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12.10.13 / Immer diese blinden Autofahrer / Keiner will aufs Auto verzichten, auch nicht die Ruheständler – selbst wenn die Sehkraft nachlässt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-13 vom 12. Oktober 2013

Immer diese blinden Autofahrer
Keiner will aufs Auto verzichten, auch nicht die Ruheständler – selbst wenn die Sehkraft nachlässt

Ältere Autofahrer fahren sicherer als jüngere, bauen aber trotzdem immer mehr Unfälle. Grund ist die alternde Gesellschaft: Immer mehr Senioren sitzen am Lenkrad und ignorieren ihre nachlassende Seh- und Hörkraft.

70 Jahre lang fuhr Georg Kaiser unfallfrei. Doch dann war es passiert. Als es schon dunkelte, fühlte er sich von einem entgegenkommenden Fahrzeug geblendet, lenkte sein Auto bei langsamer Fahrt in einer leichten Linkskurve einfach geradeaus, fuhr über Bordstein, Rad- und Gehweg und kam erst an einem Begrenzungsstein unsanft zum Stehen. Schreck, Verwunderung und Ärger wechselten sich nacheinander ab, als er aus dem Wagen stieg. Weder er noch eine andere Person kamen bei dem Unfall zu Schaden, nur sein auf dem Grenzstein „aufgebocktes“ Auto war leicht lädiert.

Als die Polizei kam und sich Kaisers Führerschein ansah, staunte die nicht schlecht: Jahrgang 1924 war darin zu lesen. „Mit 89 Jahren sollten Sie nicht mehr Auto fahren, sonst hätten Sie die Kurve wohl nicht übersehen“, warf ihm der Polizist vor. „Junger Mann“, polterte Kaiser zurück, „ich kann mindestens so gut sehen wie Sie. Nur hören kann ich nicht so gut.“

Tatsächlich trug Kaiser ein Hörgerät, doch darauf kam es diesmal nicht an. Weshalb er die Kurve übersehen konnte, blieb ihm zunächst ein Rätsel. Auf Ratschlag seiner Verwandten suchte der Witwer einige Tage später einen Augenarzt auf, der schließlich eine altersbedingte Linsentrübung diagnostizierte. Kaiser war zwar weitsichtig und trug eine Brille, dass sich darüber hinaus seine Sehkraft schleichend verschlechtert und sich das Gesichtsfeld Stück für Stück eingeschränkt hatte, war ihm über die Jahre aber nicht bewusst geworden.

Damit geht es ihm wie den meisten Menschen, deren Sehfähigkeit mit zunehmendem Alter abnimmt. Schon im Alter zwischen 40 und 50 Jahren verändert sich die Sehkraft, was von den meisten Betroffenen gar nicht wahrgenommen wird. Erschreckend dabei ist, dass nach einer aktuellen Studie des Meinungsforschungsinstituts Allensbach die Beteiligung an Sehtests ausgerechnet in dieser Altersgruppe rückläufig ist.

Für Autofahrer gibt es kein Gesetz, das vorschreibt, wie oft man seine Augen testen lassen muss. Die Fahrerlaubnisverordnung legt jedoch fest, dass jeder Fahrzeugführer sicherstellen muss, fahrtüchtig zu sein. Das umfasst eine Mindestsehschärfe von 70 Prozent. Wer das Gefühl hat, schlecht zu sehen und ohne Korrektion durch eine Brille an einem Unfall beteiligt ist, den trifft in jedem Fall mindestens eine Mitschuld. Der Berufsverband der Augenärzte schätzt, dass jährlich 300000 Unfälle aufgrund mangelnder Sehleistung passieren. Dabei werden weniger als elf Prozent aller Unfälle in Deutschland durch Senioren verursacht. Außerdem fahren ältere Verkehrsteilnehmer in kritischen Situationen sicherer als jüngere. Doch verminderte Seh-, Hör, und Reaktionsleistung führen schon jetzt dazu, dass bei den über 70-jährigen die Quote der Unfallverursacher höher liegt als bei den jüngeren Altersgruppen.

Ein weiterer Grund für den Anstieg in der Unfallstatistik findet sich in der alternden Gesellschaft. Rund ein Fünftel der Bevölkerung ist über 65 Jahre alt. Bereits im Jahr 2050 werden es über 30 Prozent sein. Da dann die Babyboomer in den Ruhestand gegangen sind, werden sich immer mehr ältere Autofahrer durch den Straßenverkehr kämpfen. Laut Kraftfahrt-Bundesamt sind schon heute von den zirka 50 Millionen deutschen Führerscheinbesitzern über zehn Millionen über 65 Jahre alt. Wenn man dann in dem Alter wie Georg Kaiser einen Unfall baut, kommt man gleich ins Gerede: In dem Alter solle man nicht mehr Auto fahren.

Aufsehen erregte ein Fall am Hamburger Hauptbahnhof vor zwei Jahren, als ein 75-jähriger Rentner beim Ausparken vom Brems- aufs Gaspedal ausrutschte und in eine Menschengruppe fuhr, wobei ein vier Jahre altes Kind ums Leben kam. Sofort kam die Dis­kussion auf um regelmäßige Fahreignungstests ab einem bestimmten Alter. Politiker halten es nicht für durchsetzbar, weil es für Senioren diskriminierend sei. Entweder machen alle einen Wiederholungs­test oder keiner.

Außerdem ist die Sicherheit im Straßenverkehr keine Frage des Alters, da ältere Autofahrer nachlassendes Hör- und Sehvermögen durch Erfahrung und größeres Verantwortungsbewusstsein ausgleichen. Weil bei Senioren allerdings die Sehkraft schneller nachlässt als bei jüngeren Menschen, rät das „Kuratorium Gutes Sehen“, dass sich ältere Kraftfahrer regelmäßig einem Sehtest unterziehen. Dabei wird auf die Fahrerlaubnisordnung verwiesen, ­nach der jeder, der ein Fahrzeug führt, auch einwandfrei sehen und hören muss. Wer weiß, dass er schlecht sieht – oder hört –, ist gesetzlich verpflichtet, für Abhilfe zu sorgen. Wer dann ohne Seh-oder Hörhilfen fährt, den trifft bei einem Unfall zumindest eine Mitschuld mit allen ihren juristischen Folgen. Im Internet kann man unter www.seh-check.de einen Schnelltest auf eine mögliche Fehlsichtigkeit machen.

Georg Kaiser kam nach seinem Unfall glimpflich davon. Er durfte seinen Führerschein behalten und ist entschlossen, weiter Auto zu fahren. Damit er in der Dunkelheit nicht mehr von entgegenkommenden Fahrzeugen geblendet wird, hat ihm der Augenarzt eine spezielle Brille fürs Autofahren bei Nacht verschrieben. Die ist zwar teuer, weil sie auch seine Weitsichtigkeit ausgleicht, aber die eigene Sicherheit und die der anderen Verkehrsteilnehmer ist es ihm wert. Kaiser ist sich sicher: „Ich fahre Auto, solange ich kann.“ Sein Vorbild ist der Neuseeländer Bob Edwards. Er gilt mit seinen 105 Jahren als ältester Autofahrer der Welt. Harald Tews


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