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30.11.13 / Erst schießen, dann malen / Der Erste Weltkrieg aus Sicht der Künstler – Kriegsmalerei in der Bonner Bundeskunsthalle

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-13 vom 30. November 2013

Erst schießen, dann malen
Der Erste Weltkrieg aus Sicht der Künstler – Kriegsmalerei in der Bonner Bundeskunsthalle

Beim Kriegsausbruch 1914 meldeten sich auch viele Künstler freiwillig an die Front. Desillusioniert kehrten die meisten zurück. Das künstlerische Ergebnis zeigt die Bonner Ausstellung: „1914 – Die Avantgarde im Kampf“.

In der Bonner Bundeskunsthalle wird man von einem stolzen Mann in Ritterrüstung empfangen. Es handelt sich um ein Selbstbildnis des damals 56 Jahre alten ostpreußischen Impressionisten Lovis Corinth. Das Ölgemälde entstand 1914 zu Beginn des Ersten Weltkriegs. Es spiegelt die Stimmungslage weiter Teile der deutschen Bevölkerung wider: Man war kampfentschlossen, wenn nicht gar kriegsbegeistert. Das nebenan hängende Bild malte Corinth 1918. Es symbolisiert mittels der auf dem Atelierboden verstreuten Teile der Ritterrüstung den Zusammenbruch der Illusion vom heldenhaften Krieg und auch des Kaiserreichs, das einer Republik weichen musste.

Den Ersten Weltkrieg erlebten die Zeitgenossen als ungeheuerlichen Bruch mit allen positiven Werten der Zivilisation. Der holländische Sozialistenführer Troels­tra klagte: „Millionentod und -verstümmelung, Milliardenvernichtung bis zur finanziellen Erschöpfung; Himmel, Meer und Erde ein Schauplatz gegenseitiger Verwüstung. Die Welt eine Hölle, die Menschen wilde Teufel, wissenschaftliche Fortschritte und technische Möglichkeiten in den Dienst eines noch nie da gewesenen Barbarismus gestellt.“

Rund 70 Millionen Soldaten waren auf Seiten der von Deutschland und Österreich-Ungarn angeführten Mittelmächte sowie der Alliierten mit Frankreich, England, Russland, ab 1917 auch den USA an der Spitze am Krieg beteiligt. Über zehn Millionen Menschen verloren ihr Leben.

Wie sich der Erste Weltkrieg im Schaffen der Künstler spiegelt, zeigt die packende Ausstellung in der Bundeskunsthalle. Aufgeboten sind rund 300 Werke von mehr als 50 europäischen Künstlern. Die Schau beginnt mit kriegslüsternen Werken. Der eigentlich friedliebende Ernst Barlach etwa ließ sich anlässlich des Kriegseintritts Englands zu der Kleinplastik des mit dem Säbel mächtig ausholenden „Rä­chers“ (1914) hinreißen. Künstler, die das Kriegsgeschehen leibhaftig miterlebten, waren jedoch in vielen Fällen von ihren Erlebnissen schockiert, ja traumatisiert. Der Impressionist Max Slevogt aquarellierte einen gefallenen Engländer, der verkrümmt in seinem Blut liegt. Slevogt hatte sich im Oktober 1914 freiwillig als Kriegsmaler an die Westfront begeben. Nach drei Wochen kehrte er nach Hause zurück, erschüttert von den körperlichen und psychischen Strapazen.

Mit Zynismus sah der Kriegsfreiwillige Otto Dix seinem Fronteinsatz entgegen, wie das „Selbstbildnis als Schießscheibe“ (1915) beweist. Jahrzehnte nachdem alles überstanden war, äußerte er vollmundig: „Der Krieg war eine scheußliche Sache, aber trotzdem etwas Gewaltiges. Das durfte ich auf keinen Fall versäumen!“ Max Beckmann meldete sich freiwillig als Sanitäter und erwartete, dass der Krieg seiner „Kunst etwas zu fressen“ gebe. Zu den künstlerischen Ergebnissen gehören die Radierungen einer explodierenden Granate (1914) und eines Leichenhauses (1915). Mitte 1915 wurde Beckmann wegen Nervenzusammenbruchs beurlaubt und 1917 endgültig aus dem Kriegsdienst entlassen.

