wie sie in der Schweiz üblich sind, ausgesprochen hätte. Doch eigenartigerweise bleibt sie zurückhaltend. Ihre herbe Kritik am bürgerfernen Staat mündet in eine Ermunterung an alle Wähler und Nichtwähler, nicht zu resignieren, sondern selbst etwas auf die Beine zu stellen, etwa auf kommunaler Ebene oder durch Internetaktionen. Dazu reiht sie Geschichten aneinander, von sich selbst und von Menschen, die vorbildhaft die Möglichkeiten der Zivilgesellschaft genutzt haben, um etwas zu ändern, denn: „Alles ist Politik, jeder ist ein Politiker.“ Zuletzt muss sie aber einräumen: „Natürlich ist das keine Alternative zur ‚Politik von oben‘. Die Beispiele ändern nichts am System, nichts an den Parteien und ihrem Machtmissbrauch. Wer die Politik von oben grundlegend ändern will, muss schon ‚in die Politik‘ gehen. Der muss sich der Ochsentour fügen. Oder vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, das in Fragen der Freiheit und der Bürgerrechte längst zur eigentlichen Opposition im Land geworden ist.“ Schade, im Schlussteil versandet das Buch unnötig in Weitschweifigkeit. D. Jestrzemski

Beatrice von Weizsäcker: „Warum ich mich nicht für Politik interessiere“, Bastei Lübbe, Köln 2013, broschiert, 208 Seiten, 8,99 Euro


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