18.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Preußische Allgemeine Zeitung - Aktuelle Ausgabe

© Preußische Allgemeine Zeitung Folge 31/14 vom 02.08.2014

S. 1 Preußische Allgemeine Zeitung

Mit aller Macht gegen Putin
Westen will im Ukraine-Konflikt mit persönlicher Diffamierung Terrain gewinnen

Der Ukraine-Konflikt ist Teil des geopolitischen Ringens zwischen den USA und Russland. Mit der Diskreditierung des russischen Präsidenten Wladimir Putins will Washington Terrain gewinnen.

Was wir derzeit in der Ukraine erleben, ist kein Bürgerkrieg, auch kein Sezessionskrieg, sondern eine Partie in einem viel größeren Spiel. Der Konflikt ist Teil eines geopolitischen Machpokers mit den USA und Russland als den Hauptakteuren. In diesem Spiel scheint jeder Winkelzug recht zu sein, selbst die Instrumentalisierung des Todes von 298 unbeteiligten Zivilisten. Obwohl die US-Regierung mittlerweile selbst erklärt hat, dass der Abschuss von Flug MH-17 die Folge eines fatalen Versehens der prorussischen Separatisten gewesen sei, versucht sie, eilfertig von den Regierungen und Massenmedien in den „Partnerländern“ unterstützt, Putin die Schuld an der Tragödie zuzuschieben. Dabei spricht alles dagegen, dass die Rakete, die das malaysische Flugzeug getroffen hat, von russischem Boden aus abgefeuert wurde (siehe PAZ 30/2014). „Stoppt Putin jetzt!“ lautet der Tenor der kalkulierten Empörung. Der „Spiegel“ unterlegt diese Forderung gar mit den Porträts der Opfer, gerade so, als habe Putin persönlich jeden einzelnen dieser bedauernswerten Menschen auf dem Gewissen.

Dass dieses Zielen auf Emotionen Wirkung zeigt, bekommt Putins Tochter Maria zu spüren, die seit Jahren unauffällig in den Niederlanden lebt. Obwohl ihr gewiss keinerlei Mitschuld an den Geschehnissen in der Ukraine gegeben werden kann, fordern niederländische Politiker ihre Ausweisung. Nachdem in den sozialen Netzwerken ihre Adresse veröffentlicht und zur Gewalt gegen sie aufgerufen wurde, hat sich Maria Putina an einem unbekannten Ort in Sicherheit gebracht. Bei aller Vorsicht mit historischen Vergleichen kommt einem hier die von Diktaturen praktizierte Sippenhaft in den Sinn. Und die Regierung tut nichts, um die Eiferer zur Räson zu bringen.

Putin ist gewiss alles andere als ein friedliebender, „lupenreiner Demokrat“, sondern ein kalter Machtpolitiker, der fraglos unseligen Einfluss auf das Geschehen in der Ukraine nimmt. Das macht ihn aber noch nicht zum politischen Massenmörder. Um aber genau diesen Eindruck zu erwecken, präsentiert die US-Regierung Satellitenaufnahmen, die angeblich Feuerstellungen auf russischem Territorium nahe der Grenze zur Ukraine zeigen, von denen aus ins Nachbarland geschossen worden sein soll. Fotos und Filmaufnahmen indes beweisen gerade in diesem Konflikt nichts, denn es tobt ein Informationskrieg, in dem Fälschung und Manipulation die schärfsten Waffen sind (siehe Seite 2). Selbst wenn die Aufnahmen authentisch sein sollten, wäre damit die Existenz der Waffen bewiesen, nicht aber, ob und wohin damit geschossen wurde.

Dass das erste Opfer des Krieges die Wahrheit ist, erkannte der griechische Tragödiendichter Aischylos schon vor 2500 Jahren. Mit dieser gegen die Person Putin gerichteten Kampagne legt der Westen um der geopolitischen Macht willen letzte Hand an das Opfer an. J. Heitmann


Humanität ist nur vorgeschoben
Würde es den Anti-Israel-Demonstranten wirklich nur um die Opfer gehen, müssten sie auch gegen Untaten im Irak und Syrien aufschreien

Die Empörung über die israelische Intervention in Gaza ist auch in Deutschland beträchtlich. Ungeachtet offen judenfeindlicher Eskapaden auf den Demonstrationen bestehen besonders die deutschen Kritiker der Politik des Judenstaates jedoch darauf, dass ihr Protest keinesfalls antisemitisch zu verstehen sei.

Es gehe ihnen ausschließlich um die Verurteilung der Politik eines Landes, nicht um die Religionszugehörigkeit der Mehrheit seiner Bürger. Das Leiden der Menschen in Gaza könne niemanden ruhen lassen, so die Demonstranten.

Ist die Argumentation ehrlich, oder handelt es sich doch bloß um verkappten Antisemitismus? Darüber wird in Deutschland derzeit heftig gestritten.

Auffällig ist: Kritik an den Raketenattacken der Hamas auf israelische Zivilisten ist fast gar nicht zu hören. Doch nicht nur das Schweigen zum Hamas-Terror irritiert. Unweit des Krisenherdes Gaza spielt sich ein Leiden, ein Verbrechen ab, das die gegen Israel marschierenden Demonstranten in hellen Aufruhr versetzen müsste, wenn es ihnen allein um Protest gegen menschliches Leid ginge.

Dieser Tage wurden die letzten 5000 Mitglieder der uralten christlichen Gemeinde des irakischen Mossul von der Islamistengruppe IS (Islamischer Staat, ehemals Isis) vertrieben. Über die Lautsprecher der Moscheen wurden sie aufgefordert, bis Mittag die Stadt zu verlassen, andernfalls müssten sie mit dem Tod rechnen. Die Häuser der Christen wurden zuvor mit Zeichen markiert, die Kirchen geschändet und zerstört. Beim Abzug wurde den Christen Geld und Schmuck abgenommen. Sie fanden Zuflucht in Zeltlagern im irakischen Kurdengebiet.

Dies war nur ein weiterer Höhepunkt der brachialen Verfolgung Andersgläubiger im Irak, die auch Schiiten trifft. Im Jahr 2000 lebten noch 1,5 Millionen Christen im Zweistromland, Ende vergangenen Jahres waren nur noch 300000 übrig. Ähnliche Szenen spielen sich in Syrien ab. Auch dort ist der IS aktiv und beherrscht bereits weite Teile des Staatsgebiets. Sollte er das ganze Land erobern, droht den syrischen Christen, aber auch gemäßigten Moslems wie den Alawiten ein Inferno. Doch wo bleibt hier die Empörung, der Protest? Kein Finger rührt sich. Auch nicht zur islamistischen Christenverfolgung in Nigeria, in Ägypten, wo auch immer.

Vor diesem Hintergrund ist es kaum glaubhaft, dass die Anti-Israel-Demonstranten tatsächlich nur das Schicksal der Menschen auf die Straße treibt. Offensichtlich reizt sie am Gaza-Konflikt noch etwas ganz anderes. Die Kritiker der Israel-Kritiker meinen, man wolle eben die Juden treffen, indem man ihren Staat attackiert.

Im Falle der deutschen Gaza-Marschierer ist allerdings fraglich, ob wirklich immer Antisemitismus dahinter steckt. Womöglich ist es auch eine verquere „Fernstenliebe“, die nur dort auf den Plan tritt, wo möglichst fremde Menschen Opfer sind. Jener „inverse“ (umgekehrte) Rassismus, der sich gegen die mutmaßlich Nächsten (Landsleute, Glaubensgenossen, Angehöriger einer verwandten Kultur) richtet und das Fremde vergöttert. So wird den orientalischen Christen zum Verhängnis, dass sie als Angehörige der Deutschland prägenden Religion quasi als Verwandte betrachtet und entsprechend ignoriert werden, während die Palästinenser als fremde Opfer eines europäisch geprägten Israel erscheinen und somit in den Genuss der „Fernstenliebe“ kommen.

Den 8. August haben die Kirchen Österreichs zum Tag der Fürbitte für die irakischen Christen ausgerufen. Auf die Resonanz darf man gespannt sein. Hans Heckel


Jan Heitmann:
Jetzt umdenken

Langsam sind Politiker und Medien bereit zuzugeben, dass diejenigen, die in unseren Städten inakzeptable judenfeindliche Parolen rufen, nicht „aus der Mitte der Gesellschaft“ kommen, wie sie uns zu suggerieren versucht haben. Die „an uns alle“ gerichteten Appelle sind ebenso fehl am Platze wie die geschmacklose Gleichsetzung der heutigen Situation der Juden in Deutschland mit der von 1938. Denn hier sind fanatisierte Araber am Werk, die demokratische Grundrechte ausnutzen, um den Gaza-Konflikt auf unseren Straßen auszutragen. Das ist für jeden erkennbar, der die Bilder von den Demonstrationen betrachtet: Die Frau aus der Mitte der deutschen Gesellschaft trägt keine Burka, israelfeindliche Linksextremisten tragen keine Kopftücher und antisemitische Rechtsradikale keine Salafistenbärte. Empörung über die judenfeindlichen Ausfälle ist mehr als berechtigt, aber wer sich empört, sollte auch klar benennen, wem die Empörung zu gelten hat.

Die militanten Demonstrationen machen die fatalen Folgen einer verfehlten Ausländer- und Zuwanderungspolitik deutlich. Anhänger der „Willkommenskultur“ sollten endlich wahrhaben, dass sie mit offenen Grenzen, ungehemmter Zuwanderung und der Erhebung von Multikulti zum gesellschaftlichen Ideal auch ethnische Konflikte, Hass und Gewaltbereitschaft ins Land geholt haben. Nicht jeder Zuwanderer ist eben eine „Bereicherung“ für uns, sondern er kann auch einfach nur ein übler Rassist sein. Jetzt ist es höchste Zeit zum Umdenken. Der Schutz unseres demokratischen Gemeinwesens ist es sogar wert, dafür von Fanatikern und unverbesserlichen „Gutmenschen“ als fremdenfeindlich diffamiert zu werden.


S. 2 Aktuell

Selbst Tiervergleiche sind willkommen
Westliche Berichterstattung über den Absturz der MH-17 ist offenbar häufig gezielte Manipulation

Während eine Mehrheit der Deutschen sich lange Zeit gegen Sanktionen gegen Russland aussprach, hat sich der Wind inzwischen gedreht. Nach dem Abschuss eines malaysischen Passagierflugzeugs über der Ostukraine befürworten 52 Prozent schärfere Sanktionen, selbst wenn dies den Verlust „vieler Arbeitsplätze“ in Deutschland bedeuten würde, so das Ergebnis einer Umfrage von TNS-Infratest, die kürzlich im Auftrag des „Spiegel“ durchgeführt wurde.

Schaut man darauf, was in der Berichterstattung zu dem Abschuss des Flugzeugs auftaucht oder weglassen wurde, dann spricht vieles dafür, dass wichtige Medien den Stimmungsumschwung regelrecht herbeigeschrieben und herbeigesendet haben. Von Anfang an ein Standardvorwurf war das Agieren der prorussischen Rebellen am Absturzort. So bemängelte etwa der „Spiegel“, „die Separatisten, die das Gebiet um die Absturzstelle kontrollieren, gingen ... völlig unsachgerecht mit den Beweisstücken um“.

Ganz anders hört sich die Einschätzung des Forensikers Peter Van Vliet gegenüber der BBC an: „Ich glaube, sie haben an einem Höllenplatz eine höllisch gute Arbeit geleistet“, so der Chef der niederländischen Expertengruppe an der Absturzstelle. Welche Bedingungen dort geherrscht haben, wurde inzwischen vom ORF-Journalisten Christian Wehrschütz eindrucksvoll dargestellt. Vom „Ö1“-Moderator mit der tendenziösen Frage konfrontiert, ob der würdelose Umgang mit den Opfern nun vorbei sei, folgte ein Vor-Ort-Bericht, der vieles bisher Gehörte und Gelesene in Frage stellte: „Ich kann dem amerikanischen Außenminister Kerry zum würdelosen Umgang mit den Leichen nicht folgen und ich kann hier auch nicht von einem würdelosen Umgang mit den Opfern sprechen“, so der ORF-Journalist. „Wir hatten hier Temperaturen von 30 Grad, wir hatten dann Regen. Würdeloser wäre gewesen, die Leichen dort liegen zu lassen. Man hat gesehen, dass Fliegen, Hunde und andere Tiere bereits begonnen haben, sich zu bedienen.“ Angesprochen darauf, warum forensische Experten aus dem Ausland nur zögerlich die Arbeit aufgenommen hätten, folgte eine ernüchternde Einschätzung: „Natürlich ist hier viel Politik im Spiel, weil man das natürlich maximal ausschlachten möchte. Die Rebellen sind ganz einseitig die Bösen, die Ukrainer sind die ganz Guten. Das Problem ist, dass es hier weder Gute noch Böse gibt, sondern nur mehr oder weniger Böse.“ Derart unparteiische Berichterstattung ist in Sachen MH17 leider die Ausnahme geblieben.

Weitaus häufiger waren Bemühungen erkennbar, gezielt Stimmung zu machen. Geradezu im Stil des DDR-Chefpropagandisten Karl-Eduard von Schnitzler lief ab, was sich einige Medien mit dem Bild eines Rebellenkommandeur an der Absturzstelle geleistet haben. Präsentiert wurde das Foto eines Mannes, der ein vom Trümmerfeld der MH-17 aufgesammeltes Stofftier scheinbar wie eine Trophäe hochhält. Die suggerierte Botschaft: Die prorussischen Separatisten feiern den Abschuss und verhöhnen die Opfer. Der „Spiegel“ sah in einer Kolumne „betrunkene Gorillas, die sich zwischen Kinderleichen so aufführen, als seien sie auf einer Kirmes“, am Werk, um kurzerhand Präsident Wladimir Putin und mit ihm ganz Russland einen „wahnhaften Wirklichkeitsverlust“ zu attestieren. Auch beim WDR war sich ein Kommentator nicht zu schade, auf den von der Kiewer Regierung geprägten Vergleich der Separatisten mit Tieren zurückzugreifen.

Wie weit einigen Medienvertretern dabei in journalistischer Hinsicht sämtliche Sicherungen durchgebrannt sind, wird bei einem Blick ins Internet deutlich. Dort ist ein mehrminütiges Video zu finden, aus dem das Standfoto in offenbar manipulativer Absicht herausgenommen wurde. Zu sehen war dort, dass der Rebell an der Absturzstelle kaum fassen kann, was er sieht. Den Tränen nahe, zeigt er das aufgesammelte Stofftier anwesenden OSZE-Beobachtern und fordert eine Aufklärung des Flugzeugunglücks von neutraler Seite. Kaum ins gezeichnete Bild von „Putins betrunkenen Gorillas“ passt auch das an der Absturzstelle abgehaltene Gebet. Auf das Internet angewiesen waren oft auch die Nutzer etablierter Medien, die eine kritische Berichterstattung zu dem vermissen, was als vermeintliches Beweismaterial vorgelegt wurde. Taucht neues Material auf, das Russland oder die prorussischen Separatisten scheinbar belastet, dann sorgt dies regelmäßig für Schlagzeilen. Entpuppen sich die Vorwürfe später als heiße Luft, so ist dies oftmals nicht einmal eine Kurzmeldung wert. So waren es bezeichnenderweise Internet-Blogger und nicht die etablierten Medien, die ein Hauptbelastungsargument Washingtons zerpflückt haben. Das Foto eines vermeintlichen Abtransports eines Raketenfahrzeugs nach Russland, das tagelang als Beweis herhalten musste, konnte plausibel nachvollziehbar einer Gegend zugeordnet werden, die seit Mai von ukrainischen Regierungstruppen kontrolliert wird und 80 Kilometer westlich der Absturzstelle liegt.

Norman Hanert


Terroristen selbstgemacht
FBI soll Muslime gezielt zu Anschlägen angestiftet haben

Haben die Milliarden US-Dollar, die nach dem 11. September 2001 an die Sicherheitsbehörden in den USA geflossen sind, dazu geführt, dass Erfolge im „Kampf gegen den Terror“ einfach inszeniert werden? Schon mehrfach hat das Vorgehen des US-Bundeskriminalamts FBI bei verdeckten Terrorermittlungen Kritik auf sich gezogen, nun hat die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) eine systematische Untersuchung zu dem heiklen Thema vorgelegt. Das Fazit: Das FBI hat Muslime nach den Anschlägen vom 11. September 2001 zu Terrorplänen angestiftet und bisweilen sogar dafür bezahlt. „In einigen Fällen könnte das FBI aus unbescholtenen Bürgern Terroristen gemacht haben, indem die Idee eines Terrorakts vorgeschlagen oder die Zielperson zum Handeln ermutigt wurde“, so der HRW-Bericht.

Einige der von HRW untersuchten Fälle deuten darauf hin, dass das FBI auch bei der Wahl seiner V-Leute nicht besonders zimperlich vorgegangen ist. Rekrutiert wurden Kriminelle, Personen mit niedriger Intelligenz und psychischen Problemen sowie sogar geistig Behinderte. Mit Hilfe von Juristen der Columbia University hat die Menschenrechtsorganisation ermittelt, dass in den Jahren 2002 bis 2011 fast 500 Menschen von US-amerikanischen Gerichten wegen Terrorismus oder Vergehen, die mit Terrorismus in Verbindung stehen, verurteilt wurden. Rund 50 Prozent der Urteile sollen sich vor allem auf Aussagen von Informanten stützen. Und in rund einem Drittel dieser Fälle hätte der Informant eine tragende Rolle beim Entstehen einer terroristischen Verschwörung gespielt.

Die britische Tageszeitung „The Guardian“ kommt sogar zu dem Schluss, dass bei nahezu allen der als hoch gefährlich eingeschätzten Terrorplänen in den USA seit dem 11. September 2001 staatliche Sicherheitsbehörden nachweislich involviert gewesen seien. Völlig ohne Beteiligung von V-Leuten werden demnach nur der Anschlag auf den Boston Marathon im Jahr 2013, der Anschlagsversuch auf die New Yorker U-Bahn im Jahr 2009, der versuchte Anschlag mit einer Autobombe am Times Square von 2010 und der Schusswechsel am El-Al-Schalter des Flughafens Los Angeles im Jahr 2002 eingestuft.

Die Frage, ob einige der Terroranschläge auf US-Boden ohne Beteiligung verdeckter FBI-Ermittler überhaupt erst geplant worden wären, hat indessen auch schon Gerichte beschäftigt. Im Fall von vier Islam-Konvertiten aus Newburgh im Bundesstaat New York, denen vorgeworfen wurde, Bombenangriffe auf eine Synagoge und eine US-Militärbasis geplant zu haben, kam ein US-Richter sogar zu dem Schluss, dass die Regierung das Verbrechen erdacht und die Mittel bereitgestellt habe.

Insgesamt werde der Öffentlichkeit so etwas Falsches, eine „Illusion of Justice“ verkauft, so das Fazit, das Human Rights Watch aus den Recherchen zieht. Tatsächlich gebe es eine Bedrohung durch den Terrorismus, „aber in vielen Fällen, die wir dokumentiert haben, gab es keine Bedrohung, bis das FBI auf den Plan trat und dabei mithalf, die Personen zu Terroristen zu machen“, so HRW. N.H.


»Teuflische Rettung«
Professoren klagen gegen Bankenunion

Seit Jahren schreibt er gegen die von der Politik durchgeführten Maßnahmen bei der Euro-Rettung an, doch erst jetzt erhält Markus C. Kerber, Professor für öffentliche Finanzwirtschaft und Initiator der kürzlich eingereichten Verfassungsbeschwerde gegen die Ban-kenunion, Aufmerksamkeit durch die Medien. Zusammen mit vier weiteren Professoren hat er die Klage unterzeichnet, offiziell unter dem Namen Europolis-Gruppe. Diese Denkfabrik hat Kerber bereits 1998 gegründet.

Seit Jahren kämpft er auf der Internetseite der Denkfabrik pointiert gegen die Euro-Rettung. „Dies ist ein System von Wettbewerbsverfälschungen“, schrieb er beispielsweise im Mai, als die Medien den Umstand feierten, dass das angeschlagene Griechenland wieder an die Kapitalmärkte zurückgekehrt sei und sich selbst Geld hätte leihen können. „Nur durch dieses System“, so Kerber weiter, „und die von ihm generierten Erwartungshaltungen der Marktteilnehmer (Banken) konnte es einem Land, das seine bisherige Bruttoschuld nicht in der Lage ist, selbstständig zu tragen, gelingen, am Kapitalmarkt drei Milliarden Euro zu platzieren. Die Frage ist daher nicht, ob dieses staatlich organisierte Ponzi game [Schneeballsystem] zusammenbrechen wird, sondern wann und unter welchen Umständen und mit welchen Kollateralschäden der Kollaps stattfinden wird.“ Eines sei heute schon sicher: Es werde für alle Betroffenen teuer, meint der an der Technische Universität Berlin Lehrende. „Wahrscheinlich leider nicht für jene Damen und Herren, die sich die teuflischen Euro-Rettungsinstrumente ausgedacht haben, um zeitweise die Märkte zu überlisten. Denn Märkte lassen sich nur vorübergehend täuschen.“

Und nun klagt er also gegen die Bankenunion, da die Regeln über die gemeinsame Bankenaufsicht, durchgeführt von der EZB, jeglicher Ermächtigungsgrundlage entbehrten. Auch stehe mit dem geplanten Bankenabwicklungsmechanismus am Ende aus Sicht der Kläger eine nie dagewesene Haftung deutscher Steuerzahler für Banken außerhalb der nationalen Bankenaufsicht. Bel


MELDUNGEN

Canberra bleibt hart

Canberra – Die australische Regierung hat 157 Asylsuchende an Land gelassen, die seit Wochen auf einem australischen Grenzboot auf hoher See festgehalten wurden (siehe PAZ 29/2014). Was wie ein Abweichen von der harten Linie, Bootsflüchtlinge unter allen Umständen vom Festland fernzuhalten, wirkt, entspringt eher klugem Kalkül. Denn damit ist eine Klage der Flüchtlinge beim Obersten Gerichtshof gegenstandslos geworden, über die Anfang August in einem Grundsatzurteil hätte entschieden werden sollen. Die Regierung erklärte, dass das Land die Flüchtlinge keinesfalls aufnehmen werde, unabhängig davon, ob sie einen Asylgrund hätten oder nicht. Sie sollen schnellstmöglich nach Indien angeschoben werden, von wo aus sie sich auf den Seeweg nach Australien gemacht hatten. J.H.

 

Ex-US-Minister rechnet ab

Washington – Robert M. Gates, von 2006 bis 2011 parteiloser US-amerikanischer Verteidigungsminister, rechnet in seinen Erinnerungen mit einigen seiner politischen Wegbegleiter ab. US-Präsident Barack Obama hält er für einen zwar intelligenten, aber kontrollsüchtigen Zauderer, der den Militärs miss-traue und „keinen Kompass“ habe. Der Präsident fühle sich zwar dem nationalen Interesse verpflichtet, die Außenwahrnehmung seiner Person stehe für ihn jedoch über allem anderen. Dessen Vorgänger George W. Bush hat Gates als „Instinktpolitiker“ in Erinnerung, der seine Überzeugungen kaum hinterfrage. Den ehemaligen Vizepräsidenten Dick Cheney hält er für einen „verantwortungslosen Kriegstreiber“ und den derzeitigen Amtsinhaber Joe Biden schlicht für inkompetent. Auch sein Urteil über andere US-Politiker wie John McCain oder George J. Mitchell fällt überwiegend vernichtend aus. Positv äußert er sich dagegen über die ehemalige Außenministerin Hillary Clinton. J.H.


S. 3 Preussen/Berlin

Letzte Attacke gegen Garnisonkirche
Gegner des Wiederaufbaus hoffen auf Erfolg durch ein Bürgerbegehren

Noch vor wenigen Wochen schien beim Projekt zum Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche alles in trockenen Tüchern. Nun aber hat ein Bürgerbegehren zur Auflösung der „Stiftung Garnisonkirche Potsdam“ unerwartet so starken Zulauf erhalten, dass es sogar zu einem Bürgerentscheid kommen könnte.

Die „Initiative für ein Potsdam ohne Garnisonkirche“ hat 14285 gültige Unterschriften gesammelt – damit haben immerhin 10,7 Prozent der stimmberechtigten Potsdamer unterzeichnet. Unübersehbar haben die Gegner des Wiederaufbaus der Kirche damit einen Etappensieg errungen. Damit sich das Stadtparlament mit der Initiative befasst, waren als Zulassungshürde nur 13500 gültige Unterschriften notwendig. Nicht nur, dass mehr Unterschriften als notwendig zusammengekommen sind, das städtische Rechtsamt Potsdams hat auch die relativ allgemeingehalte Fragestellung des Bürgerbegehrens inzwischen für rechtlich zulässig erklärt. Diese Entscheidung hat den Weg für einen Bürgerentscheid frei gemacht.

Mehr oder weniger als Formalie kann gelten, dass sich zunächst noch einmal Potsdams Stadtparlament mit der Initiative befassen muss. Der nach der Kommunalwahl im Mai geschlossene Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und CDU sowie Potsdamer Demokraten und Freien Wählern enthält das Bekenntnis, dass zur Wiederherstellung der Potsdamer Mitte auch die Wiederrichtung der Garnisonkirche gehöre. Springt keiner der Koalitionäre ab, werden somit nur die Fraktion der Linkspartei und die Formation „Die Andere“ für das Bürgerbegehren stimmen. Mit der Ablehnung durch Potsdams Stadtverordnetenversammlung wird der Weg zu einem Bürgerentscheid frei, der dann innerhalb von zwei Monaten abgehalten werden muss.

Um Erfolg zu haben, müssen die Wiederaufbaugegner gleich zwei Hürden nehmen. Zum einen muss eine Mehrheit der Potsdamer Bürger zustimmen. Zum anderen muss diese Mehrheit auch noch mindestens ein Viertel aller 133260 Wahlberechtigten umfassen. Dieses ist höchstens dann erreichbar, wenn das Bürgerbegehren gleichzeitig mit der Landtagswahl am 14. September stattfindet.

Folgerichtig fordern die Initiatoren und die Opposition im Stadtparlament genau diesen Termin. Allerdings werden sie sich kaum gegen die sich Rathauskooperation nennende Stadtregierungskoalition durchsetzen können, die bereits hat verlauten lassen, dass sie den 14. September als Termin für einen Volksentscheid ablehnen werde.

