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14.09.13 / Wenn Parteifreunde zu Feinden werden ... / Zum 100. Geburtstag des früheren CDU-Politikers und Ministerpräsidenten Hans Filbinger

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-13 vom 14. September 2013

Wenn Parteifreunde zu Feinden werden ...
Zum 100. Geburtstag des früheren CDU-Politikers und Ministerpräsidenten Hans Filbinger

Ein deutsches Schicksal: missbraucht, missachtet, von Freunden geächtet und am Ende trotz aller Verdienste im Geschichtsbuch auf der falschen Seite gelandet. Das war das Leben des Hans Filbinger.

Mit dem Geburtsdatum 15. September 1913 wurde Hans Filbinger in eine Zeit hineingeboren, in der sich ein erster weltweiter Krieg zusammenbraute. In Krieg und Zwischenkriegszeit wuchs er auf, dann wieder Krieg. Als dieser Zweite Weltkrieg endete, war Filbinger bereits 32 Jahre alt. Das Land, sein geliebtes Vaterland, lag in Trümmern, es sollte noch weitere Jahre dauern, bis endlich so etwas wie ein normales Leben beginnen konnte.

Dabei hatte er, im Vergleich zu vielen anderen seiner Generation, sogar noch einigermaßen Glück gehabt. Auf dem Land, in bäuerlichem Umfeld, erlebte er eine relativ geschützte Kindheit. In wirtschaftlich schweren Zeiten war es dem Halbwaisen, der früh die Mutter verloren hatte, dennoch möglich, das Gymnasium zu besuchen; im Jahr der nationalsozialistischen Machtergreifung machte er sein Abitur und nahm ein Jurastudium auf.

Eltern und Großeltern hatten Filbinger eine starke religiöse Bindung mit auf den Lebensweg gegeben, was ihn zunächst in Konflikt mit den neuen Machthabern brachte. Wenn er öffentlich „Charakterfestigkeit gegenüber widerchristlichen und volksfremden Kräften“ einforderte, wusste man, wer gemeint war. Folgerichtig wurden ihm Stipendien verweigert, später auch ein lukrativer Posten bei der „Chambre de Commerce Allemand“ in Paris. Immerhin konnte die NS-Obrigkeit nicht verhindern, dass er, der „Unzuverlässige“, glänzende Examina hinlegte. Um überhaupt eine berufliche Perspektive zu haben, trat er pro forma diversen NS-Organisationen bei, verblieb aber stets in der Rolle der „beitragzahlenden Karteileiche“. Inneren Ausgleich fand er im „Freiburger Kreis“ um den Theologen und Publizisten Karl Färber. Hier trafen sich Menschen, die aus tiefster christlicher Überzeugung in innerer Distanz zum Hitler-Regime lebten, aus eben dieser Überzeugung aber auch den offenen Widerstand ablehnten. Wenn ihnen (und explizit Hans Filbinger) später vorgeworfen wurde, sie seien ja keine Widerstandskämpfer gewesen, zeugt dies von der furchtbaren Ignoranz jener Kritiker, die selber nie Unfreiheit und Unterdrückung erleben mussten; das gilt für die Aufarbeitung der ersten wie der zweiten Diktatur in Deutschland, ist also hochaktuell.

Hans Filbinger, der kein Widerstandskämpfer, aber auch kein Nationalsozialist war, überlebte die zwölf Jahre des tausendjährigen Reichs als Staatsanwalt und Richter bei der Kriegsmarine. Nicht weil er sich ideologisch besonders hervorgetan hätte, sondern weil er ein hervorragender Jurist war.

