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19.10.13 / Nationalen Alleingängen ein Ende setzen / Europas große Energiekonzerne fordern Abschaffung des gesetzlichen Flickenteppichs auf dem Strommarkt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-13 vom 19. Oktober 2013

Nationalen Alleingängen ein Ende setzen
Europas große Energiekonzerne fordern Abschaffung des gesetzlichen Flickenteppichs auf dem Strommarkt

Bereits kurz nach seinem Amtsantritt in Brüssel im Februar 2010 forderte EU-Energiekommissar Günther Oettinger, dass die EU-Mitgliedsstaaten ihre Förderung der Erneuerbaren Energien aufeinander abstimmen, doch bei den nationalen Regierungschefs fand er kein Gehör. Nun schließen sich gleich zehn große europäische Energiekonzerne seiner Forderung an und warnen vor den Folgen fehlender Koordination.

Die Bilanz von Oettinger als EU-Energiekommissar bietet zweierlei Erkenntnisse. Erstens belegt sie erneut, dass Berlin vor allem Politiker nach Brüssel schickt, von denen man sich hierzulande nicht mehr viel verspricht, die man aber auch nicht ohne Posten lassen kann. Und zweitens ist sie ein Beweis dafür, dass die nationalen Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten keineswegs bereits alle wichtigen Aufgaben nach Brüssel delegiert haben. In diesem Fall wäre eine Abstimmung jedoch sinnvoll, wie die zehn größten europäischen Stromkonzerne bei einer gemeinsamen Pressekonferenz am 10. Oktober in Brüssel deutlich machten.

Ihre Forderungen sind insofern beachtenswert, als dass es sich hier um Unternehmen handelt, die eigentlich zueinander in Konkurrenz stehen und zum Teil auch unterschiedliche Interessen haben, die sich gegenseitig widersprechen. Trotzdem sprachen sie in diesen Tagen mit einer Stimme. Die Chefs von Eon, RWE, Enel, Eni, Gas-Naturel, GDF Suez, Gasterra, CEZ, Iberdrola und Vattenfall stehen zusammen für die Hälfte der Kraftwerkskapazitäten in der EU, für über 200 Millionen Kunden und trotz der Massenentlassungen der letzten Jahre noch für über 600000 Mitarbeiter. Die Unternehmen aus Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Tschechien, Schweden und den Niederlanden eint der Umstand, dass Strom über die nationalen Grenzen hinweg gehandelt und transportiert wird, die jeweiligen Gesetze zur Förderung, Produktion, Preisfindung und dem gewünschten Energiemix hingegen national sind. Vor allem die staatlichen und von Land zu Land unterschiedlichen Subventionen durch gesetzlich garantierte Preise der Erneuerbaren Energien ärgern die großen Konzerne, deren Gewinnmargen schneller schmelzen, als sie gegenansparen können.

„Die alten Energiekonzerne verteidigen ihre alten Positionen, sind aber nicht mehr zukunftsfähig“, heißt es hämisch aus der Solarbranche, die jedoch genügend eigene Probleme hat und das, obwohl sie vom Stromkunden über eben jene garantierten Preise seit gut einem Jahrzehnt gefördert wird. Und auch wenn man berück-sichtigt, dass die großen Stromkonzerne in der Vergangenheit genügend eigene Fehler gemacht haben, für die sie das ihnen entgegengebrachte Misstrauen verdienen, so greifen sie doch einen von der Politik verursachten Missstand auf, den vor allem die privaten Stromkunden zu finanzieren haben.

„Die Gefahr von Blackouts in Europa war nie höher als derzeit“, warnt der Sprecher der Stromallianz, GDF-Suez-Chef Gérard Mestrallet. Jetzt, wenn die Herbstwinde wehen, produzieren die in den letzten Jahren reichlich aufgestellten Windräder mehr Strom, als die Netze aufnehmen können. Abgesehen davon, dass dieser Strom bezahlt werden muss, egal ob er beim Endverbraucher an­kommt oder nicht, verteilt er sich beispielsweise von Norddeutschland über Polen nach Südeuropa. Damit es nicht zu Über- oder Unterspannung im Netz kommt, müssen andere Anbieter jederzeit ihre konventionellen Kraftwerke so regulieren, dass es nicht zum Stromausfall kommt. Bisher ist dies zwar weitgehend gelungen, allerdings sind in diesem Jahr viele weitere neue Windräder dazugekommen, zugleich aber konventionelle Kraftwerke vom Netz gegangen, da ihr nur für den Ernstfall benötigter Betrieb sich nicht mehr als rentabel erwies. Und die Stromkonzerne drohen damit, künftig vor allem Gaskraftwerke auszumustern, obwohl diese als vergleichsweise flexibel und umweltfreundlich gelten, sollte man ihnen diese Notreservehaltung nicht vergüten. Laut der in Paris ansässigen Unternehmensberatung Capgemini arbeiteten derzeit 60 Prozent aller auf Gas basierenden Kraftwerkskapazitäten unrentabel, so dass die Drohung der Stromkonzerne keinen simplen Erpressungsversuchen entspringt, sondern vor allem der wirtschaftlichen Notwendigkeit.

Abgesehen von dem Druck, dem die Netzbetreiber ausgesetzt sind, trotz der Launen des Herbstwetters Stromnetze stabil zu halten, sorgt zu viel Wind für steigende Preise beim Stromkunden durch die hierfür garantierten Preise. Zugleich fällt aber an der europäischen Strombörse der Preis für konventionell erzeugten Strom, da das hohe Angebot kleiner ist als die Nachfrage, was an dem zeitweisen Überangebot durch Erneuerbare Energien, aber auch an der Rezession in Europa liegt. Und so stehen die großen europäischen Stromkonzerne, die überwiegend konventionelle Kraftwerke betreiben, gleich doppelt schlecht da: Sie verdienen weniger Geld, werden aber zugleich von ihren Stromkunden für die steigenden Preise verantwortlich gemacht, da sie die Rechnung stellen. Nicht jeder schaut genau auf diese und sieht so, dass nur noch knapp 30 Prozent an den Erzeuger gehen, der Rest sind staatliche Abgaben, Steuern und Subvention für Erneuerbare Energien. Und so wünscht Stromallianz-Sprecher Mestrallet auch, dass die Regierungen Energie künftig nicht mehr als „Finanzierungsquelle für andere Politiken“ ansehen sollten.

„Wir sind fast überall auf einer Linie“, heißt es aus dem Hause von EU-Energiekommissars Oettinger bezüglich der Forderungen der zehn großen Stromkonzerne. Und in diesem Fall sind die Lobbisten sogar auf einer Linie mit den Interessen der Bürger in ihrer Eigenschaft als Verbraucher, denn stabile Preise und Netze sind auch in ihrem Sinne. Rebecca Bellano


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