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23.11.13 / Masse statt Klasse / Zwar gibt es hierzulande immer mehr Ganztagsschulen, aber nur wenige erfüllen den gestellten Anspruch

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-13 vom 23. November 2013

Masse statt Klasse
Zwar gibt es hierzulande immer mehr Ganztagsschulen, aber nur wenige erfüllen den gestellten Anspruch

Während sich SPD und Union im Rahmen der Koalitionsverhandlungen über den Ausbau der Ganztagsschule streiten, stellt sich die Frage, was darunter genau zu verstehen ist. Ein Blick in die Bundesländer zeigt, dass Deutschland ein Flickenteppich der verschiedensten Regelungen ist.

Rund 50 Kinder toben in dem Raum, der eigentlich nur für die Hälfte gedacht ist. Doch es regnet draußen und zwei Leiter der Nachmittagskurse sind krank, daher sammeln sich die Grundschüler nun in diesem Raum. Während einige Kinder versuchen, mit einer der beiden Aufsichtspersonen ein Gesellschaftsspiel zu spielen, versucht die andere Honorarkraft zwei Jungen zu trennen, die sich gerade wegen irgendetwas streiten. Es herrscht ein ohrenbetäubender Lärm und Konzentration ist daher nicht möglich. Das, was Außenstehende Chaos nennen würden, ist jedoch aus Sicht einiger der 16 Schulministerien hierzulande eine offene Ganztagsschule. Hauptsache, die Kinder sind irgendwie betreut, lautet offenbar das Motto, das jegliche pädagogische Langfristziele außer Acht lässt.

Doch fragt man bei den Schulministerien der 16 Bundesländer an, was sie jeweils unter dem Begriff Ganztagsschule verstehen, erhält man Presseantworten, die fast immer mit dem Satz „Bildung hat bei uns oberste Priorität“ beginnen. Und auch SPD und Union betonen dies immer wieder. Allerdings ließ die CDU im Rahmen der Koalitionsverhandlungen schon die Katze aus dem Sack, indem sie betonte, dass Ganztagsschule für sie vor allem Ganztagsbetreuung sei und nicht Ganztagsunterricht. Damit befindet sie sich mit den Landesregierungen, egal welcher politischen Couleur, auf einer Linie. So sind im Grundschulbereich 85 Prozent aller Einrichtungen sogenannte offene Ganztagsschulen. Das heißt, dass die Teilnahme daran nicht verpflichtend ist. Alles andere ist Auslegungssache. Denn die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder gibt keinerlei einheitliche Richtlinien vor. Welche Konzepte man anwendet, welche Qualitätsstandards man wünscht und in welchem zeitlichen Umfang die Betreuung stattfindet, all das wird vor Ort entschieden. Und das heißt zumeist buchstäblich vor Ort, nämlich in der jeweiligen Schule selbst, denn die Rahmenvorgaben aus den jeweiligen Landeshauptstädten sind überwiegend knapp gehalten. Einige geben vor, dass die offene Ganztagsschule sieben Stunden pro Schultag umfassen soll, andere hingegen wollen an drei, manche an vier Tagen eine Schulzeit von 8 bis 16 Uhr. Manche Kultusminister wünschen, dass ein gewisser Anteil der Mitarbeiter aus pädagogischem Personal, also Lehrern oder Erziehern, besteht, andere machen keinerlei Vorgaben.

Für die Eltern ist ein derartiges Durcheinander nur schwer zu durchschauen. Vor allem ist es angesichts des Umstandes, dass die Politik um das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein großes Aufheben macht und seit August der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz besteht, äußerst irritierend, dass die Betreuung von Schulkinder rein zeitlich gesehen deutlich schlechter geregelt ist. Hierfür wird der Umstand verantwortlich gemacht, dass Bildung laut Grundgesetz Ländersache ist und der Bund sich hier nicht einmischen darf. Beim Ausbau der Krippenplätze, die zum Bereich der Jugendhilfe zählen, wird das sogenannte Kooperationsverbot nicht so eng gesehen. Wenn der Bund also, so wie es jetzt bei den Koalitionsverhandlungen Thema ist, den Ausbau der Ganztagsschulen vorschreiben will, dann bedarf es einer Grundgesetzänderung. Diese wiederum muss nicht nur vom Bundestag, sondern auch vom Bundesrat genehmigt werden. Und auch wenn die Länder gern Geld vom Bund nehmen, so wollen sie sich doch von diesem nicht zugleich Vorgaben machen lassen.

Ilka Hoffmann, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, kennt die Probleme nur zu gut. Die Schule, so Hoffmann gegenüber der PAZ, sei nicht an den Bedarf der Gesellschaft angepasst worden. Sie hinke finanziell wie strukturell den gesellschaftlichen Entwicklungen hinterher. Die Ausstattung der Ganztagsschulen hänge zudem in erster Linie von der Kassenlage der Länder ab – und die ist häufig durchwachsen bis schlecht.

Durchwachsen bis schlecht sei auch immer häufiger der Bildungsstand ihrer Bewerber, klagen Unternehmen quer durchs ganze Land. So mancher Hauptschulabgänger beherrsche nicht einmal die Grundrechenarten, heißt es voller Unverständnis. Und so hat der Verband der Bayerischen Wirtschaft (VBW), in dem bayerische Unternehmen mit rund 4,4 Millionen Beschäftigten organisiert sind, den Aktionsrat Bildung beauftragt, sich in einer Untersuchung mit dem Thema Ganztagsschule zu befassen. Motiv für den Auftrag ist, dass Facharbeiter aufgrund der demografischen Entwicklung in Zukunft immer schwieriger zu finden sein werden und daher die Arbeitskräfte, die vorhanden sind, so gut wie möglich ausgebildet sein müssen. Eine für alle verpflichtende rhythmisierende Ganztagsschule soll hierbei helfen. Diese sieht eine Mischung aus Unterricht und Freizeitangebot vor, die sich aber über den ganzen Tag verteilt. Lernen und Spielen sollen sich abwechseln, so die Theorie, laut der die Aufnahmefähigkeit der Kinder so verbessert wird.

Derzeit haben beispielsweise Grundschulkinder überwiegend bis Mittag Unterricht, der von einem Lehrer abgehalten wird, dann geht ein Teil nach Hause, während der andere überwiegend von Honorarkräften, die im Durchschnitt zehn Euro die Stunde erhalten, manchmal aber auch von Erziehern, betreut wird. Von Hausaufgabenhilfe über Musikunterricht hin zu Sport reicht das Angebot, was manchmal auch von Sportvereinen oder Musikschulen mit organisiert wird, doch da es nichts kosten soll, finden die Kurse viel zu oft ohne Fachkraft und Konzept statt. Dass auf diese Weise die Bildung, aber auch die Integration von Zuwandererkindern optimiert wird – wie es das offizielle Ziel vorsieht –, ist zu bezweifeln. Rebecca Bellano


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