28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
07.12.13 / Halunken unter sich / Querdenker aus Königsberg – DDR-Philosoph Wolfgang Harich wurde vor 90 Jahren geboren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-13 vom 07. Dezember 2013

Halunken unter sich
Querdenker aus Königsberg – DDR-Philosoph Wolfgang Harich wurde vor 90 Jahren geboren

Der Fall Harich erzeugte noch in der Nachwendezeit viel Aufmerksamkeit. Der Philosoph, Marxist und Dissident Wolfgang Harich verkörperte einen Teil deutscher Nachkriegsgeschichte auf eigene tragische Weise.

Im Jahr 1991 gab es einen Verleumdungs-Prozess, bei dem ein kommunistisches Komplott aufgearbeitet wurde, das 35 Jahre zurücklag. Nach Chruschtschows Geheimrede gegen Stalin von 1956 rief der Philosoph Wolfgang Harich zur Reform des Sozialismus auf. Als er von der Stasi wegen Staatsverrats verhaftet wurde, hat er auch seinen Chef, den damaligen Leiter des Aufbau-Verlags Walter Janka, schwer belastet. Beide wurden zu jahrelanger Haft verurteilt. Seitdem war das Verhältnis der ehemaligen Freunde so zerrüttet, dass sich Harich nach der „Wende“ gegen Jankas Behauptung, Agent des sowjetischen Geheimdiensts gewesen zu sein, juristisch zur Wehr setzte.

Janka blieb der Verhandlung fern. „Sie glauben doch nicht, dass ich mich mit so einem Halunken an einen Tisch setze“, ließ er wissen. Es war der unrühmliche Schlussstrich unter einer für marxistische Dialektiker oft so typischen Entwicklung, die stellvertretend für den Untergang des Sozialismus steht: Erst marschiert man solidarisch unter dem roten Banner gegen den Klassenfeind, dann ist man sich selbst spinnefeind und bekämpft sich gegenseitig bis aufs Blut.

Seit der Auseinandersetzung mit Janka in den 50er Jahren galt Harich unter den DDR-Dissidenten als Unperson. Dabei war er nach dem Krieg der Star der Ost-Berliner Intellektuellenszene, der trotz nonkonformer Ansichten die Karriereleiter aufstieg. Geboren am 9. Dezember 1923 in Königsberg als Sohn des aus Mohrungen stammenden Romanautors und Literaturhistorikers Walther Harich sowie der Tochter von Alexander Wyneken, dem Herausgeber der „Königsberger Allgemeinen Zeitung“, galt er als brillanter ostpreußischer Querdenker. Nach seiner Desertation von der Armee tauchte er in Berlin unter und schloss sich einer kommunistischen Widerstandsbewegung an.

Von einem weltanschaulichen Extrem zum nächsten wechselnd, tauschte er seine ursprünglichen buddhistischen Neigungen gegen den Marxismus ein, trat 1945 der KPD bei, wurde Feuilleton-Autor und handelte sich eine öffentliche Ohrfeige der Schauspielerin Käthe Dorsch wegen eines Theaterverrisses in einer sowjetamtlichen Zeitung ein. Die nächste Ohrfeige kam von staatlicher Seite: Der über Herder promovierte Dozent verlor seinen Lehrposten an der Humboldt-Universität, da er für Studenten die Abschaffung des Russischen zugunsten einer westlichen Fremdsprache forderte.

Fortan gab er mit Ernst Bloch die „Zeitschrift für Philosophie“ heraus, erhielt auf Bestreben von Bert Brecht den Heinrich-Mann-Preis und wurde unter der Leitung des Spanienkämpfers Janka Cheflektor beim Aufbau-Verlag. Doch nach der Chrustschow-Rede nahm das Verhängnis seinen Lauf. Es bildete sich ein „Kreis der Gleichgesinnten“, der von den DDR-Staatsorgangen auch „Harich-Gruppe“ genannt wurde. Dieser forderte die Ablösung Ulbrichts als Partei- und Staatschef, freie Wahlen und ein Bündnis der Kommunisten mit der SPD. Das Forderungspapier überreichte Harich dem Sowjet-Botschafter Puschkin, der umgehend die Stasi informierte. Als Harich eine Kopie auch dem „Spiegel“ übergab, wurde er verhaftet. Es kam zu einem Schauprozess, in dem er den reumütigen Sünder mimte und Janka als Mitwisser dieser „konterrevolutionären Verschwörung“ bezeichnete. In einem getrennten Prozess wurde Janka zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Harich sollte zehn Jahre absitzen, wurde aber nach acht Jahren amnestiert. Er arrangierte sich mit den Machthabern und publizierte politisch Unverdächtiges, so eine geschätzte Studie über Jean Pauls Revolutionsdichtung. 1975 aber forderte er eine „Öko-Diktatur“ lange bevor es die Partei der Grünen gab. 1979 reiste er in den Westen aus, kehrte aber nach nur zwei Jahren in die DDR zurück. Anders als Wolf Biermann oder der Dissident Rudolf Bahro fühlte er sich im Westen nicht willkommen. Er war auch hier umstritten, da er weder als Dissident noch als systemtreuer DDR-Bürger galt.

„Ich hatte alle gegen mich“, resümierte Harich, „die Altstalinisten, weil sie mir immer noch die Geschichte von 1956 nachtragen, und die Dissis, die mir nicht verziehen, dass ich 1975 geschrieben habe, nur eine Diktatur könne die Zukunftsprobleme der Menschheit lösen.“ Wie viele andere sah er sich gescheitert, den real existierenden Sozialismus von innen her auszuhöhlen, wie auch von außen, also vom Westen aus, vom Stalinismus zu befreien.

Träumte er nach 1989 von der Wiederkehr des Sozialismus? Nach dem teilweise erfolgreichen Nach-Wende-Prozess gegen Janka wurde er PDS-Mitglied, starb aber nur ein Jahr später am 15. März 1995 in Berlin. Harald Tews


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren