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28.09.13 / Tragweite nicht erkannt / Memelländer erinnert sich

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-13 vom 28. September 2013

Tragweite nicht erkannt
Memelländer erinnert sich

Liedverse und Gedichte haben einen besonderen Stellenwert in den Memoiren „So war es damals bei uns …“ von Herbert Zebbities, der 1930 im memelländischen Dorf Mankuslauken am Flüsschen Minge, Kreis Heydekrug, geboren wurde; denn in seiner Kindheit und Jugend wurde viel gesungen und rezitiert. Nach der Rückgabe des Memellandes an das Deutsche Reich im März 1939 erfolgte die Zusammenlegung von Mankuslauken mit den Nachbardörfern Woitkaten und Neusaß-Sköries zur Gemeinde Auritten. 1940 trat Herbert Zebbities dem Deutschen Jungvolk bei, deren Mitglieder Pimpfe genannt wurden. Vieles, aber nicht alles gefiel ihm. Sie sangen: „Reißt die Fahnen höher, Kameraden! Wir fühlen nahe unsere Zeit, die Zeit der jungen Soldaten.“ Als jedoch Pioniersoldaten im Frühjahr 1941 ins Land kamen, um die Eisenbahnen und Brücken zu verstärken, wollte niemand wahrhaben, dass tatsächlich ein Krieg mit Russland bevorstand.

Bei der 1938 durchgeführten Volksbefragung hatten 80 Prozent der Bevölkerung des Memellandes für die Zugehörigkeit zum Deutschen Reich gestimmt. Der Autor meint, dass die Menschen die Tragweite dieses Aktes nicht erkannten: „Denn sie wussten nicht, was sie tun. Leider wählten wir nicht nur den Anschluss, sondern auch Hitler.“

Im Oktober 1944, kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee, wurde die gesamte Bevölkerung des Memellandes evakuiert. Herbert Zebbities war Tischlerlehrling in Heydekrug, als er sich allein auf die Flucht begab. In Haffwerder fand die Familie zusammen: „Das war am 12. Oktober 1944. Wir dankten unserem Herrn.“ Im mecklenburgischen Malchin wurden sie und andere Flüchtlinge im Juni 1945 genötigt, in ihren Heimatort im Memelland zurückzukehren, das inzwischen dem sowjetisch regierten Litauen zugeschlagen war. „Die Sowjets waren ja überall. Wer wollte da nicht in seine Heimat zurück?“ Wie er selbst, seine Mutter und seine beiden Geschwister dachten viele. In einem Viehwaggon fuhren sie bis Frankfurt an der Oder unter militärischem Begleitschutz der Russen. Zurückgekehrt nach Auritten fanden sie ihr Haus besetzt vor. Es wurde von einer litauischen Familie bewohnt. Mittellos wie sie waren, ließen sie sich in einem ausgeplünderten Nachbargehöft nieder. Wenig später zogen sie in eine Sowchose in Petrellen.

Zwei Grundzüge kennzeichnen diesen Rückblick auf ein langes Leben. Zum einen ist es der tief verankerte christliche Glaube des Autors, der ihm und den Seinen durchgehend Stärkung und Halt bot, zum anderen seine ausgesprochen positive Haltung den Russen gegenüber. Weder ist ihm noch einem Mitglied seiner engeren Familie während des Krieges und in der Nachkriegszeit von russischen Soldaten ein Leid zugefügt worden. Im Gegenteil, zu ihrer Überraschung half ihnen bisweilen ein russischer Soldat in einer gefährlichen Situation. Während seiner Lehrzeit als Tischler in Memel erfuhr Zebbities kaum Diskriminierung wegen seiner deutschen Herkunft. 1952 machte er nach einer Fußamputation in Anapa am Schwarzen Meer eine Umschulung zum Porträtfotografen. 1960 siedelte er als einer der letzten Deutschen aus seiner Baptistengemeinde in Žemaitkemen in die Bundesrepublik Deutschland über.

Herbert Zebbeties kennt die weitere Entwicklung seiner Heimat am Memelstrom aus eigener Anschauung. Nach 28 Jahren reiste er als Tourist erstmals wieder dorthin. In seinen Lebenserinnerungen hat er Überlegungen zur politischen und wirtschaftlichen Lage des ehemaligen Grenzlands zwischen Ostpreußen und Litauen einfließen lassen. Dagmar Jestrzemski

Herbert Zebbities: „So war es damals bei uns …“, digibook, Hollenstedt 2012, broschiert, 186 Seiten, 9,50 Euro


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