Der Vorsitzende der Potsdamer Linkspartei, Sascha Krämer, setzt auf ein schließliches Einknicken von SPD und Grünen. Beide Parteien hätten kein Interesse an einem Volksentscheid im Landtagswahlkampf, so Krämer. Zumindest im Fall der SPD spricht allerdings wenig für einen Kurswechsel. Parteigrößen wie Vizekanzler Sigmar Gabriel und Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woi-dke haben sich in Sachen Wiederaufbau der Garnisonkirche inzwischen eindeutig festgelegt. Ein Rückzieher könnte somit schnell als Schwäche der SPD-Führung auf Bundes- wie Landesebene ausgelegt werden.

Einen Kurswechsel hat es allerdings inzwischen bei der Garnisonkirchen-Stiftung gegeben, die parallel zur Fördergesellschaft agiert. Ihr Kuratoriumsmitglied Manfred Stolpe (SPD) rückte in einem Interview mit den „Potsdamer Neuesten Nachrichten“ erstmals vom Ziel eines originalgetreuen Wiederaufbaus des traditionsreichen preußischen Gotteshauses ab. Es gehe zunächst um den Wiederaufbau des Turms, dessen Sprengung zu DDR-Zeiten ein Rechtsbruch gewesen sei, so Brandenburgs Altministerpräsident. Der Wiederaufbau des Turms sei Wiedergutmachung damaligen Unrechts.

Stolpe unterscheidet aber zwischen dem von ihm bejahten Aufbau des Turms und dem Wiederaufbau der Kirche insgesamt. Der Turm habe eine klare Funktion, weil er „an die frühere Heiligkreuzkapelle anknüpft, die bis zur Sprengung 1968 für Gottesdienste genutzt wurde“, so die Sichtweise Stolpes. Die Kirche dagegen muss nach Meinung des 78-Jährigen nicht unbedingt originalgetreu wiederaufgebaut werden.

Damit nicht genug: Der Sozialdemokrat überraschte auch noch mit dem Vorschlag eines neuen Namens. So könne statt „Garnisonkirche“ der Name „Heiligkreuzkirche“ gewählt werden. Diesen Namen trug die Garnisonkirchengemeinde auf eigenen Beschluss bereits nach dem Zweiten Weltkrieg, bis die Kirche 1968 auf Befehl der DDR-Staatsführung gesprengt wurde.

Als Ursache der Ablehnung des Wiederaufbaus macht Stolpe aus, dass in Potsdam ganz unterschiedliche Mentalitäten aufeinanderstießen. „Ich unterscheide zwischen Alteingesessenen und Uralteingesessenen. Bei den Alteingesessenen gibt es das Gefühl, von den Uralteingesessenen nicht verstanden zu werden. Bei der Garnisonkirche habe ich das Gefühl: Das ist die Rache für die Mercure-Debatte“, so Stolpe, der damit auf Bemühungen zum Abriss eines DDR-Hotelbaus, des „Mercure“, am Potsdamer Lustgarten anspielt. Norman Hanert


Al-Quds-Tag in Berlin
von Vera Lengsfeld

Nach mehreren antisemitischen Demonstrationen in Berlin, die von einer explosiven Melange aus militanten Islamisten und Linksradikalen durchgeführt worden waren, konnten Politik und Medien, die sich in tagelangem Stillschweigen geübt hatten, nicht länger leugnen, dass es auch in Berlin ein erhebliches Problem mit aggressivem Judenhass gibt.

Fatalerweise stand auch noch der Al-Quds-Tag vor der Tür, 1979 von Ayatollah Khomeini ausgerufen und seit dem Jahr 2000 auch in Berlin für antiisraelische Demonstrationen genutzt. Deshalb sollte bei der diesjährigen Demo, die zu verbieten man sich nicht durchringen konnte, gezeigt werden, dass dem Antisemitismus auf Berliner Straßen energisch Einhalt geboten wird.

Slogans wie „Jude, feiges Schwein“ sollten ebenso verboten sein wie das Verbrennen israelischer Fahnen oder Puppen. „Kindermörder Israel“ war dagegen erlaubt, das hatte die Staatsanwaltschaft noch schnell klar gemacht.

In der Al-Quds-Demo kam es dennoch zu Sieg-Heil- und Israel-vergasen-Rufen, deren Urheber aber von der Polizei, die mit hunderten Beamten den Zug begleitete, nicht ausgemacht werden konnte. Dagegen wurde ganz fix ein „Provokateur“ mit einer Israel- Fahne in Schutzhaft genommen, nicht aber die Demonstranten, die gewaltsam versuchten, die Polizeikette zu durchbrechen, um den Frechling zu züchtigen.

Auffällig war in diesem Jahr, dass viele Plakate auf Arabisch oder Türkisch beschrieben waren. Wie sollten die Polizisten da wissen, ob es sich um verbotene oder erlaubte Parolen handelte? Also zogen die Israelhasser, wie einst die SA, unter stattlichem Schutz über den Ku’damm und konnten ungehindert ihre Hassbotschaften verbreiten.

Die Pro-Israel-Demonstranten dagegen waren wie in den vergangenen Jahren von einem Cordon sanitaire umgeben, den man nicht verlassen durfte, wenn man auch nur ein kleines Papierfähnchen in der Hand hatte. Man solle „Provokationen unterlassen“, wurde man belehrt. Das ist die deutsche Realität: Mit „Kindermörder Israel“-Plakaten durften sich die Al-Quds-Demonstranten auch nach Ende ihrer Kundgebung frei in der Stadt bewegen, während auf Israel-Fahnen förmlich Jagd gemacht wurde.

Am Ende des Tages zog die Polizei eine positive Bilanz. Es habe nur drei Festnahmen gegeben, ein paar Stein- und Flaschenwürfe, das sei bei einer Demonstration dieses Ausmaßes praktisch nichts. Da kann sich das offizielle Berlin wieder beruhigt seinen Ferienaktivitäten widmen. Die Folgen dieser Ignoranz wird die Stadt demnächst zu spüren bekommen. In London, Paris und Brüssel kann man bereits sehen, was den Berlinern noch bevorsteht.


Brandenburg lockt Gäste
Tourismus gedeiht: Vor allem Ausländer entdecken die Mark neu

Der Tourismus in Brandenburg nimmt zu. Mit rund 39000 ausländischen Gästen kamen im Mai 2014 11,9 Prozent mehr als im Vergleichsmonat des Vorjahres (rund 35000). Während der Inlandstourismus in die Mark leicht abnahm, glichen die Ausländer den Rückgang mehr als aus, so das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg.

Insgesamt 1,47 Millionen Urlauber besuchten in den ersten fünf Monaten dieses Jahres die Mark. Der Fünfmonatsvergleich zum Vorjahr (damals 1,46 Millionen Gäste) fällt zwar moderat aus, doch lässt die wachsende Attraktivität des alten preußischen Kernlandes bei ausländischen Gästen aufhorchen.

Besucherstärkste Region von Januar bis Mai 2014 war das Seenland Oder-Spree mit 227000 Gästen, gefolgt vom Spreewald mit knapp 200000 Besuchern und Dahme-Spreewald mit 173000. Besonders bei Gästen aus Polen und den Niederlanden werden die märkischen Urlaubsgebiete immer beliebter. Platz drei belegen nun Tschechen und nicht mehr Besucher aus der Schweiz.

Für Polen ist Deutschland das beliebteste Reiseziel überhaupt, und auch wenn Berlin dabei die meistbesuchte Stadt bleibt, entscheiden sich diese Gäste immer häufiger für Brandenburg. Laut der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) kommen sie vor allem zum Einkaufen. Seit 2006 hat sich die Zahl polnischer Touristen in der Mark verdreifacht.

Doch auch aus fernen Ländern wie Taiwan, Neuseeland, den Staaten Mittelamerikas und der Karibik verzeichnet die Mark zweistellig wachsende Besucherraten.

Mit weit mehr als 100000 Arbeitsplätzen ist der Tourismus ein zentraler wirtschaftlicher Faktor des Bundeslandes. Brandenburgs Tourismusverband hat sich daher zum Ziel gesetzt, die Zahl der Übernachtungen von Touristen aus dem Ausland von 831000 im vergangenen Jahr auf gut eine Million bis 2015 zu erhöhen. Die neuesten Zahlen beflügeln nicht nur den Arbeitsmarkt, sie zeigen auch, dass das Hochwasser und mancherorts gestiegene Tourismusabgaben der positiven Gesamtentwicklung nicht geschadet haben.

Ein wichtiger Faktor ist der Fahrradtourismus. Neue Technik hilft den Besuchern, sich mit ihrem Mobiltelefon in der Mark zurechtzufinden. Zahlreiche Kommunen wie Potsdam oder Brandenburg/Havel sind bereits über eine eigene Anwendung für das Mobiltelefon erkundbar. SV


Linke streiten
Zank um Antisemitismus spaltet Partei

Politiker der Linkspartei sind als Mitorganisatoren von Anti-Israel-Demonstrationen, die oft offen judenfeindliche Züge trugen, in den Verdacht des Antisemitismus geraten. Darüber tobt nun ein Streit bei den Dunkelroten.

Die Landeschefin der „Linken“ in Nordrhein-Westfalen, Özlem Demirel, bezeichnete eine Demonstration, auf der es zu Hass-Parolen kam, als „insgesamt sehr gelungen“. „Linke“-Landessprecher Ralf Michalowsky und die Bundestagsabgeordnete Niema Movassat traten auf einer umstrittenen Demonstration in Essen auf. Diese Kundgebungen spalten die Partei.

Der Bundestagsfraktionsvorsitzende Gregor Gysi, dessen Onkel Anfang 1938 wegen seiner jüdischen Herkunft nach Großbritannien emigrierte, warnt hingegen: „Antizionismus kann für die Linke insgesamt ... keine vertretbare Position sein.“ Die ehemalige stellvertretende PDS-Bundeschefin Petra Pau meint gar: „Friedens-Demos, auf denen Hass gegen Juden gepredigt wird, sind Kriegs-Demos, also niemals links.“ Diese Abgrenzung reicht anderen Genossen nicht. „Linke“-Mitglied Andrej Hermlin, Sohn des DDR-Schriftstellers Stephan Hermlin, der 1936 nach Palästina emigrierte, fordert den Ausschluss von Mitgliedern, die sich antijüdisch äußern. Es sei „unerträglich und seit 1945 einmalig, dass in Deutschland öffentlich Parolen wie ,Juden raus‘ gerufen werden“.

Die linke Zeitung „Freitag“ schrieb: „Es bricht sich ein offener ... Judenhass Bahn, wie man es wohl kaum für möglich gehalten hatte. Dort ganz vorne mit dabei ist die Partei ,Die Linke‘.“ SV


Gasnetz soll privat bleiben

Der Grünen-Sprecher für Klimaschutz und Energiepolitik im Berliner Abgeordnetenhaus, Michael Schäfer, ist gegen die Rekommunalisierung des Berliner Gasnetzes. Nach einer Tagung der Partei am 21. Juli mit Felix Christian Matthes vom Öko-Institut und dem Wirtschaftsjurist Franz Jürgen Säcker zeichnet sich daher eine Ablehnung der Senatsvorlage durch die Grünen ab. Im Herbst steht im Berliner Abgeordnetenhaus die Entscheidung über die Zukunft des Gasnetzes an. Neben dem früheren Staatsbetrieb Gasag, der privatisiert wurde, bewirbt sich die neue landeseigene „Berlin Energie“ um die Konzession für den Betrieb des Gasnetzes. Beide Experten sprachen sich gegen eine Rekommunalisierung aus. Sie gehen von einem geringeren Gasverbrauch in der Zukunft aus, weil in einem klimaneutralen Berlin statt heute 35 nur noch zwölf Prozent der Haushalte Gas als Wärmespender nutzen würden. Tatsächlich ist der Gasverbrauch jüngst weiter gestiegen. T.M.


S. 4 Hintergrund

Verfranzt in lauter Irrwegen
Bei der Deutschen Bahn werden immer wieder die Weichen gestellt – aber wohin?

Hunderte Bahn-Brücken sind in Deutschland dringend sanierungsbedürftig. Über viele kann inzwischen nur noch im Schritttempo gefahren werden. Derartige Negativmeldungen sind die Folge zahlreicher Fehlentscheidungen.

Die Deutsche Bahn, Nachfolgerin der königlich-bayerischen Ludwigsbahn, die vor 178 Jahren das Eisenbahnzeitalter in Deutschland eröffnete, stellt immer wieder die Weichen neu, um das Unternehmen zukunftssicher zu machen. Kritiker aber sehen – nicht ohne Grund – keine glorreichen Zeiten aufziehen. So schrecken auch in diesen Tagen, wie in jedem Sommer, Schlagzeilen von ausgefallenen Klimaanlagen. Schweißnasse Reisende fragen erbost, ob die jährlich steigenden Fahrpreise nun auch die „Sauna auf Rädern“ umfassen. Da bietet auch die Meldung, dass die Autoreisezüge und ein Teil der Schlafwagenverbindungen wegen Unrentabilität gestrichen werden, kaum Trost. Auf die Idee, man könnte diese Züge attraktiver und damit auch rentabler machen, ist man bei der Bahn vorsichtshalber gar nicht erst gekommen.

Stattdessen führte die Bahn einen erbitterten Kampf gegen aufkommende Konkurrenz in Form von Fernbussen privater Betreiber. Die Lobbyisten-Schlacht ging verloren. Nun eilt die Bahn schienenlos den Mitbewerbern nach und macht sich mit eigenen Bussen selbst Konkurrenz.

Weichenstellungen, die sich oft im Nachhinein als falsch erwiesen, prägten die Amtszeiten der Bahnchefs der letzten Jahrzehnte (siehe Zeitzeugen auf dieser Seite). In der Spätphase der schwarz-gelben Koalition unter Helmut Kohl wurde das Staatsunternehmen teilprivatisiert, offensichtlich überhastet nach dem gerade erst vollzogenen Zusammenschluss mit der DDR-Reichsbahn. Kohls Nachfolger Gerhard Schröder trat die Flucht nach vorn an: Sein Bahnchef wollte an die Börse. Dafür opferte er vieles, was Bahnreisenden lieb (und leider auch immer teurer) geworden war: jenes gewisse etwas an Komfort, Service, Sicherheit und Zuverlässigkeit, das die Vorteile des automobilen Individualverkehrs auszugleichen vermochte.

Doch auch der Börsengang en-dete auf dem Abstellgleis. Für ihren Chef war die Bahn damit „erledigt“; er wandte sich dem Hauptstadtflughafen zu und dürfte es genießen, dort vorerst nicht auf unzufriedene Reisende zu stoßen.

Falsche Weichenstellung trug auch zum Scheitern des Transrapid bei. Bahnfahren ohne Rad und Schiene – das war wohl nichts für allzu traditionsbeflissene Eisenbahnerköpfe, und ohne Unterstützung dieses gewichtigen Massenverkehrsträgers hatten politische und ideologische Gegner ein leichtes Spiel, die in Deutschland erfundene und entwickelte Magnetschwebetechnik ins Milliardengrab zu befördern.

Für alle Bundesregierungen und ihre Bahnchefs gilt gleichermaßen: Deutschland lässt sich sein Eisenbahnnetz viel zu wenig kosten. Die Vergleichszahlen mit unseren Nachbarn sind erschreckend: Für Neubau und Instandhaltung der Schieneninfrastruktur gibt die Schweiz jährlich 366 Euro pro Einwohner aus, Österreich immerhin 199 Euro, Deutschland aber nur 54 Euro. Auch Schweden, Holland, England und Italien liegen klar vor uns, während wir mit Frankreich und Spanien um die Schlusslaterne streiten.

Derweil schweben chinesische Bahnexperten im Transrapid zum Flughafen Shanghai. Im Reise­gepäck: Komplettangebote für Hochgeschwindigkeitszüge samt Infrastruktur und Vorfinanzierung, mit denen sie Regierungen in aller Welt locken. Nagelneue deutsche ICE-Einheiten hingegen warten seit Monaten darauf, vom Eisenbahn-Bundesamt in Bonn endlich für den Verkehr freigegeben zu zu werden.

Angesichts derartiger Fehlentscheidungen verwundert es dann schon, dass die Deutsche Bahn im ersten Halbjahr dieses Jahres eine Gewinnsteigerung von 16 Prozent auf 642 Millionen Euro nach Steuern verbuchen konnte. Doch um den Investitionsstau der letzten Jahrzehnte damit aufzulösen, dafür ist es zu wenig. Hans-J. Mahlitz


Mehr Zürich statt Stuttgart
Wie man Großprojekte demokratisch durchzieht – und wie nicht

Vor wenigen Wochen wurde in Zürich der neue Bahnhof Löwenstraße feierlich eröffnet. Seither wird auf vier unterirdischen Gleisen zunächst einmal nur der S-Bahn-Verkehr abgewickelt. Erst Ende nächsten Jahres werden die nationalen und internationalen Fahrpläne umgestellt; dann rollen auch Fernzüge 16 Meter tief unter dem altehrwürdigen Hauptbahnhof hindurch, um in Richtung Oerlikon erst nach vier Kilometern wieder ans Tageslicht zu stoßen. Und auch die noble Bahnhofstrasse findet hier ihre unterirdische Fortsetzung – in einer schicken Einkaufspassage.

Der erste Eindruck des Betrachters: Der neue Bahnhof ist so weiträumig und großzügig ausgelegt, dass er nach dem für Zürich eminent wichtigen öffentlichen Nahverkehr auch den Fernverkehr dieses europä­ischen Eisenbahnknotenpunkts verkraften wird.

In vielen Belangen ist das Zürcher Projekt „Durchmesserlinie“ vergleichbar mit „Stuttgart 21“. In beiden Städten mündet der Eisenbahnverkehr in einen Kopfbahnhof, der längst seine Kapazitätsgrenzen erreicht hat. Für Reisende bedeutet das lange Aufenthaltszeiten und weite Umsteigewege. In beiden Städten begann man im ausgehenden 20. Jahrhundert, über Alternativen nachzudenken. In beiden Städten zeichnete sich als vernünftigste Lösung ab, die Bahn ganz oder teilweise unter die Erde zu verlegen. Und in beiden Städten sollte das Votum der Bevölkerung eine gewichtige Rolle spielen.

In Zürich waren die Vorstellungen, die S-Bahn und einen Teil des Fernverkehrs unter die Erde zu legen, um die Jahrhundertwende konkret geworden. Die Bevölkerung wurde detailliert über Planungen, Kosten und mögliche Belästigungen während der Bauzeit informiert. Am 23. September 2001 stimmten die Eidgenossen mit 82 Prozent Ja-Stimmen zu. 2007 wurde mit dem Bau des 420 Meter langen unterirdischen Bahnhofs und des vier Kilometer langen Weinbergtunnels begonnen; nach sieben Jahren ist nun fast alles fertig. Die Kosten von knapp über 1,6 Milliarden Euro teilen sich Kanton und Bund im Verhältnis eins zu zwei.

in Stuttgart gab es erste Pläne einer Tieferlegung schon 1988. Sie wurden 1994 – ein halbes Jahrzehnt vor Zürich – erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Damals bezifferte man die Kosten auf 4,8 Milliarden D-Mark (2,46 Milliarden Euro). Dafür sollte, anders als in Zürich, die komplette Bahnanlage unter der Erde verschwinden. Dadurch würde das Zentrum der Landeshauptstadt um 40 Prozent (100 Hektar) wachsen – für die Stadt ein gigantisches Immobiliengeschäft. Abstimmen durfte das Volk darüber nicht, wohl aber protestieren und prozessieren.

Die Folge: Mit dem Bau wurde erst 2010 begonnen, die Kosten kletterten auf bislang sechs Milliarden Euro, die Eröffnung wurde auf Ende 2022 (oder später?) verschoben. Erst viel zu spät, am 27. November 2011, stimmte die Bevölkerung mit 58,9 Prozent für den Weiterbau, was von den Gegnern des Projekts allerdings nicht anerkannt wird. H.J.M.


Wenn Vater Staat die Weichen stellt

Der Staat, so lehren uns überzeugte Marktwirtschaftler, möge sich nicht einbilden, er sei „der bessere Unternehmer“. Wirtschaftliche Unternehmen vernünftig, also gewinnbringend zu führen, soll er gefälligst denen überlassen, die das besser können, und sich stattdessen intensiver um seine „eigentlichen Aufgaben“ kümmern.

Im Prinzip ist gegen diese Devise nichts einzuwenden. Die sozialistischen Menschenversuche der Sowjetunion und ihrer Vasallen einschließlich DDR haben gelehrt, dass ein Staat, der alles an sich reißt, damit niemanden außer den eigenen Funktionären glücklich macht. Doch sollten wir nicht von einem Extrem ins andere fallen. Zu den Hoheitsaufgaben eines Staates, der sich im besten preußischen Sinne als Diener seines Volkes sieht, gehören auch Bereiche, die unternehmerischem Handeln zuzuordnen sind. Die flächendeckende Grundversorgung der Bevölkerung lässt sich in unserer modernen, total vernetzten und globalisierten Welt nicht organisieren ohne unternehmerische Prinzipien, zum Beispiel die Finanzierbarkeit. Über diese Prinzipien aber muss man sich aus sozialen Gründen (oder um den Bestand des Rechtsstaats zu sichern) auch einmal hinwegsetzen können.

Das aber kann der Staat besser als der private Unternehmer. Daher sind Privatisierungen bei der Bahn, der Post oder im Gesundheitswesen kritisch zu hinterfragen. Nachdem wir den Sozialismus zumindest in seiner staatlich verordneten Form überwunden haben, sollten wir den Unterschied zwischen wahrhaft sozialer Marktwirtschaft und blankem Kapitalismus beachten. Sonst erleben wir Schlimmeres als verspätete Züge ohne Klimaanlage. H.J.M.


Zeitzeugen

Heinz Dürr – Der Maschinenbauingenieur und Unternehmer, geboren 1933 in Stuttgart, wurde 1991 zum Präsidenten der Deutschen Bundesbahn und zugleich zum Generaldirektor der Deutschen Reichsbahn berufen. Er führte die beiden Staatskonzerne zusammen, betrieb ihre Teilprivatisierung und wurde folgerichtig Vorstandsvorsitzender der neuen Deutsche Bahn AG. 1994 stellte er, gemeinsam mit Regierungschef Erwin Teufel, Oberbürgermeister Manfred Rommel und dem ebenfalls aus der Region stammenden Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann das Projekt „Stuttgart 21“ vor. Kritiker sprachen schon damals von einer „Maultaschenconnection“. Bis heute verteidigt Dürr vehement das Bahnhofsprojekt einschließlich der Verdreifachung der Kosten. 1997 übergab er den Chefposten an Johannes Ludewig und übernahm den Aufsichtsratsvorsitz. 1999 schied er im Streit mit der neuen Bundesregierung aus.

Hartmut Mehdorn – Der Manager und Ingenieur, 1942 in Warschau geboren, wurde Ende 1999 von Gerhard Schröder zum Nachfolger des Kohl-Vertrauten Ludewig berufen. Sein Ehrgeiz richtete sich auf den geplanten Börsengang der Bahn. Nach dessen Scheitern wechselte er 2009 – unter Mitnahme einer Abfindung von mindestens fünf Millionen Euro – zunächst in diverse Beratertätigkeiten, dann zur in Turbulenzen geratenen „Air Berlin“. Von dort landete er auf dem Chefsessel der „Flughafen Berlin Brandenburg GmbH“, auf dem er eigenem Bekunden zufolge auch nach einer – mehrfach verschobenen – Inbetriebnahme verbleiben möchte. Skeptiker empfinden das eher als Drohung; schließlich wird Mehdorn seit seiner Zeit bei der Bahn als „Meister der Verspätung“ verspottet.

Rüdiger Grube – Der 1951 geborene Hamburger studierte nach der Flugzeugbauer-Lehre Wirtschaftspädagogik. Später machte er sich als Manager unter anderem bei MBB, Dasa und Daimler einen Namen. Am 1. Mai 2009 berief Angela Merkel ihn – auf Empfehlung seines Vorgängers Mehdorn – zum Vorstandsvorsitzenden der Bahn, deren Eigentümerin trotz Teilprivatisierung der Bund ist. Sein Ziel, die Bahn wieder auf ruhigerem Gleis fahren zu lassen, hat er bislang nur teilweise erreicht. Aber vielleicht stimmt diesmal ja die Weichenstellung ...


S. 5 Deutschland

Dobrindts nächste Seifenblase
Die von dem Minister federführend entworfene »Digitale Agenda« bietet nur leere Absichtserklärungen

Derzeit redet ganz Deutschland über Verkehrsminister Alexander Dobrindts Entwurf für eine Maut, dabei leitet der CSU-Politiker noch ein anderes Großprojekt, um das es keineswegs weniger kümmerlich bestellt ist.

Der Berg kreißte ... und gebar eine Maus. Dieses Sprichwort kommt einem unweigerlich in den Sinn, wenn man die „Digitale Agenda“ der Bundesregierung beschreiben soll. Da hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel versprochen, Deutschlands Digitalisierung zu einer der Kernaufgaben dieser Legislaturperiode zu machen, und als Zeichen dafür, dass es der Großen Koalition ernst ist, das Amt des Ministers für Verkehr offiziell um den Anhang „und für digitale Infrastruktur“ ergänzt. Auch wurde verkündet, Deutschland solle „Digitales Wachstumsland Nummer 1 in Europa“ werden. Doch inzwischen sieht es so aus, als wäre es das auch schon gewesen. Zumindest der an ausgewählte Medien verteilte Entwurf der „Digitalen Agenda“, die am 20. August dem Bundeskabinett zum Beschluss vorgelegt werden soll, ist äußerst dürftig. Von angeblich zwischenzeitlich über 300 Seiten sind nach Abstimmung zwischen dem federführend verantwortlichen Verkehrsministerium mit dem ebenfalls beteiligten Wirtschaftsministerium von Sigmar Gabriel (SPD) und dem Innenministerium von Thomas de Maizière (CDU) nur noch 36 Seiten übrig geblieben. Diese wiederum bieten viele schöne Absichtserklärungen, doch wenig konkrete Details.

