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05.10.13 / Ein Koffer alter Fotos als Inspiration / Autorin zeichnet das Leben einer Belgierin nach, die der Zweite Weltkrieg nach Deutschland verschlug

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-13 vom 05. Oktober 2013

Ein Koffer alter Fotos als Inspiration
Autorin zeichnet das Leben einer Belgierin nach, die der Zweite Weltkrieg nach Deutschland verschlug

Alles fing mit alten Fotos an. Sie weckten die Neugier der Autorin Claudia Seifert, als sie bei ihrer Freundin, der Fotografin Renate Niebler, zu Besuch war. Diese hatte für das Altenheim, in dem ihre Mutter lebte, eine Collage mit alten Fotos erstellt. Darunter war eine Aufnahme aus den 1920er Jahren, die die 1956 in Dresden geborene Autorin Seifert magisch anzog. Es zeigte eine „kompakte Frau mit großem Hut und einem langen dunklen Mantel … Heiterkeit und Leichtigkeit gingen von diesem Bild aus.“ Weitere Fotos mit dieser Frau zeigten auch ein kleines Mädchen, die spätere Bewohnerin des Altenheims. 2003 war diese dort verstorben. Einer Krankenschwester widerstrebte es, die Fotos und Briefe der einsam Verstorbenen zu entsorgen, sie bewahrte sie auf und bot Niebler einige Aufnahmen für ihre Collage an. Von den Fotos angetan, fragte Seifert nun nach weiteren Fotos und erhielt einen Koffer voll Material, das sie veranlasste, sich auf Spurensuche zu begeben. Wer war Adriana van den Eynde? Wie kam die in Antwerpen geborene Belgierin nach Deutschland? War sie gar Geheimagentin für die Nationalsozialisten gewesen?

In „Die Frau aus Flandern. Eine Liebe im Dritten Reich“ hat Seifert die Ergebnisse ihrer Recherche zusammengetragen. Ihre Aufzeichnungen belegen, wie schwierig es ist, das Leben einer Person nachzuzeichnen. Immerhin hatte sie noch Briefe, denen einiges zu entnehmen war. Derartige Hilfen werden Nachgeborene kaum noch haben, wenn sie das Leben der Gegenwärtigen eines Tages recherchieren wollen. Doch auch die Briefe sind stets nur jene, die Freunde und Verwandte an Adriana schrieben. Adrianas Antworten und Berichte sind bei den zumeist längst verstorbenen Adressaten und somit deuten die Briefe nur an, was Adriana widerfahren ist, wenn die Empfänger von Adrianas Post darauf in ihren Schreiben eingehen. Auch gibt es nur noch wenig Überlebende, doch Seifert machte einige ausfindig. So Adrianas Freundin Renée, die viele der von der Autorin aufgestellten Vermutungen, häufig nur aufgrund von Fotos und in Kenntnis der historischen Umstände getätigt, bestätigt.

Seifert erzählt anhand von Adrianas Biografie aber auch viel über das Leben in Belgien zur Zeit des Ersten Weltkrieges, während der Zwischenkriegszeit und des Zweiten Weltkrieges. Sie stellt Adrianas Eltern Maria und Firmin vor, über deren Alltag sie nur Spekulationen anstellen kann. Die Berichte von Renée, die zusammen mit Adriana bei einer Antwerpener Niederlassung einer Flugzeugreparatur-Firma der Deutschen, die zu Daimler gehörte, gearbeitet hat, hauchen Seiferts Recherchen Leben ein. Zugleich flicht die Autorin viele allgemeine Informationen zu den belgischen Arbeitern für die Deutschen und somit ihre Feinde ein. Doch für die jungen Frauen zählte damals nur der Umstand, dass sie sich ihren Lebensunterhalt verdienen mussten. Politische Motive hatten sie keine, und obwohl Renées Vater als Zwangsarbeiter nach Deutschland geschickt worden war, gab es von Seiten der jungen Frauen keine Animositäten gegenüber ihrem Arbeitgeber. Adriana verguckte sich sogar in einen deutschen Kollegen, der sie auch begleitete, als das Werk wegen der nahenden Alliierten 1944 nach Niederschlesien verlegt wurde.

Der Untertitel des Buches „Eine Liebe im Dritten Reich“ ist aber zu schmalzig. Zwar liebte Adriana ihren deutschen Jupp, aber es handelt sich hier nicht um eine Liebesgeschichte, sondern um einen Bericht über das Leben während des Zweiten Weltkrieges aus Sicht zweier Belgierinnen. Während Renée zurück nach Belgien ging, blieb Adriana bei ihrem Jupp und entging so auch der Bestrafung, denn für viele Landsleute waren Frauen wie sie Kollaborateurinnen, denen die Haare geschoren und die beschimpft wurden.

Seifert hat mit „Die Frau aus Flandern“ ein „verschüttetes“ Leben ausgegraben, und jener 1913 geborenen Belgierin, die sonst in Vergessenheit geraten wäre, ein schriftliches Denkmal gesetzt, und zugleich ein Stück Zeitgeschichte mit Leben gefüllt. Rebecca Bellano

Claudia Seifert: „Die Frau aus Flandern. Eine Liebe im Dritten Reich“, dtv premium, München 2013, kartoniert, 253 Seiten, 19,90 Euro


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