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04.01.14 / Jeder macht, was er will / Hamburg führt erstmals »Kita-TÜV« ein: Bisher gibt es keine Qualitätskontrollen bei Bildungskonzepten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-14 vom 04. Januar 2014

Jeder macht, was er will
Hamburg führt erstmals »Kita-TÜV« ein: Bisher gibt es keine Qualitätskontrollen bei Bildungskonzepten

Während Gegner des Ausbaus der Kinderbetreuung beklagen, dass der Staat auf diese Weise versuche, sich in die Erziehung einzumischen, um schon Kleinkindern seinen bildungspolitischen Einheitsbrei zu servieren, betonen Politiker, dass ihnen die frühkindliche Bildung besonders wichtig sei. Doch letztendlich gehen beide Behauptungen an der Realität vorbei.

Noch sucht die Stadt Hamburg, doch in diesem Monat soll sie gefunden werden, die unabhängige Zertifizierungsagentur, die die Krippen und Kitas der Hansestadt auf Vorhandensein und Umsetzung von Bildungskonzepten hin überprüft und dies dann alle vier Jahre wiederholt. „Kita-TÜV“ heißt das System, das die SPD-Regierung unter dem Ersten Bürgermeister Olaf Scholz einführen will und das auf Druck der Eltern, genauer des Landeselternausschusses Kindertagesbetreuung (LEA), installiert wird. „Der quantitative Ausbau der Kindertagesbetreuung in Hamburg, den wir gemeinsam mit den Trägern in den letzten Jahren sehr konsequent und erfolgreich umgesetzt haben“, so Sozialsenator Detlef Scheele (SPD), „muss einhergehen mit der Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität Hamburger Kitas.“ Scheele betont, dass Hamburg das erste der 16 Bundesländer sei, das eine regelmäßige Qualitätskontrolle der Kinderbetreuungseinrichtungen flächendeckend organisiere.

Zwar klingt die Nachricht für Hamburger Eltern erfreulich, macht aber zugleich deutlich, dass es bisher keine derartigen Qualitätskontrollen gibt. Dies macht besonders stutzig, weil erstens Politiker immer wieder betonen, wie besonders wichtig frühkindliche Bildung sei, während in der Realität jede Kinderbetreuungseinrichtung bisher offenbar ohne Erfolgskontrolle agieren konnte, und zweitens die Krippen und Kitas das wertvollste Gut der Eltern und die Zukunft des Landes, ja, was eigentlich ... beaufsichtigen, verwalten, betreuen oder wirklich fördern?

Zu allererst ist es jedoch unfair, gleich vom Negativen auszugehen. Da sich bisher keine Massen an Eltern über die Zustände in Kinderbetreuungseinrichtungen beschwert haben, kann man davon ausgehen, dass die meisten das aus ihrer Sicht Beste für die Kinder tun. Trotzdem hat der familienpolitische Sprecher der Hamburger CDU-Bürgerschaftsfraktion, Christoph de Vries, nicht Unrecht, wenn er anmerkt, dass in Deutschland selbst „jedes Auto und jede Frittenbude häufiger überprüft wird als die Einrichtung, der wir unsere Kinder anvertrauen“. Er fordert einen Rhythmus für Kita-Kontrollen von zwei Jahren und verlangt, dass die Inspektionsergebnisse für die Eltern einsehbar sind.

Tatsächlich ist es merkwürdig, dass Autos alle zwei Jahre zum TÜV müssen und Kitas, denen inzwischen eine hohe Bedeutung bei der Bildung zugesprochen wird, bisher ohne Qualitätskontrollen jenseits von Personalschlüsseln, Quadratmeterzahlen, Gebäude- und Kinderschutz existierten. Allerdings wurde der Kfz-TÜV auch erst eingeführt, als Autos zum Massengut wurden, zumindest bei Krippen geschieht dies jetzt erst und Kitas wurden bisher häufig eher als Spielgruppe und Betreungs-, jedoch nicht als Bildungseinrichtung gesehen. Erst im Rahmen des seit zehn Jahren existierenden internationalen Bildungs­tests Pisa erfolgte eine Aufwertung.

