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02.11.13 / Laufend New York erleben / Sightseeing-Tour zu Fuß über 42 Kilometer – Beim Marathon lernt man alle fünf Stadtbezirke von »Big Apple« kennen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-13 vom 02. November 2013

Laufend New York erleben
Sightseeing-Tour zu Fuß über 42 Kilometer – Beim Marathon lernt man alle fünf Stadtbezirke von »Big Apple« kennen

Nachdem vor einem Jahr Hurrikan Sandy den New York City Marathon platzen ließ, legen dieses Wochen­ende wieder 50000 Läufer die Stadt für einige Stunden lahm. Viele sind mit Kameras unterwegs, kommt man doch laufend an Sehenswürdigkeiten vorbei.

New Yorks Autofahrer haben in diesen Tagen schlechte Karten. Ständig sind Straßen abgesperrt. Diesmal schlängeln sich makaber kostümierte Gestalten durch die Sixth Avenue in Greenwich Village, die teilweise mit Beilen und Äxten bewaffnet für nächtlichen Grusel sorgen. Klar: Es ist Halloween, und nur wer die Vorliebe der Amerikaner für Kürbisse und Kunstblut kennt, kann dieser Prozession der Geister und Zombies etwas abgewinnen. Am Straßenrand stehen an diesem letzten Donnerstag im Oktober auch viele Schaulustige aus Übersee, die sich das Treiben ebenso belustigt wie befremdet ansehen. Drei Tage später werden sie selbst es sein, auf die in den Straßen von New York die Kameras der Zuschauer gerichtet sind.

Immer am ersten Sonntag im November ist halb New York für die weltweit größte Laufveranstaltung der Welt abgesperrt. Na ja, fast immer, jedenfalls dann, wenn kein Unwetter wütet. Letztes Jahr fiel der Marathon dem Hurrikan Sandy zum Opfer, der vor der Küste New Yorks für verheerende Schäden gesorgt, ganze Stadtteile unter Wasser gesetzt und die Stromversorgung unterbrochen hatte. Die bereits angereisten ausländischen Sportler, die neben den Reise- und Unterkunftskosten noch die horrende Teilnahmegebühr von 358 Dollar bezahlt hatten, murrten zwar, da sie nach der kurzfristigen Absage gleich wieder die Heimreise antreten konnten, durften sich aber auf einen garantierten Startplatz für dieses Jahr freuen. Schließlich darf nicht jeder an dem begehrtesten Marathon der Welt teilnehmen. Es gibt stets mehr Anmeldungen als Startplätze, und nur wer Losglück hat oder eine Qualifikationszeit vorweisen kann – bei einem 40-Jährigen liegt sie bei kaum machbaren zwei Stunden und 50 Minuten – oder sich für viel Geld über eine Sportreise-agentur einbucht, darf dabei sein.

50000 Läufer sind es, die diesmal wieder zusammenkommen. Mit hunderten Bussen werden die meisten früh morgens in Manhattan abgeholt und zum Startplatz gebracht. Für viele ist das eine erste Sightseeing-Tour. Vorbei am Empire State Building und den im Bau befindlichen Türmen des neuen World Trade Centers geht es in dem vor einem Jahr von Sandy vollständig überfluteten längsten Tunnel Amerikas, dem 2,8 Kilometer langen Brooklyn-Battery Tunnel, unter dem East River hindurch nach Brooklyn mit seinen flachen Kolonialstil-Häusern und von dort über die Verrazano Narrows Brücke nach Staten Island.

Der Anspruch des New York City Marathons ist es, durch alle fünf Bezirke (Boroughs) zu laufen. Da­her versammeln sich die Läufer direkt unter der größten US-Brücke zur Hafeneinfahrt von New York im südlichsten Bezirk. Von Staten Island, das unter Sandy mit am stärksten litt, bekommen die Läufer ansonsten nicht viel zu sehen. Für Touristen ist der Bezirk allerdings dank kostenloser Fähren von der Südspitze Manhattans aus ein beliebtes Ausflugsziel, zumal die Fahrt dicht an der kleinen Insel mit der Freiheitsstatue entlangführt.

Unterdessen läuft der Countdown zum Start. Zwei Hymnen dröhnen über die Läufermasse hinweg: die US-Nationalhymne und „New York, New York“ mit Frank Sinatras Tenorstimme. Mit dem Startschuss setzt sich die Masse schwerfällig in Bewegung. Als Erstes gilt es einen Anstieg auf fast 70 Metern zu bewältigen. Mit ihren zwei Fahrebenen ist die Verrazano Narrows Brücke sogar höher als San Franciscos Golden Gate Bridge. Während unten Feuerwehrboote zur Begrüßung Seewasser in die Höhe spritzen, ist von hoch oben in etwa neun Kilometern Entfernung die Freiheitstatue im Dunst zu erkennen. Wenn die „Queen Mary 2“ bei Ebbe in den Hafen einläuft, bleibt zwischen den Schornsteinen des Passagierdampfers und der Brücke gerade einmal ein Spielraum von zwei Metern.

