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16.11.13 / Was macht »preußische Literatur« aus? / Germanisten und Historiker haben versucht zu klären, welche Kriterien die Werke und ihre Autoren zu erfüllen haben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-13 vom 16. November 2013

Was macht »preußische Literatur« aus?
Germanisten und Historiker haben versucht zu klären, welche Kriterien die Werke und ihre Autoren zu erfüllen haben

In Preußen geboren? In Preußen gelebt? Über preußische Themen geschrieben? Welche dieser Kriterien müssen erfüllt sein, um von „preußischer Literatur“ zu sprechen? Oder gibt es gar nur eine „Literatur in Preußen“? Mit diesen Fragen setzten sich Historiker und Literaturwissenschaftler auf der diesjährigen Tagung der Preußischen Historischen Kommission in Berlin auseinander.

Konzipiert hatte die Konferenz der Kommissionsvorsitzende Frank-Lothar Kroll gemeinsam mit dem Passauer Historiker Hans-Christof Kraus. Dieser umriss das Thema zunächst in seiner ganzen Breite. Was das deutsche Gebiet insgesamt betreffe, so seien sowohl eine Ost-West-Linie als auch eine ober- und niederdeutsche Linie zu erkennen. Beiderseits der Linien seien jeweils kulturelle Unterschiede auszumachen, deren Ursache in einer Vielzahl von Faktoren zu finden sei, beispielsweise der späteren Christianisierung des Ostens. Wie verhalte es sich aber mit einer Preußen-Spezifik? Große Gelehrte und Dichter würden bereits der Ordensstaat sowie das Herzogtum kennen. Hierfür stünden Namen wie Laurentius Blumenau oder Georg Sabinus, der 1544 auch Gründungsrektor der Universität Königsberg war. Geistiges Zentrum Brandenburg-Preußens beziehungsweise des Königreichs sei Berlin geworden. Bilanzierend schloss Kraus mit der These, dass man zwar von einer Literatur in Preußen sprechen könne, so lange der Staat an sich existent war, eine spezifisch preußische Literatur hingegen habe es nur für etwa 150 Jahre gegeben: Ein preußisches Kulturbewusstsein habe sich erst im 18. Jahrhundert herausgebildet und entsprechend literarischen Niederschlag gefunden, gehe dann jedoch mit der Reichsgründung in ein national-gesamtdeutsches über.

Der Germanist Klaus Gerlach präsentierte Konrad Levezow mit seinem Stück „Iphigenia in Aulis“ als Dichter, der einem preußischen Stil verpflichtet gewesen sei. Vor dem Hintergrund einer Definition Johann Wolfgang von Goethes spielte bei der Einordnung der „Mythos vaterländischer Geschichte“ eine Rolle. Auf Widerspruch stieß dies bei dem Kleist-Experten Günter Blamberger. Der Kölner Ordinarius vertrat die These, preußische Literatur solle auch preußische Stoffe zum Inhalt haben. Blamberger selbst sprach über „das preußische Drama schlechthin“ – Heinrich von Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“. Aufgezeigt wurde die große Diskrepanz zwischen der historischen Vorlage und dem Stück. Kleists Prinz sei alles andere als ein starker Held. Otto von Bismarck habe ihn als „schwaches Rohr“ beurteilt, Theodor Fontane als „Waschlappen“ und Kaiser Wilhelm II. habe Szenen streichen lassen wollen. Aus einem anderen Blickwinkel urteilt die heutige Wissenschaft: Gerade in seiner Verblendung, Zerrissenheit und mit seinen Ängsten stehe Kleists Protagonist durchaus für den Typus eines preußischen Offiziers der Zeit. Dem Einwand, die Figur sei in der Weltgeschichte angesiedelt, deren Konflikt hätte auch anderswo dargestellt werden können, folglich sei es keine spezifisch preußische Literatur, wurde entgegengehalten, in diesem Fall wäre das Geschehen nicht in Ereignisse der preußischen Geschichte eingebettet worden.

Dem „Wanderer durch die Mark Brandenburg“, Theodor Fontane, wurde in zwei Vorträgen dann noch besondere Aufmerksamkeit zuteil. Wolf Nitschke, der Fontanes Wirken insgesamt umriss, plädierte dafür, ihn als preußischen Autor wahrzunehmen. Eher als Ergänzung denn als Widerspruch wurde die Frage aufgeworfen, ob man Fontane nicht korrekterweise als „märkischen“ Dichter bezeichnen müsse. Der Direktor des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz, Jürgen Kloosterhuis, betrachtete einen speziellen Aspekt in Fontanes Werk: Die Darstellung der Tragödie um Hans Hermann von Katte, der auf Befehl des Königs hingerichtet wurde, weil er den Kronprinzen 1730 bei seiner Flucht unterstützt hatte. Kloosterhuis zeigte hierbei auch, wie stark die Kritik an Friedrich Wilhelm I. von intentionaler Geschichtsschreibung und entsprechenden Memoiren beeinflusst ist.

Frank-Lothar Kroll sprach über die „Berliner Romantik“. Dichter wie Novalis haben mit dem Thronwechsel zu Friedrich Wilhelm III. im Jahr 1797 hohe Erwartungen verbunden. Das Ideal der Romantiker war das organisch gewachsene beziehungsweise zusammengeführte, sich auf Stände stützende Gemeinwesen, die Einheit von Thron und Volk. Unter Friedrich dem Großen hingegen sei der Staat ihrer Ansicht nach als Fabrik verwaltet worden. Mit der „Deutschen Tischgesellschaft“, die Adam Müller 1811 mitbegründete, verfügten die Romantiker über eine institutionelle Verankerung. Einerseits habe König Friedrich Wilhelm IV., der ab 1840 regierte, die Romantik als für sich richtungsweisend betrachtet. Andererseits sei es für eine „große Stunde der Romantik“ nun bereits zu spät gewesen. Und Friedrich Wilhelm IV. habe sich – paradoxerweise – mit Beratern umgeben, die kaum von dieser Vorstellungswelt geprägt waren. Als Gegenstück zu den Romantikern wurden die „Frührealisten“ Karl Gutzkow und Friedrich Spielhagen vorgestellt.

Auf dem Sprung ins 20. Jahrhundert kamen Rudolf Borchardts ambivalentes Verhältnis zu Preußen sowie Stefan Georges Distanz gegenüber dem ihm fremden Phänomen zur Sprache. Stellvertretend für die Literatur der „inneren Emigration“ standen Reinhold Schneider und Jochen Klepper. Ingeborg Schelling-Reinicke betonte, dass beide sich als preußisch verstanden und das Christentum eine bestimmende Rolle in ihrem Schaffen spielte. Wiederholt kam Friedrich Wilhelm I. in den Fokus – über Kleppers Roman „Der Vater“. Erstaunliches wusste die Germanistin Elke Mehnert über die Literatur der DDR zu berichten: Claus Hammel konnte mittels seines Stückes „Die Preußen kommen“ von 1981 durchaus Kritik am System üben.

Ein großer Konsens über die Existenz einer „preußischen Literatur“ blieb letztlich aus und war wohl bei dem Facettenreichtum des Themas kaum zu erwarten. Einfacher tat man sich mit einer regionalen, also kleinteiligeren Zuordnung. Am ehesten herrschte am Ende Einigkeit über Heinrich von Kleist, dessen weltliterarischer Rang außer Frage steht – der aber eben auch als „gesamtpreußischer“ Dichter gelten kann. Erik Lommatzsch


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