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05.10.13 / Bobas, Plon und dunkles Austbier / Wie in Ostpreußen das Erntefest gefeiert wurde

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-13 vom 05. Oktober 2013

Bobas, Plon und dunkles Austbier
Wie in Ostpreußen das Erntefest gefeiert wurde

Vielleicht war es in unserer Heimat, dem Kornland Ostpreußen, das fröhlichste Fest des Jahres, das Erntefest. Noch steckten die schweren Austwochen den Frauen und Männern in den Knochen, die bis zum Umfallen auf den Feldern gerackert hatten, um die Ernte sicher und trocken unter Dach und Fach zu bringen. Aber nun brach sich die Erleichterung ihre Bahn, nun kam der Lohn der Arbeit, nu ward gefiert – on wie! Die Lust am Feiern war schon unseren Vorvätern, den Prussen, eigen, wie der angelsächsische Seefahrer Wulfstan um das Jahr 880 feststellen konnte, als er von Haithabu nach Truso segelte. Irgendeinen Anlass gab es immer, und der Götter, denen man danken konnte, gab es viele. Da unsere Altvorderen prussischer Abstammung ein fleißiges Ackervolk waren – den Beweis erbringt Tacitus in seiner „Germania“ – wurde Kurche, der mit einem Ährenkranz geschmückte Erntegott, besonders verehrt, so dass ein einziges ihm zu Ehren gefeiertes Fest zu wenig gewesen wäre. So gab es zu Erntebeginn das „Zazinek“ mit großem Trinkgelage und ein nicht minder (be)rauschendes Erntedankfest mit Bockopfer, wo Met und Wacholderbier reichlich flossen. Sei es Kurche und den alten Sudauern, die ihn besonders verehrten, gegönnt, denn die Arbeit war hart und blieb es bis in unsere Zeit trotz Mähdrescher und Traktoren. Und mit ihr verblieb auch mancher Brauch, an den sich vielleicht die Leserinnen und Leser, die als Kind noch eine ostpreußische Kornaust miterlebt haben, erinnern können. Aber nicht alle Erntebräuche waren auf urpreußischem Boden gewachsen, die Siedler, die im Laufe der Jahrhunderte in das weite Land kamen, brachten ihre überlieferten Sitten mit. So entstand ein reiches Brauchtum, das sich auch in den Erntefesten zeigte, die termingemäß nicht an das kirchliche Erntedankfest im Oktober gebunden waren. In einem Brauchtumheft der Landsmannschaft Ostpreußen hat Hedwig von Lölhöffel die Erinnerungen einer Landfrau festgehalten:

„Bald nachdem das letzte Fuder eingefahren war, wurde das Erntefest gefeiert. Bei uns war es an einem Sonnabend im September. Am frühen Nachmittag versammelten sich vor dem Gutshaus alle Gutsleute von der ältesten Großmutter bis zum kleinsten Kind, sofern es schon stehen konnte. Nachdem wir einige Lieder gesungen hatten, wurde eine Festrede gehalten. Dann überreichte ein Mädchen die Erntekrone und sagte dazu den Spruch auf, der zumeist so begann: Wir bringen dem Bauern einen Kranz von Korn, er ist gewachsen unter Distel und Dorn … und mit dem Glück- und Segenswunsch endete.“ Oft waren es auch selbstverfasste Reime, wie die Schriftstellerin Toni Schawaller in ihrer Erinnerung an die Kornaust auf dem elterlichen Hof einen Spruch bewahrt hat: „Vär Hoagelschlag deed Gott dat Föld bewoahre, dat Kornke bund wie önnem Sonnebrand. De Kron wi flochte ut goldne Aohre, Herrgott, heel ömmer öwer uns de Hand.“ Eine andere Ostpreußin erinnert sich, dass die Erntekrone hoch auf dem letzten Wagen vom Feld zum Hof gefahren wurde. Die Mädchen hatten sich von allen Getreidearten „Wischer“ gesammelt und sie über große Bügel geflochten. Mit Schleifen, Strohblumen und blütenähnlichen Gebilden aus buntem Papier wurde die Ährenkrone geschmückt und dann auf eine Forke gestellt. Der Erntekranz wurde gewöhnlich im Flur, mitunter auch in der „Putzstube“ aufgehängt und verblieb dort das ganze Jahr. In einigen Gegenden war es statt einer Erntekrone die letzte Garbe, die in einem Winkel der Gesindestube mit den Ähren nach unten aufgehängt wurde. Die Körner aus diesem „Bobas“ wurden der ersten Aussaat beigemischt.

Das große Feiern begann dann am frühen Abend, alle Mannsleute „luerten all“ auf das dunkle Austbier, nachdem dieses Fest in manchen Gegenden auch benannt wurde. Zuvor aber gab es Kaffee mit Fladen oder Pirack und den großen Schmaus, bei dem sich die Tische unter den vollen Schüsseln bogen. Auf das Festmahl hatten sich besonders die Älteren gefreut – doch die Jugend dibberte schon, die wollte endlich tanzen. Und dann wurde gescherbelt, bis die Sohlen brannten, und manche Marjell schlich sich hinunter zum Fluss oder See, um sie zu kühlen. Falls die Abkühlung nicht schon vorher erfolgte, wenn ein Wasserguss aus dem Hinterhalt die Ahnungslose getroffen hatte. Dieser Brauch gehörte in Masuren seit uralten Zeiten zu dem „Plon“, wie das Erntefest nach der letzten, so genannten Garbe hieß. Heimlich waren Eimer und Bottiche mit Wasser gefüllt worden. Wenn die Feier begann und das Lied „Wir schneiden den Plon“ verklungen war, wurden die Feiernden mit Wasser begossen, dass sie nur so trieften. Niemand wurde verschont, jeder wurde „beschwaukst“ – aber das sollte ja Glück bringen und gehörte zum Plon, der nur eins nicht sein durfte: trocken. In jeder Beziehung! R.G.


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