19.04.2024

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02.11.13 / Revanchismuskeule wiederentdeckt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-13 vom 02. November 2013

Gastkommentar
Revanchismuskeule wiederentdeckt
von Manfred Ludwigs

Wer den Vertriebenen mit dem Vorurteil „militant, nachtragend“ begegnet, wird die Forderung nach Entschuldigung für das Vertreibungsunrecht oder nach Restitution leicht als „revanchistisch“ interpretieren. Und dies, obwohl die Ungarn jüngst die vertriebenen Ungarndeutschen rehabilitierten und die Serben nun auch Restitution anbieten. Nach dem Bundestreffen der Schlesier im Sommer und dem Eklat um deren Bundesvorsitzenden Rudi Pawelka vor einigen Wochen holte man in der Publizistik und auch staatlicherseits den Begriff „Revanchismus“ wieder aus dem verbalen Waffenlager. So will die niedersächsische Landesregierung die Förderung des Deutschlandtreffens der Schlesischen Landsmannschaft einstellen, wenn die Landsmannschaft sich nicht „rückwärtsgewandter und revanchistischer Äußerungen“ enthält.

Heimat ist das Gebiet, in dem ein Mensch sozial, beruflich, wirtschaftlich, kulturell verwurzelt ist. Wird es von einem anderen Staat einverleibt, führt dies zum Heimatverlust, wenn die dort lebenden Menschen vertrieben werden. Verbleiben sie oder können sie, nach freiwilliger Aussiedlung, zu­rück­kehren, liegt kein Heimatverlust vor. Beispiele hierfür sind – mit Einschränkungen – das Elsass und Südtirol. Der Heimatverlust der deutschen Vertriebenen beruht nicht auf der Annexion des Heimatgebietes durch andere Staaten, sondern auf gewaltsamer Vertreibung aus ihrem Wohngebiet. Daher setzt Wiedergewinnung der Heimat keineswegs die militärische Rückeroberung der annektierten Gebiete voraus. Vertragliche Lösungen über die Rückübersiedlung der Vertriebenen (zumindest in Teile der annektierten Gebiete) wären ein Lösungsansatz gewesen. Der „Verzicht auf Rache und Vergeltung“ (Charta der Heimatvertriebenen, 1950) stand der militärischen Rückgewinnung der Vertreibungsgebiete moralisch ebenso entgegen wie auf der politischen Ebene die Neuorientierung der (west)deutschen Politik, die westalliierte Kontrolle der Bundesrepublik und die Einbindung Westdeutschlands in die Nato. Wer angesichts dieser Sachlage von Revanchismus sprach, übersah wichtige Fakten.

Vertreibungen Deutscher gab es nur im Osten des Deutschen Reiches beziehungsweise des deutschen Siedlungsgebietes. Der spontane Hass der polnischen, tschechischen und slowakischen Bevölkerung reichte jedoch für eine geplante, organisierte Vertreibung nicht aus. Daneben gab es weitere Vertreibungsgründe, beispielsweise:

• die angestrebte Westverschiebung der Grenzen des deutschen Siedlungsgebietes (entlang der Linie Stettin-Triest, wie beim Panslawistenkongress in Prag, 1848, entworfen);

• das Ziel ethnisch homogener Nationalstaaten in Ostmitteleuropa; Moskaus Unterstützung bei der Verwirklichung dieses Zieles dürfte die kommunistische Machtübernahme in Ostmitteleuropa erleichtert haben;

• die Absicherung des „ethnisch gereinigten“ Staatsgebietes durch natürliche Grenzen (die Oder, die Randgebirge des böhmischen Kessels);

• die Herbeiführung einer Situation, die eine sozialistische Revolution in Restdeutschland begünstigte, erreicht durch das Hineinpumpen von etwa 14 Millionen mittellosen, arbeits- und wohnungslosen Vertriebenen;

• die Expansionsbestrebungen des kommunistischen Machtbereichs.