Die Wirtschaftspresse witzelt schon, dass die Kanzlerin offenbar nicht die einzige sei, für die das Internet „Neuland“ sei. Als nämlich vor gut einem Jahr US-Präsident Barack Obama Deutschland besucht hatte, hatte Merkel im Zusammenhang mit dem Überwachungsprogramm „Prism“ des US-Geheimdienstes NSA den Skandal zu relativieren versucht, indem sie behauptet hatte, dass das Internet ja für alle Neuland sei. Diesen Fauxpas hat ihr vor allem die deutsche IT-Branche bis heute nicht verziehen, ist sie doch seit Jahren Treiber des deutschen Wirtschaftswachstums und zudem nach dem Maschinenbau noch vor der Automobilindustrie mit 927000 Beschäftigen zweitgrößter industrieller Arbeitgeber in Deutschland.

Da erschien der Koalitionsvertrag der Großen Koalition Ende letzten Jahres der IT-Branche fast wie ein Friedensangebot von Seiten der Politik, da darin die Bedeutung der Digitalisierung Deutschlands betont wurde und entsprechende Maßnahmen avisiert wurden. So sollte eine flächendeckende Versorgung mit schnellem Internet bis 2018 garantiert werden, die Digitalisierung der klassischen industriellen Produktion lanciert, Netzneutralität, Datenschutz und IT-Sicherheit gewährleistet sowie die Verwaltung entsprechend modernisiert werden.

Herausgekommen sind jetzt vor allem schöne Sätze, laut denen man „den Strukturwandel aktiv“ begleiten und „Rahmenbedingungen für das Leben, Arbeiten und Wirtschaften in der digitalen Gesellschaft“ schaffen wolle. Auch wolle die Politik „Lösungsansätze für das Anliegen in der digitalen Welt“ entwickeln und „Verschlüsselungs-Standort Nr. 1 auf der Welt“ werden. Zudem sollen Fachkräfte ausgebildet und Firmenneugründungen in der Branche, sogenannte Start-ups, gefördert werden. Will man aber erfahren, wie diese lobenswerten Ziele konkret erreicht werden sollen, so fanden all jene, die bereits Einsicht in den Entwurf zur „Digitalen Agenda“ hatten, wenig Konkretes. Nur der künftig alljährlich stattfindende Nationale IT-Gipfel, bei dem sich Experten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft treffen sollen, klingt nach etwas Handfestem, allerdings wird ein Treffen mit dem Titel bereits seit 2006 alljährlich vom Wirtschaftsministerium ausgerichtet.

Auch klingt es konkret, wenn es heißt, dass bis 2018 bis in den letzten Winkel des Landes ein schneller Internetanschluss verfügbar sein soll. Wie dieses Ziel jedoch erreicht werden soll, sprich, ob der Bund den Unternehmen Geld zur Verfügung stellt, um auch abgelegene Gebiete, deren Erschließung wirtschaftlich nicht rentabel ist, zu berücksichtigen, bleibt unerwähnt. Und die Forderung der Branche, dass Kapitalgeber von Start-ups derartige Investments aufgrund des erhöhten Risikos steuerlich teilweise absetzen können, wurde zwar zuvor von Politikern als guter Hinweis bezeichnet, aber in den Entwurf nicht aufgenommen. Dabei lassen sich Politiker immer wieder gern mit jungen Unternehmensgründern aus dem IT-Bereich fotografieren, um so ihre Aufgeschlossenheit für moderne Technik zu symbolisieren.

Bei den drei Punkten, die dem deutschen Hightech-Verband Bitkom besonders wichtig waren, nämlich eine Bildungsoffensive gegen Fachkräftemangel, Vertrauen und Sicherheit sowie Innovationspolitik, verbleibt der Entwurf bei Allgemeinplätzen. Besonders bitter klingt das Fazit des Verbandes der deutschen Internetwirtschaft eco, in dem 750 Unternehmen organisiert sind. „Aktionismus statt digitaler Masterplan“ lautet der Titel der Pressemitteilung, in der kritisiert wird, dass sich in dieser Legislaturperiode zwar so viele Ministerien wie nie zuvor für das Thema Netzpolitik zuständig fühlten, gleichzeitig aber jeglicher roter Faden fehle.

Blickt man allerdings auf die Internetseiten aller großen Branchen- und Industrieverbände, dann ist man zugleich erstaunt, dass sich fast nirgendwo eine aktuelle, offizielle Stellungnahme zu dem Entwurf finden lässt, dabei wäre jetzt noch Zeit, Einfluss zu nehmen, indem man öffentlichen Druck aufbaut. Auch wären die Medien dankbar, da sie trotz Sommerlochs ihre Nachrichtenspalten füllen müssen. Auf Anfragen der PAZ hagelt es aber Abwesenheitsnotizen der jeweiligen Pressesprecher. Und der Verband „Die Jungen Unternehmer“ antwortet: „Wir sind verbandsintern aktuell noch in der Abstimmungsphase unserer Position zur ,Digitalen Agenda’ der Bundesregierung.“

Rebecca Bellano


Zurück zu den Wurzeln
Konservativer Aufbrauch innerhalb der CSU will Linkstrend aufhalten

Weil ihnen der Kurs der CSU in der Bundesregierung deutlich zu links ist, haben sich zahlreiche – meist jüngere – konservative Mitglieder der Partei zur Gruppe Konservativer Aufbruch zusammengeschlossen. Bei der Gründungsversammlung Mitte Juni in Nürnberg waren zwar nur 30 Mitkämpfer erschienen, doch die Gruppe wächst rasant. Nach Auskunft des Sprechers, des 29 Jahre alten David Bendels aus Oberfranken, kommen täglich 30 bis 40 E-Mails von Parteifreunden herein, welche die Gruppe unterstützen wollen. Im sozialen Netzwerk Facebook hat die Gruppe bereits mehr als 860 Unterstützer.

Auch CSU-Parteichef Horst Seehofer und Generalsekretär Andreas Scheuer nehmen die Gruppe offensichtlich ernst. Am Rande der JU-Landesversammlung im Juli kamen sie auf Bendels zu und boten ein Gespräch an. Nach momentanem Stand soll dieses Gespräch Ende August oder Anfang September in der CSU-Landesleitung stattfinden. Zuvor will der Konservative Aufbruch bei einem internen Treffen nochmals die argumentative Marschroute abstimmen.

Der Start des Konservativen Aufbruchs war nach Ansicht vieler CSU-Basisleute zu aggressiv verlaufen. Bendels hatte auf Facebook die Meldung, dass Seehofer nach der Europawahl seinen Rücktritt angeboten habe, so kommentiert: „Vollzug wäre konsequent gewesen.“ Weiter schrieb Bendels: „Denn unser Parteivorsitzender ist hauptverantwortlich dafür, dass die CSU zwar noch ‚rechts blinkt‘ – vorgeschobener Einsatz von Peter Gauweiler & Wilfried Scharnagl im Wahlkampf –, dann aber zeitgeist-hörige, linke Politik betreibt.“

Der Parteisprecher der CSU, Jürgen Fischer, hatte sich darauf – ebenfalls auf Facebook – einen Ausrutscher geleistet und Bendels einen Übertritt zur AfD nahegelegt. Diese Wogen haben sich mittlerweile gelegt, auch weil der Konservative Aufbruch sich lernfähig zeigt und die Rücktrittsforderung nicht wiederholte. Denn Konservative – die nach vorsichtigen Schätzungen von Parteikennern locker 30 bis 50 Prozent der CSU-Mitglieder ausmachen könnten – mögen von ihrem Wesen her eben keinen offenen Streit und schon gar keinen Königsmord.

Bendels betont, der Konservative Aufbruch wolle die CSU in dem Bestreben unterstützen, eine Volkspartei zu bleiben. „Wenn der CSU der konservative Flügel vollends wegbricht, dann ist sie keine Volkspartei mehr“, so Bendels’ Befund. Die CSU müsse sich inhaltlich neu aufstellen und sich auf alte Werte besinnen. Die konservativen Stammwähler seien in den vergangenen Jahren sträflich vernachlässigt worden, so Bendels. Im Windschatten der CDU sei die CSU immer weiter nach links gesegelt und habe auf der konservativen Seite ein gefährliches Vakuum hinterlassen, in das die AfD stoße.

So habe die CSU im Bund vielen schädlichen SPD-Projekten – abschlagsfreie Frührente ab 63, Mindestlohn, Frauenquote, Doppelpass, verfehlte Energiewende – kaum Widerstand entgegengesetzt, kritisiert Bendels. Doch die CSU versuche nicht einmal, im Gegenzug sinnvolle konservative Herzensanliegen wie Steuersenkungen durchzusetzen – oder als ersten Schritt wenigstens die Entschärfung der ungerechten Kalten Progression. Es sei insofern kein Wunder, dass viele konservative CSU-Stammwähler bei der Europawahl zuhause geblieben seien oder ihr Kreuzchen aus Protest bei der AfD gesetzt hätten. Anton Heinrich


Fehler mit System
Länder lassen Berlin zahlen, fügen sich aber nicht dessen Wünschen

Seit Langem kämpfen der Bund, die Länder und die Parteien um die Finanzierung des Hochschulbereichs. Der Streit ist auf das sogenannte Kooperationsverbot im Bildungsbereich zurückzuführen, das sich in mehreren Artikeln des Grundgesetzes versteckt. Bislang darf der Bund für die Schulen kein und für die Hochschulen nur ausnahmsweise Geld geben, obwohl die Länder finanzielle Hilfe benötigen.

Bereits 2012 wollte die damalige Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) das Kooperationsverbot lockern und dafür das Grundgesetz ändern lassen. Doch dieser Plan scheiterte an SPD und Grünen, die auch Schulen und Kitas gefördert sehen wollen.

Im Mai einigte sich schließlich das Bundesbildungsministerium unter Johanna Wanka (CDU) mit den Ländern. Seitdem stehen die im Koalitionsvertrag zugesicherten neun Milliarden Euro mehr den Kitas, der Bildung und Forschung sowie den Hochschulen zur Verfügung. Die Regierungskoalition strebt zudem eine Grundgesetzänderung an, damit sich der Bund dauerhaft für die Forschung und Lehre an Hochschulen engagieren kann. Ein wichtiger Punkt hierbei ist die Übernahme der vollständigen Bafög-Finanzierung ab 2015. Bislang beteiligt sich der Bund zu 65 und die Länder zu 35 Prozent an der staatlichen Unterstützung für Studenten. Im Gegenzug verpflichten sich die Länder, die jährlich freiwerdenden 1,17 Milliarden Euro für Hochschulen und Schulen zur Verfügung zu stellen.

Anscheinend hatte aber Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz als Unterhändler der SPD-geführten Länder versäumt, die Ministerpräsidenten auf das Verhandlungsergebnis mit dem Bundesbildungsministerium einzuschwören. So fühlt sich die niedersächsische Landesregierung unter Stephan Weil (SPD) nicht an die Vereinbarung mit Bildungsministerin Wanka gebunden und will lieber ein zentrales Versprechen aus dem Landtagswahlkampf einlösen. So investiert sie 110 Millionen Euro freigewordene Mittel in eine dritte Betreuungskraft in Kita-Gruppen, weil dort der größte Nachholbedarf bestehe und nicht bei den Hochschulen. Bildung beginne bereits in den Kitas und umfasse nicht nur die Arbeit der Schulen und Hochschulen, untermauert die Staatskanzlei in Hannover die eigenmächtige Entscheidung. Juristisch können weder die Bundesregierung noch der Bundestag dagegen vorgehen.

Jürgen Hesselbach, Vorstandsvorsitzender der Landeshochschulkonferenz und Präsident der TU Braunschweig, wirft der niedersächsischen Landesregierung Zweckentfremdung der Mittel vor. Das Geld werde gebraucht, um die Hochschulinfrastruktur zu verbessern. Zudem hatte das Land Niedersachsen den Hochschulen zugesagt, die Finanzlücke von rund 130 Millionen Euro durch den Wegfall der Studiengebühren zu schließen.

Der Streit mit der niedersächsischen Landesregierung kommt für Wanka zur falschen Zeit. Andere Bundesländer könnten sich an Niedersachsen ein Beispiel nehmen und die gesparten Bafög-Millionen anderweitig ausgeben. Dabei will die Bundesregierung zukünftig auch die Ausbildungsförderung reformieren. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass sich alle Länder an die Vereinbarung halten, mit den eingesparten Mitteln nur Schulen und Universitäten zu finanzieren. Ulrich Blode


MELDUNGEN

CSU: Staat darf nicht bevorzugen

München – „Der Staat darf nicht ein Erziehungsmodell bevorzugen“, kommentiert CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt die im Rahmen einer Studie erneut aufgeflammte Kritik am Betreuungsgeld. Sie bezeichnete die auf Druck ihrer Partei durchgesetzte Familienleistung in Höhe von jetzt monatlich 150 Euro für Eltern, die ihre Kleinkinder im Alter zwischen 15 Monaten und drei Jahren daheim erziehen, als „richtigen Weg“. Zuvor hatte das Deutsche Jugendinstitut eine Studie veröffentlicht, laut der 54 Prozent der Eltern mit Hauptschulabschluss, die ihr Kind daheim betreuen, das Geld als Grund genannt haben. Bei Eltern mit Hochschulabschluss waren es nur acht Prozent. Bel

 

Verwahren statt bilden

Gütersloh – „Der Kita-Rechtsanspruch hat die Bundesländer gezwungen, die Quantität der Kita-Plätze zu erhöhen. Nun sollte ein Bundes-Kita-Gesetz dafür sorgen, dass auch überall die Qualität stimmt“, fordert Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung. So seien bundesweit viel zu wenig Erzieher vorhanden, um gezielt frühkindliche Bildung umzusetzen. So empfiehlt die Stiftung, bei unter Dreijährigen maximal drei Kinder je Fachkraft zuzuordnen, doch nur Bremen und Baden-Württemberg halten diesen Personalschlüssel ein. Vor allem in den östlichen Bundesländern sieht das Verhältnis Erzieher zu Vollzeitbetreuungskindern schlechter aus. In Sachsen-Anhalt sind es beispielsweise 6,7. Bei über Dreijährigen erfüllen auch nur Bremen und Baden-Württemberg mit 1:8 die Wünsche der Bertelsmann Stiftung. In Mecklenburg-Vorpommern liegt das Verhältnis offiziell bei 1:14,9 (siehe Kommentar Seite 8.) Bel


S. 6 Ausland

In Xinjiang eskaliert die Gewalt
Pekings Unterdrückung der muslimischen Uiguren im Nordwesten Chinas nutzt Dschihadisten

Noch erheblich härter als gegen die Tibeter geht die kommunistische Führung der Volksrepublik China gegen die muslimischen Uiguren in Xingjiang vor. Nach Angaben der Gesellschaft für bedrohte Völker hat sich die Lage in der Unruheregion dramatisch zugespitzt.

Seit Juni wurden nach Informationen der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) mindestens 256 Uiguren wegen „politischer Straftaten“ zu meist langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Gegen 22 dieser Angeklagten sei die Todesstrafe verhängt worden und man habe sie bereits hingerichtet.

Die GfbV hat überdies für den Zeitraum von März 2013 bis Juni dieses Jahres insgesamt 49 blutige Zusammenstöße zwischen Uiguren und Han-Chinesen dokumentiert. Bei diesen Gewalttaten wurden nach Angaben der Organisation mindestens 354 Menschen getötet und 515 Personen verletzt. Außerdem sei die Verhaftung von 745 Uiguren allein in diesem Zeitraum belegt. Neben vielen anderen wurde der in Peking lebende uigurische Menschenrechtler und Wirtschaftsprofessor Ilham Tohti verhaftet. Fünf Jahre nach den schweren Unruhen in der Provinzhauptstadt Urumtschi im Jahr 2009, bei denen es offiziell 193 Tote und 1721 Verletzte gab, sei das Schick-sal hunderter verschwundener Uiguren immer noch nicht geklärt.

Das im äußersten Nordwesten Chinas gelegene Ost-Turkestan, von den Chinesen Xinjiang („Neue Grenzgebiete“) genannt, konnte erst 1846 in den Herrschaftsbereich der Qing-Dynastie eingegliedert werden. Es gab bis zur Gründung der Volksrepublik China im Jahr 1949 noch Sezessionsversuche. Xinjiang ist mit 1,6 Millionen Quadratkilometern viermal so groß wie Deutschland und besitzt viele Bodenschätze. Das Gebiet grenzt an Russland, Pakistan, Tadschikistan, Pakistan, Indien, Kirgisien, Tadschikistan und die Mongolei.

Aufgrund der forcierten Einwanderung von Han-Chinesen nach Xinjiang stellen dort die etwa acht Millionen Uiguren nach offiziellen Angaben nur noch 41 Prozent der Bevölkerung, 43 Prozent der Einwohner sind bereits Chinesen. 1953 stellten die Chinesen nur sechs Prozent der Bevölkerung, die Uiguren 75 Prozent. Heute herrscht in den Städten eine starke Segregation. Die Uiguren fühlen sich zunehmend wie Fremde in ihrer angestammten Heimat; viele verstehen gar kein Chinesisch. Auch die uigurische Stadt Kashgar, am Rande der Wüste Taklamakan gelegen, erlebt schon lange eine Zuwanderungswelle geschäftstüchtiger Chinesen. Peking will dort die erste „Wirtschaftssonderzone“ ganz im We-sten errichten. Die Millionenstadt Urumtschi ist das größte Handelszentrum Zentralasiens. Xingjiang wird nach dem erklärten Willen Pekings („Neue Seidenstraßen-Initiative“) weiter als Drehkreuz für den Austausch mit Zentralasien und Europa ausgebaut.

Im Unterschied zu den buddhistischen Tibetern wehren sich die islamisch geprägten Uiguren auch mit Messern und Sprengstoff gegen ihre Unterdrückung. Peking wiederum geht mit eiserner Faust gegen echte oder angebliche Terroristen und „Separatisten“ vor. Zunehmend fliehen Uiguren außer Landes.

In einem Pressegespräch mit der PAZ informierten der Asienreferent der GfbV, Ulrich Delius, und der Vizepräsident des Weltkongresses der Uiguren, Asgar Can, über die Lage in Xinjiang. Der Vater des 53-jährigen Can hatte sich als Schuldirektor in Xinjiang geweigert, Mao-Bilder aufzuhängen, wofür er mit zwei Jahren Haft bestraft wurde. Danach floh er mit seiner Familie nach Afghanistan und in die Türkei. Von dort kam Asgar Can nach Deutschland, wo er Betriebswirtschaft studierte. In München, wo er dem Ausländerbeirat angehört, gründete er die Uigurische Gemeinde.

Gegenüber der PAZ erklärte er: „Wir erfahren ständig von Ausschreitungen, Verhaftungen und willkürlichen Prozessen, auch von Hinrichtungen.“ Die Chinesen wollten die Uiguren assimilieren und nähmen ihnen auch alle kulturellen Rechte. Sie könnten ihre Religion nicht ausüben. „Jeder, der eine Moschee betritt, wird als sogenannter Fundamentalist verdächtigt“, sagte Can. Das religiöse Fasten sei verboten worden. Uiguren würden in Betrieben während des Ramadan in der Mittagspause kontrolliert, ob sie etwas essen. Männer mit langen Bärten würden festgenommen. „Die Religionsfreiheit steht nur auf dem Papier“, erklärte Can. Gewaltakte der Uiguren geschähen meist aus Verzweiflung wegen dieser Unterdrückung. „Wenn man Menschen derart in die Ecke drängt, versuchen sie sich auch zu verteidigen. Was aber natürlich keine Rechtfertigung für Gewaltanwendung ist“, betonte Can. „Der Islam“, fügte er hinzu, „ist unser einziger Halt angesichts dieses Vorgehens der Chinesen.“ Darum klammerten sich die Menschen umso fester an ihn.

Das EU-Parlament hat Peking in einer Resolution aufgefordert, einen „echten Dialog zwischen Han-Chinesen und Uiguren einzuleiten“, ihre kulturelle Identität zu achten und die Repressionen zu beenden. Doch China hat, wie Can gegenüber der PAZ mitteilte, schon jeden Europaabgeordneten angeschrieben und aufgefordert, den Kontakt mit Exil-Uiguren zu unterlassen.

Delius erklärte, drei von vier Personen, die 2012 in China wegen angeblicher „Gefährdung der Staatssicherheit“ vor Gericht gestellt worden seien, hätten aus Xinjiang gestammt. Viele blutige Auseinandersetzungen erfolgten, wenn chinesische Polizei die Schleier von Uigurinnen lüfte, um ihre Identität festzustellen. Im GfbV-Report heißt es auch, Frauen, welche die staatlichen Vorschriften zur Verschleierung missachteten, würden in manchen Städten dazu gezwungen, einen Film zu sehen, in dem für weibliche Schönheit geworben und die „Freude dargestellt“ werde, das Gesicht in der Öffentlichkeit zu zeigen.

Der Mangel an Respekt gegen-über den Uiguren, so Delius, sei eines der Grundprobleme von Chinas verfehlter Nationalitätenpolitik. Bislang scheine die Gewalt weitgehend hausgemacht. „Wenn Chinas Staatsführung nicht den Dialog mit anerkannten Sprechern der Uiguren sucht und sich um eine politische Lösung bemüht, könnten internationale Dschihadisten den Konflikt noch stärker für ihre Zwecke instrumentalisieren“, warnte Delius.

Michael Leh


Nicht wählerisch
Europäische Volkspartei nimmt nun doch »Schmuddelkinder« auf

Mit der Aufnahme der ungarischen Regierungspartei Fidesz und der von Silvio Berlusconi gegründeten Forza Italia könnte die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europaparlament aufgemischt werden. Von beiden Parteien kommen nämlich nicht nur regelmäßig bissige Spitzen gegen den Brüsseler Zentralismus, vielmehr ist mit Alessandra Mussolini nun auch noch die Enkelin des italienischen „Duce“ Mitglied der größten Fraktion des Europaparlaments geworden.

Besonders pikant ist die Zusammenarbeit für Jean-Claude Juncker, den die EVP zum neuen Chef der EU-Kommission gewählt hat. In der Vergangenheit war es ausgerechnet der damalige Luxemburger Premier gewesen, der die Öffnung der EVP für „rechtsnationale und neofaschistische Kräfte“ heftig kritisiert hatte. Als 2008 Alessandra Mussolini und Giuseppe Carrapico, ebenfalls ein deklarierter Nostalgiker des Faschismus, erstmals auf einer Liste von Berlusconis Forza Italia bei italienischen Parlamentswahlen antraten, war es Juncker, der zum Ausschluss von Berlusconis Partei aus der christdemokratischen Parteienfamilie drängte. „In der EVP ist kein Platz für Faschisten“, so Juncker damals. Nun, wo es für Juncker um den Spitzenposten in Brüssel geht, werden Forza Italia und Fidesz dringend gebraucht, beide Parteien scheinen damit wieder salonfähig.

Ohne die beiden „Schmuddelkinder“ hätte die EVP im Europaparlament nämlich nur einen hauchdünnen Vorsprung vor den Sozialdemokraten. Die Forza Italia kann 13 EU-Abgeordnete in die Waagschale werfen, die ungarische Fidesz bringt der EVP-Fraktion zwölf zusätzliche Stimmen. Ohne die beiden Parteien hätte die EVP statt 220 Abgeordnete nur noch 195 – angesichts der 191 Abgeordneten der Fraktion der Sozialdemokraten alles andere als eine komfortable Mehrheit. Nicht zuletzt um Juncker das Regieren zu erleichtern, wird die umstrittene Kooperation mit Fidesz und Forza Italia fortgesetzt.

Die Aufnahme droht nicht nur dem Image der EVP in bestimmten Kreisen Schaden zuzufügen. Nachdem im Jahr 2007 eine gemeinsame EU-Fraktion mit der FPÖ nicht zuletzt an Mussolinis regelmäßigen verbalen Attacken gescheitert war, droht die Enkelin Benito Mussolinis nun die Europäische Volkspartei zu spalten. „Ich bin in der EVP wegen meines Namens unerwünscht“, so Alessandra Mussolini nach ihrer ersten Sitzung in Straßburg, und weiter: „Die Deutschen wollen nicht nur den italienischen Stabilitätspakt bestimmen, sondern auch entscheiden, wer in Italien gewählt werden soll. Das ist eine Verletzung der Volkssouveränität Italiens.“

Aus Protest gegen die Zusammenarbeit hat inzwischen Herbert Dorfmann von der Südtiroler Volkspartei (SVP) die italienische EVP-Delegation verlassen, und ist zur österreichischen ÖVP-Gruppe gewechselt. „Ich kann nicht in einer italienischen Delegation sein, in der eine Enkelin von Benito Mussolini sitzt“, so der Südtiroler. Rückendeckung hat die 50-jährige Politikerin inzwischen von ihrer eigenen Partei erhalten. „Mussolinis demokratische Geschichte ist unbestreitbar und die EVP kann sie nicht wegen ihres Familiennamens diskriminieren. In der EVP gibt es Ex-Nazis und Ex-Kommunisten“, so Gianfranco Rotondi von der Forza Italia. N.H.


Deutsche zu Recht gekränkt
Große US-Medien zeigen Verständnis im US-Spionage-Skandal

Die US-Öffentlichkeit hat von dem Spionage-Skandal um den BND-Agenten Markus R., der seit Wochen in Deutschland hohe Wellen schlägt, so gut wie keine Notiz genommen. Die Schlagzeilen behandeln stattdessen die Konflikte in Gaza und der Ukraine, Syrien und dem Irak. Auch sehen die meisten Politiker in Washington die Aufregung in Übersee über den Vorfall als übertrieben an. Einen „politischen Wutanfall“ nannte diese der Präsident des Geheimdienst-Komitees im Repräsentantenhaus, der republikanische Abgeordnete von Michigan Mike Rogers. Nur der ehemalige US-Botschafter in Berlin unter Präsident Bill Clinton, John C. Kornblum, meinte: „Die Amerikaner haben das total in den Sand gesetzt.“ Allerdings: „Wir hätten so etwas vor 9/11 nie getan. Das Problem ist, dass der US-Geheimdienst nach dem Terror-Anschlag vom September 2001 die damals bestehenden Beschränkungen für eine Überwachung von Deutschland aufhob.“

Im Gegensatz zu den meisten US-Politikern zeigten die großen US-Zeitungen Verständnis für die erhitzte Reaktion der Deutschen. „Nachdem sie so lange unter der Bespitzelung ihrer eigenen Geheimpolizei – der Gestapo der Nazis und der Stasi im Kalten Krieg – leben musste, ist die deutsche Öffentlichkeit besonders empfindlich gegenüber jeder Verletzung der persönlichen Rechte“, so das Nachrichtenmagazin „Time“. Vollends konsterniert zeigen sich viele Blätter über die Naivität der CIA, Geheimnisse von geringer Bedeutung von einem eher unbedeutenden Agenten des befreundeten deutschen Geheimdienstes BND zu kaufen, nachdem die Wunden von dem weit größeren, von Edward Snowden enthüllten NSA-Skandal gerade begonnen hätten zu heilen. „Das deutsche Misstrauen gegenüber den USA vertieft sich“, so „Time“ weiter.

„Sollen Freunde ihre Freunde bespitzeln“, fragt die „Washington Post“. Sie geht, wie die „New York Times“, vor allem auf den Schatten ein, den der Vorfall auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen wirft. Und dies, wo es nicht nur um Gemeinsamkeit bei den brennenden außenpolitischen Themen wie Gaza, Ukraine, Syrien und Iran geht, sondern auch um die neue Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP), über die gerade verhandelt wird. Der Pakt, eines der wichtigsten Ziele von US-Präsident Barack Obama, soll den USA und der EU 280 Milliarden US-Dollar an Gewinn und 13 Millionen neue

Arbeitsplätze bringen und zum Jahresende abschlussreif sein. Der Spionage-Skandal könnte sich als ein möglicher Störfaktor bei den Verhandlungen herausstellen, meint das politische Online-Magazin „The Hill“ und schlägt vor, Sicherheitsvorkehrungen für die Privatsphäre von US- wie EU-Bürgern in den Pakt aufzunehmen.

Der führende Kommentator der „L.A. Times“ kehrte nun von einem Berlin-Besuch zurück. Er habe ein Land gesehen, das „wohlhabend ist, gut regiert und sogar glücklich“, weil die Wirtschaft stärker und effektiver sei als die ihrer Nachbarn. Aber er fand auch, dass die Deutschen „in Angst geraten sind über ihren Platz in der Welt“ und dass sie, wie die Spionage-Affären gezeigt hätten, „so erfolgreich und vertrauenswürdig sie auch sein mögen, nicht genug Respekt von den USA bekommen und dass sie das kränkt“. Denn die USA spionieren nicht Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland aus. Gut wäre eine Aufnahme in den Nicht-Spionage-Pakt „Five Eyes“, wie ihn die USA mit jenen Ländern haben. Liselotte Millauer


MELDUNGEN

Moskau muss für Yukos zahlen

Den Haag – Die russische Regierung muss ehemaligen Aktionären des zerschlagenen russischen Ölkonzerns Yukos umgerechnet 37,2 Milliarden Euro Schadenersatz zahlen. Der Ständige Schiedsgerichtshof in Den Haag hält es für erwiesen, dass Moskau den Konzern des Regierungskritikers Michail Chodorkowskij zerschlagen wollte. Die Eintreibung von Steuern und der Vorwurf von Wirtschaftsstraftaten gegen Chodorkowskij seien nur vorgeschoben worden, um große Teile von Yukos dem russischen Staatskonzern Rosneft einverleiben zu können. Dagegen zog ein Teil der ehemaligen Yukos-Aktionäre vor den internationalen Gerichtshof. Moskau hat Rechtsmittel gegen das Urteil angekündigt. J.H.

 

Versuch, Ghandi zu entzaubern

Neu-Delhi – Arundhati Roy, indische Schriftstellerin und politische Aktivistin, hat laut der Zeitung „Times of India“ die Umbenennung von Mahatma-Gandhi-Institutionen gefordert. In einer Rede an der University of Kerala in der südindischen Stadt Thiruvananthapuram bezeichnete Roy das Image, das Mahatma Gandhi als „Vater der Nation“ genieße, als Lüge. Gandhis Doktrin der Gewaltlosigkeit habe auf einem brutalen Kastensystem basiert, Gandhi habe Menschen aufgrund ihrer Kaste herablassend behandelt, so der Vorwurf von Roy. Zur Untermauerung führt die Schriftstellerin an, Gandhi habe 1936 in einem Essay vorgeschlagen, Angehörige der Kaste Bhangi, die Fäkalien von Hand beseitigen, sollten die Ausscheidungen zu Dünger umwandeln. Damit habe er Indiens Kastenhierarchien verstärkt. Gefangene in Südafrika soll Gandhi zudem als unzivilisierte und skrupellose „Kafirs“ (Ungläubige) bezeichnet haben. N.H.


S. 7 Wirtschaft

Oligarchen ringen um die Macht
Ukrainische Konzernchefs nutzen Krieg für eigene Interessen – Russische Kollegen fürchten Sanktionen

Der Krieg in der Ukraine hat viele Gesichter. Während in den meisten Medien Russland wegen seiner Unterstützung der Separatisten die Hauptverantwortung zugeschoben wird, blenden sie eine Gruppe völlig aus: Ukrainische Oligarchen kämpfen nach der Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens wegen bevorstehender Privatisierungen um die Sahnestücke der Wirtschaft.

Ukrainische Oligarchen drängt es viel häufiger in die Politik als russische. Dafür lassen sich viele Beispiele seit dem Zerfall der Sowjetunion nennen. Ob der erste Präsident Leonid Kutschma, die Gaslady Julia Timoschenko, Ex-Präsident Viktor Janukowitsch oder der amtierende Pjotr Poroschenko: Sie alle hatten sich bei der Privatisierung von Staatsbetrieben bereichert.

Was sich zurzeit in der Ukraine abspielt, ist eine ähnliche Situation wie in den 90er Jahren. Die am Boden liegenden Staatsbetriebe wecken Begehrlichkeiten. Im Lande tobt ein offener Krieg der Oligarchen. Protagonisten sind der Gouverneur des Donezker Gebiets Igor Kolomojskij und seine Gruppe „Privatbank“ sowie die Mitglieder der ehemaligen Janukowitsch-Familie, Dmitrij Firtasch und Sergej Lewotschkin. Letztere handeln einvernehmlich mit der Unterstützung des ehemaligen Medienmagnaten Boris Loschkin, der heute Poroschenkos Chefsekretär ist. Über den landesweiten Fernsehsender „Inter“ führten die Poroschenko-Unterstützer eine Hetzkampagne gegen Kolomojskij durch. Er wurde beschuldigt, den Südosten der Ukraine mit Unterstützung eines skandalumwitterten Partners von Janukowitschs Sohn, „erobern“ zu wollen.

Politologen hatten einen solchen Kampf der Oligarchen schon lange vorausgesagt. Nach den Beitrittsverhandlungen mit der EU stehen der Ukraine weitere Privatisierungen bankrotter Staatsbetriebe bevor. Arsenij Jazenjuk hatte während seiner Amtszeit bereits angekündigt, dass der Alkoholkonzern „Ukrspirt“ zur Versteigerung angeboten wird. Das ist erst der Beginn einer Privatisierungswelle, wie es sie in den letzten 23 Jahren nicht gegeben hat. Auch die Staatsbetriebe „Naftogas“ und „Energoatom“, die alle ukrainischen Stromwerke kontrolliert, stehen vor der Privatisierung. Daneben werden See- und Flusshäfen und anderes zum Verkauf angeboten. Beobachter glauben, dass der Kampf darum langwierig und blutig sein wird. Die Kriegshandlungen im Donezkbecken seien in Wirklichkeit ein Krieg um Eigentum. Laut „Forbes“ ging es den ukrainischen Oligarchen bisher gut, doch das Magazin bewertet nur die Aktiva, nicht die Schulden. Legt man diese mit zu Grunde, zeigt sich ein anderes Bild: Viele der von Oligarchen übernommenen, einst blühenden Unternehmen stehen heute am Rande des Bankrotts, Finanzinstitute können nur mit Unterstützung des Staates existieren. Der Röhren-Hersteller „Interpipe“ des ehe-maligen Präsidenten Leonid Kutschma beispielsweise konnte 2013 seine Verbindlichkeiten in Höhe von 1,3 Milliarden Dollar bei internationalen Banken nicht bedienen. Nicht besser sieht es mit Poroschenkos Schokoladenfabrik aus. Die Aktien hatten im vergangenen Jahr 42,5 Prozent verloren, in erster Linie wegen des russischen  Einfuhrverbots. Der russische Markt ist für ukrainische Oligarchen immer noch äußerst wichtig. Vor der Krise lieferte Poroschenkos Firma „Roschen“ 50 Prozent seiner Konfektproduktion nach Russland. Bislang konnte er keine Abnehmer in Europa finden. Bevor er Vollpolitiker wurde, versuchte Poroschenko sein Unternehmen deshalb zu verkaufen.

Mit populistischen Parolen setzt Kolomojskij, erst seit März Gouverneur des Gebiets Dnepropetrowsk, Poroschenko sowohl wirtschaftlich als auch politisch zu. Er tritt in offene Opposition zum Präsidenten und versucht, sich einen Teil des Besitzes des Janukowitsch-Clans anzueignen. Insbesondere hat er es auf die Imperien von Dmitrij Firtasch und Rinat Achmetow abgesehen. Kolomojskij ist auch in Russland eine „persona non grata“. In Abwesenheit verurteilte ihn ein russisches Gericht unter anderem wegen Mordes. Die Niederlassung seiner Privatbank in Moskau wurde bereits feindlich übernommen. Das „Aufräumen“ ukrainischer Oligarchen untereinander und ihre kritische Abhängigkeit von Russland eröffnet Moskau neue Möglichkeiten der Einflussnahme auf Wirtschaft und Politik der Ukraine trotz erneut beschlossener Sanktionen des Westens.

Die erweiterten Sanktionen sollen die Finanz-, Energie- und Verteidigungsindustrie treffen. Russischen  Firmen wird der Zugang zu internationalen Finanzmärkten erschwert, so dass diese Schwierigkeiten haben, sich mit günstigen Krediten zu versorgen.

Die russische Wirtschaft bekam bereits die schon im ersten Schritt verhängten Sanktionen zu spüren. Nun sind auch Staatsunternehmen wie Rosneft und Novatek betroffen. Laut Sberbank benötigen die Unternehmen 30 Milliarden Euro Refinanzierungsmittel pro Quartal. Die Auslandsschulden russischer Unternehmen belaufen sich auf 650 Milliarden Dollar, die Hälfte davon entfällt auf Rosneft. Zwar glauben die Chefs der betroffenen Konzerne noch nicht an ernsthafte Folgen, aber die Oligarchen sorgen sich um ihre Villen und Privatbesitz im Ausland. Ob sie Putin in seinem anti-westlichen Kurs bremsen können, wenn ihre Interessen ernsthaft gefährdet sind, ist fraglich. Zwar will der Bundesnachrichtendienst Brüche in Putins Machtblock beobachtet haben, zu offener Kritik hat sich jedoch noch kein Oligarch hinreißen lassen. Dass Putin seine Haltung in Sachen Ostukraine ändern wird, ist unwahrscheinlich. Eher wird er gezielt westliche Staaten gegeneinander ausspielen wollen.

Solange die Mehrheit der Russen glaubt, wie die neueste Levada-Umfrage belegt, dass die Sanktionen nur die Oligarchen treffen werden, dürfte mit einem Putschversuch gegen Putin nicht zu rechnen sein.

Manuela Rosenthal-Kappi


Drohen Stadtwerkspleiten?
In Gera musste der erste kommunale Versorger Insolvenz anmelden

Bürgermeister und Stadtkämmerer aus ganz Deutschland schauen derzeit auf das, was in Gera, der drittgrößten Stadt Thüringens, vor sich geht. Bereits Ende Juni ist ein Fall eingetreten, der hierzulande bisher als undenkbar galt. Der Holding des Geraer Stadtwerke-Konzerns ging plötzlich das Geld aus – nur kurze Zeit später folgten der Betreiber des lokalen Flugplatzes und des öffentlichen Nahverkehrs. Damit liegt ein bundesweiter Präzedenzfall vor. Bisher ist noch nie eine städtische Gesellschaft unkontrolliert in die Pleite gerutscht.

Vorausgegangen ist eine Fehlkalkulation, die in Zukunft noch anderen Kommunen das Genick brechen könnte. Nicht zuletzt weil noch vor wenigen Jahren Kraftwerke mit Kraft-Wärme-Kopplung umweltpolitisch als vorbildlich galten und massiv staatlich gefördert wurden, errichtete Gera ein Gaskraftwerk. Die thüringische Stadt war damit nicht nur zur energiepolitischen Vorzeigekommune geworden, das Kraftwerk sollte auch Gewinne abwerfen, um andere städtische Betriebe quersubventionieren zu können, ein Geschäftsmodell, auf das viele Kommunen in Deutschland setzen. Ertragreiche Aktivitäten wie etwa die lange Zeit profitabel zu betreibende Stromerzeugung wurden mit notorischen Verlustbringern wie städtischen Verkehrsbetrieben unter dem Dach einer Gesellschaft zusammengefasst. Der Vorteil: Gewinne und Verluste lassen sich untereinander verrechnen, Körperschaftsteuern, die bei einzelner Bilanzierung fällig würden, müssen nicht abgeführt werden. Für Gera soll dies in der Vergangenheit einen steuerlichen Vorteil von bis zu elf Millionen Euro jährlich bedeutet haben.

Einen gehörigen Strich durch die Rechnung hat vor allem die Energiewende mit ihrer massiven Subventionierung von Wind- und Sonnenstrom gemacht. Das vor einigen Jahren errichtete Gaskraftwerk – ehemals staatlich gefördertes Non-Plus-Ultra, um die Umwelt zu schonen und gleichzeitig Geld zu verdienen – verwandelte sich für Gera zum Verlustbringer. Schlag auf Schlag spitzte sich die Lage im Juni zu. Nach einer fälligen Wertberichtigung für das Kraftwerk fehlten Geras Stadtwerken für Verlustausgleich und Schuldendienst 30 Millionen Euro. Als sich die Stadt bereit erklärte, die finanzielle Lücke zu schließen, war die Geduld in der Landeshauptstadt Erfurt erschöpft. Bereits seit Jahren wirtschaftet Gera mit einem Not-haushalt und muss sich bestimmte Ausgaben vom Land ausdrücklich genehmigen lassen. Erfurts Verbot eines 30-Millionen-Hilfspakets durch die Stadt besiegelte die Insolvenz der Stadtwerke-Holding.

Die Ereignisse in Thüringen weisen einige Besonderheiten auf: Massiv war etwa die Bevölkerungsabwanderung aus der Stadt, zu überdimensioniert dazu etwa der öffentliche Nahverkehr. Trotzdem könnte Gera ein kleiner Vorgeschmack auf das sein, was vielen deutschen Kommunen mit ihren Stadtwerken droht. Laut der Unternehmensberatung Roland Berger stehen von 500 untersuchten Stadtwerken rund 100 schlechter als das des thüringischen Gera da. Sollte die Untersuchung allgemeingültig sein, dann würde jedem fünften Stadtwerk die Pleite drohen. N.H.


Schifffahrt muss umdenken
Umweltbelastung durch Schadstoffausstoß bis ins Binnenland

Die Rahmenbedingungen für die weltweite Handelsschifffahrt sind gut. Wirtschaftsexperten erwarten in ihrem aktuellen Global Connections Report bis zum Jahr 2030 eine Vervierfachung des weltweiten Warenhandels. Um davon profitieren zu können, muss die deutsche Schifffahrtsbranche umdenken. Während Flugzeuge und Autos längst strengen Abgasnormen unterworfen sind, fahren Schiffe mit Schweröl, dem billigsten und umweltschädlichsten Treibstoff, bei dessen Verbrennung neben giftigen Gasen auch ein Schlamm aus nicht brennbaren Stoffen entsteht. Über viele Jahre galten Schiffe als umweltfreundlichste Transportmittel, was in der Relation zwischen transportierter Warenmenge und ausgestoßenem Kohlendioxid im Vergleich mit anderen Verkehrsträgern auch stimmt. „Aber viele unterschätzen den Verkehr auf See“, sagt Bill Box vom Internationalen Verband unabhängiger Tankereigner (Intertanko).

Das Helmholtz-Zentrum für Material- und Küstenforschung in Geesthacht hat aktuelle Schadstoff-emissionen von kommerziell genutzten Schiffen in der Nordsee erhoben, um damit verschiedene Szenarien über den in Zukunft zu erwartenden Schadstoffausstoß durchzurechnen. 20 bis 30 Prozent der Schwefel- und Stickoxidkonzentrationen in der Nordseeluft sind demzufolge auf die Schifffahrt zurückzuführen. „Das Thema Luftverschmutzung durch Schiffe betrifft nicht nur die direkte Küstenregion“, erläutert Volker Matthias. „Die Schiffsabgase werden durch die Winde verdriftet und reagieren mit Gasen aus Landwirtschaft, Industrie und Verkehr. Es kommt zur sogenannten Partikelbildung. Diese Partikel können durch die Atmosphäre transportiert und noch 500 Kilometer landeinwärts nachgewiesen werden.“

Die Unternehmensgruppe DNV GL, die im vergangenen Jahr aus dem Zusammenschluss der beiden Klassifikationsgesellschaften Norske Veritas und Germanischer Lloyd entstanden ist, kommt nach zweijähriger Forschung zu der Schlussfolgerung, wenn die Schifffahrt ihren Beitrag zu den international vereinbarten Klimazielen leisten wolle, müsse der Schadstoffausstoß bis zum Jahr 2050 unter Berück­sichtigung der zu erwartenden Wachstumsraten um 80 Prozent pro transportierter Einheit gesenkt werden. Der Einbau von Katalysatoren und die Verwendung schadstoffarmer Treibstoffe werden also unumgänglich. Das jedoch wird bei Reedern auf Widerstand stoßen. Sie beklagen schon jetzt, dass sie in der Containerschifffahrt zu wenig Geld verdienten: „Die Erlöslage, gerade in der Containerschifffahrt, bleibt äußerst schwierig. Deswegen müssen die Unternehmen alle Möglichkeiten zur Kostensenkung nutzen, um im Markt zu bleiben“, erklärt Ralf Nagel, Geschäftsführendes Präsidiumsmitglied des Verbands Deutscher Reeder (VDR).

Der Umweltverband NABU dagegen hält mehr Umweltschutz in der Schifffahrt schon mit leichten Preiserhöhungen für finanzierbar. „Drei Cent mehr für ein Paar Schuhe, ein Cent mehr für einen Tablet-PC und nur 0,2 Cent mehr für ein T-Shirt, das wären die zusätzlichen Kosten für Waren, wenn Containerschiffe einen höherwertigen Treibstoff und Abgastechnik einsetzen würden.“

Eigel Wiese


MELDUNGEN

EZB-Maßnahmen fruchtlos

Frankfurt am Main – Obwohl die Europäische Zentralbank (EZB) vor Kurzem ein drastisches Maßnahmenpaket inklusive Einführung von Minuszinsen auf EZB-Einlagen beschlossen hatte, um die Wirtschaft anzukurbeln, sank auch im Juni die Kreditvergabe im Euro-Raum um 1,7 Prozent im Vergleich zum Vormonat. Doch der Rückgang verlangsamt sich, so die EZB. Im Mai lag er noch bei zwei Prozent. Bel

 

Union moniert Frauenquote

Berlin – Aus der Union gibt es Widerstand gegen die von Frauenministerin Manuela Schwesig (SPD) und Justizminister Heiko Maas (SPD) geplante 50-prozentige Frauenquote für Bundesunternehmen. Mehrere CDU-Minister stören sich auch daran, dass sie in ihren Ministerien je Dienststelle bereits ab 50 statt wie bisher 100 Mitarbeitern eine Gleichstellungsbeauftragte einstellen sollen. Bel

 

EU gewinnt Streit um Olivenbäume

Luxemburg – Laut einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs muss Griechenland EU-Agrarbeihilfen in Höhe von rund 259 Millionen Euro zurückzahlen. Das letztinstanzliche Urteil beendet eine juristische Auseinandersetzung, die sich über Jahre hingezogen hat. Im Kern des Streites ging es darum, dass Griechenland ein Geografisches Informationssystem für den Olivenölsektor und ein System zur Identifizierung landwirtschaftlicher Parzellen nicht wie verlangt abgeschlossen hat. Kontrolleure der EU-Kommission hatten in diesem Zusammenhang festgestellt, dass Griechenland von 2003 bis 2005 insgesamt 259,4 Millionen Euro zu Unrecht erhalten hat. N.H.


S. 8 Forum

An der Lunte
von Jan Heitmann

In diesen Tagen gedenken wir des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges. Wir sind fassungslos, dass sich aus der Bluttat von Sarajevo eine Situation ergeben konnte, in der die europäischen Mächte sich geradezu unaufhaltsam und ohne überhaupt Kriegsziele zu haben, selbst in einen Krieg trieben, der sie am Ende sogar selbst hinwegfegte. Ein politischer Automatismus, der unweigerlich zu einem Krieg führt, ist für uns nicht vorstellbar.

Und doch erleben wir gerade, wie ein Konflikt eine solch gefährliche Eigendynamik entfalten kann. In der Ukraine geht es nur vordergründig um innenpolitische Angelegenheiten und Autonomiebestrebungen. Tatsächlich tragen die USA und Russland hier ihren geopolitischen Machtkampf aus. Das beginnt mit der vom Westen betriebenen verfassungswidrigen Amtsenthebung des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch, führt über die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland und endet vorläufig bei der offenen Unterstützung der Konfliktparteien und dem Abschuss einer neutralen Zivilmaschine.

2014 ist noch lange nicht 1914, aber die Akteure des Urkraine-Konflikts halten die Flamme immer dichter an die Lunte.


Augenwischerei
von Rebecca Bellano

Mist, meine Kollegin ist krank, bin heute wieder den ganzen Tag mit 26 Kindern allein“, schreibt eine Hamburger Erzieherin via WhatsApp ihren Schwestern. Doch keine der Adressatinnen der Nachricht ist verwundert, witzelt eine von ihnen sogar, dass es einfacher sei, einen Verkäufer im Baumarkt zu finden als eine Erzieherin in der Kita ihrer Tochter.

Angesichts derartiger Alltagserlebnisse ist die Erregtheit der Bertelsmann Stiftung darüber, dass in deutschen Kitas im Durchschnitt auf zehn Kinder über drei Jahre nur ein Erzieher käme, ein Witz. Auf dem Papier mag das stimmen, doch in Wirklichkeit kommen viel mehr Kinder auf eine Fachkraft, denn es gibt ja Urlaubs- und Fortbildungszeiten sowie Krankheiten, die das Verhältnis Kinder zu Erzieher weiter verschlechtern.

Und daher ist es absolut Augenwischerei, wenn Politiker und Bildungsforscher immer betonen, dass Kinder fremdbetreut werden sollen, um so den Zugang zu von Fachkräften vermittelter frühkindlicher Bildung zu erhalten. Die Zahl der Einrichtungen, die in der Lage sind, pädagogische Konzepte vollständig im Alltag umzusetzen, dürfte gering sein, denn der aus Kostengründen durchaus nachvollziehbare Personalmangel macht der hehren Theorie immer wieder einen Strich durch die Rechnung.

Doch das soll nicht heißen, dass der Besuch von Kinderbetreuungseinrichtungen die Bildung der Kinder nicht verbessere. Schließlich lernen die Kleinen im Spiel voneinander und in Zeiten, in denen Eltern meist nur ein oder zwei Kinder haben, ist dies sehr wichtig. Es ist nur eben heuchlerisch, wenn die Politik einen völlig falschen Eindruck vermittelt und die Bertelsmann Stiftung diesen als Basis für ihre Untersuchungen nimmt.


Von wegen geläutert
von Hans Heckel

Es ist wie eine skurrile Nachricht aus einer anderen Welt. Die großen Zeitungen Serbiens feierten am 28. Juli, dem 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs, die Rolle ihres Landes 1914 allen Ernstes als Heldentat.

Der serbische Terrorist Gavrilo Prinçip hatte mit seinem Mord am österreichischen Thronfolgerpaar einen Monat zuvor den Prozess ausgelöst, der Europa ins Chaos stürzte, der dem Kontinent wohl für immer seine einstige Weltgeltung raubte, Millionen Menschen das Leben kostete und in dessen Folge Mörder und Diktatoren an die Macht drängten. Nun „müssten die Präsidenten Frankreich und Russlands und der Premier Großbritanniens nach Belgrad kommen, um den Nachkommen der Helden die Hände zu schütteln“, zitiert die „Welt“ aus Serbiens größter Zeitung „Blic“.

Es ist kaum zu fassen: Gerade erst beginnen sich die damaligen Entente-Mächte aus ihrer selbstgerechten Propagandawelt zu befreien und ihre Mitschuld an der Jahrhundertkatastrophe anzuerkennen, da fällt Serbien zurück in jene besinnungslose Selbstbejubelung, die Europa zuletzt auf den Straßen seiner Metropolen in eben jenem Unglücks-jahr 1914 gesehen hat und die uns Nachgeborene heute noch in düsteres Erstaunen versetzt.

Das nötigt zum Nachdenken darüber, mit was für einem Land wir es hier eigentlich zu tun haben. In frischer Erinnerung ist die destruktive Rolle von Serbiens Machtbaber Slobodan Milosevic in den Balkankriegen der 1990er Jahre. Seine Entmachtung wurde in der Europäischen Union als Signal dafür gewertet, dass die Serben aus ihren Fehlern gelernt hätten.

Milosevics Sturz erscheint so als Markstein im historischen Läuterungsprozess eines Volkes, das endlich bei den aufgeklärten europäischen Nationen angekommen ist. Die logische Folge war zuletzt, dass auch Serbien –wie zuvor den ex-jugoslawischen Republiken Slowenien und Kroatien – der Weg in die EU eröffnet wurde.

Die bizarren Jubelexzesse zum Ersten Weltkrieg lassen indes erhebliche Zweifel aufkommen an dem Läuterungsprozess. Dieser Prozess aber ist, auch im Falle Deutschlands, Frankreichs und all der anderen, oft jahrhundertelang verfeindeten Völker Europas die unverzichtbare Basis gewesen für die europäische Einigungsidee. Ohne den Ausbruch aus den alten Schemata, in denen Serbien offenkundig immer noch verhaftet ist, wäre die europäische Einigungsbewegung nie zustandegekommen.

Somit bringt Serbien die essenzielle geistige Grundlage für einen EU-Beitritt nicht mit und sollte draußen bleiben, bis es sich besonnen hat. Diese Besinnung ist mindestens so unverzichtbar wie stabile Wirtschaftsdaten.


Moment mal!
Handschrift vor dem Aussterben
von Klaus Rainer Röhl

Eben lese ich in der Zeitung, dass die Firmen Facebook und Google an der Börse und im richtigen Leben einen Titanenkampf austragen und dass Facebook-Gründer Mark Zuckerberg im Begriff ist, den Kampf zu gewinnen. Wer hat die meisten Milliarden abgesahnt? Das ist die Frage, die wir uns stellen sollen, wenn wir sonst keine Fragen auf dem Herzen haben. Beide haben Milliarden-Gewinne gemacht. Die Riesengewinne, die Google in der Vergangenheit gemacht hat, werden durch neue, gigantische Gewinne von Facebook noch übertroffen.

Der immer noch jugendlich auftretende Mark Zuckerberg hatte einst als Student, einsam und frustriert, ein Programm gebastelt, mit dem seine Kommilitonen das Aussehen ihrer Mitstudentinnen bewerten konnten, also sozusagen ein gewaltiges Fotoalbum, das er Facebook genannt hat. Damit hat Zuckerberg inzwischen Milliarden Dollar verdient, die er sofort wieder anlegt. Gerade eben hat er den Kurzmitteilungsdienst „WhatsApp“ für 19 Milliarden Dollar gekauft, dagegen war die Übernahme des Video-Brillen-Herstellers „Oculus“ für nur zwei Milliarden Dollar eher ein Schnäppchen. Mit der Video-Brille sieht man besser, kann man sogar die persönlichen Daten seines Gesprächspartners ablesen! Ein echter Renner – und schon von Zuckerberg aufgekauft.

Neuerdings plant er den Ankauf von Drohnen, um auch die bisher unterentwickelten Gebiete Afrikas flächendeckend mit seinem „sozialen Netz“ zu überziehen, einem gigantischen Spinnennetz. Wo kommen seine Milliarden her? Hört sich verblüffend harmlos an: aus „Werbeeinnahmen“. Aber irgendeiner muss dieses Geld doch mal gehabt, geklaut oder verdient haben. Wer zahlt die Milliarden an Google und Facebook? Es zahlen in kleinen und kleinsten Raten unsere Enkelkinder und alle schon zahlungsfähigen und in früher Jugend von fahrlässigen, gleichgültigen oder uninformierten Eltern ungehindert ins „Netz“ gelassenen Kinder der Welt. Sind sie dadurch glücklicher geworden? Leider muss man daran zweifeln.

Denn aus der Generation unserer Enkelkinder ist eine Gruppe von Menschen geworden, wie sie es seit den letzten paar tausend Jahren nicht mehr gegeben hat. Die Änderungen sind auffällig und alarmierend. Die Bildungsforscherin Stefanie Müller aus Nürnberg, viele Jahre Lehrerin, hat festgestellt, dass die meisten Kinder heute die Grundvoraussetzungen zum Schreiben mit der Hand einfach physisch nicht mehr besitzen, weil zum Beispiel zum Halten eines Stifts beim Schreiben ganz andere körperliche Fähigkeiten nötig sind als zur Bedienung eines Computers oder Smartphones. Die Folge: Viele Schüler können heute nicht mehr richtig mit der Hand schreiben. Ihnen fehlen nach Angaben Müllers die motorischen Fähigkeiten. Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa erklärt die 46-Jährige, was die Gründe dafür sind: „Die Kindheit heute ist nicht mehr so bewegt. Wir haben früher draußen gespielt, sind rumgehüpft und auf Bäume geklettert. Heute können Kinder in der dritten Klasse nicht mal mehr gerade rückwärtsgehen oder freihändig auf einem Bein stehen. Auch muss kaum noch ein Kind im Haushalt helfen und etwa einen Faden einfädeln. Auch Schleifen an den Schuhen bindet kaum noch jemand, weil es Klettverschlüsse und Druckknöpfe gibt. Und die Eltern haben keine Zeit mehr. Es achtet niemand darauf, dass ein Kind Schreiben übt.“

Und die Handys und Smartphones? Für die Handbewegungen, die man heute können muss, braucht man nur den Zeigefinger oder beide Daumen zum Tippen oder das Handgelenk, wenn man über das sogenannte Pad wischt. Das sind nicht die Bewegungen, um ein Kritzel-Alphabet zu beherrschen, das die Grundlage für Handschrift ist.

Müsste man auch das Schulsystem ändern? Zwischen Kita und Grundschule bräuchte man ein Jahr, wo man die Grundfähigkeiten für das Schreiben lernt. Früher hat man im Kindergarten gespielt, gemalt und gekritzelt und in der ersten Klasse dann monatelang nur Schwungübungen gemacht, bevor es richtig ans Schreiben ging. Das fehlt heute. In den Bildungsplänen für Kindertagesstätten (Kitas), von denen die meisten noch gar nicht eingerichtet und schon gar nicht mit gut ausgebildetem Personal besetzt sind, ist „das Problem, dass der Schwerpunkt sehr auf die Bildung gelegt wird und nicht mehr auf das Spielerische“, meint Müller.

Stellen wir die vielleicht etwas kühne Frage: Welche Vorteile hat denn die Handschrift überhaupt noch? Müller: „Lernen hat viel mit Schreiben zu tun. Und gerade mit einer Schreibschrift kann man besser lernen als mit Druckschrift. Es ist bewiesen, dass der Lerneffekt mit einer verbundenen Handschrift mit Richtungsänderungen höher ist. Mit einer verbundenen Schrift ist man auch schneller als mit einer Druckschrift, bei der man jeden Buchstaben neu ansetzen muss. Und es hat doch auch was mit Wertigkeit zu tun – etwa eine handgeschriebene Karte schöner und persönlicher zu finden statt einer SMS.“

Die Grob- und Feinmotorik des Menschen, über viele tausend Jahre erlernt, wird mangels Übung allmählich nicht mehr ausgebildet. Ein „Smartphone“ oder ein „Tablet“ allerdings können unsere Kinder schon frühzeitig bedienen, denn die erfordern keine anspruchsvollen motorischen Fähigkeiten. Und weil man in der Schule in vielen Bundesländern bereits zuerst nur Blockschrift schreibt und die gebundene Schrift zu wenig geübt wird, verkümmern schließlich die eigentlich angeborenen Fähigkeiten. Die angehenden Lehrer selber können oft nicht mehr richtig, das heißt leserlich mit der Hand schreiben. Von schön wollen wir erst gar nicht reden. Und wenn schon die Lehrerin den Stift falsch hält, wie sollen dann die Schüler schreiben lernen? Man verfasst bereits im Grundschulalter E-Mails oder „simst“ telegrammartig verkürzte Kurznachrichten, und wird daher auch später kaum noch gewöhnliche Briefe mit der Hand schreiben. Ein kultureller Verlust, würden wir meinen. Schön ist anders.

Nicht nur die Schule versagt auf ihrem ureigenen Gebiet, sondern auch viele Eltern. Wer macht sich heute noch die Mühe, seinem Nachwuchs beizubringen, wie man einen Strumpf stopft oder einen Knopf annäht? Wegwerfen ist doch viel einfacher.

Was aber wird aus diesen Kindern, wenn sich herausstellt, dass es noch ein Leben jenseits von Facebook und Google gibt? Ohne Smartphone und Video-Brille? Wenn die überall vor unserer Haustür stattfindenden Kriege über die Grenzen auch in unsere kleine Wohlstands-Enklave – mehr ist Europa ja nicht – hereinbrechen, und das Schlaraffenland Westeuropa bis auf Weiteres geschlossen wird? Wiedereröffnung fraglich? Dann werden unsere Enkelkinder schnell wieder lernen müssen, ihre Schuhe allein zu binden und ihr Leben selber in die Hand zu nehmen und es – notfalls auch zu verteidigen.


S. 9 Kultur

Eindrücke einer großen Vergangenheit
Nach umfangreichen Umbauarbeiten wurde dieser Tage das »Welterbe Areal Kloster Lorsch« feierlich eröffnet

Das Unesco-Weltkulturerbe Kloster Lorsch litt bislang darunter, dass es außer der berühmten kleinen „Königshalle“ nicht viel zu sehen gab. Um die große Vergangenheit der Reichsabtei den Besuchern einsichtig zu machen, wurden in den letzten drei Jahren aufwändige Umgestaltungsmaßnahmen durchgeführt. Am 19. Juli wurde das neu inszenierte „Welterbe Areal Kloster Lorsch“ feierlich eröffnet.

Die Vorgaben zur Neugestaltung des Klosterhügels hörten sich nach einer schier unlösbaren Aufgabe an: nicht graben und nicht bauen. Aber nun gibt es trotzdem was zu schauen. Den Entwurf lieferten die Berliner Landschaftsarchitekten von TOPOTEK 1 in Zusammenarbeit mit dem Stuttgarter Architektenbüro hg merz. Hermann Schefers, der Direktor des Welterbeareals, vergleicht die neue Optik des Klosterhügels mit einem grünen Samtkissen, in dem längst verlorene architektonische Juwelen ihre Abdrücke hinterlassen haben. Der Clou besteht darin, dass um die Grundrisse der untergegangenen Nazarius-Basilika, des Kreuzgangs und der Klausurgebäude Erde in 35 Zentimeter hohen Bahnen aufgeschüttet, mit Stahlprofilen befestigt und mit Rasen bepflanzt wurde.

Nachvollziehbar wird so die um das Jahr 1100 erreichte größte Ausdehnung der Klosterstadt, die von etwa 100 Benediktinermönchen bewohnt wurde. Die erste urkundliche Erwähnung des Klosters ist 1250 Jahre alt. Einige Jahre später – anno 772 – wurde es unter den Schutz Karls des Großen (747–814) gestellt und stieg zu einem der kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Zentren des Reiches auf. Den Niedergang der Reichsabtei besiegelte Kaiser Friedrich II., als er sie 1232 den Erzbischöfen von Mainz überließ. Das einst mächtige Kloster, dessen Streubesitz von den Niederlanden bis in die Schweiz reichte, sank zur lokalen Größe herab. Pfalzgraf Ottheinrich löste es 1557 auf. Mit Ausnahme der „Königshalle“ brannten die Gebäude im Dreißigjährigen Krieg aus. Bis auf die in Resten erhaltene romanische Basilika wurden sie abgetragen und ihre Steine für Neubauten verwendet.

Untersuchungen zufolge wurde die Zehntscheune in nachklösterlicher Zeit aus den altehrwürdigen Klostersteinen erbaut. Sie ist das größte Bauwerk auf dem Klosterhügel. Ab September erfährt sie eine neue Nutzung als „Wissensspeicher“, in den dann die Erträge der Erforschung der Klosterarchitektur eingefahren worden sind. In ihr werden Forschern und Besuchern die architektonischen Funde zugänglich gemacht, die bei archäologischen Grabungen in den letzten 120 Jahren auf dem Klostergelände zu Tage kamen. Bereits zugänglich ist der zwischen Zehntscheune und Klostermauer angelegte Kräutergarten. Auf seinen Terrassen wachsen Kamille und Pfingstrose, Wermut, Wegereich, Zwergholunder und zahlreiche andere Heilpflanzen, die im „Lorscher Arzneibuch“ genannt werden. Das im Kloster Lorsch um 795 geschriebene Arzneibuch markiert den Beginn der modernen Medizin in der westlichen Welt. Seit 2013 gehört die heute in Bamberg aufbewahrte Handschrift zum Unesco-Weltdokumentenerbe.

Für das neue Welterbe-Areal haben die Bundesrepublik Deutschland, das Land Hessen und die Stadt Lorsch rund zwölf Millionen Euro bezahlt. Die Neugestaltung greift über den Klosterhügel hinaus auf das Umland bis hinab zur Flussniederung der Weschnitz aus. Dort befindet sich das Klosterareal Altenmünster, die Keimzelle des einige Jahre später auf den Hügel umgezogenen Klosters Lorsch. Dem Grundriss der kleinen Klosterkirche von Altenmünster folgend, wurde in den 1980er Jahren eine hüfthohe Mauer errichtet. Neue Zutat sind die 35 Zentimeter über das Wiesenniveau aufgeschütteten Rasenflächen. Sie markieren die Umrisse untergegangener Klostergebäude.

Auf einem drei Kilometer langen Rundweg warten Neueinrichtungen, die ab September zugänglich sind. Das Besucherinformationszentrum mutet mit seiner gläsernen Hülle wie ein Gewächshaus an, in das von hölzernen Wänden umgebene Räume gesetzt sind. Schwarze und weiße Schafe, Gänse und zwei Ochsen beleben das karolingische Freilichtlabor, das den Namen der urkundlichen Ersterwähnung von Lorsch trägt: „Lauresham“. Wirtschaftgebäude im offenen Gelände sowie ein kleines Dorf, das von Palisaden umringt ist, sollen uns eine Vorstellung vom Leben der einfachen Menschen und einer Gutsherrenfamilie zur Zeit Karls des Großen vermitteln.

Der altbewährte Höhepunkt am Rundweg aber ist die „Königshalle“. Der kleine Prachtbau am westlichen Rand des Klosterhügels gilt mit seiner Schmuckfassade aus roten Sandstein- und weißen Kalksteinplatten und den äußerst kunstvoll gearbeiteten Akanthuskapitellen als das besterhaltene Bauwerk aus karolingischer Zeit nördlich der Alpen. Seine ursprüngliche Bestimmung ist ungewiss. Möglicherweise diente das in keiner Klosterurkunde erwähnte Gebäude als Gerichtshalle, der öffentlichen Ausstellung von Reliquien oder war Sitz der Klosterbibliothek. Besonders populär, aber unwahrscheinlich ist ihre Deutung als „Ehrenpforte“ für Karl den Großen, der 774 bei der Weihe der Klosterkirche zugegen war. Veit-Mario Thiede

Informationen unter Telefon (06251) 5967501, www.lorsch.de und www.welterbe-areal-kloster-lorsch.de.


Malerfürst im Mutterturm
Landsberg zeigt zum 100. Todestag von Hubert von Herkomer zwei Ausstellungen, die die Vielseitigkeit des Künstlers offenbaren

Wie ein Renaissancefürst blickt der baumlange Mann in seiner roten Oxfordrobe mit schwarzem Barett auf den Betrachter herab. Doch diese Augen schauen eher nachdenklich beobachtend als gebieterisch. 1899 wurde Hubert Herkomer in den bayerischen Adelsstand erhoben. 50 Jahre zuvor war er als armer Leute Kind im ostschwäbischen Waal zur Welt gekommen. Die Auswanderung der Familie erfolgte mit großem Umweg über die USA nach England. Als gemachter Mann kehrt er dann aus London zu häufigen Sommeraufenthalten zurück in die Heimat. Für seinen Geburtsort stiftet er 1902 ein selbstgestaltetes Denkmal in Erinnerung an die lokalen Teilnehmer am Deutsch-Französischen Krieg. Dieses Werk mit einer antikischen Siegesgöttin mit Palmwedel und Lorbeerkranz wurde unlängst renoviert. Das Herkomersche Geburtshaus allerdings wurde für einen Neubau abgerissen und der örtlichen Schule den Namen des einst so ruhmreichen Kindes der Gegend zu verleihen, konnte man sich ebenfalls nicht durchringen.

Doch die Stadt Landsberg am Lech feiert nun ihren Ehrenbürger im Jahr seines 100. Todestages als „Malerfürst und Grafiker“ in zwei Ausstellungen in Rathaus und Stadtmuseum. Ab 1884 errichtet er neben dem Haus in Landsberg, welches er als Alterssitz für seine Mutter gemietet hatte, einen historistischen Burg- und Atelierturm für sich. In der oberen Ratsstube im Rathaus von Landsberg hat er 1905 eine illusionistische Raumerweiterung geschaffen, indem er eine Kumulativsitzung von 32 Männern in einem sieben Meter langen Gemälde gestaltete.

1877 porträtierte er Richard Wagner in London. Im Jahr darauf erhält er die goldene Ehrenmedaille der Weltausstellung in Paris. Herkomer saßen bedeutende Persönlichkeiten aus Industrie, Politik und Kultur zum Porträt. Darunter das Krupp-Direktorium, die Musiker Richard Strauss und Felix Weingartner, aber auch der britische General Robert Baden Powell, der die Pfadfinder-Bewegung anstiftete. Das Porträt, welches Herkomer nach dem britischen Sieg im zweiten Burenkrieg von ihm in der Khaki-Uniform malte, ist bei dieser beschränkten Palette ein Meisterwerk an modulierter Farbigkeit. Es hängt bis Ende dieses Jahres in der Londoner National Portrait Gallery in einer Sonderausstellung über die Burenkriege.

In seinem Wohnort Bushey in Herfordshire führte Herkomer zwischen 1883 und 1904 unentgeltlich eine private Malschule. Im kleinen Stadtmuseum eröffnete dort nun ebenfalls eine Ausstellung über ihn. Begleitend veröffentlicht der Michael Imhof Verlag einen Bildband mit zweisprachigen Kommentaren. Der Verlagsprospekt kündet: „In der Reihe bereits erschienen Dürer, Raffael, El Greco“. So gerät der vergessene Herkomer zufällig wieder in die Reihe jener, in der ihn seine Zeitgenossen damals sahen.

Uns dagegen interessieren heute weit mehr die intimeren Kundgebungen des Malerauges, die in den letzten Jahren seines Schaffens entstanden. „Straße im Sonnenschein“ (1912) ist eine ebenso gekonnte wie mit Hingabe beobachtete Landschaftsstudie. Damals begann er diese Virtuosität für das Licht und den durchsonnten Raum frei zu entfalten. Es entstanden noch zahlreiche weitere Studien, in denen die Erscheinung so über die Erzählung triumphiert. Hier wird nicht der irdische Ruhm inszeniert. Die genaue Anschauung handelt allein von den Taten und Leiden des Lichts, wie Goethe die Farben in seiner Farblehre bezeichnete. Verwandtes findet man im Spätwerk vieler repräsentativer Maler jener Jahre, beispielsweise bei Fritz von Uhde, der nach seinen großen programmatischen Bildern, einfach den Liebreiz seiner heranwachsenden Töchter in den Glanz seiner Malkunst rückt. Auch darin ist ihm Herkomer gleich, wenn er das bleiche Gesicht seiner jüngsten Tochter Gwenddydd mit roten Lippen und ebenholzschwarzem Haar, in ein weißes Kleid gewandet, wie ein sagenhaftes Schneewittchen darstellt. Auf einem anderen Bild „Gedankenvoll“ (1912) schlendert sie durch den Park, den der Maler sich angelegt hatte, neben einem dunklen Wasserspiegel, auf dem die Teichrosen schwimmen. In dieser nervösen Fin-de-siècle-Stimmung verwandelte sich das Mädchen mit dem keltischen Namen ganz unbewusst in eine Shakespearesche Ophelia.

Sebastian Hennig

„Hubert von Herkomer. Ein Malerfürst und Grafiker“, Historisches Rathaus und Neues Stadtmuseum Landsberg, bis 31. August.


S. 10 Geschichte

Weder Chauvinist noch Autokrat
Fast wie in einer parlamentarischen Monarchie konzentrierte sich Wilhelm II. im Krieg aufs Repräsentieren

Wenn in diesen Tagen über den Ausbruch des Ersten Weltkrieges berichtet wird, kommt kaum ein Beitrag ohne die „Kriegsrede“ Kaiser Wilhelms II. aus. Als Beleg für die vermeintliche Kriegstreiberei des Monarchen hingestellt, zeichnet sie jedoch ein falsches Bild. Tatsächlich litt der Kaiser sehr unter dem Eindruck des blutigen Geschehens. Mit der Zeit zog sich der in Friedenszeiten geradezu omnipräsente Monarch immer mehr zurück und verzichtete als nominell Oberster Kriegsherr darauf, eine richtungsweisende militärische Führung zu zeigen.

Die Ermordung des österreichischen Erzherzogs Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 in Sarajevo und die Annahme, dass durch dieses Ereignis der Bündnisfall eingetreten sei, führte in Europa zu allseitigen Kriegsvorbereitungen. Der Kaiser richtete Appelle an den britischen König, neutral zu bleiben und mäßigend auf Russland und Frankreich einzuwirken. Ohne Großbritannien, so glaubte er, würden die beiden Länder zögern, den letzten Schritt zum Krieg zu tun. Er schickte seinen Bruder Heinrich nach London, der dem britischen Vetter ein Neutralitätsversprechen abrang, und beschwor den österreichischen Kaiser Franz Joseph, einzulenken, obwohl er eigentlich für ein hartes Vorgehen gegen Serbien war. Doch wie sich herausstellte, vermochten Versprechen, Familienbeziehungen und Freundschaften zwischen den Monarchen Europas in dieser aufgeheizten politischen Situation nichts mehr zu bewirken. Die Vorgänge, die der Historiker Walther Hubatsch als die „Automatik der Mobilmachungen“ bezeichnet, ließen sich nicht mehr aufhalten.

Nachdem der Kaiser den im Reichstag vertretenen Parteien in einer Thronrede mit den berühmten Worten „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche!“ einen Burgfrieden verordnet hatte, wandte er sich am 6. August an sein Volk. In seinem Aufruf begründete er die Unvermeidlichkeit des Waffenganges: „Alle offenkundige und heimliche Feindschaft von Ost und West, von jenseits der See haben wir bisher ertragen im Bewusstsein unserer Verantwortung und Kraft. Nun aber will man uns demütigen. Man verlangt, dass wir mit verschränkten Armen zusehen, wie unsere Feinde sich zu tückischem Überfall rüsten, man will nicht dulden, dass wir in entschlossener Treue zu unserem Bundesgenossen stehen, der um sein Ansehen als Großmacht kämpft und mit dessen Erniedrigung auch unsere Macht und Ehre verloren ist. So muss denn das Schwert entscheiden.“

Obwohl er von großer Sorge erfüllt war – „So viele Feinde“ bemerkte er immer wieder – glaubte der Kaiser, nachdem die Feindseligkeiten einmal begonnen hatten, an einen guten Kriegsausgang. Trotz der militärischen Anfangserfolge war er über das Geschehen tief erschüttert und trug schwer an der Verantwortung für seine Entschlüsse.

In der Tradition des preußischen Soldatenkönigtums stehend, legte der Kaiser Mitte August die feldgraue Uniform an und begab sich zu seiner Armee ins Große Hauptquartier. Wilhelm, nach hohenzollernscher Sitte bereits im Alter von zehn Jahren zum Leutnant ernannt, war Berufsoffizier – nicht allein aus Familientradition und Pflichtbewusstsein, sondern aus fester Überzeugung und echter Leidenschaft für das Militär. Doch anders als sein Vater und sein Großvater, die hervorragende Soldaten waren und auch ohne königliche Privilegien eine glänzende militärische Karriere gemacht hätten, zeigte er zwar vielversprechende militärische Anlagen, ließ aber keine besonderen Leistungen erkennen. Dennoch avancierte er zügig, wie es für einen Hohenzollernprinzen üblich war. Wie für seine Vorfahren wurde auch für ihn die Uniform zur Berufskleidung, die er selbst als regierender Monarch nicht ablegte. Bei seiner Thronbesteigung war er General und Brigadekommandeur.

Nach den menschen- und materialzehrenden Schlachten, die nicht mehr um Geländegewinn, sondern primär nur noch um die personelle Dezimierung des Gegners geführt wurden, erkannte Wilhelm, was die Stunde geschlagen hatte. Doch seine selbst auferlegte Zurückhaltung hinderte ihn daran, direkt in die Kriegführung einzugreifen. Seit ihn einige unbedachte Äußerungen im Jahre 1908 fast die Krone gekostet hatten, sah er sich hauptsächlich als Repräsentant des Reiches, der das Regierungsgeschäft dem Kabinett und die Kriegführung den Militärs überließ. Nach dem Urteil des Kronprinzen führte diese Selbstbescheidung während des Krieges „fast bis zur völligen Ausschaltung seiner Person gegenüber den Maßnahmen der Militärs“. Wilhelm hielt es stattdessen „für selbstverständlich, in stiller zurück­gezogener Mitarbeit an dem unermüdlichen Schaffen der beiden Feldherren [Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg und Generaloberst Erich Ludendorff] teilzunehmen“. Seinem Vetter Prinz Max von Baden gegenüber beklagte Wilhelm sich sogar darüber, das ihn niemand richtig über die Frontlage informiere, niemand seine Entscheidung verlange. Und er bekannte: „Wenn man sich einbildet, dass ich das Heer führe, so irrt man sich sehr.“ Dass die im Frieden demonstrierte militärische Omnipräsenz des nominell Obersten Kriegsherrn nicht automatisch eine richtungsweisende militärische Führung bedeutete, war jetzt nicht mehr zu übersehen. Nach dem Urteil einiger Zeitgenossen und Historiker besaß Wilhelm auch weder das dafür erforderliche militärische Geschick noch wäre er den Anforderungen eines Oberbefehlshabers emotional gewachsen gewesen, um diese ihm von der Verfassung zugewiesene Funktion verantwortlich wahrnehmen zu können. Unter dem Eindruck des gewaltigen und blutigen Ringens führte Wilhelm als oberster Kriegsherr nur noch ein Dasein im Schatten des militärisch überaus befähigten Duos Hindenburg/Ludendorff, das sich von tradierten strategischen Vorstellungen freizumachen verstand, die Abkehr von der Ermattungsstrategie einleitete und immer mehr Einfluss auf die Willensbildung des Kaisers zu nehmen begann. Zugleich trat im Verhältnis zwischen militärischer und politischer Führung eine Wendung zugunsten des Militärs ein.

