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21.12.13 / Vom Sieg narkotisiert / Wer die Ruhe in der CSU mit Zufriedenheit verwechselt, der irrt: An der Basis gärt der Unmut

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-13 vom 21. Dezember 2013

Vom Sieg narkotisiert
Wer die Ruhe in der CSU mit Zufriedenheit verwechselt, der irrt: An der Basis gärt der Unmut

Die Wahlsiege in Bund und Land machen Parteichef Horst Seehofer zum ungekrönten König, dem intern niemand zu widersprechen wagt. Aber hinter vorgehaltener Hand erklingt Murren über den Koalitionsvertrag und den Wischiwaschi-Kurs der Führung.

Mütter, deren Kinder vor 1993 geboren wurden, erhalten eine höhere Rente. Das Betreuungsgeld für Eltern, die ihre Kleinkinder lieber selber erziehen wollen, bleibt. Die Autobahnmaut für Ausländer ist aber schon nur noch eine Absichtserklärung, ein wackliger Prüfauftrag. Zwar behauptet CSU-Chef Seehofer, diese in den Koalitionsvertrag eingegangenen Forderungen belegten, dass das Dokument die Handschrift der CSU trage. Aber dass das nicht stimmt, ist einem großen Teil der einfachen, konservativen CSU-Mitglieder klar. Klassische christlich-konservative und wirtschaftsliberale Positionen fehlen.

„Wir haben die Wahlen gewonnen, aber die Koalitionsverhandlungen verloren“, hört man dieser Tage häufig an der CSU-Basis. Verärgerung herrscht über die beschlossene Rente mit 63, die Belastung der Sozialkassen auf Kosten der Jugend und die Nicht-Senkung des Rentenbeitrags. Dass die Bekämpfung der ungerechten Kalten Progression und die Erhöhung der Pendlerpauschale, einst zentrale Themen der CSU, überhaupt keine Rolle gespielt haben, ruft nur noch Kopfschütteln hervor. Oder klassische christlich-konservative Herzensanliegen wie der Kampf gegen die hunderttausendfache Tötung gesunder Babys im Mutterleib – solche Themen interessieren die heutige CSU-Führung offensichtlich überhaupt nicht mehr.

Auf dem jüngsten Parteitag hat Seehofer mal wieder einen echten „Drehhofer“ hingelegt, eine jener spektakulären Wenden um 180 Grad, für die er ebenso berühmt wie berüchtigt ist. Da der SPD-Mindestlohn von 8,50 Euro in den Verhandlungen nicht mehr zu verhindern war, erklärte er kur-zerhand, eigentlich habe die CSU das ja schon immer gewollt. „Abenteuerlich. Siegerpose verdeckt inhaltliche Defizite“, kommentierte ein hellsichtiger CSU-Mann. In Wahrheit wollten die Sozialpolitiker von CDU und CSU immer von den Tarifpartnern festgelegte Mindestlöhne, differenziert nach Branchen und Regionen, keinen gesetzlichen Einheitsbrei.

Bei Licht betrachtet kann die Union heilfroh sein, dass SPD-Kanzler Gerhard Schröder einst die Agenda 2010 durchgesetzt hat. Die Früchte der harten Reformen, einen dauerhaften und stabilen Aufschwung, ernten seit Jahren die Union und Kanzlerin Angela Merkel. Aber seit ihrem Amtsantritt 2005 sind kaum weitere Reformen hinzugekommen, die diesen Namen verdienen – auch wegen der erneuten Linkswende der SPD, die um ihre Existenz bangte. Beispielsweise die noch unter Arbeitsminister Franz Müntefering beschlossene Rente mit 67, ein absolutes Muss aufgrund der Demografie, ist nur noch ein durchlöcherter Torso; mit den neuen Ausnahmen kaum mehr erkennbar.

Wofür steht die Union, wofür steht die CSU noch, fragen sich immer mehr CSU-Mitglieder. Die CDU war ja völlig ohne eigene Positionen in die Verhandlungen gegangen, das hatte man von Merkel auch nicht anders erwartet. Die CSU ihrerseits hat ihre Schwerpunkte – Mütterrente, Betreuungsgeld, Pkw-Maut – so gut wie durchgesetzt. Genau betrachtet, sind zwei von den dreien höhere Sozialleistungen und eines eine Abgabenerhöhung. Wo ist die wirtschaftspolitische Kompetenz, wo ist die Forderung nach Sparsamkeit, Nachhaltigkeit, gar Steuersenkungen?

Noch zu Zeiten eines Edmund Stoiber und sogar eines Erwin Huber wäre eine derart linkslastige und sozialdemokratische CSU-Agenda undenkbar gewesen. Aber wer traut sich, das laut zu sagen? Die Frauen- und die Senioren-Union wurden mit den neuen Sozialleistungen ja gerade ruhiggestellt. Die Junge Union besteht offensichtlich vor allem aus Karrieristen, die nicht aufmucken. Die einzigen, die sich zu protestieren trauen, sind die Mittelständler, da sie wirtschaftlich unabhängig und daher nicht unbedingt auf Polit-Posten angewiesen sind.

Man darf gespannt sein, wie teuer beispielsweise die anstehende EEG-Reform angesichts des massiven Einflusses der Energie-Lobby die Verbraucher dann nochmals kommen wird. Unmut herrscht bei vielen klar denkenden CSU-Leuten auch über die Pkw-Maut-Offensive ihrer Parteispitze. Einerseits wäre es natürlich ein Gebot der Gerechtigkeit, die vielen Transit-Österreicher, Holländer, Polen und so weiter an der Finanzierung der Autobahnen zu beteiligen. Doch was passiert denn, wenn dereinst Rot-Grün oder gar Rot-Rot-Grün regiert? Dann wird die Ausländer-Maut, so sie jetzt überhaupt rechtlich als solche durchsetzbar ist, ganz schnell zur Inländer-Maut – und wegen der grünen „Lenkungswirkung“ am besten kilometerabhängig, was viele Pendler massiv belasten würde. Und die geschichtliche Erfahrung lehrt, dass einmal eingeführte Steuern und Abgaben niemals abgeschafft werden. Aber derlei Einwände werden in der CSU kaum öffentlich artikuliert.

Wie lange sich diese von den Wahlerfolgen getriebene Spirale des Schweigens im Seehofer-System noch dreht, bis die Ersten vernehmbar zu protestieren wagen, ist derzeit völlig unklar. Anton Heinrich


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