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05.10.13 / Ikone des Risorgimento / Vor 200 Jahren wurde Verdi geboren – Der Opernkomponist schrieb die begleitende Heldenmusik zur nationalen Einigung Italiens

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-13 vom 05. Oktober 2013

Ikone des Risorgimento
Vor 200 Jahren wurde Verdi geboren – Der Opernkomponist schrieb die begleitende Heldenmusik zur nationalen Einigung Italiens

Auf diesen Gedanken kann nur ein Schriftsteller kommen: Beim Karneval von Venedig laufen sich 1883 Wagner und Verdi im Teatro La Fenice über den Weg. Doch der auf dem Schaffens-Höhepunkt stehende Richard Wagner erkennt den unter einer Schaffenskrise leidenden Giuseppe Verdi hinter der Maskierung nicht – also geht die Operngeschichte ihren historisch be­kannten Gang weiter. Aus „Verdi. Roman einer Oper“ von Franz Werfel stammt diese fiktive Be­gegnung der beiden Operntitanen, die so viel gemeinsam hatten und die sich trotzdem nie getroffen hatten.

Gemeinsam hatten sie das Geburtsjahr 1813. Im Jahr der Befreiungskriege gegen Napoleon sind beide in hochbrisante politische Verhältnisse hineingeboren. Sowohl Deutschland wie auch das ähnlich zerstückelte Italien waren auf dem Weg zur Nationenfindung. Und ähnlich wie Wagner wurde auch Verdi zu einem „homo politicus“. Während aber Wagner ein aktiver und steckbrieflich gesuchter Revolutionär war und mit seinen Opern tatsächlich starre Formen auf revolutionäre Weise aufgebrochen hatte, wurde Verdi in die Rolle des Revoluzzers gedrängt.

Vor allem in den Massenchören der frühen Opern glaubten die Zeitgenossen die Stimme des Volkes für die nationale Einigung Italiens zu erkennen. So wurde der Gefangenenchor aus „Nabucco“ (1841) mit seinem „Va, pensiero, sull’ali dorate“ (Schweb’ hin, Gedanke Du, auf gold’nem Flügel) zur heimlichen Nationalhymne Italiens. Dass sich das Opernpublikum dabei mit dem Freiheitsstreben der unter babylonischer Gefangenschaft gehaltenen Juden seinerzeit identifiziert hätte, gehört zum Mythos um Verdi dazu.

Dennoch wurde Verdi auf diese Weise für politische Zwecke vereinnahmt. Selbst aus seinem Namen wurde das in ganz Italien auf Hauswänden als Graffito hingemalte Akrostichon „Viva V.E.R.D.I.“, aus dem man heute vielleicht eine Gewerkschaft herausliest, damals aber die Worte: „Viva Vittorio Emanuele, Re d’Italia“ (Es le­be König Vittorio Emanuele II.).

Geboren noch unter napoleonischer Herrschaft, erlebte Verdi später in seinem heimatlichen Herzogtum Parma die Habsburger Fremdherrschaft. Als nach der Niederlage der Österreicher bei der Schlacht von Solferino 1859 das kleine Herzogtum dem Königreich des Vereinten Italiens zugeschlagen wurde, war der Weg zur Einigung Italiens frei. Verdi wurde zum Symbol des „Risorgimento“, der Unabhängigkeit Italiens, die schließlich 1861 durchgesetzt wurde.

Widerwillig, wie er behauptete, ließ sich der Komponist sogar als Abgeordneter ins erste italienische Parlament wählen, blieb den Sitzungen aber zumeist fern. Auch wenn er einen Sitz im linken Flügel des Parlaments besaß, seinen Bart ähnlich wie der Freiheitskämpfer Giuseppe Mazzini trug und Schiller, dessen „Kabale und Liebe“ (als „Luisa Miller“) und „Don Carlos“ er vertont hatte, sein Vorbild war, so hatten Verdis Opern – anders als etwa bei Wagner, der ganze Götterdämmerungen einläutete – wenig Umstürzlerisches. Gleichwohl gab es immer wieder Probleme mit der Zensur, welche die Anschläge auf Könige wie in „Rigoletto“ oder in „Ein Maskenball“ beanstandete und Verdi zu umfangreichen Änderungen zwang.

Nach „Aida“ (1871) befand sich Verdi in einer Schaffenskrise. Er bewunderte Wagner, der mit seinen Opern etwas ganz Neues geschaffen hatte. Als er in „Don Carlos“ leitmotivische Elemente einführte, wurde ihm Wagner-Nachahmung vorgeworden. „Also ich bin ein fast perfekter Vertreter der Wagnerschen Schule!“, räumte er selbst ironisch ein. Viele Stilelemente der modernen Oper – weg von der Nummernoper, hin zum durchkomponierten „Gesamtkunstwerk“ – kennzeichnen das Werk beider Komponisten.

In Werfels Verdi-Roman von 1924 sieht der Italiener beim Deutschen den Retter für seine Schaffenskrise. Als Wagner starb, äußerte Verdi aufrichtiges Bedauern: „Traurig! Traurig! Traurig! Wagner ist tot! Als ich die Nachricht las, war ich wirklich entsetzt! ... Ein großartiger Individualist ist gegangen! Ein Mann, der die Geschichte der Kunst ganz gewaltig geprägt hat! Addio, addio.“

Glaubt man Werfel, ist es aber gerade Wagners Tod, der für Verdi wie eine Befreiung war, auf dessen Grundlage er seine beiden Alterswerke „Otello“ und „Falstaff“ erschuf. Als er 1901 in Mailand starb, war er in Italien längst ein Nationalheiliger. Beim Trauerzug säumten 200000 Menschen die Straßen und ein damals noch unbekannter Dirigent namens Arturo Toscanini dirigierte einen Chor von 820 Sängern mit „Va, pensiero“. Harald Tews


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