Angesichts der gewaltigen Verluste unternahm der Kaiser Ende 1916 eine Friedensinitiative. Jeder Herrscher, der ein Gewissen habe und sich Gott verantwortlich fühle, müsse die Welt jetzt von ihren Leiden befreien und Frieden machen, ließ er den Reichskanzler wissen. Während der russische Zar durchaus friedensgeneigt war und sogar mit dem Gedanken an einen Separatfrieden spielte, stieß das deutsche Friedensangebot bei den Westmächten auf taube Ohren. Sie stellten für Deutschland unannehmbare Bedingungen, die Krieg bis zum Letzten bedeuteten. Für Wilhelm war damit klar, dass es seinen Kriegsgegnern nicht mehr allein um den militärischen Sieg, sondern um seine und die Beseitigung der Monarchie in Deutschland ging.

Wie zu Lande so gab es auch im Seekrieg einen Stillstand, in dem sich beide Flotten drohend gegenüber standen, ohne zu einem mächtigen Schlag gegen den Feind auszuholen. Der Kaiser empfand ebenso wenig wie die Marineleitung und die Reichsregierung einen Zwang, mit vollem Kräfteeinsatz eine Entscheidung gegen die weit überlegenen britischen Seestreitkräfte herbeizuführen. Vielmehr bestand ihre Absicht darin, die Flotte, deren Vermehrung sich Wilhelm mit so viel Hingabe gewidmet hatte, nicht aufs Spiel zu setzen, sondern den Schiffsbestand des Gegners durch schnelle, kurze Vorstöße kleinerer Einheiten und begrenzte Unternehmungen kontinuierlich zu dezimieren. Vor allem der Kaiser hoffte, eine intakte Flotte entweder bei Friedensverhandlungen als Druckmittel einsetzen oder diese, falls der Krieg länger als erwartet andauern sollte, bei einem ausgeglichenen Kräfteverhältnis gegen die britische Flotte in einer Entscheidungsschlacht antreten lassen zu können. Die Hauptlast des Seekrieges wurde daher von den kleineren Einheiten wie Torpedobooten, Minenlegern und vor allem den Unterseebooten getragen.

Obwohl der Kaiser den Wert des U-Boots als Seekriegsmittel erkannte, blieb es ihm, da ihm naturgemäß etwas von Heimtücke anhaftete, suspekt. Seine Einsatzgrundsätze waren mit den Vorstellungen des Gardeoffiziers vom offenen Kampf Auge in Auge mit dem Feind nicht vereinbar. Angehörigen seines Stabes, die die Versenkung eines Passagierschiffes bejubelten, hielt Wilhelm entgegen: „Unser Schwert muss rein bleiben. Wir führen keinen Krieg gegen Frauen und Kinder. Wir wollen den Krieg anständig führen, einerlei, was die anderen tun.“ Auch sah er mit großer Klarheit voraus, dass der U-Boot-Krieg das Verhältnis zu den neutralen Mächten erheblich belasten und im schlimmsten Fall die gegnerische Kriegskoalition durch deren Beitritt stärken würde. Wilhelm glaubte durchaus an die Möglichkeit, England durch den U-Boot-Krieg schwer schädigen zu können. Er kannte aber auch das wirtschaftliche und militärische Potenzial der USA und wusste, welche Folgen deren Kriegseintritt auf Seiten der Entente für das Reich haben würde: „Bevor England am Ende ist, sind wir es, denn der uneingeschränkte U-Boot-Krieg würde die Vereinigten Staaten in den Krieg bringen. Und das ist für uns gleichbedeutend mit dem Verlust des Krieges.“ Daher betonte er immer wieder, dass der Bruch mit Amerika unbedingt vermieden werden müsse. Kaiser und Reichskanzler sahen sich jedoch in der U-Boot-Frage mit fortschreitender Kriegsdauer einer fast geschlossenen Opposition von Heeres- und Marineführung gegenüber, die sich auf den zunehmenden Druck der öffentlichen Meinung stützen konnte. Anfang 1917 lenkten beide ein, da man, „wenn der Erfolg winke“, handeln müsse. Damit war der von Wilhelm so gefürchtete Kriegseintritt der USA Realität geworden. Der Schritt zum Weltkrieg war getan.

Im November 1918 befanden sich die deutschen Heere an allen Fronten auf dem Rückzug, im Reich breitete sich die Revolution aus und dem Kaiser entglitt jeder Einfluss auf die weitere Entwick­lung. Viele sahen in dem Monarchen zu Unrecht das Friedenshindernis schlechthin, weshalb selbst in kaisertreuen Kreisen Abdankungsforderungen laut wurden. Als Hindenburg ihm unter überwiegender Zustimmung seiner Generale erklärte, die Armee sei am Ende und stünde nicht mehr hinter ihm, so dass er sofort die Krone niederlegen müsse, pochte Wilhelm auf den Fahnen­eid. Kühl wurde ihm entgegnet, der Fahneneid sei in dieser Lage nur noch eine Fiktion – für den leidenschaftlichen Soldaten eine niederschmetternde Einsicht. Nun war der Kaiser bereit, seinem Volk das Opfer seiner Person zu bringen. Um einen Waffenstillstand zu erleichtern, den vollständigen Zusammenbruch der staatlichen Ordnung zu vermeiden und den Bestand des Reiches nicht zu gefährden, entsagte er dem preußischen und dem Kaiserthron und ging am 10. November 1918 nach Holland ins Exil. Der Krieg war verloren, die Monarchie zerbrochen. Jan Heitmann


Vorgeschmack von 1968

Vor 50 Jahren drohte das US-freundliche Regime in Saigon den südvietnamesischen Bürgerkrieg gegen die von Nordvietnam unterstützte Nationale Front für die Befreiung Südvietnams (NFB) zu verlieren. Wollte Washington dieses abwenden, mussten die USA offen in den Krieg eingreifen, wozu es allerdings eines Anlasses bedurfte. Es ließ die US-Zerstörer „Maddox“ und „Turner Joy“ so lange vor der nordvietname­sischen Küste kreu­zen, bis es am 4. August 1964 hieß, nordvietnamesische Schnellboote hätten die „Maddox“ angegriffen. Heute ist weniger fraglich, ob die „Maddox“ angegriffen wurde, als vielmehr, ob die entsprechende US-Behauptung auf einer Fehlwahrnehmung auf der „Maddox“ beruhte oder eine bewusste Propagandalüge war. Jedenfalls hatte die US-Administration ihre Rechtfertigung zur Eskalation des Vietnamkrieges.

Es spricht für die USA, dass 1968 ihr Senator James W. Fulbright die Fadenscheinigkeit des erklärten Anlasses für den Kriegseintritt aufdeckte. Vielsagend ist der Kommentar in der Tageszeitung „Die Welt“: „Die Frage ist nur: Wozu soll das, dreieinhalb Jahre nach den Ereignissen, dienen? Es liefert dem Kommunismus nur eine Propagandamunition, die brisanter ist als alles, was der Senator bisher an Geschossen gegen die Regierung abfeuerte. In Mos­kau, Hanoi und Peking wird man sich freuen und sich über den politischen Exhibitionismus der Amerikaner amüsieren. Dort hat man nicht die Gewohnheit, der Gegenseite Trümpfe gegen die eigene Regierung in die Hand zu spielen. Für Nordvietnam ist Senator Fulbright heute mehr wert als zwei Divisionen Guerilla-Kämpfer.“ Für den Fall, dass einmal herauskommen sollte, dass die Russen am Abschuss des Passagierflugzeugs über der Ukraine unschuldig waren und die Öffentlichkeit ein Opfer US-amerikanischer oder sonstiger antirussischer Manipulation wurde, bieten diese Worte schon einmal ein Vorgeschmack, wie die US-nahe Presse in der Bundesrepublik argumentieren würde. M.R.


Als die USA der Täter waren

Laut US-amerikanischen Geheimdienstkreisen sollen die prorussischen Separatisten für den Abschuss des malayischen Flugzeugs über der Ukraine verantwortlich sein. Allerdings unterstellen sie den Tätern keine Absicht. Nichtsdestotrotz fordern die USA harte Sanktionen gegen Russland.

Nun haben die USA vor einem guten Vierteljahrhundert schon einmal selber ein Passagierflugzeug abgeschossen, wohl ebenfalls versehentlich, nämlich in der Annahme, dass es sich um eine iranische Grumman F-14 Tomcat handele. 1988 traf eine von der „USS Vincennes“ (CG-49) abgefeuerte Flugabwehrrakete vom Typ SM-2 einen Airbus von Iran Air.

Der damalige US-Vize-Präsident George Bush senior verteidigte die Verantwortlichen vor den Vereinten Nationen mit dem Hinweis, dass es sich um einen Zwischenfall in Kriegszeiten handele. Die Besatzung der „Vincennes“ habe der vorliegenden Situation angemessen gehandelt. Bush lehnte es ab, sich namens seines Landes für den Abschuss zu entschuldigen. Damals forderte die Bundesregierung keine Sanktionen gegenüber dem Täter, sondern belegt vielmehr bis heute das damalige Opfer mit Strafmaßnahmen aus Angst um das israelische Atomwaffenmonopol in der Krisenregion. M.R.


S. 11 Preussen

Auf dem Weg in die Katastrophe
Bis zum Eingreifen Hindenburgs und Ludendorffs bestand die Gefahr, dass die Russen bis Berlin marschieren

Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges sah sich die für die Verteidigung Ostpreußens vorgesehene deutsche 8. Armee in Ostpreußen schnell mit einer russischen Offensive konfrontiert, wobei die russischen Kräfte mehr als doppelt so stark waren wie die Verteidiger.

Den größten Vorteil, den die Deutschen hatten, war, dass die Russen ihre Streitmacht beim Einmarsch in Ostpreußen teilten. Das verdankten die Deutschen der Masurischen Seenplatte, die schwer zu überwinden war. Die Russen marschierten also links und rechts der Platte ein.

Die 1. oder Njemen-Armee nutzte den Weg rechts der Platte. Sie sollte von Osten her in Ostpreußen einmarschieren. Ihr Oberbefehlshaber war Paul von Rennen­kampff. „Njemen“ ist die russische Bezeichnung für die Memel.

Die 2. oder Narew-Armee nutzte den Weg links der Platte. Sie sollte vom Süden her in Ostpreußen einmarschieren und wurde von Alexander Samsonow befehligt. Der Narew hat seine Quelle nördlich von Brest in den Wäldern von Białowieza und mündet nördlich von Warschau bei Nowy Dwór Mazowiecki in die Weichsel, kurz nachdem er den Westlichen Bug aufgenommen hat.

Diese Teilung der russischen Kräfte bot der 8. Armee eine Chance, denn gegen jede einzelne der beiden russischen Armeen hatte sie eine Chance. Allerdings musste die 8. Armee aufpassen, nicht zwischen die 1. und die 2. Armee zu geraten und in einer Zweifrontenschlacht aufgerieben zu werden. Denn dann hätte zwischen den Russen und Berlin keine einzige deutsche Armee mehr gestanden. Aber sich an die Weichsel zurückzuziehen war für die Deutschen keine rechte Alternative, denn der gesammelten Kraft der beiden russischen Armeen hätten sie dort kaum länger Widerstand leisten können. So hatte der Auftrag an die 8. Armee eine doppelte Komponente, eine offensive (Nutzt die russische Teilung durch die Masurische Seenplatte zum Schlag gegen eine der Armeen) und eine defensive (Lasst Euch auf keinen Fall von den beiden russischen Armeen in die Zange nehmen und aufreiben).

Letzteres versuchten die Russen. Als erstes sollte die Njemen-Armee die Grenze überschreiten, um die 8. Armee an die Ostgrenze zu locken. Dann sollte die Narew-Armee von Süden her der 8. Armee in den Rücken fallen. Die 8. Armee stand also vor der Frage, was sie tun sollte, als die Njemen-Armee nun tatsächlich am 17. August 1914 auf breiter Front die ostpreußische Ostgrenze überschritt.

An der ostpreußischen Ostgrenze stand von der 8. Armee das I. Armeekorps aus Königsberg, dem das XVII. Korps aus Danzig und das I. Reservekorps zur Hilfe eilten. Nur das XX. Korps aus Allenstein blieb in Südostpreußen zurück. Dieses I. Armeekorps wurde von Hermann von François kommandiert.

François legte den Auftrag der 8. Armee eher offensiv aus. Er lieferte der Njemen-Armee noch am Tag ihres Einmarsches bei Stallupönen ein Gefecht und leitete mit einem Angriff wenige Tage später die Schlacht bei Gumbinnen ein.

Für François’ Selbstbewusstsein spricht eine Anekdote noch aus der Friedenszeit. Damals, noch zu Zeiten Schlieffens als Generalstabs­chef, hatten die Deutschen bereits die Umfassung der Njemen-Armee geübt. François kam dabei die undankbare Aufgabe zu, die natürlich erfolgreich umfassten russischen Verlierer zu führen. Da er sich jedoch erfolgreich auf den Standpunkt stellte, dass keine von ihm geführte Armee je die Waffen strecken würde, musste der bereits gedruckte Schlussbericht über die Übung nachträglich mit einem Deckblatt versehen werden, auf dem es hieß: „Der Führer der Njemen-Armee erkannte die hoffnungslose Lage seiner Armee. Er suchte in der vordersten Kampffront den Tod und fand ihn auch.“

Dieses Selbstbewusstsein Fran­çois’ wie auch dessen Offensivgeist wurden von seinem Vorgesetzten, dem Oberbefehlshaber der 8. Armee, Maximilian von Prittwitz und Gaffron, in keiner Weise geteilt, ganz im Gegenteil.

Deshalb wurden das Gefecht bei Stallupönen und die Schlacht bei Gumbinnen auch von den Deutschen abgebrochen.

Das Gefecht bei Stallupönen musste François abbrechen, weil er es wider anderslautende Befehle auf eigene Faust geführt hatte und dieser Alleingang ab einem bestimmten Stadium nicht mehr möglich war. Und die Schlacht bei Gumbinnen brach von Prittwitz und Gaffron ab aus Angst, dass die Narew-Armee in den Rücken seiner 8. Armee stößt.

Diese beiden deutschen Kampfabbrüche wurden seitens des russischen Gegners als eigene Siege interpretiert. Der Oberbefehlshaber der 1. Armee ging nun wie selbstverständlich davon aus, dass die Deutschen sich hinter die Weichsel zurück­ziehen würden. Die Russen gingen bei ihrem Vormarsch ressourcenschonend langsam vor. Sie wussten, dass den Deutschen für einen Rückzug im eigenen Land deren gut ausgebautes Eisenbahnnetz zur Verfügung stand. Warum sollte man sich in einen Wettlauf mit der deutschen Eisenbahn begeben, den man doch nur verlieren konnte, wo man doch genau zu wissen glaubte, wo man die Deutschen wieder antreffen konnte, eben an der Weichsel?

Die Aufklärung vernachlässigten die Russen. Die Kavallerie setzten sie im Gegensatz zu den Deutschen lieber für Kämpfe ein und die Luftaufklärung war nicht gerade die größte Stärke des rück­ständigen Zarenreiches. Zudem verschlüsselten die Deutschen ihren Funkverkehr. Die Russen hingegen hielten dieses bei ihrem Funkverkehr für unnötig. Es sollte den Deutschen vielmehr Angst einjagen, dem russischen Funkverkehr zu entnehmen, was ihnen bevorstand, welche Dampfwalze sich ihnen entgegen wälzte.

Nun muss man zur Verteidigung Rennenkampffs sagen, dass dessen Rechnung wohl aufgegangen wäre, wenn es nach den Vorstellungen des Oberbefehlshabers der 8. deutschen Armee gegangen wäre. Prittwitz’ mangelnder Offensivgeist und Siegeszuversicht grenzten an Defätismus. Er wollte gar nicht erst versuchen, die Teilung der russischen Streitmacht durch die Masurische Seenplatte für ernstzunehmende Angriffe zu nutzen, und gleich mehr oder weniger kampflos hinter die Weichsel zurückweichen, von der er sich als Verteidigungsstellung aber auch nicht viel versprach. Als Prittwitz diesen Geist in der Nacht zum 21. August per Telefon dem Generalstabschef Helmuth von Moltke offenbarte, zog dieser die Notbremse. Prittwitz wurde seines Amtes enthoben. Zu seinem und seines Generalstabschefs Nachfolger wurden Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff ernannt, denen es dann erst gelang, den russischen Vormarsch Richtung Berlin in der Tannenbergschlacht zu stoppen und Ostpreußen von russischer Fremdherrschaft zu befreien. Manuel Ruoff


Schrecknisse dokumentiert
Pastor Hugo Linck zeichnete auf, was Deutsche in Königsberg ab 1945 erlebten

Hans Rothe hat einen Nachdruck zweier Berichte des Pfarrers Hugo Linck „aus dem Leben der Restgemeinden nach 1945 in und um Königsberg“ mit den Titeln „Königsberg 1945–1948“ und „Im Feuer geprüft“ herausgegeben. Und das ist auch gut so. Denn zum einen handelt es sich bei den beiden Berichten über die unmittelbare Nachkriegsgeschichte Königsbergs um die wichtigsten Werke des damals vor Ort tätigen Geistlichen. Und zum anderen ist angesichts des gegenwärtigen geschichtspolitischen Klimas in der Bundesrepublik nicht damit zu rechnen, dass die Zeitzeugenberichte über die Leiden der deutschen Zivilbevölkerung in Nachkriegskönigsberg in absehbarer Zeit noch einmal herausgegeben werden.

Die hier als Nachdruck vorgelegten Berichte Hugo Lincks über die Zeit vom Kriegsende bis zur Ausweisung 1948 hatte der Pfarrer einst selbst veröffentlicht. Der erste erzählt die Schicksale der in Königsberg zurückgebliebenen evangelischen Deutschen, die Linck betreute. Besonders treten in diesem Bericht die Schrecknisse hervor, denen Deutsche, die nicht hatten fliehen können oder wollen, in Ostpreußen damals ausgesetzt waren: Gewalt: – Hunger – Krankheit – Gesetzlosigkeit – Mord. Der Hunger führte bis zum Essen von Menschenfleisch, und Handel damit. Nur im belagerten Leningrad hatte es das im Kriege noch gegeben. Von Krankheiten war es besonders der Typhus, der wütete. Linck erkrankte daran während einer Predigtreise, dann auch seine Frau.

Daneben aber die stille Weiterführung eines Gemeindelebens, nicht nur in Königsberg selbst, sondern im ganzen Umland, wo immer ein Pfarrer für Taufe, Beerdigung, Predigt, Verkündigung, Seelsorge überhaupt gebraucht wurde. Jede dieser „Predigtreisen“ war ein Fußmarsch über Stunden, Tage. Wirklich konnte sich der Seelsorger oft an urchristliche Zeit erinnert fühlen, wie Wilhelm Baumm es in seinem Nachruf auf Linck später sagte. Und mehr als in „zivilen“ Verhältnissen war sein Dienst eine Sorge für die Seelen. Linck erinnert einmal an 1. Petr. 1, 7 und Off. 3, 18: Ein christliches Leben wurde damals in dem vormals so bevorzugten und glücklichen Königsberg „im Feuer geläutert“.

Nach diesem Bibelwort wählte Linck den Titel für seinen zweiten Bericht: Im Feuer geprüft. Das wurde im Abstand von einem Vierteljahrhundert geschrieben. Mehr als in dem ersten Buch berichtet Linck nun über die Mithelfer, Mitarbeiter. Anscheinend war ihm daran gelegen, vor seinem Tod und vor dem Vergessen, dessen er im Westen Zeuge wurde, dieses Zeugnis für Andere noch zu geben.

Seit Ende 1947 wurden dann die Deutschen aus Königsberg nach dem Westen abtransportiert. Linck und seine Frau waren unter den Letzten, kurz vor der Ausreise noch einmal ausgesondert und bedroht, dann aber doch losgelassen.

Diese Berichte erschüttern den, der sie liest, noch jetzt. Sie stehen nicht zurück hinter anderen Leidensberichten aus diesem Jahrhundert, vor allem aus vielen osteuropäischen Ländern; auch nicht hinter dem „Ostpreußischen Tagebuch“ des Grafen Hans von Lehndorff. Wenn es um solche „Prüfungen“ geht, verdienen Lincks Berichte besondere Beachtung.

Doch sie erhalten darüber hinaus etwas, was das Land, Ostpreußen und seine Menschen kennzeichnet. Das wird nicht in Worte gefasst, kann auch kaum gesagt werden. Es ist aber zu bemerken: man hat gelitten, man wurde geprüft und geläutert, man kann es sachlich beschreiben, spricht aber weiter nicht davon, man tritt nicht hervor damit; wer überlebt, tut sein Tagewerk weiter, im Inneren verwundet, und doch dankbar.

PAZ

Hugo Linck: Königsberg 1945–1948. Im Feuer geprüft. Zwei Berichte aus dem Leben der Restgemeinden nach 1945 in und um Königsberg, hrsg. von Hans Rothe, Peter Lang, Frankfurt 2014, geb., 309 Seiten, 49,95 Euro.


Dem Onkel sei Dank
Fanny Lewald: eine der ersten Autorinnen

Ihre Entdeckung als Schrift­stellerin verdankte die am 24. März 1811 in Königsberg geborene Fanny Lewald ihrem Onkel August. Dieser hatte von seiner Nichte erhaltene Reisebeschreibungen in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift „Europa“ veröffentlicht. Anschließend beauftragte er Fanny mit einem Beitrag über die Hul­di­gungs­­feiern für König Fried­rich Wil­helm IV. in ihrer Heimatstadt. Damit hatte Fanny ein Indiz dafür vorgelegt, dass sie in der Lage war, alleine für ihren Unterhalt aufzukommen, und der Vater beendete den Versuch, sie zur Vorbereitung auf eine Konvenienzehe zu zwingen. Die Karriere als mit der Feder kämpfende Frauenrechtlerin konnte beginnen. Insbesondere wandte sie sich gegen die Heirat aus wirtschaftlichen Gründen statt aus Liebe, für die sie von ihrem Vater gezielt vorbereitet worden war.

Fanny zog nach Berlin und schaffte dort mit dem Roman „Jenny“ 1843 den literarischen Durchbruch. Im Gegensatz zu vielen Emanzen war Fanny jedoch nicht grundsätzlich gegen die Ehe, fand vielmehr ihr Glück in einer. Auf einer Italienreise lernte sie Adolf Stahr kennen. Der Literatur- und Kunsthistoriker war zwar verheiratet und Vater von fünf Kindern, doch er ließ sich für Fanny scheiden und 1854 wurden sie ein Paar. Die folgenden zwei Jahrzehnte bildeten die glücklichste und produktivste Phase in Fannys Leben, wobei die gescheiterte 48er Revolution in der Tendenz zu einer Entpolitisierung ihrer Texte führte.

Auf den von ihr geliebten Reisen begegnete Fanny nicht nur ihrem Ehemann, sondern auch dem Tod. 13 Jahre nach Adolf Stahr starb Fanny Lewald am 5. August 1889 in Dresden. M.R.


S. 12 Leserforum

Leserforum

Sie ist einmalig

Zu: Endlich wieder eine eigene Orgel (Nr. 27)

Die Einmaligkeit der Coadjuther Kirche von 1734 wird im Kirchenraum sichtbar: Dort hängen die Gedenktafeln der gefallenen deutschen Soldaten der Kriege von 1813/14, 1866, 1870/71 und 1914/18. Nirgendwo in Ostpreußen als auch in Deutschland dürften solche Ehrentafeln in dieser Form zu finden sein. Es sind unsere Ahnen, Väter, Söhne, Brüder, die ihr Leben gaben. Ihrer sollten wir in Ehrfurcht gedenken. Zu Sowjetzeiten wurden diese Tafeln von den Litauern versteckt und nach der Wende 1989 von ihnen wieder angebracht. Für ein solches Handeln kann man nur sagen: Hut ab! Ein weiteres Phänomen ist die Coadjuthen-Gruppe in Deutschland, die einmal jährlich zusammenkommt. Memelländer der Erlebnisgeneration und deren Nachfahren haben sich hier zusammengeschlossen – über 50 Personen! Sie wirken segensreich für ihr Kirchspiel, sammeln unentwegt Geld zum Erhalt und zur Ausschmückung der Kirche. Motor und Seele ist hier die gebürtige Coadjutherin Ruth Schöntag mit 83 Jahren. So besteht zu den evangelischen Litauern vor Ort ein herzliches Verhältnis und es war schon beinahe selbstverständlich, dass im vorigen Jahr eine zweisprachige Gedenktafel zur Geschichte dieser Kirche im Rahmen eines feierlichen Gottesdienstes angebracht wurde. Es gibt andere Kirchen im früheren Memelland, wo solches nur in Litauisch oder Englisch möglich ist.

Marlene Stuckenberg, Willich

 

 

Er stammte aus Ostpreußen

Zu: Geadelter Schlafsaal (Nr. 28)

Über Ihren Bericht in der PAZ über die erste Jugendherberge der Welt auf Burg Altena war ich sehr erfreut. Ich war der Meinung, dass dieser Artikel hauptsächlich deshalb in der PAZ erschienen sei, weil der Gründer des Jugendherbergswerkes Richard Schirrmann aus Ostpreußen stammt.

Umso erstaunter war ich, als ich lesen musste, dass er als „Altenaer Lehrer“ bezeichnet wird, wie das auch in vielen anderen hiesigen Zeitungen der Fall ist, so dass die Vermutung aufkommen muss, dass er aus der hiesigen Region stammt. Richard Schirrmann wurde jedoch am 15. Mai 1874 in Grunenfeld im Kreis Heiligenbeil geboren. Seine Ausbildung zum Lehrer hat er auf der Präparandenanstalt in Fried-richsdorf bei Ortelsburg und auf dem Lehrerseminar Waldau erhalten. Anschließend war er kurze Zeit auf dem Gut Drebbenau im Samland als Privatlehrer tätig. 1895 legte er am Lehrerseminar Karalene seine 1. Lehrerprüfung ab und wirkte von 1895 bis 1898 als Lehrer an der Kirchschule Königshöhe im Kreis Lötzen, und danach bis 1901 in Schrombehnen, Kreis Preußisch Eylau. Im Jahr 1901 wechselte er dann nach Gelsenkirchen und erst 1903 nach Altena. 1907 wurde in der Nette-Schule in Altena eine Notherberge für wandernde Schulklassen eingerichtet. Im Jahr 1909 entwickelte er den Gedanken eines allgemeinen Jugendherbergswerkes, und in der Weiterführung dieses Gedankens kam es dann zur Gründung der ersten Jugendherberge auf Burg Altena, die seitdem als Mutterhaus der Deutschen Jugendherbergen gilt.

