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26.10.13 / »Neuer Saddam« von US-Gnaden / Irakischer Premier reißt die Macht immer mehr an sich – Zahlreiche Fehleinschätzungen durch Washington

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-13 vom 26. Oktober 2013

»Neuer Saddam« von US-Gnaden
Irakischer Premier reißt die Macht immer mehr an sich – Zahlreiche Fehleinschätzungen durch Washington

Bereits am 1. Mai 2003, nach nur sechs Wochen Krieg, verkündete der damalige US-Präsident George W. Bush, dass die Kampfhandlungen im Irak beendet seien. Tatsächlich ist der Irak aber auf dem besten Wege, ein sogenannter „failed state“, ein gescheiterter Staat zu werden.

Zehn Jahre nach Einmarsch der US-Truppen in den Irak bejubelte der ehemalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld im März dieses Jahres die Invasion als Befreiung von 25 Millionen Irakern. Die Realität der „Befreiung“ sieht für viele Iraker indes anders aus. Zum einen hat das Land einen extrem hohen Blutzoll als Folge der US-Invasion entrichtet. Eine Studie, die nun vorgelegt wurde, kommt für den Zeitraum von 2003 bis 2011 zu dem Schluss, dass der Krieg etwa eine halbe Million Iraker das Leben gekostet hat. Zweidrittel der Opfer können demnach auf direkte Gewalteinwirkung wie Schüsse und Bombenangriffe zurückgeführt werden. Etwa ein Drittel der Opfer ist dagegen an indirekten Folgen gestorben, etwa bedingt durch den Zusammenbruch des Gesundheitswesens oder mangelnde Ernährung.

Tatsächlich ist zu befürchten, dass die Zahl der indirekten Opfer des Krieges sogar noch weiter steigen wird. Von der „Koalition der Willigen“ sind in den wenigen Wochen des eigentlichen Irakkrieges mehrere hundert Tonnen uranhaltiger Munition verschossen worden. Inzwischen werden die Langzeitwirkungen der panzerbrechenden Geschosse aus angereichertem Uran immer mehr sichtbar. So hat im Irak die Zahl der Missbildungen bei Neugeborenen stark zugenommen, ebenso die Zahlen von Blut- und Knochenkrebs und Gehirntumoren. US-Amerikaner und Briten, die damals Munition aus „depleted uranium“ eingesetzt haben, leugnen zwar jeden Zusammenhang zwischen erhöhter Strahlung und der Zunahme von Krebs, doch das drastisch gehäufte Auftreten entsprechender Krankheitsfälle spricht für sich.

Aber nicht nur unter humanitären Gesichtspunkten kann der zweite Irakkrieg als kompletter Fehlschlag gelten. Drei Jahre nachdem im Dezember 2011 offiziell die letzten US-Kampftruppen abgezogen sind, steht das Land die Region des Bürgerkrieges. Politisch und religiös motivierte Anschläge haben seit Jahresbeginn im Irak mehr als 5600 zivile Tote gefordert – so viele wie seit 2007 nicht mehr. Nicht einmal ausgeschlossen werden kann inzwischen ein Zerfall des Landes in mehrere Teile. Faktisch ist das Land schon jetzt dreigeteilt und zwar in die halbautonome Kurdenregion im Norden, die Schiitenprovinzen im Südosten, dazwischen die Bevölkerungsminderheit der Sunniten.

Sollte jemals ernsthaft die Absicht bestanden haben, im Irak ein demokratisches System einzuführen, so kann dies als gescheitert gelten. Zehn Jahre nach dem Sturz des Diktators Saddam Hussein entwickelt Iraks amtierender Ministerpräsident Nuri al-Maliki immer mehr Züge eines Autokraten. Dass der Schiit Maliki inzwischen sogar schon als neuer „Saddam“ bezeichnet wird, hat gute Gründe. Iraks Sunniten sehen sich durch die Bevölkerungsmehrheit der Schiiten immer mehr unterdrückt und als Bürger zweiter Klasse.

Längst obsolet ist die anfängliche Machtbalance zwischen Kurden, Sunniten und Schiiten. Ministerpräsident Maliki und seine Gefolgsleute besetzen inzwischen wichtige Ämter und Ministerien. Eine Kontrolle durch den kurdischstämmigen Präsidenten Dschalal Talabani gibt es seit Monaten nicht mehr, da dieser wegen eines Schlaganfalls außer Gefecht gesetzt ist. Am Anfang dieser Entwicklung stand wiederum eine Fehlentscheidung der US-Besatzer. Da die Strategen im Pentagon Sunniten pauschal als Saddam-Anhänger und Sympathisanten Al-Kaidas einstuften, wurden beim Neuaufbau des Sicherheitsapparats auf Schiiten zurückgegriffen. Eine Ausgangslage, die Iraks neuer starker Mann Maliki für seine Zwecke genutzt hat. Es ist vor allem der Aufstieg Malikis zu Iraks neuem „Saddam“, der die Irak-Intervention der USA endgültig geopolitische Desaster verwandelt hat. Zumindest, wenn in Wa-shington nicht von vornherein eine Balkanisierung des Nahen Ostens insgeheim das strategische Ziel war. Als Folge des Afghanistankrieges als auch der Irak-Invasion haben die USA ausgerechnet zwei wichtige Gegner des schiitischen Iran beiseite geräumt: das Regime Husseins im Irak und die Taliban in Afghanistan. Der Konflikt um den iranischen Verbündeten Syrien ist aus Sicht der USA auch der Versuch, diesen geopolitischen Fehlschlag wieder auszubügeln.

Welch wichtige Rolle der Irak beim Machtkampf um Syrien spielt, machen Berichte über iranische Waffenlieferungen deutlich. Mit Duldung Bagdads sollen Lieferungen der iranischen Revolutionsgarden über irakisches Gebiet an die syrischen Regierungstruppen gehen, so die Meldung eines westlichen Geheimdienstes. Die Kämpfe in Syrien zeigen allerdings auch immer mehr Rückwirkungen auf die Sunniten im Irak: Die Rebellion in Syrien wird von der dortigen sunnitischen Bevölkerungsmehrheit getragen, als Folge ist auch bei den Sunniten im Irak die Hoffnung geweckt worden, die seit Saddams Sturz erlittene Niederlage gegen die Schiiten wieder revidieren zu können. Norman Hanert


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