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09.11.13 / Der Vogelprofessor / Johannes Thienemann: Erforscher der Vogelzüge – Vor 150 Jahren kam er in einem thüringischen Pfarrhaus zur Welt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-13 vom 09. November 2013

Der Vogelprofessor
Johannes Thienemann: Erforscher der Vogelzüge – Vor 150 Jahren kam er in einem thüringischen Pfarrhaus zur Welt

Auf der Kurischen Nehrung entstand die erste ornithologische Forschungsstation: die Vogelwarte Rossitten. Ihren Gründer, den am 12. November 1863 geborenen Johannes Thienemann, kannte PAZ-Autorin Ruth Geede noch persönlich.

Wer ihn gekannt hat, wird ihn nie vergessen. Und ich habe ihn gekannt, den Mann im Jägerrock mit der Pfeife im Mundwinkel, den Mann mit dem immer wachen, forschenden Blick. Ich hatte das Glück, ihn schon als Kind kennenzulernen, von ihm durch sein Haus, die Vogelwarte Rossitten, geführt zu werden, ihm immer wieder in seinem geliebten Rossitten zu begegnen, zu dem er gehörte wie die Wanderdüne, wie der Elchwald, wie die Kurenwimpel auf den Haffkähnen.

Er, den man nur den „Vogelprofessor“ nannte, weil ihn seine Forschungen über den Vogelzug populär gemacht hatten: Prof. Dr. Johannes Thienemann, Gründer der ersten ornithologischen Forschungsstation der Welt, der Vo­gelwarte Rossitten, dessen Forschungsergebnisse bahnbrechend für die europäische Ornithologie wurden. Geboren wurde er aber nicht in dem für seine wissenschaftlichen Forschungen geradezu prädestinierten Ostpreußen, sondern vor nunmehr 150 Jahren, am 12. November 1863, im thüringischen Gangloffsömmern.

An dem alten Pfarrhaus hängt heute eine Gedenktafel und die Straße, an der es liegt, trägt seinen Namen. Beide Ehrungen sind einer Ostpreußin zu verdanken, die – unweit des Kurischen Haffes geboren – das Schicksal nach Thüringen verschlug. Margarete Ritter konnte im Jahr 2001 die Gedenktafel enthüllen und trägt somit dazu bei, dass der Vogelprofessor in seiner Geburtsheimat nicht in Vergessenheit gerät. In seinem geliebten Rossitten, das heute Rybatschi heißt, befindet sich an dem alten Wohnhaus der Familie eine zweisprachig beschriftete Holztafel. Und in Königsberg ist der Name Johannes Thienemann auf der Tafel „Bedeutende Gelehrte der Universität Königsberg“ zu finden, die 2012 im Dom enthüllt wurde.

Gewöhnlich pflegt man über erfolgreiche Persönlichkeiten, die erst über Umwege zu Ruhm und Ehre gelangten, zu sagen, es sei ihnen nicht an der Wiege gesungen. Bei Thienemann haben aber mit Sicherheit einige Vögel gezwitschert, denn Vater wie Großvater beschäftigten sich intensiv mit Vogelkunde. Das scheint eine Leidenschaft der Thüringer Pastoren zu sein, denn auch der Vater des wohl bekanntesten deutschen Naturforschers und Tierschriftstellers, Alfred Brehm, war als „Vogelpastor“ bekannt und wurde zum Mitbegründer der wissenschaftlichen Ornithologie.

Als Johannes zehn Jahre alt war, wurde er durch einen Besuch Alfred Brehms im elterlichen Pfarrhaus angeregt, ein ornithologisches Tagebuch zu führen. Trotzdem folgte er zuerst der Familientradition und studierte in Leipzig und Halle Theologie, aber der Vogelkunde galt weiterhin seine Liebe. Die dann schließlich doch zu seinem Lebensinhalt wurde, als er die Kurische Nehrung als noch bis dahin weithin unbekanntes Forschungsgebiet entdeckt hatte.

