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23.11.13 / Barrosos Bilanz ernüchtert / EU-Kommissar interessiert sich offenbar nur für den Ausbau des eigenen Einflussbereichs

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-13 vom 23. November 2013

Barrosos Bilanz ernüchtert
EU-Kommissar interessiert sich offenbar nur für den Ausbau des eigenen Einflussbereichs

Die Chancen stehen nicht schlecht, dass José Manuel Barroso mit seiner Riege von EU-Kommissaren als eine der schlechtesten EU-Kommissionen überhaupt in die Geschichtsbücher eingeht. War die bisherige Bilanz schon bescheiden genug, kommt es jetzt ganz dick.

Nur wenige Monate bevor das Mandat der jetzigen EU-Kommission endet, steht EU-Handelskommissar Karel De Gucht unter dem Verdacht der Steuerhinterziehung. Der Verkauf einer Toskana-Villa brachte belgische Finanzbeamte darauf, einmal nachzusehen, wie De Gucht überhaupt den Kauf des Anwesens finanziert hatte. Das Resultat der Ermittlungen: Der ehemalige Außenminister Belgiens soll Kapitalgewinne von 1,2 Millionen Euro aus einem Aktienverkauf weder gemeldet noch versteuert haben. Der Handelskommissar pocht auf ein steuerfreies Geschäft nach Ablauf der Spekulationsfrist. Belgiens Justiz sieht dagegen eine steuerpflichtige Einnahme. Egal wie der Vorgang am Ende ausgeht, De Gucht – durch die Vorbereitungen zur transatlantischen Freihandelszone momentan einer der wichtigsten Männer in Brüssel – dürfte die Affäre politisch kaum überleben.

Rufschädigung droht allerdings nicht nur diesem Kommissar, sondern der gesamten Kommission. Tritt der Handelskommissar zurück, könnten nur wenige Monate vor der EU-Wahl im Mai leicht Erinnerungen an die „Raffke-Mentalität“ der EU-Kommission unter Jacques Santer wach werden. Versucht der Handelskommissar sich krampfhaft zu halten, ist das Signal wahrscheinlich noch verheerender. Während europaweit Jagd auf Steuerhinterzieher gemacht wird, kommt man als Brüsseler Kommissar mit geschickter Auslegung von Gesetzen davon.

Auch ohne diese Steueraffäre ist die Bilanz, die Barroso hinterlassen wird, verheerend genug. Unter ihm ist die EU in die tiefste Krise seit ihrem Bestehen geschlittert. Während die EU-Kommission auf ihrem Mantra „Mehr Europa“ beharrt, scheinen sogar einige Vertreter etablierter Parteien begriffen zu haben, dass der Wind sich gedreht hat. Vom CSU-Chef Horst Seehofer bis zum EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz (SPD) ist die Forderung zu hören, die EU-Kommission müsse personell verkleinert werden. Mit einem Brief prominenter Firmenchefs aus England, Schweden und Deutschland – unter ihnen auch August Oetker – hat die EU-Kritik nun noch eine ganz andere Dimension angenommen: „Die EU muss nicht ,immer enger‘ werden, sondern immer offener und flexibler: Die Vorstellung, alle Länder Europas müssten im Gleichschritt marschieren, um immer mehr Brüsseler Vorgaben zu erfüllen, ist gescheitert“, so der Vorwurf der Unternehmer. Aus Brüssel wird stattdessen mehr Geld und vor allem noch mehr Macht gefordert. Dazu kommt quasi noch auf den letzten Drücker der Versuch, vollendete Tatsachen zu schaffen: Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei wurden wieder aufgenommen, selbst der Problemfall Albanien kann sich Hoffnungen machen, noch unter Barroso den EU-Kandidatenstatus zu erhalten.

Noch skeptischer muss mittlerweile die Brüsseler Eile bei der Freihandelszone mit den USA gesehen werden. Nicht mehr ganz abwegig klingt mittlerweile, was Barroso vor einiger Zeit aus Frankreich vorgeworfen wurde. Der EU-Kommissar wolle sich mit einer willfährigen Politik bei dem Handelsabkommen die Unterstützung der USA sichern, wenn es um seine weitere politische Karriere gehe, so die Kritik. Barroso treffe längst Vorsorge, als UN-Generalsekretär oder als Nato-Chef zu kandidieren. Die kleinlauten Brüsseler Reaktionen auf den NSA-Spionageskandal oder was inzwischen an Details aus den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen bekannt wurde, sind kaum geeignet, den französischen Verdacht zu entkräften.

Während Otto Normalverbraucher mit dem Begriff Freihandelszone vor allem den Wegfall von Zöllen verbindet, verhandeln EU-Beamte mit US-Lobbyisten in Brüsseler Hinterzimmern längst über ganz andere Dinge. In der Diskussion steht etwa, dass nicht Gerichte oder Regierungsvertreter Streitigkeiten in der künftigen Handelszone klären sollen, sondern mit Wirtschaftsvertretern besetzte Schlichterstellen. Als ein Paradies für die Wallstreet auf Kosten der europäischen Steuerzahler könnte sich ein anderes Vorhaben entpuppen. In der Freihandelszone sollen Unternehmen das Recht erhalten, Staaten wegen wirtschaftsfeindlicher Entscheidungen auf Schadensersatz verklagen zu können. Das Resultat ist leicht abzusehen. So würde kaum ein Politiker es mehr wagen, eine weitreichende Entscheidung zu treffen.

Dass Derartiges ernsthaft zur Verhandlung steht, kann kaum verwundern, haben doch US-Unternehmen in Brüssel bereits ein breites Netzwerk aufgebaut, um bei der EU-Gesetzgebung zu intervenieren. Angesichts derartiger Rahmenbedingungen lässt Barrosos ausbleibende Reaktion auf die US-Spionageaktivitäten in Europa befürchten, dass längst feststeht, wer in der künftigen Freihandelszone „Koch“ und wer „Kellner“ sein wird. Norman Hanert


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