19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
26.10.13 / Der Panikmacher / Massenhysterie durch ein Hörspiel: Der Regisseur Orson Welles nutzte vor 75 Jahren die manipulative Macht der Medien

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-13 vom 26. Oktober 2013

Der Panikmacher
Massenhysterie durch ein Hörspiel: Der Regisseur Orson Welles nutzte vor 75 Jahren die manipulative Macht der Medien

Im Jahr 1938 schrieb ein Hörspiel Radiogeschichte. Die Reportage über eine angebliche Landung Außerirdischer löste in den USA eine Massenpanik aus.

Der Abend des 30. Oktober 1938 begann für viele US-Bürger ganz normal. Nach dem Abendessen versammelten sich die Familien vor dem Radio, das damals eine Blütezeit erlebte. Der Sender NBC übertrug eine populäre Show und beim Konkurrenten CBS lief ein Wetterbericht. Doch mitten in die harmlose Vorhersage des Ostküstenwetters mischte sich eine hysterische Stimme:

„Sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbrechen unser Programm für eine aktuelle Durchsage vom Mount Jennings Observatorium in Chicago. Professor Ferrel hat dort um 20 Minuten vor acht Uhr abends mehrere Explosionen beobachtet, glühendes Gas, das in regelmäßigen Abständen auf dem Planeten Mars explodiert. Es scheint sich um Wasserstoff zu handeln, der sich mit enormer Geschwindigkeit in Richtung Erde bewegt.“

Mit Musik von Ramón Racchellos Tanzorchester wurde das Programm fortgesetzt, nur um kurze Zeit später wieder unterbrochen zu werden:

„Jetzt eine Nachricht aus der Nähe, aus Clinton, New Jersey. Es wird berichtet, dass um 20 Uhr 50 ein riesiges flammendes Objekt, vermutlich ein Meteorit, auf eine Farm in der Nähe von Grovers Mill, New Jersey, 22 Meilen von Clinton entfernt, abgestürzt ist. Der Blitz am Himmel war in einem Radius von mehreren hundert Meilen sichtbar, der Einschlag war hörbar bis nach Elisabeth im Norden.“

Jetzt wurden die Hörer nervös. man stellte das Radio lauter, wartete gespannt auf weitere Meldungen, rief Freunde und Nachbarn an, unbedingt und ganz schnell CBS einzuschalten. Eine Invasion vom Mars stünde bevor.

In immer kürzeren Abständen trafen neue CBS-Meldungen ein. Reporter wurden zu den Einschlagstellen unter anderem in New Yorks Central Park geschickt und berichteten angeblich „live“ wie sich aus dem vermeintlichen Meteor ein Metallzylinder mit unheimlichen Tentakeln erhebt. Mit überschlagener Stimme schreit der Reporter ins Mikrofon: „Mein Gott, da windet sich irgendetwas wie eine graue Schlange aus dem Schatten.“ Der Außerirdische setzt mit tödlichen Feuerstrahlen alles in Flammen. Die Reportage vor Ort bricht mitten im Satz ab.

Stille. Sekundenlang ist nichts zu hören, bis sich der Moderator aus dem Studio meldet und weitere Schreckensnachrichten verbreitet. Überall an der Ostküste seien Raumschiffe gesichtet worden, die nur eines zum Ziel hätten: alles Leben auf der Erde zu vernichten. Polizei und Armee seien gegen die Feuerstrahlen der Marsianer machtlos. Zehntausende Soldaten und Zivilisten hätten bereits ihr Leben verloren. Die Region stehe unter Kriegsrecht. Menschen flöhen in alle Richtungen und wer noch zu Hause sei, solle sofort Schutz aufsuchen.

Tatsächlich verschanzten sich einige Radiohörer in ihren Häusern, flüchteten in Parks oder in die Kirchen. Andere bestürmten die Polizeireviere oder meldeten sich freiwillig für die Armee, um die Aliens zu bekämpfen. Dabei verpassten sie das Ende der einstündigen Sendung, die das Ganze als Halloween-Scherz des Radiosenders entlarvte.

Zu dem Zeitpunkt hatten etwa sechs Millionen Menschen an der US-Ostküste dem Spektakel zugehört. Nur die wenigen, die CBS von Anfang an eingeschaltet hatten, konnten den Hinweis hören, dass auf die Wettermeldung ein Hörspiel folgen werde.

Ein 23-jähriger Schauspieler namens Or­son Welles hatte das Hörspiel am Vortag mit ihm als Hauptsprecher nach einem eigenem Drehbuch aufgenommen. Grundlage für die fiktive Live-Radioreportage war der 1898 veröffentlichte Roman „Krieg der Welten“ des englischen Science-fiction-Pioniers H. G. Wells.

Mit seinem Hörspiel schrieb Welles 1938 Rundfunkgeschichte. Es gilt bis heute als Paradebeispiel für die auch von Goebbels genutzte manipulative Macht der Medien. Dass eine Sendung mit einem fiktiven Thema bei den Zuhörern eine ganz reale Massenpanik verursachen kann, war neu. Dabei wurden möglicherweise die paar Dutzend Fälle von Patienten, die wegen Schocks und hysterischer Anfälle in den Krankenhäusern behandelt werden mussten – auch von einem Tod durch Herzinfarkt war die Rede –, von den Medien in den Tagen danach aufgebauscht. Die Zahl tausender Leichtgläubiger, die auf die Flucht vor Außerirdischen gewesen seien, dürfte übertrieben sein. Doch das Hörspiel stieß auf fruchtbaren Boden. Da kurz zuvor die Sudetenkrise Schlagzeilen machte herrschte in den USA bereits die Panikstimmung vor einem Krieg. Man war empfänglich für Bedrohungen aller Art.

Eine hysterische Wirkung hatte Welles mit seinem Hörspiel nie beabsichtigt. Ihm war es jedoch gelungen, mit dem Medium Radio neue, real anmutende Stilformen zu entwickeln. Den Erfolg nutzte er als Karriereschritt, um mit dem Film ähnlich Bahnbrechendes zu schaffen. Sein nur drei Jahre später entstandener Film „Citizen Kane“ gilt als Meilenstein der Kinogeschichte. Harald Tews


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren