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19.10.13 / Details, wie aus einem schlechten Krimi / Aus Rampenlicht verschwunden – NSU-Prozess bietet toten Zeugen, geschredderte Akten und viele V-Männer

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-13 vom 19. Oktober 2013

Details, wie aus einem schlechten Krimi
Aus Rampenlicht verschwunden – NSU-Prozess bietet toten Zeugen, geschredderte Akten und viele V-Männer

Während der Auftakt des NSU-Prozesses noch von großem Medienrummel begleitet war, hat mittlerweile das Interesse nachgelassen. Zu Unrecht, denn es kommen immer mehr Details ans Licht, die Zweifel an der bisherigen Theorie zur Terrorzelle NSU wecken.

Es sind Zutaten, wie man sie wohl eher in einem etwas phantasielosen Krimi erwarten würde. Nur wenige Stunden vor einer geplanten Vernehmung durch die Polizei stirbt ein Zeuge in einem brennenden Auto. So geschehen am 16. September nahe dem Cannstatter Wasen in Stuttgart. Ein 21-jähriger Mann aus dem Landkreis Heilbronn war in seinem Auto nur wenige Stunden, bevor er vom Staatsschutz befragt werden konnte, verbrannt. Dass sich um den Tod mittlerweile Verschwörungstheorien ranken, hat gute Gründe. Denn während die Polizei den Todesfall offiziell als Selbstmord aus Liebeskummer einstuft, berichten Zeugen von einer Explosion, kurz nachdem der Mann in sein Auto eingestiegen war.

Angeheizt werden die Zweifel an einer Selbsttötung noch durch eine andere Tatsache. So soll der Jugendliche Kenntnisse über eine bisher unbekannte Terrorgruppe gehabt haben, die neben der NSU existiert haben soll. Auch war er Zeuge im Verfahren zur Aufklärung des Heilbronner Polizistenmordes. Zwar wird die Tat vom April 2007 offiziell dem NSU zugerechnet, tatsächlich sind die Indizien in diesem Fall aber schwach. Nach dem Tod der NSU-Mitglieder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos soll nach offizieller Darstellung in deren ausgebranntem Wohnmobil die Dienstwaffe der getöteten Polizistin Michèle Kiesewetter gefunden worden sein. Als weiterer Beweis gilt eine DNA-Spur auf einem gefundenen Kleidungsstück. Das Problem dabei ist, dass der Polizist, der den Heilbronner Mordanschlag überlebte, ein Phantombild des mutmaßlichen Täters geliefert hat, das nicht zur NSU-Spur passt. Das erstellte Phantombild zeigt einen dunkelhaarigen Mann ohne Ähnlichkeit mit Böhnhardt und Mundlos. Mysteriös ist ebenso die Meldung, dass US-Geheimdienstler zur Tatzeit vor Ort waren, die laut „Stern“ mit der Observierung eines Drogengeschäftes befasst gewesen sein sollen.

Nicht nur solche Details sind dazu geeignet, so manche vermeintliche Gewissheit über die Terrorgruppe NSU in Zweifel zu ziehen. Nach Recherchen der „Berliner Zeitung“ ist der geistige Architekt des NSU als V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz enttarnt worden. Der inzwischen unter geändertem Namen im Ausland lebende Michael S. soll unter dem Decknamen „Tarif“ zwischen 1995 und 2001 mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) kooperiert haben. Während dieser Zeit hat der V-Mann ein Konzeptpapier für den terroristischen Untergrundkampf publiziert, das Ermittler als Blaupause für die NSU eingestuft haben. Unmittelbar nachdem die Bundesanwaltschaft am 10. November 2011 die NSU-Ermittlungen übernommen hatte, waren in dem zuständigen BfV-Referat die Akten von „Tarif“ und weiteren sechs V-Leuten aus der Neonaziszene geschreddert worden.

Noch schwerwiegendere Vorwürfe sind inzwischen im Zuge des Erfurter NSU-Untersuchungsausschuss laut geworden. Dort ist der Polizist Sven Wunderlich, der Anfang 1998 als Zielfahnder mit der Suche nach dem untergetauchten NSU-Trio befasst war, im Rückblick zu einer erstaunlichen Einschätzung gekommen. So sei die Fahndung vom Thüringer Verfassungsschutz systematisch hintertrieben worden. „Aus meiner Sicht kann es dafür nur zwei Motive gegeben haben“, so der Polizeibeamte im Rückblick. „Entweder sollten wir die Drei damals nicht finden, vielleicht weil einer von ihnen bereits Verbindungen zum LfV unterhielt. Oder der Verfassungsschutz wollte das Trio vor uns finden, um mit denen bestimmte Dinge ohne Polizei und Justiz zu klären.“

Dass die Rolle der verschiedenen Verfassungsschutzämter beim gesamten NSU-Komplex noch lange nicht hinreichend aufgeklärt ist, macht auch der Münchner NSU-Prozess selbst deutlich. Dort stand im Zeugenstand der ehemalige hessische Verfassungsschutzmitarbeiter Andreas Temme. „Klein Adolf“, so der vielsagende Spitzname, war zum mutmaßlichen NSU-Mord am 6. April 2006 in einem Kasseler Internetcafé befragt worden. Zwar war er zur Tatzeit „rein privat“ und „zufällig“ in dem Internetcafé anwesend, dass nur wenige Meter entfernt von ihm ein Mann mit zwei Schüssen getötet wurde, will der Sportschütze Temme aber nicht wahrgenommen haben.

Obskur ist allerdings nicht nur das Verhalten in diesem Fall: Medienberichten zufolge soll sich Temme insgesamt bei sechs der neun sogenannten „Döner-Morde“ am Tatort oder in Tatortnähe aufgehalten haben. Norman Hanert


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