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09.11.13 / Blaupause Somalia / Staatsverfall in Libyen schreitet weiter voran – Die »internationale Gemeinschaft« sieht tatenlos zu

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-13 vom 09. November 2013

Blaupause Somalia
Staatsverfall in Libyen schreitet weiter voran – Die »internationale Gemeinschaft« sieht tatenlos zu

Rund zwei Jahre nach dem vom Westen militärisch forcierten Umsturz herrscht in Libyen Chaos. Rivalisierende lokale Milizen unterschiedlicher Gesinnung verfolgen mit Waffengewalt ihre eigenen Ziele, das Land steht vor dem staatlichen Zerfall, die Zentralregierung ist machtlos.

Es waren euphorische Bilder, die im Herbst 2011 um die Welt gingen. Jubelnde Libyer im Sie-gestaumel, die ihre erfolgreiche Revolution feierten. Geblieben sind Chaos, Verbrechen, Mord und Totschlag. Der Staatsführung in Tripolis ist es nicht gelungen, die Sicherheit des Landes und seiner Grenzen zu gewährleisten und den Einfluss der lokalen zentrifugalen Kräfte einzudämmen. Dies machen sich radikale Islamisten, Separatisten und kriminelle Banden zunutze. Dabei hatten die meisten Libyer vor zwei Jahren eine klare Vorstellung, wie ihr Land zukünftig aussehen sollte. Sie wollten keine Verhältnisse wie im „gescheiterten Staat“ Somalia mit vielen herrschenden Stammesfürsten, keine Herrschaft der Gotteskrieger wie in Ägypten und Tunesien. Deshalb siegte bei den Wahlen keine religiöse Partei, sondern ein laizistisches Bündnis. Die unselige Entwicklung hin zum Staatszerfall hat das jedoch nicht aufhalten können.

Unter der Herrschaft Gaddafis lag die Macht außer in seiner Hand bei wenigen und schwachen Institutionen. Heute liegt sie nicht bei der Legislative oder der Übergangsregierung mit ihren teils von Terroristen und Kriminellen durchsetzten Sicherheitskräften, sondern in den Händen zahlreicher rivalisierender bewaffneter Gruppen. Die kurzzeitige Entführung von Ministerpräsident Ali Zaidan Anfang Oktober und die bewaffneten Ausschreitungen nach der Festnahme des al-Kaida-Führers Abu Anas al Libi durch US-amerikanische Spezialkräfte zeigten die Macht- und Hilflosigkeit der Staatsführung in Tripolis überdeutlich. Eine der Milizen entführte ihn, eine andere kämpfte ihn wieder frei.

Es ist ein Machtkampf jeder gegen jeden, für den Somalia die Blaupause liefert. Alle Versuche, die Milizen zu entwaffnen oder aufzulösen und sie in die Sicherheitskräfte zu integrieren, sind bisher fehlgeschlagen. Vielmehr sind sie in der Bevölkerung populärer denn je und ihre Zahl soll sich in den vergangenen zwei Jahren verzehnfacht habe. Ihre Stärke wird auf rund 225000 Mann geschätzt. Sie sind fast ebenso gut bewaffnet wie die offiziellen Sicherheitskräfte. Ihr aus der Erbmasse des Gaddafi-Re-

gimes gespeistes Waffenarsenal reicht von Handfeuerwaffen aller Art über Munition, Minen und Granatwerfer bis hin zu modernen Flugabwehrsystemen. Einige der Gruppen haben sich regelrechte kleine Volkswirtschaften geschaffen und üben ein Monopol über bestimmte Waren und Handelswege aus. Andere wiederum verdienen kräftig am Treiben der Schleuserbanden, die Flüchtlinge an die Mittelmeerküste schaffen, und am Handel mit den im Land reichlich vorhandenen Waffen mit. So verschmelzen politische und religiöse mit militärischen und wirtschaftlichen Interessen zu einem gefährlichen Gemenge. Keine der Milizen ist jedoch so stark, dass sie allein die Führung über das ganze Land übernehmen könnte.

Mit der Ausrufung einer eigenständigen Landesregierung für die Cyreneika hat der Staatsverfall Libyens eine neue Dimension erreicht. Auch in der Autonomiebewegung vermischen sich politische mit wirtschaftlichen Interessen. Die neugebildete Regionalregierung verfolgt das Ziel, „die Ressourcen gerechter zu verteilen und das von den Mächtigen in Tripolis aufgezwungene zentralistische System zu beenden“. Nur mit Mühe gelingt es der Zentralregierung, wenigstens die kleinste der libyschen Regionen, Tripolitanien, auf Kurs zu halten. Ihr Ziel ist die Rückkehr zur Verfassungslage von 1951. Damals bildeten die drei historischen Regionen Cyrenaika, Fezzan und Tripolitanien autonome Staaten innerhalb einer lockeren Föderation, bis diese Ordnung vom damaligen libyschen König Idris gewaltsam durch einen Zentralstaat ersetzt wurde. Von ihrem Ziel ist die Regierung jedoch weit entfernt. Die lokalen Identitäten und die Unabhängigkeitsbestrebungen sind so ausgeprägt wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Derzeit gibt es keine Kraft, die in der Lage ist, die drei historischen Regionen wieder zu vereinen.

Bei der Betrachtung der desolaten Lage in Libyen darf nicht vergessen werden, dass es die „internationale Gemeinschaft“ und vor allem die Nato-Staaten waren, die sie durch die Unterstützung einer vollkommen heterogenen Opposition ohne eine einheitliche und legitimierte Führung erst herbeigeführt haben. Die Nato hat den Banditen, Terroristen und Gotteskriegern gewissermaßen den Weg freigebombt und das mit den Menschenrechten und ihrer „Schutzverantwortung“ begründet.

Wenige Monate später wählten die Libyer ein Parlament und der Westen sah seine Mission als erledigt an. Das reiche Land werde schon allein zu Ruhe und Stabilität finden, glaubte man in Washington und den europäischen Hauptstädten und ließ die Übergangsregierung als zahnlosen Tiger zurück. Ein Hilferuf aus Tripolis verhallte nahezu ungehört. Zwar schickte die Nato im Sommer eine Delegation ins Land, die es aber in ihrem internen Bericht bei der bloßen Feststellung beließ, dass Libyen vor Chaos und Anarchie stehe. Zu diesem Zeitpunkt war die Karawane westlicher „Menschenrechtspolitik“ längst weitergezogen, nach Syrien und Mali. Die Folgen des Versagens des Westens bekommen wir täglich zu spüren – mit jedem aus Libyen über das Mittelmeer kommenden „Lampedusa-Flüchtling“, der in Deutschland um Aufnahme ersucht. Jan Heitmann


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