Das erkannte viele Jahre später auch der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Gebhard Müller, der ihn 1958 als Staatsrat nach Stuttgart holte. Das junge Bundesland, gerade erst von den Siegermächten künstlich zusammengefügt, hatte die innere Integration ebenso wenig bewältigt wie die Neuordnung der regionalen und kommunalen Verwaltungsstrukturen. Eine gigantische Aufgabe, die ein Höchstmaß an juristischem und politischem Fingerspitzengefühl verlangte. Über beides verfügte Hans Filbinger, womit er zum Regierungschef prädestiniert war, als Müllers Nachfolger Kurt Georg Kiesinger 1966 Bundeskanzler wurde. Damit begann eine fast zwölfjährige Erfolgsgeschichte – mit bitterem Ende.

Mutig und anfangs gegen starken Widerstand gestaltete Filbinger eine umfassende Gebiets- und Verwaltungsreform, durch die erst aus Baden, Württemberg und den zu Preußen gehörenden Hohenzollernschen Landen ein einheitliches Bundesland wurde. Die heutige Spitzenstellung (neben Bayern) in nahezu allen wirtschaftlichen und sozialen Eck­werten ist ebenfalls maßgeblich dem Wirken Filbingers zu verdanken; er ist, auch wenn ihm seine Gegner dies bis zu seinem Tod 2007 absprachen, einer der Väter des Erfolgs.

Das sahen auch Gegner im Osten des geteilten Vaterlandes so. Sachlich unbestreitbare wirtschaftliche und politische Erfolge aber, so die bewährte Stasi-Strategie, kann man am besten zunichtemachen, indem man die Hauptakteure persönlich diffamiert. Erst recht, wenn man auf der Seite des „Klassenfeindes“ auch noch genügend willige Helfer vorschicken kann.

Oder war es Zufall, dass zeitgleich zu Filbingers glänzendstem Wahlsieg von 1976 mit 56,7 Prozent belastende Dokumente über Todesurteile des angeblich „furchtbaren Juristen“ Filbinger auftauchten? Noch in den letzten Tagen des NS-Regimes, ja sogar noch danach soll er junge deutsche Soldaten in den Tod ge­schickt haben. Ein Todesurteil gab es tatsächlich. Filbingers Anteil daran: Er hat es als Staatsanwalt auftragsgemäß und entsprechend der damaligen Rechtslage beantragt. Mehr nicht, allerdings auch nicht weniger. Die anderen drei Urteile waren vermutlich Fälschungen aus der Werkstatt des Markus Wolff. Jedenfalls behauptet das der frühere Stasi-Offizier Günter Bohnsack, der sich nach der Wiedervereinigung damit brüstete, wie viele westdeutsche Journalisten auf diese Fälschungen hereingefallen seien.

Die möglicherweise von Ost-Berlin gesteuerte Medienkampagne gegen Filbinger wurde nicht nur von der Opposition gern genutzt. Bald gingen auch viele seiner vermeintlichen Parteifreunde in die Knie und wurden zu Feinden. Tief enttäuscht trat Filbinger am 7. August 1978 zurück.

Wenig später gründete er das „Studienzentrum Weikersheim“, um in einer solchen „Denkfabrik“ konservativ-christliche Wertvorstellungen – auch im traditionell preußischen Sinne – zur Geltung zu bringen. Der Erfolg nimmt sich eher bescheiden aus. So blieb die von Filbinger heiß ersehnte und vom frisch gewählten Kanzler Helmut Kohl vollmundig angekündigte „geistig-moralische Wende“ reines Wunschdenken.

Im persönlichen Gespräch zeigte sich Filbinger auf glaubwürdige Weise als Gegenteil eines „furchtbaren Juristen“ – eher als ein innerlich zutiefst verletzter Mensch. Ein Mensch, der dem Recht dienen wollte und darunter litt, dass ihm kein Recht zuteilwurde – Schicksal einer Generation, die im Dienst an einem von Diktatoren und Ideologen missbrauchten Recht auf schmalem Grat stand: zwischen dem Arrangieren, um zu überleben, und den rigorosen Moralansprüchen der Nachgeborenen. Eben ein deutsches Schicksal. Hans-Jürgen Mahlitz


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