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12.10.13 / Zerstörte Jugend / Kinder von Stasi-Spionen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-13 vom 12. Oktober 2013

Zerstörte Jugend
Kinder von Stasi-Spionen

Bücher über die DDR-Staatssicherheit (Stasi) waren auch vor der Wende keine Rarität, aber so beeindruckend wie Ruth Hoffmann hat noch niemand diese Thematik behandelt. Das Buch ist ein Meisterwerk, basierend auf der eindringlichen „Dramaturgie“ des permanenten Wechsels von Lebensbeschreibungen, verfasst aus der „Froschperspektive“ von Stasi-Kindern, und informierenden „Exkursen“ zum Wesen und Wirken der Stasi. Das Buch vertritt die These, die Stasi sei kein Staat im Staate gewesen. Vielmehr sei die DDR eine Kreation der Stasi gewesen, die alle zehn Jahre ihren Personalbestand verdoppelte auf 1989 91015 hauptamtliche und 173000 „inoffizielle“ Mitarbeiter. Ein Stasi-Häscher kam auf jeweils 180 DDR-Bürger, und eine solche Spitzeldichte schaffte nicht einmal der sowjetische KGB (1:595). Obwohl die DDR 1989 faktisch pleite war, musste sie dennoch 4195 Milliarden Mark für die Stasi aufbringen. Die bezahlte damit hohe Gehälter, beste Wohnungen, eigene Krankenhäuser, Läden, Ferienheime und weitere Privilegien.

So lebte das „Schwert und Schild der Partei“, wie sich die Stasi selber sah. Stasi-Leute waren primitiv und brutal, wie es ihr Chef Erich Mielke verlangte: Ob ein „Genosse“ seinen Namen schreiben könne, sei nicht wichtig – „wenn er weiß, wer die Feinde sind, ist er auf dem richtigen Weg“. „Feinde“ lauerten sogar in der eigenen Familie, und immer wieder berichten Stasi-Kinder von sadistischen Strafen von den Stasi-Vätern. „Im Nachhinein staune ich, dass ich mich damals nicht aufgehängt habe“, erinnert sich einer der 20 Interviewpartner von Ruth Hoffmann, von denen fünf bis heute angstvoll ihren Namen verschweigen. Wie mögen die Schläger mit ihren Opfern im Stasigefängnis Hohenschönhausen verfahren sein, wo es 120 schalldichte „Verhörzimmer“ gab?

Vera Lengsfeld, nach der Wende Abgeordnete im Bundestag, davor Tochter eines Stasi-Majors, erinnert sich daran, dass ihr Vater sie bewusstlos prügelte, weil sie mit einem jungen Jugoslawen flirtete, denn „Jugoslawien (sei) kapitalistisches Ausland“.

Angst hatten die Stasi-Leute voreinander, vor allem nach dem 18. Januar 1979, als Stasi-Offizier Werner Stiller unter Mitnahme brisanter Geheimdokumente in den Westen floh. Das bewirkte eine Stasi-„Rückrufaktion“ gefährdeter Spione. Die interessantesten Passagen des Buchs behandeln einen „Generationskonflikt“ der besonderen Art: Die im Westen aufgewachsenen Kinder der „Kundschafter für den Frieden“ ahnten nichts von der Spionagetätigkeit ihrer Eltern, waren in der DDR unglücklich und wollten zurück. Ein Lehrbuchbeispiel war Günter Guillaume, Spion an der Seite Willy Brandts, entlarvt und inhaftiert, 1981 triumphal in die DDR zurückgekehrt, dort als „verbrannt“ aufs

„Altenteil“ abgeschoben. Ho-neckers „außenpolitischer Berater“ wollte er werden, aber „die Genossen“ mieden ihn, so wie sein Sohn Pierre, der unter anderem Namen in den Westen zurückging.

Das Buch endet mit dem Kapitel „Leben“, nämlich dem Leben der Stasi-Eltern, die nichts begriffen hätten und sich seit 1990 als Opfer von „Hexenjagd“ und „Siegerjustiz“ sähen, dabei auf Juden und Türken schimpften, wie sie früher auf Solidarnosc und Gorbatschow geschimpft hätten, und von Stasi-Kindern, die sich mit psychischen Spätfolgen ihrer Kindheit herumplagten.

Warum hat das wiedervereinigte Deutschland die Stasi nicht als verbrecherische Organisation gebrandmarkt? Vielleicht weil ihm Zeugnisse wie in diesem Buch fehlten? Wolf Oschlies

Ruth Hoffmann: „Stasi-Kinder. Aufwachsen im Überwachungs-staat“, List, Berlin 2013, broschiert, 336 Seiten, 9,99 Euro


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