Trotz seiner Furcht vor dem Fronteinsatz meldete sich auch Ernst Ludwig Kirchner freiwillig – und wurde bald wegen seiner Angstzustände beurlaubt. Das Gemälde „Selbstbildnis als Soldat“ (1915) zeigt ihn mit fehlender Malhand auf dem Tiefpunkt seiner inneren Zerrüttung. Der Freiwillige Franz Marc hingegen begrüßte den großen Krieg als „reinigendes Fegefeuer“ und sprach vom „Imposanten, ja Mystischen“ der Artilleriekämpfe. Ausgestellt sind einige seiner Blätter des „Skizzenbuchs aus dem Felde“ (1915), darunter „Arsenal für eine Schöpfung“. Über seine künstlerischen Ab­sichten äußerte er: „Mein Hauptgedanke ist jetzt: Entwurf zu einer neuen Welt.“ Franz Marc fiel 1916 bei Verdun.

Einen tiefen Eindruck hinterlassen insbesondere die Werke von Wilhelm Lehmbruck und C. R. W. Nevinson. Lehmbruck wurde wegen Schwerhörigkeit nicht einberufen, diente aber für kurze Zeit in einem Berliner Hilfslazarett als Sanitäter. Dort erarbeitete er die gestalterischen Grundlagen für die Skulptur des „Gestürzten“ (1915). In schutzloser Nacktheit kriecht der Krieger, das zerbrochene Schwert in der vorgeschobenen Rechten, auf allen Vieren und stützt sich vor dem tödlichen Zusammenbruch mit dem kahlen Schädel vom Boden ab.

Der Engländer Nevinson wurde 1917 als offizieller Kriegsmaler an die Westfront geschickt. Sein Ge­mälde „Wege zum Ruhm“ (1917) wartet mit dem traurigen Anblick zweier englischer Soldaten auf, die in einem Stacheldrahtverhau den „Heldentod“ gefunden haben. Als Nevinson das Gemälde 1918 auf einer Londoner Ausstellung zeigen wollte, fiel es auf Verlangen des Kriegsministeriums der Zensur zum Opfer.

Als offizieller Kriegsmaler betätigte sich auch der Schweizer Félix Vallotton, der die französische Staatsbürgerschaft angenommen hatte. Um Eindrücke für Kriegsgemälde zu sammeln, ging er 1917 an die Front. Seine Ge­mälde zeigen, was die destruktiven Kräfte des Krieges angerichtet haben: Ruinen und zerstörte Landschaften. Vallotton machte sich Gedanken über die angemessene Darstellung des Krieges: „Wo ist das typische Bild?“ Sind es die jammernden Verwundeten oder der mit einer Kugel zwischen den Augen zusammenge­sack­te Soldat, die umgepflügten Leichenhaufen oder die Friedhöfe mit ihren ordentlich aufgereihten Grabkreuzen?

Erschütternd ist auch die Zusatzschau „Verlorene Söhne“ mit ihren Fotografien von toten Soldaten. Im Mittelpunkt stehen eine Plastik und mehrere Lithografien von Käthe Kollwitz, deren Sohn Peter im Ersten Weltkrieg fiel. Sie geben der Trauer Ausdruck und wenden sich gegen je­den Krieg: „Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden“ ist Titel einer der Grafiken. Ansonsten ist die Zusatzschau dokumentarisch angelegt, handelt von Kriegen, Soldatenfriedhöfen und dem Terroranschlag vom 11. September 2001. Veit-Mario Thiede


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