Das war im Jahr 1896. Der junge Theologe, der nach abgeschlossenem Studium im Schuldienst tätig war, wählte auf Rat eines Freundes als Ferienziel die Kurische Nehrung und war sofort von dieser Urlandschaft zwischen Haff und See gefangen, wie er 30 Jahre später schrieb: „Hier fand ich innigsten Verkehr in und mit der Natur, einer Natur, wie sie urwüchsiger und unverfälschter nicht sein kann. Da wurde etwas lebendig in mir, was bis dahin geruht und auf das Erwecken gewartet hatte: eine grenzenlose Begeisterung für dieses Fleckchen Erde.“ Sie ließ ihn nicht mehr los, so dass er zuerst einmal Hauslehrer bei dem Gutsbesitzer Hoffmann in Rossitten wurde. Er lebte nun mitten in einer der größten Vogelzugstraßen Europas, deren Bedeutung für die ornithologische Forschung überhaupt noch nicht erkannt worden war. Es gab Tage, an denen in nur drei Stunden über 300000 ziehende Vögel geschätzt wurden.

Für Thienemann erfüllten sich die Träume seiner Jugend, er fand hier das Land, das ihm die Lebensaufgabe bot, die er sich immer ersehnt hatte. Aber zu­gleich erkannte er, dass er auch die wissenschaftliche Grundlage für seine geplanten und bereits begonnenen Forschungsarbeiten benötigte. Als er 1901 mit dem Zoologie-Studium an der Königsberger Albertina begann, errichtete er zugleich die erste ornithologische Forschungsstation der Welt, die Vogelwarte Rossitten. Hier führte Thienemann die von dem dänischen Ornithologen Hans Christian Cornelius Mortensen entwickelte systematische Beringung von Zugvögeln zur Erforschung ihres Zugverhaltens weiter. Zuerst un­ter schwierigen Umständen, die dann durch den Bau einer Forschungsstation im Kupstengebiet südlich von Rossitten beseitigt werden konnten.

Der 1908 errichtete einfache Holzbau, nach seinem Stifter, dem Rittergutsbesitzer Ulmer aus Quanditten, „Ulmenhorst“ be­nannt, wurde nach seiner Zerstörung im Ersten Weltkrieg durch einen Massivbau ersetzt, der dem Vogelprofessor optimale Bedingungen für seine Beobachtungen bot, die er an Ort und Stelle wissenschaftlich auswerten konnte. Das Vogelberingungswerk und die Orientierungsversuche an Schwalben und Weißstörchen wurden bahnbrechend für die deutsche Ornithologie, ebenso die Versuche zur Ansiedlung von Weißstörchen, für die das Storchenland Ostpreußen ideale Voraussetzungen bot.

Die in höchstem Ansehen bei Wissenschaftlern stehende Vogelwarte Rossitten erlangte durch die umfangreichen Veröffentlichungen und Berichte Thienemanns Weltruhm. Der volksnahe Wissenschaftler, der für jeden Besucher des 1932 errichteten Vogelwarte-Museums ansprechbar war – und das waren jährlich etwa 25000 Besucher – erhielt nicht umsonst den populären Namen „Vogelprofessor“: Nach seiner Promotion 1906 war er von der Universität Königsberg zum außerordentlichen Professor ernannt worden. Auch im Ruhestand blieb er seinem Rossitten treu bis zu seinem Tod, der ihn am 16. April 1938 vollkommen unerwartet auf seinem Grundstück ereilte.

Der Vogelprofessor hat die Vertreibung aus seinem Paradies nicht mehr erleben müssen. Sein Grab liegt verborgen im Nehrungswald, aber es ist nicht vergessen, wie die vor dem Stein niedergelegten Blumensträuße beweisen. Anlässlich seines

75. Todestages im letzten April nahm eine Labiauer Reisegruppe aus der Bundesrepublik für Margarete Ritter einen Blumenstrauß mit als Gruß aus seiner Geburtsheimat. Auf das Grab gelegt wurde er von Casimir Bolshakov, dem jetzigen Direktor der ornithologischen Forschungsstation Rybatschi, die von der deutschen Heinz-Sielmann-Stiftung unterhalten wird. Sie arbeitet mit der Vogelwarte Radolfzell zusammen, die seit 1946 Nachfolgeeinrichtung der Vogelwarte Rossitten ist. In seinem Buch „Rossitten“, das Thienemann 1928 in „Ulmenhorst“ schrieb, leben der Vogelprofessor und seine geliebte Nehrung weiter. Ruth Geede


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