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© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-13 vom 05. Oktober 2013
Schlesischer Kuchenkrieg Wer darf Schlesischen Streuselkuchen machen? Diese Frage beschäftigt inzwischen nicht mehr nur den Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks. „Weil wir ein Teil Schlesiens sind.“ Diese einfach Begründung spricht der Görlitzer Bäcker Michael Tschirch in das Mikrofon, als ihn Fernsehleute vom MDR befragen, warum er sich dafür einsetzt, dass der Schlesische Streuselkuchen, den er anbietet, auch weiter so heißen darf. Der Unternehmer führt den Betrieb, den seine Urgroßeltern Herrmann und Selma Förster 1894 gegründet haben, nun in der vierten Generation. Für ihn, den Obermeister der Niederschlesischen Bäckerinnung, war es bis vor Kurzem selbstverständlich, nach dem Rezept für Schlesischen Streuselkuchen zu backen. Doch dann kam ein Brief vom Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks, der darüber informierte, dass dies so nicht mehr rechtens sei. Auch der Verband hatte erst kurz zuvor erfahren, dass 2011 bei der Europäischen Kommission auf Antrag des polnischen Staates die Bezeichnung „Kolocz slaski“ – laut Amtsblattes der Europäischen Union Schlesischer Streuselkuchen – ins Register der geschützten geografischen Angaben eingetragen worden war. Doch was bei geografisch eindeutigen Bezeichnungen wie Lübecker Marzipan und Dresdner Stollen nachvollziehbar ist, dient eine Herkunftsbezeichnung doch der Lebensmittelklarheit, sorgt bei Schlesischem Streuselkuchen – ähnlich wie bei Pressburger Kipferln – für Verwirrung. Die Groß- und Urgroßeltern von Michael Tschirch waren ohne Zweifel Bewohner der preußischen Provinz Schlesien, doch die gibt es nicht mehr. Nachfahre Michael Tschirch will aber, dass das nicht in Vergessenheit gerät, schließlich ist es ein Teil seiner Geschichte, die er in Form des Streuselkuchens schmackhaft mit Leben füllt. Auch das Deutsche Patent- und Markenamt sieht den Schlesischen Streuselkuchen als Kulturgut, das zudem schon lange über die Grenzen selbst des historischen Schlesiens hinaus gebacken wurde. Und so bat der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks bei der EU-Kommission um Löschung der Eintragung, um wettbewerbsrechtlichen Konsequenzen für seine Mitglieder zu vermeiden. Doch Brüssel lehnte dieses Ansinnen ab, da die Frist für Einwendungen gegen den Eintrag abgelaufen sei. Einspruchsfristen haben durchaus ihren Sinn, nur müssen alle Beteiligten wissen, dass es überhaupt etwas gibt, gegen das man Einspruch erheben kann, bevor sie dieses tun. Da die Veröffentlichung über die Eintragung im EU-Amtsblatt jedoch nur die polnische Bezeichnung enthielt („Kolocz slaskie“), fiel den deutschen Bäckern die eigene Betroffenheit zu spät auf. Der Verband empfiehlt nun, dass die EU künftig Anhörungen ermögliche. Nun hat der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks eine Klage beim Gericht der Europäischen Union in Luxemburg eingereicht und bekräftigt seine bereits gegenüber der EU-Kommission vorgebrachten Argumente, warum nicht nur Görlitzer Bäcker ein Anrecht auf Schlesischen Streuselkuchen haben, sondern Bäcker in Deutschland und der ganzen Welt. Denn abgesehen davon, dass die Grenzen der preußischen Provinz Schlesien nicht mit dem Gebiet übereinstimmen, das die polnischen Antragsteller rund um Oppeln bewohnen, und es sich um ein altes Backrezept aus vorpolnischen Zeiten handelt, gibt es auch noch Bäcker aus der Region, die aber nicht mehr dort leben. Das Magazin „Der Spiegel“ kritisiert in seinem Bericht über die Affäre den Verband, weil er „heikle Historie“ anspreche. Doch was soll daran heikel sein? Mit der Auflösung Preußens 1947 gab es die preußische Provinz Schlesien auf der Landkarte nicht mehr, doch die Bewohner der Region lebten noch. Wer von den deutschen Bewohnern nicht bereits während oder kurz nach dem Krieg gen We-sten vertrieben worden war, der verließ oft mehr oder weniger unfreiwillig seine Heimat, in der schon seine Ahnen seit Generationen gelebt hatten. Und während die Aussiedler von ihrem Besitz nur das mitnehmen durften, was sie tragen konnten, so führten sie doch die imateriellen Werte ihrer Heimat in ihren Köpfen mit, zu denen eben auch Back-rezepte gehörten. So kommt es, dass selbst vereinzelt Bäcker in Nordrhein-Westfalen Schlesischen Streuselkuchen anbieten, obwohl zwischen Oppeln und Oberhausen fast 1000 Kilometer liegen. Und wer Glück hat, kann sogar Schlesischen Streuselkuchen in Ottawa oder Oregon antreffen oder auch schon um 1900 in Oberhausen. Denn ab dem 19. Jahrhundert zog es zahlreiche Schlesier Richtung Westen. Zehntausende suchten im Ruhrpott Arbeit im Bergbau oder der Industrie, andere zog es weiter über den Ozean nach Nordamerika. Demnach ist der Schlesische Streuselkuchen schon lange keine regionale Spezialität mehr, sondern eine Gattungsbezeichnung. Auffällig bei der ganzen Debatte ist jedoch, dass sich jene Personen, in deren Namen die Republik Polen den Antrag bei der EU-Kommission gestellt hat, überhaupt noch nicht zu Wort gemeldet haben. Offen ist auch, ob nach einem klärenden Gespräch die polnischen Rechtehalter nicht vielleicht selbst bereit wären, die Löschung bei der EU-Kommission zu beantragen, schließlich wohnt man doch gemeinsam in einem vereinten Europa ohne Grenzen. Der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Bäckerhandwerks, Peter Becker, betont auch, die Klage richte sich „nicht gegen die polnischen Handwerksbäcker“, zu denen man sehr freundschaftliche Beziehungen pflege. Und während der Verband sich nun mit der EU und ihrem immer schwerer durchschaubaren Regelwerk angelegt hat, vertritt die Sächsische Staatskanzlei – anders als die EU laut Amtsblatt – die Überzeugung, dass das alles unnötig sei, schließlich bedeute „Kolocz slaski“ gar nicht Schlesischer Streuselkuchen, sondern Schlesischer Kolatsch. Kolatsch stand schon in Schlesien, Böhmen und nun auch in Sachsen für ein anderes spezielles Backwerk. Derweil ist Michael Tschirch zur Tagesordnung übergegangen. Um Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden, heißt sein Schlesischer Streuselkuchen nun Butterdrückstreusel – vorerst. Rebecca Bellano |
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