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12.10.13 / Zeit statt Fremdförderung / Bildungsexperte Josef Kraus bittet Eltern um mehr Gelassenheit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-13 vom 12. Oktober 2013

Zeit statt Fremdförderung
Bildungsexperte Josef Kraus bittet Eltern um mehr Gelassenheit

Der Titel „Helikopter Eltern. Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung“ lässt eine Anklageschrift vermuten, doch der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, macht gleich zu Beginn seiner Ausführungen deutlich, dass dies nicht der Fall sei. „Das Anliegen meines Buches ist es somit, den Eltern zu helfen, über ihr Oszillieren zwischen erzieherischer Allmachtsvision und Ohnmachtspanik, zwischen Dressur und Verwöhnung, zwischen natürlicher Schutzhaltung und Überbehütung, zwischen liebevoller Zuwendung und Gängelung einmal nachzudenken und sie zu mehr Bodenständigkeit, Spontanität und Intuition in der Erziehung zu verführen.“ Er will also, dass Eltern durch Ratgeber aller Art in ihrer wichtigen und großen Aufgabe nicht noch mehr enteignet werden, damit ihnen am Ende immer eines bleibt: mehr Zeit für ihre Kinder.

Und die Rezensentin kann dem Autor nur voll und ganz zustimmen. Zur Geburt ihrer Tochter mit einem Abonnement der Zeitschrift „Leben & erziehen“ beschenkt, sorgten die vielen dort gegebenen Tipps eher für Verwirrung, da vieles ihrem Bauchgefühl widersprach. Auch erhielt sie so manchen mitleidigen Blick, weil sie sich und das Baby nicht schon während der Schwangerschaft für einen Kurs des Prager Eltern-Kind-Programms (PEKiP) oder Denken Entwickeln Lieben Fühlen Individuell (DELFI) angemeldet hatte und nun schon alle Lehrgänge belegt waren. Vor allem nach derartigen Erfahrungen ist die Lektüre des Buches von Josef Kraus eine Wohltat, da es deutlich macht, dass Kinder auch ohne Besuch derartiger Kurse im Säuglingsalter und ohne Befolgen der unzähligen auf dem Buchmarkt erhältlichen Erziehungsratgeber etwas werden können.

Kraus, Leiter eines bayerischen Gymnasiums, kann aus seiner Berufspraxis zahlreiche Beispiele von Eltern anführen, die mit ihrem Förderwahn am Ende die Kindheit ihres Nachwuchses bedroht haben. Zugleich würden die lieben Kleinen aber auch verwöhnt werden, da man ihnen keine alltäglichen Pflichten zumute. Von dieser Entwicklung aufgeschreckt, betont Kraus, dass es für den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat nicht gut sei, wenn in ihm eines Tages nur noch gedrillte, verwöhnte, verschonte und überbehütete Menschen lebten.

Der Autor merkt an, dass Frühförderung oft überfordere und zudem keine langfristige Wirkung haben muss. So würden Kinder, die bereits im Kindergarten Englisch lernten, den Vorsprung in der Schule später schnell verlieren. Auch ärgert es ihn, dass manche Eltern der Meinung seien, es tue ihrem Kind gut, wenn sie so viel wie möglich von der Erziehung auslagern würden und sie selbst am Ende nur noch als Fahrdienst zwischen den verschiedenen Fremdanbietern agierten. Kraus erwähnt eine Forsa-Umfrage, nach der heutzutage nur noch jeder zweite Grundschüler sich ohne Elternteil auf den Schulweg machen würde, 1970 seien es noch 91 Prozent gewesen. Dabei sei der eigenständige Schulweg gesundheitlich und sozial so wichtig, denn die Kinder bewegten sich und pflegten soziale Kontakte. Diese Vorteile stünden in keinem Verhältnis zu der wirklich erfolgten Zahl von Verkehrsunfällen und Kindesentführungen, die so viele Eltern dazu veranlassten, ihre Lieblinge zur Schule zu fahren beziehungsweise zu begleiten.

Auch bedauert Kraus, dass immer mehr Eltern ihre Kinder nicht mehr den Verzicht lehrten. Dem Konsum im Überfluss stünden hingegen kaum Pflichten gegenüber. So würden laut einer Studie der Deutschen Gesellschaft für Ernährung nur 27 der Jungen zwischen zwölf und 15 Jahren und 39 Prozent der gleichaltrigen Mädchen im Haushalt helfen müssen. Dafür steige der Medienkonsum des Nachwuchses.

Kraus erlebt immer häufiger, wie Eltern ihre eigenen, unerfüllten Wünsche, ihre Ängste, aber auch ihren Ehrgeiz auf ihr oft einziges Kind projizierten. „Wir sind beim letzten Turnturnier Regionalmeister geworden“, heißt es da schon einmal und so würde das „Trophäenkind“ schnell zum Statussymbol. Und warum dem Kind nicht auch einmal Langeweile statt eines ausgefeilten Freizeitprogramms anbieten, denn, so Kraus, „alles Neue braucht seine Zeit, damit es aus der Flüchtigkeit der Wahrnehmung in die Dauerhaftigkeit des Gedächtnisses hinübergelangt“.

Ja, Josef Kraus ist ein Mann der alten Schule, doch die von ihm genannten Klassiker haben sich bewährt, anders als hingegen so manche Bildungstheorie der letzten Jahrzehnte. Und warum nicht auf Bewährtes wie Lesen, Erzählen und Zuhören zurückgreifen, wie Kraus empfiehlt, wo doch ganze Generationen in Deutschland so erfolgreich groß geworden sind? Rebecca Bellano

Josef Kraus: „Helikopter Eltern. Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung“, rowohlt, Reinbek 2013, geb., 216 Seiten, 18,95 Euro


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