Brunhilde Schulz, Meinerzhagen

Anmerkung der Redaktion: Nähere Informationen zu dem Thema enthält Stefanie Hankes PAZ-Artikel „Vater des Jugendherbergswerks. Vor 50 Jahren starb der ostpreußische Lehrer und leidenschaftliche Wanderer Richard Schirrmann“ (Nr. 49/2011).

 

 

Verweis auf den Koran

Zu: Allah und die Palästinenser

Angesichts der neuen blutigen Auseinandersetzungen zwischen Juden und Muslimen im Gazastreifen sollte wieder einmal eine 1400 Jahre alte Offenbarung ins Gespräch gebracht werden. Ich meine den Koran. Dort offenbart Allah in Sure 5,20f ausdrücklich, dass das Heilige Land (geheiligte Land) den Juden versprochen (bestimmt) ist. In allen 14 Koranausgaben, die in meinem Bücherregal stehen, lese ich genau dieselbe Übersetzung.

Nach Allahs Offenbarung gehört also das Heilige Land den Juden. Muslime sind logischerweise aufgefordert, Israel als Heimstätte der Juden anzuerkennen. So will es Allah!

Muslimische Korangelehrte vom 9. Jahrhundert bis heute sind in der Auslegung des Koran in Sure 5,20f einer Meinung. Manche muslimische Koranexegeten sehen sogar im „Heiligen Land“ des Koran nicht nur Palästina, sondern auch Syrien, Jordanien und Ägypten. Damit kein Missverständnis entsteht, sei gesagt, dass hier keine jüdischen Koranexegeten und auch keine jüdischen Hardliner aus Jerusalem irgendeinen Unfug erzählen. Nein! Vielmehr beruht nach intensiven Untersuchungen mehrerer mir persönlich bekannter Islamwissenschaftler diese Auslegung der Worte Allahs im Koran auf dem Konsens der islamischen Koran­exegeten sowie der islamischen Gelehrten der islamischen Geschichtswissenschaft und der Prophetenbiografie. Wieso eigentlich werden Allahs Offenbarungen und somit die Lehre des Islam nicht in die politische Dis­kussion einbezogen? Seit wann nehmen Muslime Allahs Offenbarungen nicht ernst? Opfern sie ihre Lehre und ihren Glauben irgendwelchen Interessen Anderer und dem politisch korrekten Zeitgeist?

Wilfried Puhl-Schmidt, Kehl

 

 

Mit voller Wucht

Zu: Gleichmacherei (Nr. 25)

Bildung ist alles und Bildung allgemein, „was übrig bleibt, wenn man den Rest vergessen hat“, sagte unser Pauker 1948 in Kiel, und wir verfielen nach dem Grinsen ins Grübeln über den Rest im Unterbewusstsein wie Herzensbildung, Seele, Gemüt, Gewissen … lebenslang. Dieser Lehrer, den ich nicht leiden mochte, hatte in der 3. Klasse 1938/39 genau 49 Schüler. Am Ende dieser 3. Klasse ging einer mit Erfolg zur Oberschule und ein Jahr später noch zwei weitere sowie einige zur Mittelschule. So einen Erfolg halte ich in unserem Bildungsnotstand für nicht möglich. Ab Januar 1945 ist mir viel Böses, aber auch Gutes widerfahren. Auffällig dabei war der krasse Unterschied in der „übrig gebliebenen Bildung“. Aus diesen Gründen und den überwiegend gewollten Fehlleistungen aus politischen Gründen der Schulen meiner fünf Kinder stimme ich dem Artikel „Gleichmacherei“ mit voller Wucht zu.

Heinz-Dietrich Koske, Köln

 

 

Unfähige Politiker

Zu: Politik hat kapituliert

Nicht nur die Tatenlosigkeit der heutigen Politiker ist ein Fiasko, auch die Zunahme der Skandale bis hin zur Strafverfolgung deutscher Politiker, egal welcher etablierten Partei, ist der Beweis für ihre Unfähigkeit zu regieren. Stattdessen laufen sie umher wie die Moralapostel und predigen mit Hilfe der linksgerichteten Medien eine toleranzbesoffene und buntdumme Weltanschauung, ähnlich wie das Bernhard von Clairvaux im Mittelalter mit dem Aufruf zu den Kreuzzügen getan hat.

Eddi Göller, Malsfeld

 

 

Fadenscheinig

Zu: Noch devot (Nr. 29)

In dem Artikel heißt es, dass der Vertrauensverlust der Amerikaner nachvollziehbar sei, da die späteren Attentäter unbehelligt in Deutschland leben konnten und hier ihr Verbrechen vorbereitet haben. Diese Auslegung ist meines Erachtens höchst fadenscheinig. Warum sollten die späteren Attentäter, die wie jeder Normalbürger hier lebten ohne straffällig zu werden, in das Visier des BND oder sonstiger Abwehrstellen geraten sein. Schließlich konnten sie später ohne Probleme in die USA einreisen und, man höre und staune, dort eine Pilotenausbildung durchlaufen, ohne dass sie irgendwelchen NSA-Spionen auffielen. Zumindest ist dieses recht sonderbar und schließlich der Grund dafür, dass allerlei Theorien dieses Attentat betreffend kursieren konnten.

Gebhard Knull, Buxtehude


S. 13 Das Ostpreußenblatt

Gelebte Völkerfreundschaft
Kultureller Höhepunkt im Deutsch-Russischen-Haus zur Mittsommernacht

Mit einem Sommerfest als Höhepunkt ihres diesjährigen Kultur-Festivals beendeten die Russlanddeutschen auf dem Gelände des Deutsch-Russischen Hauses in Königsberg ihren Veranstaltungsreigen.

Über einen Monat lang gaben Künstlergruppen und Musik­ensembles Gastkonzerte im Deutsch-Russischen Haus. Die ethnischen Gemeinden im Gebiet stellten durch diese Auftritte ihre vielfältige kulturelle Eigenständigkeit einem interessierten Königsberger Publikum vor.

An der Feier zur Sonnenwende nahmen Angehörige der diplomatischen Vertretungen Deutschlands, Polens, Schwedens, Lettlands, Litauens und Weißrusslands teil, die Grußworten zu den Gästen sprachen.

An dem Mahnmal „Mühlensteine der Unterdrückung“, das vor ein paar Jahren in der Grünanlage des Deutsch-Russischen Hauses zum Gedenken an die Unterdrückung der Russlanddeutschen im 20. Jahrhundert errichtet worden war, legten sie Blumen nieder.

Während des Festes drohte zwischenzeitlich ein eisiger Regen die Feierlaune der Gäste zu verderben, aber die meisten blieben trotz des schlechten Wetters bis zum Ende der Veranstaltung. Das Programm war sehr umfangreich. Neben den offiziellen Reden der diplomatischen Vertreter gab es Auftritte von Tanzgruppen und Chören sowie natürlich ein reichhaltiges kulinarisches Angebot, dem niemand widerstehen konnte.

Nationalgerichte konnte man sowohl im Saal des Deutsch-Russischen Hauses als auch auf dem Rasen davor probieren. Tische mit deutschen, polnischen, weißrussischen, litauischen, schwedischen, lettischen, ukrainischen, tadschikischen und koreanischen Gerichten erfreuten die Besucher mit ihrer Vielfalt.

Die Gäste konnten Interessantes über das schwedische Volksfest „Mittsommer“ erfahren und sich an dem musikalischen Programm der Kindergruppe „Brevis“ erfreuen. Die polnischen Teilnehmer erzählten vom Volksfest „Kränze“ und trugen mit dem Musikprogramm „Polonaise“ der Königsberger polnischen Kulturgesellschaft „Polonia“ zur Unterhaltung bei. Die Königsberger Gesellschaft der litauischen Kultur klärte über das litauische „Jonines“, die litauische Variante des Mittsommerfestes, auf, und das Königsberger litauische Männerensemble „Penke Bajke“ und das Fraubenensemble „Gabija“ sangen das litauische Volkslied „Jonines“. Das Wirken der deutschen Gemeinde stellten die Folkloregruppen des Deutsch-Russischen Hauses „Bernsteinblumen“ und „Königsberger Marzipan“ vor. In farbenfrohen Trachten und Holzschuhen schwangen sie zur Freude der Gäste zur eingängigen Musik das Tanzbein.

2013 war der 250. Jahrestag der Unterzeichnung des Manifests von Katharina der Großen, mit dem sie eine massenweise Umsiedlung von Deutschen nach Russland bewirkt hatte. Im Zusammenhang mit diesem Datum hatte der Rat der nationalen-kulturellen Autonomie der Deutschen der Region Saratow eine Verdienstmedaille für „250 Jahre Dienst für das Vaterland“ gestiftet für Aktive in der russlanddeutschen Bewegung. Diese Auszeichnungen erhielt unter anderem die Künstlerin Minna Rudolfowna Wahl, die als Moderatorin durch einen Großteil des Festprogramms führte. In ihrem Wort an die Versammelten sagte sie: „Keiner der Vorfahren der Russlanddeutschen ist als Eroberer nach Russland gekommen oder suchte entweder politisches oder wirtschaftliches Asyl. Im Gegenteil. Sie wurden vom russischen Staat eingeladen als Wissenschaftler, Kulturschaffende, Spezialisten, Soldaten und Ärzte sowie als Bauern und Handwerker für die Entwicklung und Festigung der Randgebiete Russlands zu sorgen.“

Die freundschaftliche Veranstaltung endete mit einer gemeinsamen Teestunde mit einem luxuriösen Nachtisch, der „Torte der Freundschaft“. Es bleibt zu wünschen, dass alle Nationalitäten, die an diesem Tag zusammen gefeiert haben, auch politisch so freundschaftlich miteinander umgehen wie bei diesem außergewöhnlichen Fest. Jurij Tschernyschew


Bracherts »Nypmphe« droht Verfall
Nach Privatisierungen in Rauschen: Eigentümer reagiert nicht auf Denkmalschutzauflagen seitens der Behörde

Eigentlich gilt sie als eine der Visitenkarten des Ostseebades Rauschen, doch das scheint ihren derzeitigen Eigentümer wenig zu kümmern. Die Skulptur „Nymphe“ des bekannten Bildhauers Hermann Brachert droht zu verfallen. Allein schon die Geschichte dieses Werkes ist bemerkenswert. Die 17-jährige Käthe Zigan stand damals für Brachert Modell. Heute gibt es an dem Ort, an dem Brachert lebte und arbeitete, ein Museum. 1997 besuchte Käthe Zigan verheiratete Porst das Brachert-Museum und erzählte die Geschichte der Entstehung dieser Statue. Der Künstler arbeitete ab den 30er Jahren bis zur Flucht 1945 in seinem Atelier in Georgenswalde [Otradnoje]. Die Figur wurde 1938 in Bronze gegossen und am Ufer von Rauschen aufgestellt. Nach dem Krieg hatte man beschlossen, die „Nymphe“ an ihrem historischen Ort zu belassen. Während des Kriegs hatte sie einige Beschädigungen von Kugeln erhalten, die später restauriert wurden. Die vielfarbige Mosaikmuschel und die Welle um die Skulptur wurden in den 1980er Jahren angebracht. Sie sollen eine Art logische Umrahmung des Kunstwerks darstellen. Heute zählt die Skulptur zum kulturellen Erbe und sollte staatlich geschützt sein.

Dessen ungeachtet droht der „Nymphe“ das gleiche Schicksal wie zahlreichen anderen Objekten des kulturellen Erbes im Königsberger Gebiet: Vor einigen Jahren hatte die Verwaltung von Rauschen erklärt, dass sie eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt von ihrem historischen Platz entfernen wolle. Nach Plänen des Stadtarchitekten Wjatscheslaw Henne sollte sie ins Stadtzentrum umziehen, wo eine neue Verantaltungs- und Trinkhalle gebaut wurde.

Zwar blieb die Statue dann doch auf ihrem alten Platz, aber es folgten neue Unannehmlichkeiten, als die Stadtverwaltung das Gebäude der öffentlichen Toiletten versteigerte, das sich am Ende der Promenade am gewundenen Abstieg zum Meer befand, der schon in den 30er Jahren gebaut worden war.

Hier steht die „Nymphe“ an der Wand direkt am Meer. Neben dem Toilettenhaus, das für 49 Jahre verpachtet wurde, wurden auch Dutzende Meter der Promenade in der Umgebung mit verpachtet. Bald war die berühmte „Nymphe“ von Restaurants und Kneipen umgeben, und auch im ehemaligen Toilettenhaus zogen ähnliche Einrichtungen ein.

Besonders in den Sommermonaten ist die Statue inmitten von Zelten und Sonnenschirmen mit Reklameaufschrift schwer zu finden. Inzwischen droht auch das Gebäude neben der Skulptur zu verfallen. Es gibt Probleme mit dem Wasserabfluss am Dach, so dass Regenwasser sich im Gemäuer sammelt. Die Muschel, welche die Statue umgibt, ist den Wettereinflüssen am meisten ausgesetzt. Da direkt am Meer die Einwirkung von Feuchtigkeit und Niederschlag am höchsten ist, müsste man hier besondere Vorkehrungen zum Schutz des kulturellen Erbes treffen.

Nun ist die Stadtverwaltung auf das Problem aufmerksam geworden, doch der Eigentümer des Gebäudes hat keine Eile, sich mit den Behörden zu verständigen, wohl in dem Wissen, dass ihm zusätzliche Kosten für den Erhalt des Kunstwerks ins Haus stehen. Wahrscheinlich hat er auch gar nicht vor, die Statue zu erhalten, so dass mit dem Verfall der „Nypmhe“ zu rechnen ist. J.T.


MELDUNGEN

Ungewöhnlich ertragreich

Neukuhren – In der Nähe der Hafenstadt Neukuhren ist durch einen ganz gewöhnlichen Sturm, bei dem der Wind schäumende Wellen an den Strand getrieben hatte, mit einer ungewöhnlich großen Menge Algen und toter Fische jede Menge Bernstein an den Strand gespült worden. Die meisten Steine wurden in Hafennähe gefunden. Die Neuigkeit verbreitete sich wie ein Strohfeuer in der gesamten Stadt und innerhalb weniger Stunden war der Strand überfüllt von Glücksrittern, die mit Keschern oder ihren bloßen Händen jeden Meter des von Seetang überspülten Sandes umgruben. Während Kinder und ältere Menschen den Sand durchforsteten, begaben sich die Sportlicheren mit Keschern ins Wasser. Diesmal war der Fang verhältnismäßig groß und dazu recht schnell getätigt. Die mit Keschern ausgerüsteten Sammler fanden zahlreiche Steine von ziemlich großem Umfang, was nur sehr selten vorkommt. J.T.

 

Modernisierung des Hafens

Rhein – Seit diesem Juni bis zum November dieses Jahres wird für etwa vier Millionen Złoty (rund 964000 Euro) der Hafen in Rhein modernisiert. Geplant ist die Erneuerung der Anlegestelle, der Bau von Spazierwegen und einer Landebrücke an der Anlegestelle sowie die Befestigung des Seeufers. Umgebaut wird ebenso die Regenwasserkanalisation und das Gasnetz. Neue Lampen sind ebenso geplant. PAZ

 

Wachstum bei Fiat Auto Poland

Tichau – Das Automobilwerk von Fiat Auto Poland im schlesischen Tichau hat im ersten Halbjahr 2014 mit 174127 Fahrzeugen 11,2 Prozent mehr hergestellt als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. PAZ

 

Störungen des Verkehrs

Allenstein – Straße Nr. 15: Rakowitz [Rakowice], Straßenumbau; Löbau [Lubawa] Richtung Bischwalde [Byszwałd], Baustelle. Straße Nr. 16: Deutsch Eylau [Iława], Renovierung des Bahnüberganges; Groß Borken [Borki Wielkie] Richtung Köhlershof (Kozarek), Reparatur der Schutzplanken; Sensburg [Mragowo] Richtung Arys [Orzysz], Arensfelde [Mikosze], Baustelle. Straße Nr. 16c: Bischofsburg [Biskupiec] Richtung Groß Borken, Straßenbau. Straße Nr. 57: Leinau [Linowo], Baustelle. Straße Nr. 58: Kurken [Kurki], Brückenbau, einspurig. Straße Nr. 63: Primsdorf [Prynowo], Renovierung der Brücke. Straße Nr. 65: Goldap [Gołdap] Richtung Reimannswalde [Kowale Oleckie], Straßenumbau. PAZ


S. 14 Ostpreussische Familie

Lewe Landslied,
liebe Familienfreunde,

es findet sich so manches ein, das die noch in der Heimat gewachsene ostpreußische Literatur betrifft, unsere letzten Folgen haben das bewiesen. Indirekt betrifft eine Zusendung die ostpreußische Dichterin Erminia von Olfers-Batocki, denn es ist ein Bericht ihrer Tochter Hedwig von Lölhöffel über die eigene Flucht. Hedwig hat als Schriftstellerin nach dem Tod ihrer Mutter deren Erbe weiter getragen, das vor allem im ostpreußischen Brauchtum verankert war, viele Beiträge im Ostpreußenblatt und erste Schulungshefte der Landsmannschaft Ostpreußen zeugen von ihrem unermüdlichen Schaffen trotz eines im Alter zunehmenden körperlichen Leidens. Was wir nun von einem aufmerksamen Leser erhielten, komplettiert die Fluchtgeschichte der Tharauer. Hedwig hatte das Gut von ihrem kinderlosen Onkel geerbt, Erminia glaubte dort mit ihrem Mann ihren Lebensabend verbringen zu können, eine Hoffnung, die an der Flucht zerbrach, in der sie getrennt von Tochter und Enkel die Heimat verlassen musste. Hedwigs erster Sohn war knapp ein Jahr alt, sie war schwanger und landete nach vergeblicher Flucht aus Königsberg auf einem Kohlenfrachter mit Maschinenschaden in Hela, nachdem sie zwischenzeitlich von ihrem Sohn getrennt worden war. Da auf dem Fluchtschiff an die 1000 Frauen mit Kindern waren, wurden sie in Hela in ein Marinelager gebracht, das mitten im Wald lag. Hedwig schreibt: „An Land nahmen uns die Matrosen die Kinder und das Gepäck ab. Auf dem verschneiten von einigen Lampen erhellten Waldweg sahen wir vor uns im Gänsemarsch eine Reihe junger Männer gehen, jeder mit einem kleinen Kind auf dem Arm. Ich werde dieses Bild nie vergessen!“ Auch in der Schilderung der weiteren Betreuung durch die hilfsbereiten Mariner stattet die Tharauerin ihnen in ihrer Dokumentation einen großen Dank ab. Die Fluchtgeschichte der Hedwig von Lölhöffel, die schließlich – mit Mutter Erminia wiedervereint – in Bad Harzburg endet, wurde wohl durch einen Zufall entdeckt, denn der Einsender spricht von einem Fund, für dessen Übersendung wir danken.

Und somit erweist sich unsere Ostpreußische Familie mal wieder als Fundgrube, die immer für Überraschungen gut ist, auch wenn diese vielleicht nur wenige Leser betreffen. So hat uns Herr Frank Schneidewind aus Olpe mit zwei kleinen Fundstücken beglückt, von denen das eine unsere Landsleute aus Gilgenburg, das andere die Tilsiter interessieren dürfte. Bei ersterem handelt es sich um den Roman „Der Markt zu Heckenbruch“ von Hansgeorg Buchholtz. Der später in Lötzen wirkende Pädagoge schildert darin die Menschen einer ostpreußischen Kleinstadt, wie er sie während seiner Lehrtätigkeit in Gilgenburg erlebt hat, und so manch ein Bürger dieser masurischen Stadt wird sich irgendwie in den verschlüsselten Personen wiedergefunden haben. Frank Schneidewind war in den 60/70er Jahren mehrmals im Raum Gilgenburg und erinnert sich an Gespräche mit einer dort verbliebenen betagten Bewohnerin, die sich noch an den Autor erinnern und ganze Passagen aus seinem Buch aufsagen konnte.

Das zweite Fundstückchen – und hier können wir ruhig unsere geliebte Verkleinerungsform anwenden – ist eine Ansichtskarte aus Tilsit. Wer sie geschrieben hat, ist unwichtig – es war ein Wehrmachtsangehöriger, der einen Gruß an seine Eltern in Kappeln sandte –, aber die Bildseite der Ansichtskarte dürfte wohl einigen Tilsitern bekannt vorkommen – wenn ihre Erinnerung an einen Besuch in der Konditorei Seeberger zurückführt. Das Haus Hohe Straße Nr.13 war der richtige Platz zum „Konditern“ mit seinen hellen, nicht überladenen Räumen, in denen man an kleinen Tischen die Köstlichkeiten aus eigener Herstellung genießen konnte. Das taten nicht nur die Tilsiter, sondern auch die Menschen aus der Umgebung gerne, wenn sie zum Einkaufen in die Stadt fuhren, um sich von Seebacher die Anstrengungen versüßen zu lassen. Und mit einigen Mitbringseln für die Daheimgebliebenen die Konditorei verließen, denn sie war auch ein Spezialgeschäft für erstklassige Pralinen, Schokoladen und Marzipan aus eigener Produktion. Das besagt noch heute die Inschrift auf der Rückseite der Postkarte. Herr Schneidewind meint, dass sich vielleicht noch Angehörige der Familie Seebacher oder einer ihrer Angestellten für die gut erhaltene Postkarte, die auch manche Familienchronik bereichern könnte, interessieren.

Herr Schneidewind hat übrigens sofort reagiert, als er in der letzten Folge die Anfrage von Herrn Gunther Hein nach den Nissenhütten der Nachkriegszeit und ihren damaligen Bewohnern las. Er rief gleich bei Herrn Hein an und gab ihm detailliert Auskunft über die in unserem Bericht erwähnte Dokumentation „60 Jahre Lager Friedland“, in der auch Nissenhütten abgebildet sind. Da hatte Herr Hein die PAZ noch gar nicht mal aus dem Briefkasten geholt und war demgemäß sehr überrascht über den Anruf und natürlich auch über die Veröffentlichung seines Wunsches auf unserer Familienseite. Über die zu erwartende lebhafte Reaktion zu diesem Thema werden wir mit Sicherheit noch mehr berichten.

Es ist ja immer erfreulich, wenn unsere Ostpreußische Familie auch mit Themen konfrontiert wird, die über ihren namensgebenden Rahmen hinausgehen. Längst sind wir zu einem Forum für Wünsche und Fragen geworden, die sonst kaum eine Veröffentlichung finden, denn nicht nur die Plattform ist wichtig, sondern auch der Leserkreis. Und diese Verbindung stimmt bei uns 100-prozentig – vielleicht ist das ein Grund, dass unsere Kolumne immer weitere Kreise zieht. Das beweist die jüngste Ausgabe der Zeitschrift „Grafschafter Bote“ mit einem Beitrag, der auf unserer Seite erschienen war und der die Niederlausitz betrifft. In Folge 09/14 hatten wir ein Foto des sich in Spremberg befindenden Gedenksteines veröffentlicht, der beweist, dass sich hier einmal der „Mittelpunkt vom Deutschen Reiche“ befunden hat. Unser in Senftenberg wohnender Leser Dieter Pohle hatte uns das Foto zugesandt und auch eine informative Erklärung dazu geliefert. Die Veröffentlichung erregte natürlich das Interesse der Schriftleitung des „Grafschafter Boten“, und so kam der Abdruck zustande. Herr Pohle hatte dafür ein weiteres Foto zur Verfügung gestellt, das die Gepflegtheit des ehemaligen Marksteines aufzeigt, der heute ein Gedenkstein ist. Der auf dem Stein erwähnte Geograf Matzat, der wohl zur Bestimmung dieses Mittelpunktes des Deutschen Reiches maßgeblich beigetragen hat, war dem Namen nach ostpreußischer Herkunft. Leider konnten wir bisher nichts über ihn und sein Wirken erfahren. Herzliche Grüße an den „Grafschafter Boten“ und ein Dankeschön für die erfreuliche Information.

So hat sich auch Herr Bernd Brandes aus Hann. Münden gefreut, als er in Folge 28/14 unsere Erinnerung an den Balladendichter Börries von Münchhausen las, den er sehr verehrt. Wir hatten sein wundervolles Gedicht vom „Goldenen Ball“ erwähnt, der in einer Familie von Generation zu Generation weiter gereicht wird, ein Symbol für die Familienforschung, die ja auch unsere Kolumne weitgehend bestimmt. Herr Brandes liebt besonders die Ballade „Abgesessen“, in welcher der Dichter den letzten Tag der Sächsischen Garde beschreibt, eine jener Balladen, in der sich Börries von Münchhausen mit den Werten des Soldatenlebens in einer Reiterschwadron befasst wie Treue, Kameradschaft, Vertrauen und die Liebe zum Pferd. Leider können wir hier und heute weder die von Herrn Brandes übermittelte Ballade noch das beigelegte Bild von der Schlossbrücke in Dresden bringen, wo die Sächsische Garde einst Wache gestanden hat. Herr Brandes ist unseren Lesern kein Unbekannter. Wir hatten in Folge 29/14 über die von ihm und seinen Mithelfern vom Deutsch-Baltischen Freundeskreis geleisteten Hilfsaktionen für die Wolfskinder berichtet. Dass sich auch hier unsere Ostpreußische Familie als ein verlässliches Bindeglied zwischen Lesern und Leserinnen erweist, ist seinem Brief zu entnehmen: „Aufgrund eines Hinweises Ihres treuen Lesers Bernd Dauskardt, der ja das Memelland kennt wie seine Westentasche, konnte ich auf meiner Reise Ende April mit meinen Begleitern auf einen Deutschen im Memelland zurückgreifen, der uns als Dolmetscher sehr hilfreich war. Ich verständige mich mit Herrn Dauskardt in dieser Richtung sehr angenehm und hilfreich.“ Herr Brandes wird auch weiterhin ein aufmerksamer Leser unserer Familienseite bleiben und wir hoffen, dass er da so manches Erfreuliche findet.