Und schon geht es von der Brücke hinab nach Brooklyn. Mit 2,5 Millionen Menschen leben hier die meisten der insgesamt acht Millionen New Yorker. Wäre der Bezirk 1898 nicht eingemeindet worden, wäre er heute die viertgrößte Stadt der USA. Vor allem für junge Menschen und Künstler wird dieser Bezirk wegen seiner vergleichsweisen günstigen Mieten immer attraktiver. Am Straßenrand spiegelt sich der bunte Bevölkerungsmix der verschiedenen Einwandererschichten wider. Hier ein Viertel mit Fähnchen schwingenden Italo-Amerikanern; ein Block weiter jubeln schwarzgewandete Juden den Läufern zu; an der nächsten Ecke sorgen schwarze US-Bürger mit Live-Musik für Stimmung; ja, auch die Deutschen ließen sich hier nieder, erkennbar an ihren schwarz-rot-goldenen-Fahnen. „Go, Germany, go!“, feuern sie einen Läufer an, wenn sie das dick aufgemalte Nationenkürzel „GER“ unterhalb der Startnummer am Läufershirt erkennen.

Nachdem es zwischen Meile vier und fünf auf der Fourth Avenue schnurgeradeaus geht, biegt man kurz in New Yorks größten Bezirk Queens ein. Wie Brooklyn liegt Queens auf der Südspitze einer 193 Kilometer langen Atlantikinsel, die sich parallel zum Festland er­streckt. Touristen kennen den Be­zirk allenfalls durch seine zwei Flughäfen: John F. Kennedy Airport für internationale und La Guardia für nationale Flüge. Tennisfans pilgern im September hierher, wenn in Flushing Meadows die „US-Open“ stattfinden. Viele, die in Manhattan arbeiten, leben in diesem „Schlafzimmer“ New Yorks.

Die Läufer nehmen unterdessen eine nächste Brückenhürde. Auf halber Strecke geht es auf der Queensboro Brücke über den East River in das „eigentliche“ New York: nach Manhattan. Da auch hier 40 Höhenmeter überwunden werden müssen, gilt der New York-Marathon nicht als schnellste Laufveranstaltung. Obwohl hohe Preisgelder die besten afrikanischen Läufer anlocken, werden hier keine Rekorde gelaufen. Neben der

Brücke, bei der beim Bau vor 100 Jahren 50 Arbeiter starben, grüßen Touristen von einer parallel laufenden Seilbahn den Läufern zu. Auf der langgezogenen First Avenue geht es an der vornehmen Upper East Side durchs nördliche Manhattan. Wie bei einer Konfettiparade ohne Konfetti werden die Läufer in den Hochhausschluchten von jubelnden Zuschauern fortgetragen. Der fünfte Bezirk, die Bronx, nähert sich. Dazu muss noch einmal eine Brücke überwunden werden und man verlässt kurz die Insel Manhattan. Mit Touristenbooten kann man von der West Side nahe den Museumsschiffen auf Höhe der 46. Straße aus einmal komplett um Manhattan fahren.

In der Bronx kommen die Läufer am Baseballstadion der New York Yankees vorbei. Den Ruf als Verbrechenshochburg hat der Bezirk längst abgelegt. Es gibt hier Wohl­fühloasen wie den Bronx Zoo mit 6000 Tieren oder den Van Cortlandt-Park, in dem man unbehelligt schlendern kann.

Dem kurzen Ausflug in die Bronx folgt der Showdown in Manhattan. Am Harlem-Viertel vorbei wird jetzt auf der von den Mietpreisen her teuersten Straße der Welt ge­laufen: Die Fifth Avenue, an der Luxusläden wie Tiffanys liegen, aber auch das St. Regis-Hotel oder die in vielen Filmen auftauchende Public Library. Die Läufer kommen an der Museums-Meile zwischen der 82. und 104. Straße vorbei mit dem Guggenheim und dem Mu­seum of Modern Art, ehe man – so­fern noch Kraft vorhanden ist – zum Schlussspurt im Central Park antritt. Unweit des Dakota-Gebäudes, wo John Lennon erschossen wurde, hat die sportliche Strapaze nach 42 Kilometern ein Ende. Wer aber beim Lauf die Augen offenhält, bekommt Seiten von New York zu sehen, die einem sonst verschlossen bleiben. Harald Tews


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