Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-13 vom 05. Oktober 2013
Der Mensch ist im Mittelpunkt Es war bereits die dritte Reise nach Königsberg, die eine Gruppe deutscher Studenten und Wissenschaftler unternahm, um ein deutsch-russisches Kant-Seminar durchzuführen. Im Rahmen eines Austausches zwischen der Immanuel-Kant-Universität und der Technischen Universität in Königsberg sowie dem Technischen Hochschul-Verbund Aachen, Bochum, Clausthal, Göttingen und Hagen war es die vierte deutsch-russische Begegnung. Initiator und Leiter des Projektes ist der im nordrhein-westfälischen Schwerte ansässige promovierte Ingenieur Joachim von Hirsch, der durch seine akademische und seine berufliche Laufbahn in der Industrie über ein großes Netzwerk an Kontakten verfügt. Die intensive Beschäftigung mit der Philosophie begann er im Ruhestand. Der Bezug zum deutschen Osten ist dadurch gegeben, dass seine Vorfahren in Fuchsberg im westlichen Samland ansässig waren und er selbst in Elbing geboren wurde. Der Gedanke, einen deutsch-russischen Austausch ins Leben zu rufen, kam ihm bei einer Begegnung mit dem russischen Professor Wladimir Gilmanow, der die philosophische Leitung der Kant-Seminare übernahm und im April 2012 mit russischen Studenten zu einem Gegenbesuch nach Schwerte kam. Der Besuch aus der Hauptstadt Ostpreußens rief große Aufmerksamkeit und ein umfangreiches Presseecho hervor. Die Gäste wurden unter anderem vom Bürgermeister empfangen. Die Reise im August 2013 war für die meisten sowohl älteren wie sehr jungen Teilnehmer die erste Begegnung mit Königsberg. Die deutsche Geschichte wurde am Dom und an den Toren, besonders am Königstor, erfahrbar. Das Schicksal der Kirchen bezeugten die Luisenkirche und die Kreuzkirche. Die Rettung des Schiller-Denkmals vor dem Schauspielhaus wurde ebenfalls thematisiert. Allgemeine Begeisterung riefen die Villenviertel in Maraunenhof und Amalienau hervor. Deutsche Geschichte wurde auch durch die Besichtigung der Ordenskirchen in Arnau und Heiligenwalde vermittelt. Und eine Fahrt zum ehemaligen Gutshof Fuchsberg im westlichen Samland ließ etwas von der ländlichen Kultur Ostpreußens erahnen. Das Herrenhaus steht nämlich noch, weil es von russischer Seite unter anderem zu musealen Zwecken genutzt wurde. Es war im Besitz der Familie von Hirsch und wurde später von der Familie von Wittich übernommen. Nun standen sechs Nachfahren derer von Hirsch und ein Herr von Wittich vor dem Sitz ihrer Vorfahren – ein Erlebnis für die ganze Reisegruppe. Das moderne Königsberg erlebte man in den luxuriösen Kaufhäusern, auf dem neugestalteten Siegesplatz mit der prächtigen Erlöserkathedrale, vor dem großen Neubau der Immanuel-Kant-Universität und beim Besuch des BMW-Montage-Werkes. Das Kant-Seminar, das verschiedene Vorträge enthielt, fand in den Räumen der Technischen Universität statt. Kants Schriften „Was ist Aufklärung?“ und „Zum ewigen Frieden“ bildeten die Grundlage. Gilmanow führte in die Kantische Philosophie ein und analysierte den Kategorischen Imperativ als bedingungslose Aufforderung zur Achtung der Menschenwürde eines jeden Menschen. Der Mensch trägt danach das moralische Gesetz in sich und stellt damit den Mittelpunkt, das Wichtigste, das „Maximum“ in dem unvorstellbar riesigen Kosmos dar. Freiheit, Mündigkeit und Würde ergeben sich daraus für jedes Individuum. Zu dem gleichen Ergebnis gelangte sein Vorredner Joachim von Hirsch, der unter dem Motto „Kant verlangt Denken!“ einen Vortrag über das menschliche Gehirn hielt. Wie funktioniert das Denken? Eine riesige Zahl von Neuronen nimmt in einem dauernden Speicherprozess Frequenzen auf, welche die Gegenstände (und Personen) aussenden und die ständig verarbeitet, vernetzt werden. Der Referent belegte mit seinem detaillierten Vortrag die These: Der Kosmos ist ein kompliziertes Gebilde mit unvorstellbaren Dimensionen – das menschliche Gehirn aber ist das Komplizierteste. Den Bezug zur Kantischen Definition der Aufklärung stellte auch der Professor Rainer Labitzke her, der als Chirurg neue Operationsmethoden eingeführt hat. Der „Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit“ sei ein Postulat an alle Wissenschaftler, denn die fraglose Übernahme scheinbar gesicherter Ergebnisse und Lehrmeinungen führt ihm zufolge in die Unmündigkeit. Obwohl Wilhelm von Wittich als Architekt und Städteplaner die Seminarteilnehmer mit einem scheinbar „unphilosophischen“ Aspekt konfrontierte, lag er auf der gleichen Linie wie der Kant-Interpret Gilmanow, der Hirnforscher von Hirsch und der Chirurg Labitzke: Der Mensch ist der Mittelpunkt. In seinen Ausführungen machte er deutlich, dass es bei der Stadtplanung darum gehe, das Stadtinnere zu erhalten und attraktiv zu machen und ebenso den Grüngürtel zu schützen, also dem Menschen eine passende Umgebung zu schaffen. Die Vorträge und Diskussionen führten in einer organischen Linie zu Kants „Zum ewigen Frieden“, mit dem sich Gilmanow in einer besonderen Situation auseinandersetzte. Die Gruppe fuhr auf die Nehrung, weil Verwandte derer von Hirsch aus Amerika teilnahmen, denen die Vogelwarte von Rossitten und die „Düne Ephra“ gezeigt werden mussten. Doch eigentlich wollten alle hin, und so hielt Gilmanow seinen Vortrag „Zum ewigen Frieden“ auf der Nehrung. Vor der Ostsee hörten die Teilnehmer, dass der Gedanke des ewigen Friedens eine Utopie, aber doch ein Postulat und ein Ziel sei. „Zum ewigen Frieden“ stand auch auf der Schleife des Kranzes, der am Ehrenmal auf dem Soldatenfriedhof an der Cranzer Allee niedergelegt wurde. Die Totenehrung ist stets ein Höhepunkt des Austausches. In einer Feierstunde sprachen Klaus-Joachim Hindorf, ein Vertreter der Generation, deren Kindheit vom Krieg geprägt wurde, und Jens Schlösser, der lange nach dem Krieg geboren wurde. Auf russischer Seite sprach Gilmanow. Alle Redner bezogen sich auf Kants Aussagen zum ewigen Frieden. Die Stadt am Pregel mit ihrer reichen und tragischen Geschichte ist zu einem Ort des deutsch-russischen Miteinanders geworden. Bärbel Beutner |
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