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26.10.13 / Trunkener Virtuose / Alfred Reisenauer: Königsberger Genie

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-13 vom 26. Oktober 2013

Trunkener Virtuose
Alfred Reisenauer: Königsberger Genie

Er galt als Wunderkind seiner Zeit und ist heute beinahe in Vergessenheit geraten: Der vor 150 Jahren geborene Königsberger Pianist Alfred Reisinger. Wo er auftrat, erntete er Beifallsstürme. Doch teilte er das Schicksal vieler Solisten, die vor der Schellack-Ära gelebt haben. Es gibt davon keine Tondokumente, die seine Virtuosität für die Nachwelt erlebbar machen.

Sein Spiel ist einzig auf zehn Notenrollen für die Welte-Mignon-Reproduktionsklaviere festgehalten, die Reisenauer 1905 im Leipziger Aufnahmestudio von Welte eingespielt hatte. Die­se Aufnahme enthält die Be­arbeitung eines Liedes von Frédéric Chopin durch Franz Liszt mit dem Titel „Des Mädchens Wunsch“. Auf den Notenrollen ist die Bemerkung Reisenauers verzeichnet: „Nach persönlichen Erinnerungen an Franz Liszt.“ Das ist ein Hinweis darauf, wie Liszt selbst das Stück gespielt hätte.

Reisenauer hatte Liszt noch persönlich kennengelernt. Mit seiner pianistisch ebenfalls hochbegabten Mutter hatte er den Altmeister in Weimar besucht. Diese Begegnung sollte für Reisenauer richtungsgebend und für seine Karriere mit von entscheidender Bedeutung sein. Vom Wagnerianer wandelte er sich zum enthu­siastischen Bekenner von Liszt und seinem Werk. In seiner Vaterstadt Königsberg, wo Reisenauer am 1. November 1863 als Sohn eines Delikatessenhändlers geboren wurde, spielte er erstmalig und mit durchschlagendem Erfolg als 18-Jähriger in der Börse Liszts Klavierkonzert Nr. 1 in Es-Dur. Viele weitere Konzerte mit Werken des von ihm vergötterten Übervaters sollten noch folgen.

Sein musikalischer Ziehvater hieß indes Louis Köhler. Bei dem renommierten Königsberger Mu­sikpädagogen erhielt Reisenauer seinen pianistischen Feinschliff, den er durch ausgedehnte Konzertreisen durch den europäischen und asiatischen Teil Russlands wie auch nach Chi­na und den USA noch weiter verfeinerte.

Reisenauer war eine universell be­gabte Künstlerpersönlichkeit, durch seine vielen Reisen war er ungemein sprachbegabt und weltmännisch offen. Das öffnete ihm viele Türen, wie jene zu Liszts Haus. Dort lernte er auch den Dirigenten Felix Weingartner kennen, der ihn in seiner Autobiografie „Lebenserinnerungen“ als einen der poesie- und aus­drucks­vollsten Klavierinterpreten seiner Zeit lobte.

Wenn es in Reisenauers Leben eine Schwäche gab, dann war es der Champagner. Reisenauer trank Unmengen davon. Der hohe Alkoholkonsum war nach offiziellen Angaben der Grund dafür, dass er am 3. Oktober 1907 kurz vor Beginn eines Konzerts im lettischen Libau starb. Harald Tews


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