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28.09.13 / Die Revolution der Pappkartons

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-13 vom 28. September 2013

Moment mal!
Die Revolution der Pappkartons
von Klaus Rainer Röhl

Ändern Dichter die Welt? Das ist eine Frage, die die meisten Menschen nicht umtreibt, die Dichter aber schon, die seit ewigen Zeiten mit der Welt unzufrieden sind und sie gerne ändern würden. Und nur, wenn man allzu misstrauisch oder gar böswillig wäre, würde man den Dichtern zutrauen, mit der Politik ganz nebenbei auch auf sich selbst aufmerksam zu machen. Unser größter, auch nach seiner eigenen Definition deutscher Dichter, Walther von der Vogelweide (1170–1230), mischte sich kräftig in die Politik ein. Er griff in seinen öffentlich vorgetragenen Liedern sowohl den Kaiser als auch den Papst an, ja mehr noch, er beklagte sogar die deutschen Verhältnisse: „O weh dir tiutsche Zunge – wo stet din Ordenunge?“ (Großschreibungen vom Autor). Das schrieb er vor etwa 800 Jahren. Wer in einem auch nur halbwegs gebildeten Elternhaus aufgewachsen ist, kann das Mittelhochdeutsche auch heute noch ohne große Kommentierung verstehen und leicht erraten, dass er mit „tiutsche Zunge“ die Deutsch-Sprechenden, also die Deutschen meint. Denen er, übrigens als Antwort auf einen Lobgesang auf Frankreich, schmeichelte, Deutschland sei, trotz vieler Länder, die er gesehen habe, das beste, ein Land, in dem er immer leben wolle. Wie bekannt, regte dieses Lied Hoffmann von Fallersleben dazu an, unsere heute noch gültige Nationalhymne zu schreiben, die wir manchmal auch singen dürfen, aus Gründen der politischen Korrektheit aber nur die dritte Strophe.

Gott wird es uns lohnen, wie alle unsere Alleingänge, das Müsli, das Flaschenpfand und den Ausstieg aus der Atomtechnik und die Rückkehr zur Windmühle. Walther von der Vogelweide war, wenn man so will, auch einer der ersten Umweltschützer, denn in einem weiteren Gedicht beklagte er die Zerstörungen durch nicht nachhaltigen Umgang mit der Natur: „Zertreten ist das Feld, verhauen ist der Wald.“ Man weiß nicht genau, ob Walther von der Vogelweide ohne diese scharfen kritischen Töne so bekannt geworden wäre, also nur mit dem Tandaradei und den für seine Zeit frechen Gedichten über die Liebe in der freien Natur („Under der linden/an der Heide, da unser zweier Bette was“). So etwas brachten auch schon die Kollegen. Aber die Aufmerksamkeit im ganzen Reich erwarb er durch die politische Großpolemik, schließlich wurden seine Lieder auch am Wiener Hof vorgetragen.

Geändert hatte sich im Reich dadurch nichts. In den folgenden Jahrhunderten hörten Dichter nie auf, Politik zu machen, ändern konnten sie die Welt nie, aber sie versuchten es hartnäckig und wurden dabei bekannt und – berühmt. Ich sage nur – Gedankenfreiheit!

Weniger bekannt ist, dass die Dichter manchmal, nach langen Friedenszeiten, auch Kriegspropaganda machten. So schrieb Stefan George Anfang des 20. Jahrhunderts: „Zehntausend muss die heilige Seuche raffen, Zehntausende der heilige Krieg“! So geschah es denn auch.

Nach langer kriegsbedingter Abstinenz verschrieb sich die „Gruppe 47“ nach anfänglich politischem Engagement nur noch der Naturlyrik. Als aber die lange, schrecklich gemütliche Adenauer- und Erhardzeit und das den Dichtern schier unerträgliche Wirtschaftswunder zu Ende gehen sollte, kamen in rascher Folge Sammelbände deutscher Schriftsteller heraus mit so aktuellen Titeln wie „Die Alternative“. Oder „Brauchen wir eine neue Regierung?“.