Der Zweite Weltkrieg bot die Gelegenheit zur Vertreibung. Die von Deutschen begangenen Verbrechen wiederum boten Gelegenheit, die wahren Vertreibungsgründe zu verschleiern. Die angeführten Vertreibungsgründe erklären, warum nach Kriegsende nicht über die Rückübersiedlung der Vertriebenen verhandelt wurde.

In der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) verschwieg man die Vertriebenen und ihre Probleme. In den Westzonen wurden bald Vertriebenenorganisationen zugelassen. Die DDR diffamierte deren Aktivitäten und lange Zeit sogar die Politik der ganzen Bundesregierung als „revanchistisch“. Entsprechend definiert Hermann Paul in dem 1992 in neunter Auflage in Tübingen erschienenen „Deutschen Wörterbuch“ „Revanchismus“ als eine „Politik mit dem Ziel militärischer Rache, (als ein) bes. gegen die BRD gerichtetes Schlagwort der DDR bzw. kommunistischer Gruppen“. „Meyers Neues Lexikon“ (Leipzig 1963) definiert Revanchismus als „Bestrebungen, die der Rache und Vergeltung für die Niederlage einer Ausbeuterklasse in einem früheren Eroberungskrieg dienen, meist verbunden mit dem Ziel, verlorengegangenes Land mit militärischer Gewalt wiederzugewinnen. Die Bundesrepublik betreibe angeblich eine „besonders intensive Revanchepolitik“. Zur Ausbeuterklasse im Sinne der Definition gehörten die deutschen Industriellen und die ostelbischen Großagrarier, die – im Bündnis mit dem US-Imperialismus – besonders aggressiv und rücksichtslos gewesen sein sollen.

Der „landsmannschaftlich organisierte Revanchismus in der BRD hat viele stille und laute Helfershelfer … Konfrontationskurs und Hochrüstungspolitik der USA-Administration und Nato-Generalität bilden ein Treibhausklima für jene Kreuzritter der BRD, die sich mit Trachten zu tarnen versuchen“, so Werner Flach und Christa Kouschil in dem 1984 in Berlin (Ost) erschienenen Buch „Kreuzritter in Trachten“. Selbst der Beschluss des DDR-Ministerrates zum Mauerbau wird mit dem „Treiben der westdeutschen Revanchisten und Militaristen“ begründet. Außenpolitisch nutzten Ostberlin und Moskau den „westdeutschen Revanchismus“ zur Disziplinierung im Ostblock. Hierzu beschrieb man die Vertriebenen als aggressive Ostland-Marschierer und die Bundeswehr wollte angeblich, zusammen mit dem nach Weltherrschaft gierenden US-Imperialismus, zum Angriff auf das friedliebende sozialistische Lager antreten. Ab der Ostpolitik Brandts verlor diese Methode an Wirkung. Ab dem Grundlagenvertrag mit der DDR im Jahre 1970 ließ diese Propaganda nach, sie wurde ab 1990 endgültig obsolet.

Die Vertriebenen haben einen völkerrechtlich begründeten Anspruch auf Rück­kehr in ihre Heimat und auf Restitution. Daneben steht der Anspruch auf Rück­nahme des Kollektivschuldvorwurfs. Wer seine Ansprüche geltend macht, handelt nicht revanchistisch. Die Landsmannschaften sollten solche Vorwürfe entschieden zurückweisen, woher immer sie auch kommen, denn der Revanchismusvorwurf zielt immer auch auf moralische Disqualifizierung.

 

Dr. Manfred Ludwigs, geb. 1943 in Erfurt, studierte nach dem Abitur in Landshut an der Universität München Wirtschaftswissenschaften für das Lehramt. Lehrtätigkeit von 1979 bis 2000 und Zweitstudium der Politikwissenschaft und Pädagogik in Salzburg. Auslandstätigkeit von 1981 bis 1984 und von 1991 bis 1997 als Schulleiter der postsekundären kaufmännischen Berufsschule der deutschen Industrie in Südafrika. Von 2004 bis 2011 ergänzende Studien in Volkswirtschaft und Internationaler Politik an der University of South Africa.


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