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02.11.13 / Mann über Bord / Eine Kanufahrt in Namibia kann unangenehm enden – vor allem, wenn Stromschnellen mit im Spiel sind

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-13 vom 02. November 2013

Mann über Bord
Eine Kanufahrt in Namibia kann unangenehm enden – vor allem, wenn Stromschnellen mit im Spiel sind

Ein lautes Platschen, eine Schimpfkanonade. Der dicke Ian ist über Bord gegangen. Jetzt steht er mitten im seichten Fluss und schöpft mit einer Tasse das Wasser aus dem gekenterten Kanu. Die anderen lachen. Die erste Stromschnelle war völlig harmlos, kaum 500 Meter sind zurückgelegt.

Folgt man dem Lauf des Orange River, sind es vom namibischen Noordoewer an der Grenze zu Südafrika bis nach Oranjemund an der Atlantikküste rund 250 Kilometer. Knapp die Hälfte davon liegt vor der fünfköpfigen Gruppe – im Kanu macht das vier Tage. Der 1860 Ki­lometer lange Strom ist eine be­liebte Anfängerstrecke für Kanuten, vor allem das letzte Viertel, das durch den Richtersfeld Nationalpark führt und die Grenze zwischen Namibia und Südafrika markiert.

Die Kühlbox und drei kleine Plastiktonnen sind auf die drei Mohwak-Kanus verteilt. Die Strömung ist kaum wahrzunehmen, Armarbeit ist gefragt. Auf weiten Strecken ist der Oranje kaum einen Meter tief. In den Drakensbergen in Lesotho entspringt er, vereint sich mit dem Vaal und zieht weiter zum Atlantik. Das Mündungsgebiet bei Oranjemund gilt als reichstes Diamantenfeld der Welt. Bis zu den spektakulären Funden 1928 war der äußerste Süden Namibias, der einstigen deutschen Kolonie, ein fast menschenleerer Halbwüstenfleck auf der Landkarte.

Einst lebten hier Buschmänner, die San, die den Oranje „Großen Fluss“ nannten. Weiße und Bantu-Völker drängten sie in die Kalahari-Wüste ab. Die meisten der noch 38000 Buschleute Na­mibias kämpfen im Re­servat „Buschmannland“ im Nordosten des Landes als Kleinbauern und Farmarbeiter um ihr Überleben. Nur wenige leben noch als Jäger und Sammler wie Steinzeitmenschen in der wasserarmen Trockensavanne.

Mittagsrast im Ufergras. Corned Beef und Brot mit Käse machen die Runde. Das Flusswasser kann man trinken, es ist frei von Krankheitserregern. 25 Kilometer legt die kleine Kanuflotte durch ruhiges Fahrwasser zurück. Auf Nilpferde und Krokodile muss niemand achtgeben – es gibt sie hier nicht. Eine windgeschützte Uferpartie dient als Camp. Niemand braucht ein Zelt in dieser warmen Nacht. Die Mücken sind keine Gefahr, die Gegend ist malariafrei. Der Blick auf das endlose Sternenmeer und Kometen am Himmel vertreibt jeden Gedanken, auch die an Leoparden und Giftschlangen, die das menschenleere Richtersfeld besiedeln.

Die abenteuerlichste Passage steht bevor: Shamrock, 500 reißende Meter durch einen mit Felsen übersäten, schluchtartigen Flussabschnitt. „Stromschnellen!“ Aus hunderten Metern Entfernung sind sie zu hören. Alle legen die Rettungsweste an. Jeder um­klammert fest sein Paddel.

Etwa 50 Meter breit ist der schäumende Fluss. Die Wellen schwappen ins Boot, das wie ein Pferd scheut. Ian verliert auf dem Rücksitz die Balance, beide Mann gehen über Bord. Das Kanu schießt kieloben davon, die Crew kopfunter hinterher. Aus dem Fluss ragen Findlinge. Mit hohem Tempo geht es flussabwärts, streckenweise mit dem Rücken zur Fahrtrichtung. Kein rettendes Land in Sicht – die steinigen Uferwände sind meterhoch. Noch Minuten bleiben die Gekenterten Spielzeug des Wildwassers, ehe Paddel und Kanu eingeholt sind. Die zwei anderen Boote sind mit Glück durchgekommen.

Die nächsten beiden Tage ist der Oranje ruhig, kleinere Stromschnellen ersparen ab und zu das Paddel. Der erste Mensch nach 70 Kilometern: ein Fischer mit Ruderboot. Links säumen mangrovenartige Bäu­me mit Reihern und Kormoranen auf knorrigen Ästen das Ufer, dahinter die kahlen Berge des Richterfelds. Hier hätte „Der Schatz im Silbersee“ gedreht werden können. Aber nicht Santers Banditen treiben sich hier herum, sondern eine Bande Affen: Grüne Meerkatzen springen vorwitzig am Flussufer entlang.

Pause auf südafrikanischer Seite. Ian, der beim Diamantenkonzern CDM arbeitet, macht Hoffnungen, in der Flussbiegung Hochkarätiges zu finden. Vor Millionen Jahren legte Erosion die Diamanten frei, Flüsse im Einzugsbereich des Oranje nahmen sie auf. Nach einer halben Stunde endet die Suche ohne Fund, der Fluss ruft wieder.

Nach 90 Kilometern auf dem Wasser der erste Ort: Aussenkehr. Der Oranje touchiert erstmals seit dem Start die Autostraße. Die Swapo, die Namibia seit der Unabhängigkeit 1990 regiert, hat hier eine Farm errichtet. Ovambos aus dem dicht bevölkerten Norden des Vielvölkerstaats fanden hier Jobs. Die meisten leben in einfachen Stroh- und Lehmhütten. Anders die reetgedeckten und klimatisierten Chalets einer Lodge. Ein vornehmes Resort hat sich am Flussufer niedergelassen, bietet Ausritte zu Pferd, Bergradtouren und, siehe da, Wildwasserkajakfahrten.

Weiter flussabwärts ist die Idylle vorbei. Farmarbeiter schwingen an der Uferböschung die Axt – die Bäume enden als Brennholz. Erosion und Verschlammen des Oranje sind programmiert. Die Realität hat die Reisenden eingeholt. Kai Althoetmar


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