Aufschlussreich ist die Nachricht über die Einführung eines „Kita-TÜV“ zudem noch aus einem anderen Grund. Gegner des Ausbaus der Kinderbetreuung warnen stets davor, dass der Staat sich damit in die Erziehung einmischen wolle und den Kindern einen vom Staat verordneten bildungspolitischen Einheitsbrei serviere. Doch hier zeigt die Realität schnell, dass es dem Staat vorrangig um andere Dinge geht, wie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, um einerseits den Frauen den schnellen Wiedereinstieg in den Beruf zu ermöglichen, andererseits aber auch das Fachkräftepotenzial für die Wirtschaft zu erhöhen, schließlich sind viele Frauen inzwischen bestens ausgebildet, und um so die Zahl der Steuerzahler zu steigern. Zwar kostet ein Vollzeitbetreuungsplatz für unter Dreijährige beispielsweise in Hamburg fast 1200 Euro, doch sinkt der Preis bereits ab drei Jahren auf 760 Euro. Gut verdienende Eltern tragen davon 393 Euro selber, den Rest übernimmt die Stadt, erhält dafür aber Steuern von der arbeitenden Frau, die zudem in die Sozialversicherungen einzahlt. Bereits mittelfristig rentiert sich als das Investment Krippe/Kita für die Stadt, da Frauen durch den schnellen Wiedereinstieg in den Beruf deutlich kürzere Verdienstausfallzeiten haben, was auch den Konsum erhöht. Die derzeit hohe Zahl der Erwerbstätigen zeigt bereits, dass die Strategie aufgeht, denn unter ihnen sind immer mehr berufstätige Mütter.

Von einem bildungspolitischen Einheitsbrei kann man zudem nicht sprechen, weil ein Großteil der Krippen/Kitas von freien Trägern betrieben wird. Dies sind kirchliche Einrichtungen wie Diakonie und Caritas, soziale wie Arbeiterwohlfahrt oder Der Paritätische, aber auch unzählige private Anbieter. Und so etwas wie Lehrpläne wie bei Schulen, bei denen es übrigens auch keine einheitlichen Qualitätskontrollen gibt, die aber immerhin überwiegend vom Staat betrieben werden, gibt es von den Landesregierungen überhaupt nicht. Zwar bieten die Länder Bildungsempfehlungen oder Handreichungen, an die sich die Träger bei ihren Konzepten zu halten haben, aber darin sind nur lose Lernziele für Bereiche wie Körper, Bewegung, Gesundheit, soziale und kulturelle Umwelt, Kommunikation, bildnerisches Gestalten, Musik, Mathematik, Natur, Umwelt und Technik beschrieben. „Eine räumliche Orientierung entwickeln“, „Mit Siegen und Niederlagen angemessen umgehen“ oder „Rück-sicht auf jüngere Kinder nehmen“, heißt es in der Hamburger Bildungsempfehlung, die übrigens im Gegensatz zum CSU-geführten Bayern ohne Begriffe wie „Gender Mainstreaming“ arbeitet und zugleich das Wissen über traditionelle Feste fordert. Wie die Träger diese Ziele erreichen, ist ihnen selbst überlassen. Zwar müssen sie bei der Betriebserlaubnis Konzepte einreichen, aber bisher wurde nie überprüft, ob diese umgesetzt werden. Dies soll nun ab 2017 zumindest in Hamburg geschehen.

„Zwei Dinge sollten Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel“ zitiert die Hamburger Bildungsempfehlung Goethe und setzt sich dies selbst zum Ziel. Und bei aller Klage über fehlende staatliche Kontrolle sei darauf hingewiesen, dass dies Vielfalt ermöglicht und Freiheit schafft. Rebecca Bellano


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