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23.11.13 / Bürgermeister und Poet / Georg Reicke stand sowohl im Dienste Berlins als auch der schönen Künste

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-13 vom 23. November 2013

Bürgermeister und Poet
Georg Reicke stand sowohl im Dienste Berlins als auch der schönen Künste

Der gebürtige Königsberger Georg Reicke wirkte sowohl als Bürgermeister Berlins, wo er das Groß-Berlin-Gesetz anstrebte als auch als Literat. Vor 150 Jahren, am 26. November 1863, kam er in Königsberg zur Welt.

Georg Reicke war der zweite Sohn eines Memeler Ehepaares. Der Vater, Lotsensohn, hatte sich über Lehrerausbildung und Studium zum Bibliothekarsberuf emporgearbeitet und zum anerkannten, unermüdlichen Kant-Forscher. In dem bescheidenen Eigenheim in der Kalthöfischen Straße mit Garten wuchsen vier glückliche Kinder auf. Das Leben von dreien gehörte später den Büchern. Johannes wirkte vier Jahrzehnte lang als Universitätsbibliothekar in Göttingen und Emil als Historiker und Archivar in Nürnberg. Anna wurde eine der ersten Volksbibliothekarinnen von Berlin. Der musisch veranlagte Georg hingegen studierte Jura in Königsberg und Leipzig. Er war unter Georg Ellendt Schüler des berühmten „Fridericianums“ gewesen.

Reickes Referendariat in dem Haffstädtchen Heiligenbeil fand später ihren Niederschlag in seinem Roman „Im Spinnenwinkel“. Als Konsistorialassessor an den Oberkirchenrat in Danzig berufen, heiratete Reicke eine junge Malerin, Tochter eines früh verstorbenen Berliner Architekten. Nach drei Jahren als Konsistorialrat wurde er nach Berlin versetzt. Eines Tages war im „Reichsboten“ zu lesen: „Ein Mitglied der hohen Behörde kämpft Schulter an Schulter mit Ibsen und Nietzsche.“ Und als dieses Mitglied gar mit Hermann Sudermann zusammen den „Goethebund“ zur Bekämpfung des drohenden Strafgesetzbuchparagrafen 184a betreffend die „Verbreitung unzüchtiger Schriften“ gründete, war Strafversetzung vorgesehen. Der Mann ohne Vermögen, aber mit vier kleinen Kindern nahm seinen Abschied. Sein Roman „Das grüne Huhn“ und sein Drama „Freilicht“ machten den Freisinnigen rasch bekannt. Der damalige Reichskanzler Bernhard von Bülow holte ihn zunächst ins Reichsversicherungsamt; aber noch vor späterer Verwendung wählten die Stadtväter von Berlin ihn zum Bürgermeister.

Wes Geistes Kind er war, erwiesen Reickes Reden zur Schillerfeier auf dem Gendarmenmarkt am 9. Mai 1905 und zur Hundertjahrfeier der Stein’schen Städteordnung im November 1908. Beides waren Bekenntnisse eines idealistischen Freiheitssinnes. Vier weitere Wesenszüge des Menschen haben sich in den Tätigkeitsgebieten des Bürgermeisters, oft einander durchdringend, ausgewirkt, als da wären Mitmenschlichkeit und soziales Gewissen, Geschichtsbewusstsein, Naturliebe und Kunstfreude. In die Amtszeit des Bürgermeisters Reicke fallen die Eröffnung des Rudolf-Virchow-Krankenhauses und der Anstalten von Buch, die Schaffung des „Schiller-Parks“ und des „Märchenbrunnens“ im Friedrichshain, die Freigabe der Liegewiese im Treptower Park, der Bau des neuen „Stadthauses“ mit der Bärenbekrönung von Georg Wrba und des „Märkischen Museums“ sowie die Rettung des Nicolai-Körner-Hauses in der Brüderstraße als „Lessing-Museum“.

Den bedrängten jungen Dichtern half Reicke, indem er sie zu Standesbeamten machte. Seine oft erhobene Forderung nach einer „Städtischen Galerie“ blieb hingegen erfolglos.

Einen schweren Rückschlag erlitt seine Beamtenlaufbahn, als das für eine Arbeiter-Gartensiedlung vorgesehene Aufmarschgelände des Tempelhofer Feldes im letzten Augenblick durch ein Überbieten seitens der „Terrain-Spekulation“ der Stadt entrissen wurde. Abschluss und Krönung der Dienstjahre bildete 1920 die Verwirklichung der oft von ihm erhobenen Forderung nach einem „Groß-Berlin“. Damit nahm er seinen Abschied.

Nur zwei Jahre der ersehnten Freiheit und dichterischen Arbeit waren ihm vergönnt. Georg Reicke erlebte mit seiner Frau einen Münchener Winter als „Studenten-Ehepaar“ im Literatur-Kolleg von Arthur Kutscher oder beim Salvator-Anstich mit Max Halbe. Berlin feierte die Uraufführung seiner Charakter-Komödie „Sie“, mit

Erika Glässner wird sie „en suite“ gespielt. Es war der sechste und größte Erfolg als Bühnenautor.

Dem Roman aus dem Leben des Vaters „Der eigene Ton“ folgt anderthalb Jahrzehnte später „Der eiserne Engel“, ein Schlüsselroman der Beamtenerlebnisse. Als das „Berliner-Tageblatt“ ihn vor der Buchausgabe abdruckte, schlossen sich die hellblickenden Augen des Bürgermeisters und Poeten für immer. Er starb an einer Nachwirkung der Kriegsjahre in seiner Wahlheimat am 7. April 1923. PAZ


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