Immer war da auch Grass mit von der Partie, mal als Anhänger, mal sogar als Mitglied der SPD (aus der er auch mal wieder austrat, wenn ihn etwas geärgert hatte). Endgültig bekannt wurde er durch seinen Wahlkampf für Willy Brandt („Willy wählen!“), und alle, alle Schriftsteller machten mit. Und weil die Adenauer-Ära personell ohne Nachwuchs und reif für den Abgang war wie später noch einmal die Kohl-Regierung, konnten die Mitstreiter von Grass diesmal wirklich das Gefühl haben, die Welt mit geändert zu haben. Fortan sahen sie es als Aufgabe an, das unzuverlässige deutsche Volk, diesen großen Lümmel, zu erziehen, wie Brecht es, wunderschön kunstvoll, aber extrem stalinistisch im Inhalt, in seinem wenig bekannten, von Paul Dessau vertonten Langgedicht „Erziehung der Hirse“ gewollt hatte, sprich das Volk langsam zum Guten zu erziehen wie die Hirse und so das Unkraut wie den Faschismus ausrotten.

Aber ach, immer noch ist das Volk nicht richtig erzogen, und die Dichter müssen immer wieder an die Agitations-Front. Da kann man langsam als Schriftsteller mutlos werden oder zumindest so aussehen. Wie die bis dahin wenig bekannten 60 Männer und Frauen, die, miesepetrig und krampfhaft lustig vier Tage vor der Wahl mit Pappkartons vor das Kanzleramt zogen, weil sie nicht von der NSA abgehört werden wollen. Das skandierten sie im Sprechchor und lachten sich selber halbtot über ihre Aktion, und das Fernsehen nahm sie dabei auf, auch wegen der großen braunen Pappkartons. 67000 Unterschriften für die Unterstützung ihres Protests hatten sie in diesen Pappkartons gesammelt. Die wollten sie der Merkel um die Ohren hauen, wenn die es wagen würde, sie anzuhören.

„Auch du wirst abgehört!“ Wen erinnert das nicht an die Studenten, die 1967 in den Hamburger Hafen marschierten und, nicht weniger laut als die 60 Schriftsteller, den Arbeitern zuriefen: „Auch du wirst abgehört!“ Die Antwort der schlagfertigen Hamburger Hafenarbeiter war ironisch: „Wi hebbt keen Tellefoon!“

Niemand will gerne abgehört werden, aber die deutschen Schriftsteller mit den Pappkartons wollten besonders wenig abgehört werden. Gehört werden aber gerne. Und gelesen, nicht nur in Facebook und Twitter mit „Gefällt mir!“-Echo, sondern möglichst in gebundener Form. Gerade damit hatten die meisten von ihnen bisher Schwierigkeiten und waren daher bis zum Zeitpunkt ihres Auftritts kaum bekannt. Nur die Initiatorin Juli Zeh ist bekannt, aber auch sie musste sich in ihrem Leben ziemlich abstrampeln, um die nötige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Juli ist die Tochter des ehemaligen Direktors des Deutschen Bundestags und studierte Jura in Passau, Krakau und New York. Nach einem Praktikum bei der Uno schloss sie ab mit dem Magister. Ihr letzter literarischer Ruf „Nullzeit“ ist nach eigenen Angaben eine „Mischung aus Thriller und Beziehungskiste“. Bereits im Bundestagswahlkampf 2005 gehörte sie zu den Autoren, die den Aufruf von Günter Grass zur Unterstützung von Rot-Grün unterschrieben. Auch sonst lässt sie die Katze gern aus dem Sack. Auch den Hunden gilt ihre Liebe. So leiht sie als „Tierschutzbotschafterin“ der Stiftung „Vier Pfoten“ ihre Stimme. Viel hilft viel, ist ihre Devise. Steter Tropfen höhlt den Stein. Im Januar 2008 reichte sie beim Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde gegen den biometrischen Reisepass ein. Das Bundesverfassungsgericht hat die Klage aus formellen Gründen nicht zur Entscheidung angenommen.

Die Demonstration der Pappkartons hat am Wahlausgang zum Glück nichts geändert. Aber dafür waren die Demonstranten minutenlang im Fernsehen. Vielleicht wird der eine oder andere doch noch gedruckt.  Gefällt mir – nicht.


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