Wie Herr Winfried Krause aus Kiel, der nach unserem in Folge 28 erschienenen letzten Aufruf an ehemalige Schönschüler aus Königsberg, sich bei ihm zu melden, doch noch einen Erfolg verzeichnen kann. Vielleicht hat das der Begriff „alte Kracher“ bewirkt, den Winfried Krause bewusst ins Spiel brachte – jedenfalls meldete sich Herr Dieter W. aus Hamm, der allerdings nicht mit ihm zusammen die Schulbank drückte, sondern damals ein etwas älterer Schulkamerad war, der dann eine weiterführende Schule besuchte. Mit den Ehemaligen dieser Mittelschule hat sich Herr Dieter W. immer wieder getroffen und ist mit ihnen sogar nach Königsberg gereist. Damit will Herr Krause nun endgültig seine Suchaktionen nach alten Klassenkameraden beenden und auch unter sein zweites Königsberger Thema will er einen Schlussstrich ziehen. Es ging um die Einweihung des deutschen Generalkonsulates, das sich in direkter Nachbarschaft des ehemaligen Wohnhauses der Familie Krause befindet, in dem Winfried seine Kindheit verbracht hatte. Er schreibt dazu: „Was mich beschäftigte war die Bemerkung in der PAZ, dass zur Einweihung auch Familienangehörige der ehemaligen Besitzer eingeladen worden waren. Ich konnte mich nur an die damals bereits verwitwete Frau E. Anders erinnern. Nun las ich im Königsberger Express die Namen von Frau Stefanie Willenbücher und Frau Helga Rasche, die aber als Urenkelinnen von Frau Anders das Gebäude aus unserer Zeit nie gesehen haben können, allenfalls kennen sie es von alten Fotoaufnahmen. Ich finde es jedenfalls schön, dass sie bei der Einweihung anwesend sein durften. Dieses wollte ich Ihnen zur Abrundung mitteilen.“ Und somit können auch wir diese beiden Komplexe beenden, wobei ich mir beim Thema Schönschule – ehrlich gesagt – noch nicht ganz sicher bin.

Wir haben unser Augenmerk in letzter Zeit besonders auf die ostpreußischen Schriftsteller gerichtet, die durch Flucht und schwere Nachkriegsjahre in die Vergessenheit gerieten und deren Name heute kaum noch jemand kennt. Auch nicht ihre Werke, die längst vergriffen sind. Wir werden uns auch weiter bemühen, sie und ihre Arbeiten aus dem Vergessensein zu holen, aber heute soll unser literarischer Beitrag einer Dichterin gelten, die aus der ostpreußischen Literatur nicht wegzudenken ist: Frieda Jung. Denn wir haben das Glück, dass ihr Urgroßneffe Eberhard Jung, der mit ihrem Leben und Wirken so vertraut ist wie kein anderer, uns einen Beitrag übermittelt, der den Ausbruch des Ersten Weltkrieges im östlichen Grenzgebiet schildert, wie Frieda Jung ihn erlebt hat. Sie konnte in ihre geliebte, wenn auch zerstörte Heimat zurückkehren – eine Gnade, die uns Vertriebenen leider 30 Jahre später nach der großen Flucht versagt blieb.

Eure Ruth Geede


Was bebst du so, meine heilige Heimaterde?
Wie die Dichterin Frieda Jung den Ausbruch des Ersten Weltkrieges erlebte

Was für ein Jahr 1914! Für die ostpreußische Dichterin Frieda Jung dürfte es wie für die meisten Deutschen mit einem heiteren Sommer begonnen haben. Doch mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges sollte er jäh enden und in die Flucht vor den einrückenden Russen übergehen. Am 4. Juni hatte die Dichterin Frieda Jung, die bereits mehrere Gedichtbände veröffentlicht hatte und in Buddern, Kreis Angerburg ein eigenes Heim besaß, ihren 49. Geburtstag gefeiert. Dann war Ende Juni der Geburtstag ihrer geliebten Nichte begangen worden, die später meine Großmutter werden sollte. Aber nur wenige Wochen nach Kriegsbeginn rücken russische Truppen über Gumbinnen an die Angerapp vor. Die Bevölkerung wird zum Verlassen ihrer Heimat aufgefordert. Auch meine Urgroßtante Frieda Jung flieht über Königsberg bis nach Osnabrück zu einer Freundin.

Wo war sie dort untergekommen? Das bleibt wohl im Verborgenen der Geschichte. Auf Anfrage meines Vaters Walter Jung, ihrem Großneffen, antwortete 1996 das Niedersächsische Staatsarchiv: „Zu meinem Bedauern muss ich ihnen mitteilen, dass Ihre Großtante weder unter dem Namen Jung noch unter dem Namen Brauer in den Meldeunterlagen der Stadt Osnabrück nachgewiesen werden kann.“ Frieda Jung hatte 1883 als 18-Jährige den Lehrer Brauer in Gumbinnen geheiratet, nach eineinhalb Jahren wurde die Ehe geschieden. Ihre ersten Gedichte veröffentlichte sie unter ihrem Mädchennamen, den sie auch weiterhin als Autorin behielt und unter dem sie in die ostpreußische Literatur einging.

In einem 1914 geschriebenen Gedicht fragt sie: „Was bebst du so, meine heilige Heimaterde?“ – „Mich treten fremde Füße, mich stampfen Kosakenpferde!“ In dem 1915 im Verlag Ernst Buchheim zu Köthen und Leipzig erschienenen Bändchen „Aus Ostpreußens Leidenstagen“ berichtet Frieda Jung über ihre Flucht mit dem langen Warten auf Bahnhöfen und Fahrten in überfüllten Zügen sowie über Berichte der Schicksalsgenossinnen. Sie wählte dazu die Briefform. Ob sie diesen Brief wirklich an ihre Freundin Marie geschrieben hat, ist nicht belegt. Vielleicht ist dieser Brief, aus dem sie später in Hunderten von Lesungen zitiert, auch eine von ihr bewusst gewählte literarische Form.

In „Halt aus, mein Heimatland“ – herausgegeben vom Dürerbund Cöthen 1915 – berichtet Frieda Jung darüber, was sie von Bekannten erfuhr: „Ihre herrlichen Gasthöfe bei Eydtkuhnen waren von den Russen niedergebrannt. Ebenso Dagesen, Dwarischken, Tarpupönen. Vieh und Pferde hatten sie über die Grenze getrieben, den Menschen die Augen verbunden und sie über Gräben und Zäume gejagt, dann aber zurückgelassen.“ Und weiter: „Fräulein D. erzählte verzweifelt, dass auf dem Gute ihrer Verwandten bei Lyck die Kosaken ihren alten, ehrwürdigen Ohm in das brennende Haus geworfen hätten.“ „Einen anderen Bekannten fragt sie besorgt: ,Ach Gott, wie sieht’s denn jetzt in unserm lieben Buddern aus?‘ Und weiter: Liebe Marie, das schöne große Nachbardorf Possessern ist ein Trümmerhaufen.“ Sie berichtet von durchwühlten Sachen – das seien die Kosaken gewesen – aber auch von dem anständigen Benehmen russischer Offiziere.

Als Nachsatz zu ihrem Bericht in Briefform fügte Frieda Jung noch hinzu: „Allerdings – mein Heimatdorf ist nun auch dahin. Nur wie durch ein Wunder ist mein Häuslein mit drei anderen in Buddern äußerlich ziemlich unbeschädigt geblieben, während das meiner Schwester verbrannt ist.“ Ihre Schwester Martha, verheiratet mit dem Gastwirt Carl Mengel, zieht dann in das Haus meiner Urgroßtante ein, die 1916 – also mitten im Ersten Weltkrieg – sich in Insterburg, der Geburtsstadt ihres Vaters, eine neue Bleibe sucht. Hier in der Friedrichstraße lebt und schafft sie 13 Jahre lang und veröffentlicht „Ausgewählte Gedichte“ und „Gestern und Heute“.

Nach Kriegsende setzte sich die ostpreußische Dichterin in Hunderten von Lesungen in Mitteldeutschland für ihre vom Reich abgetrennte geliebte Heimat ein. Sie, die sich mit Gedichten und Kindheitserinnerungen wie „Maienregen – Gottessegen“ und „Freud und Leid“ in Ostpreußen einen Namen geschaffen hatte, wurde auch in Mitteldeutschland bekannt. Ihre Natürlichkeit, ihr Gottvertrauen und die Echtheit der Gefühle, das alles in prägnante und einfache Worte gefasst, schlugen die Zuhörer in Bann. Ihre Bände mit Gedichten und Erzählungen, auch in ostpreußischem Platt, erreichten für die damalige Zeit hohe Auflagen, vor allem ihre Kindheitserinnerungen „In der Morgensonne“, das wohl bekannteste und beliebteste Buch der Dichterin.

Als Frieda Jung vor 100 Jahren die Heimat verlassen musste und sie danach zur „Künderin von Ostpreußen“ wurde, fing sie ihre Sehnsucht in dem Gedicht „Heimatlos“ ein: „Was tut die Sonne mir so weh und die blühende Rose! Sturm und wehender Schnee passt besser für Heimatlose!“

Eberhard Jung


S. 15 Glückwünsche

Wir gratulieren

ZUM 98. GEBURTSTAG

Hartung, Gertrud, geb. Dawidonis, aus Tawe, Kreis Elchniederung, am 2. August

Schmidt, Gertrud, geb. Czerwonka, aus Binien, Kreis Lyck, am 5. August

ZUM 97. GEBURTSTAG

Hofmeister, Ludwig, aus Tapiau, Kreis Wehlau, am 2. August

ZUM 96. GEBURTSTAG

Kostropetsch, Heinz, aus Altbruch, Kreis Ebenrode, am 5. August

Pollul, Franz, aus Garbassen, Kreis Treuburg, am 3. August

ZUM 95. GEBURTSTAG

Curioni, Edith, geb. Worat, aus Schwentainen, Kreis Treuburg, am 4. August

Kaminski, Margarete, geb. Kaminski, aus Wehlau, am 3. August

Salka, Willi, aus Pilgramsdorf, Kreis Neidenburg, am 7. August

ZUM 94. GEBURTSTAG

Borchard, Grete, geb. Huck, aus Baringen, Kreis Ebenrode, am 6. August

Schmidt, Maria, geb. Fidorra, aus Willenberg, Kreis Ortelsburg, am 5. August

Steidle, Lotte-Sophie, geb. Lyß, aus Schönhorst, Kreis Lyck, am 3. August

ZUM 93. GEBURTSTAG

Bülte, Käthe, geb. Wessel, aus Elchdorf, Kreis Samland, am 7. August

Ekkel, Else, geb. Rydzewski, verwitwete Mehrwald, aus Lyck, Kaiser-Wilhelm-Straße 83, am 6. August

Glinka, Gerhard, aus Wilhelmsthal, Kreis Ortelsburg, am 7. August

Goetzke, Werner, aus Lehmbruch, Kreis Elchniederung, am 6. August

Hartmann, Elli, geb. Rudat, aus Torffelde, Kreis Tilsit-Ragnit, am 7. August

Heinrich, Margarete, geb. Brewisch, aus Fließdorf, Kreis Lyck, am 7. August

Mutz, Erna, geb. Meyer, aus Eiserwagen, Kreis Wehlau, am 6. August

Nerreter, Waltraut, geb. Gallin, aus Funken, Kreis Lötzen, am 7. August

Röbig, Erna, geb. Kattenberg, aus Deschen, Kreis Elchniederung, am 2. August

Ruddigkeit, Frieda, geb. Brzoska, aus Reuß, Kreis Treuburg, am 2. August

Rudnick, Margarete, geb. Randzio, aus Lenzendorf, Kreis Lyck, am 3. August

Struck, Heinrich, aus Plompen, Kreis Wehlau, am 4. August

Vogel, Hilde, geb. Gentz, aus Soffen, Kreis Lyck, am 7. August

Zbikowski, Annemarie, geb. Klein, aus Kleinkosel, Kreis Neidenburg, am 5. August

ZUM 92. GEBURTSTAG

Buch, Emilie, geb. Broska, aus Kobulten, Kreis Ortelsburg, am 8. August

Ehrlich, Charlotte, geb. Chittka, aus Michelsdorf, Kreis Ortelsburg, am 8. August

Geyer, Traute, geb. Niklaß, aus Statzen, Kreis Lyck, am 7. August

Joswig, Gertrud, geb. Neumann, aus Widminnen, Kreis Lötzen, am 2. August

Kempf, Walter, aus Brittanien, Kreis Elchniederung, am 4. August

Ramuschat, Elfriede, geb. Wrobel, aus Satticken, Kreis Treuburg, am 8. August

Schwentzek, Ernst, aus Rosenheide, Kreis Lyck, am 3. August

Seher, Lieselotte, geb. Jonigkeit, aus Bredauen, Kreis Ebenrode, am 2. August

Voss, Else, geb. Matheuszik, aus Sentken, Kreis Lyck, am 8. August

Zeisig, Charlotte, geb. Schemionek, aus Halldorf, Kreis Treuburg, am 5. August

Zimmermann, Elsa, geb. Bessel, aus Nieberswalde, Kreis Wehlau, am 4. August

Zornig, Edith, geb. Fuhrmann, aus Wehlau, am 8. August

ZUM 91. GEBURTSTAG

Esins, Elfriede, geb. Bembennek, aus Friedrichshof, Kreis Ortelsburg, am 7. August

Judjohn, Erika, geb. Schröder, aus Watzum, Kreis Samland, am 3. August

Maslo, Lieselotte, geb. Haupt, aus Kleeburg, Kreis Elchniederung, am 5. August

Pech, Charlotte, geb. Kuhn, aus Tapiau, Kreis Wehlau, am 4. August

Senkbeil, Otto, aus Friedberg, Kreis Treuburg, am 5. August

Siepe, Herta, geb. Haffke, aus Wehlau, am 4. August

Sowa, Ernst, aus Winsken, Kreis Neidenburg, am 2. August

Westphal, Betty, aus Deschen, Kreis Elchniederung, am 4. August

Zywietz, Hildegard, geb. Amenda, aus Heinrichsdorf, Kreis Neidenburg, am 5. August

ZUM 90. GEBURTSTAG

Bieber, Kurt, aus Giesen, Kreis Treuburg, am 6. August

Burchard, Hans-Georg, aus Disselberg, Kreis Ebenrode, am 5. August

Dombrowski, Helmut, aus Bobern, Kreis Lyck, am 8. August

Drippe, Waltraud, geb. Wiecorek, aus Ortelsburg, am 5. August

Galla, Ruth, geb. Schwarz, aus Giesen, Kreis Lyck, am 6. August

Grunewald, Kläre, geb. Gutzeit, aus Lindendorf, Kreis Wehlau, am 7. August

Hoffmann, Alfred, aus Malissen, Kreis Ebenrode, am 8. August

Koch, Waltraut, geb. Tutas, aus Klein Jerutten, Kreis Ortelsburg, am 8. August

Kremer, Ewald, aus Finkenschlucht, Kreis Ebenrode, am 3. August

Stullich, Susanne, geb. Zans, aus Andreken, Kreis Lyck, am 7. August

Thelen, Gertrud, geb. Schröder, aus Prostken, Kreis Lyck, am 2. August

Wirbeleit, Ursula, geb. Thiel, aus Braunsberg, am 1. August

Zwaschka, Friedel, geb. Thomas, aus Pilgramsdorf, Kreis Neidenburg, am 6. August

ZUM 85. GEBURTSTAG

Bierfreund, Brunhilde, geb. Bytzek, aus Weidicken, Kreis Lötzen, am 5. August

Bode, Irene, geb. Naumann, aus Hohenberge, Kreis Elchniederung, am 4. August

Bondzio, Herbert, aus Prostken, Kreis Lyck, am 5. August

Brasgalla, Eitel, aus Niostoy/Soldau, Kreis Neidenburg, am 5. August

Butanowitz, Erna, aus Merunen, Kreis Treuburg, am 5. August

Eckert, Siegfried, aus Fohrenhorst, Kreis Ebenrode, am 5. August

Faust, Erwin, aus Leißienen, Kreis Wehlau, am 5. August

Goschin, Waltraut, geb. Zinnow, aus Ebenrode, am 2. August

Hermann, Erich, aus Malissen, Kreis Ebenrode, am 5. August

Kazich, Herbert, aus Steintal, Kreis Neidenburg, am 7. August

Kinne, Irmgard, geb. Buddrus, aus Tranatenberg, Kreis Elchniederung, am 5. August

Kopatzki, Erna, geb. Blaurock, aus Hügelwalde, Kreis Ortelsburg, am 4. August

Kowalzik, Kurt, aus Klein Lasken, Kreis Lyck, am 4. August

Krohm, Ursula, geb. Matz, aus Klein Nuhr, Kreis Wehlau, am 8. August

Lissak, Betty, geb. Kreutzenstein, aus Palmnicken, Kreis Samland, am 5. August

Ludwigkeit, Christel, geb. Schweighöfer, aus Tapiau, Kreis Lyck, am 5. August

Milewski, Brunhilde, aus Lyck, Bismarckstraße 64, am 3. August

Nischk, Walter, aus Burdungen, Kreis Neidenburg, am 6. August

Ollesch, Ursula, geb. Wulf, aus Wehlau, am 8. August

Rehberg, Kurt, aus Partheinen/Stuthenen, Kreis Heiligenbeil, am 8. August

Schläger, Waltraut, geb. Stenull, aus Mühlenkreuz, Kreis Elchniederung, am 4. August

Schröter, Ilse, geb. Dreher, aus Döhringen, Kreis Osterode, am 7. August

Schulz, Fritz, aus Rosignaiten, Kreis Samland, am 4. August

Söcknik, Harry, aus Dorf Trakehnen, Kreis Ebenrode, am 8. August

Till, Gertrud, geb. Böttcher, aus Goldbach, Kreis Wehlau, am 8. August

Wiefelspütt, Elfriede, geb. Kopetsch, aus Zeysen, Kreis Lyck, am 4. August

Wilkop, Herbert, aus Jägersdorf, Kreis Neidenburg, am 4. August

ZUM 80. GEBURTSTAG

Ademeit, Gretel, aus Gowaren, Kreis Elchniederung, am 6. August

Aschendorf, Christa, geb. Rose, aus Auersberg, Kreis Lyck, am 2. August

Balewski, Horst, aus Klein Jerutten, Kreis Ortelsburg, am 8. August

Bolt, Gerda, geb. Schwiderski, aus Gelitten, Kreis Treuburg, am 5. August

Böttcher, Hannelore, geb. Utschakowski, aus Fischhausen, Kreis Samland, am 5. August

Ellis, Elisabeth, geb. Puchert, aus Ruckenhagen, Kreis Elchniederung, am 8. August

Geiler, Ingelore, geb. Sedello, aus Groß Retzken, Kreis Treuburg, am 4. August

Grabley, Irmgard, geb. Planko, aus Giersfelde, Kreis Lyck, am 8. August

Heidecke, Erna, geb. Zimmermann, aus Bolbitten und Heiligenbeil, Kreis Heiligenbeil, am 8. August

Hoffmann, Siegfried, aus Königsberg, Dohnastraße 15, am 8. August

Kersten, Erika, geb. Birken, aus Neumalken, Kreis Lyck, am 7. August

Kob, Sabine, geb. von Kulessa, aus Kobilinnen, Kreis Lyck, am 7. August

Kotzmann, Hildegard, geb. Stiller, aus Kuckerneese, Kreis Elchniederung, am 8. August

Magdsick, Gisela, geb. Bock, aus Paterswalde, Kreis Wehlau, am 5. August

Morscheck, Gerhard, aus Allenburg, Kreis Wehlau, am 6. August

Niemeier, Sigrid, geb. Kamann, aus Kreuzingen, Kreis Elchniederung, am 8. August

Noack, Erna, geb. Bogdan, aus Lötzen, am 2. August

Rehberg, Siegfried, aus Johannsdorf, Kreis Elchniederung, am 7. August

Reinoß, Ernst, aus Kreuzborn, Kreis Lyck, am 7. August

Rieder, Alfred, aus Lötzen, am 5. August

Scheller, Edith, geb. Schindowski, aus Kalthof, Kreis Samland, am 8. August

Scherr, Margarete, geb. Newiger, aus Auerbach, Kreis Wehlau, am 2. August

Stejskal, Gerda, geb. Dams, aus Polenzhof, Kreis Elchniederung, am 4. August

Stritzke, Anita, geb. Gronau, aus Neuendorf, Kreis Wehlau, am 4. August

Strojek, Helmut, aus Soltmahnen, Kreis Lyck, am 3. August

Tietz, Ruth, geb. Schneckenberger, aus Wehlau, am 4. August

Vonthin, Ursel, geb. Sendatzki, aus Radomin, Kreis Neidenburg, am 6. August

Wellendorf, Helga, geb. Schwarz, aus Königberg, Wilhelmstraße 12, am 8. August

ZUM 75. GEBURTSTAG

Bruisch, Lieselotte, geb. Pauliks, aus Heinrichswalde, Kreis Elchniederung, am 4. August

Ehorn, Ulrich, aus Bartenhof, Kreis Wehlau, am 8. August

Eiselin, Ursula, geb. Kerbst, aus Dannenberg, Kreis Elchniederung, am 6. August

Gordziel, Dr. Erika, geb. Pauloweit, aus Wehlau, am 7. August

Helmich, Werner, aus Motzfelde, Kreis Elchniederung, am 4. August

Kalweit, Manfred, aus Bürgersdorf, Kreis Wehlau, am 6. August

Klebbedies, Edwin, aus Gowarten, Kreis Elchniederung, am 7. August

Kleipödßus, Kurt, aus Lindental, Kreis Elchniederung, am 6. August

Koch, Günther, aus Weidicken, Kreis Lötzen, am 3. August

Lottig, Gertrud, geb. Puzicha, aus Markshöven, Kreis Ortelsburg, am 4. August

Olinski, Dietrich, aus Thalheim, Kreis Neidenburg, am 8. August

Popihn, Guido, aus Sorgenau, Kreis Samland, am 6. August

Reichwald, Resi, aus Watzum, Kreis Samland, am 2. August

Rimkus, Werner, aus Dünen, Kreis Elchniederung, am 8. August

Ristig, Eberhard, aus Tapiau, Kreis Wehlau, am 8. August

Rose, Inge, geb. Ziemer, aus Neuendorf, Kreis Wehlau, am 7. August

Sack, Waldemar, aus Mingfen, Kreis Ortelsburg, am 3. August

Schulz, Siegfried, aus Heiligenbeil, Egerländer Weg 11, am 6. August

Thiede, Irene, geb. Kulessa von, aus Bittkau, Kreis Treuburg, am4. August

Samulowitz, Edith, geb. Wolk, aus Reinlacken, Kreis Wehlau, am 6. August

Simon, Alfred, aus Thalheim, Kreis Neidenburg, am 5. August

Szech, Siegbert, aus Batzdorf, Kreis Neidenburg, am 6. August

Wiese, Manfred, aus Schirrau, Kreis Wehlau, am 5. August


S. 16 Heimatarbeit

Landsmannschaftliche Arbeit

BADEN-WÜRTTEMBERG

Vors.: Uta Lüttich, Feuerbacher Weg 108, 70192 Stuttgart, Telefon und Fax (0711) 854093, Geschäftsstelle: Haus der Heimat, Schloßstraße 92, 70176 Stuttgart, Tel. und Fax (0711) 6336980.

Lahr – Donnerstag, 7. August, 18 Uhr, Gasthaus Zarko, Schillerstraße 3: Die Gruppe trifft sich zum Stammtisch.

Stuttgart – Dienstag, 5. August, 17 Uhr, Schlossplatz, Gedenktafel: Charta-Feier. Die Gruppe bittet um zahlreiche Teilnahme.

Ulm/Neu-Ulm –Der Landesverband veranstaltet eine Sechs-Tages-Fahrt zum zentralen Tag der Heimat in Berlin. Sie beginnt am 26. August, führt nach Bad Frankenhausen, Wernigerode, Quedlinburg und Berlin, wo am 30. August die zentrale Feierstunde zum Tag der Heimat stattfindet. Der Festakt findet nicht im Kongresszentrum, sondern im Urania-Palast statt. Rückfahrt am 31. August. Anmeldungen nimmt Frau Wulf, BdV Stuttgart, entgegen.

Weinheim/Bergstraße – Mittwoch, 6. August, 14.30 Uhr, Café Wolf: „Es dunkelt schon in der Heide, nach Hause woll’n wir gehen“. (In Gedanken immer und immer wieder), „Wir haben das Korn geschnitten mit unserem blanken Schwert…“ (Ostpreußen mit seinen unendlichen Kornfeldern, die Kornkammer Deutschlands). So will die Gruppe bei ihrer Zusammenkunft der geliebten Heimat mit einem Beitrag über die Rominter Heide gedenken und mit schönen Liedern umrahmt hochleben lassen.

 

BAYERN

Vorsitzender: Friedrich-Wilhelm Böld, Telefon (0821) 517826, Fax (0821) 3451425, Heilig-Grab-Gasse 3, 86150 Augsburg, E-Mail: info@low-bayern.de, Internet: www. low-bayern.de.

Landshut – Dienstag, 19. August, 14 Uhr, Gasthaus Zur Insel: Monatliches Treffen der Gruppe.

München – Jeden Montag, 18 bis 20 Uhr, Haus des Deutschen Ostens: Ostpreußischer Sängerkreis. Kontakt: Dr. Gerhard Gräf, Offenbachstraße 60, 85598 Baldham, Telefon (08106) 4960.

 

HAMBURG

Erster Vorsitzender: Hartmut Klingbeutel, Kippingstr. 13, 20144 Hamburg, Tel.: (040) 444993, Mobiltelefon (0170) 3102815. 2. Vorsitzender: Manfred Samel, Fried-rich-Ebert-Straße 69 b, 22459 Hamburg, Telefon/Fax (040) 587585, E-Mail: manfred-samel@hamburg.de.

KREISGRUPPE

Insterburg – Die Gruppe trifft sich jeden 1. Mittwoch im Monat (außer Januar und Juli) mit Liedern und kulturellem Programm um 12 Uhr, Hotel Zum Zeppelin, Frohmestraße 123–125. Kontakt: Manfred Samel, Friedrich-Ebert-Straße 69 b, 22459 Hamburg. Telefon/Fax (040) 587585, E-Mail: manfred-samel@hamburg.de.

Königsberg – Diens-tag, 12. August: Die Gruppe lädt herzlich zu ihrem Sommerausflug an die Ostsee ein. Besuch des Vogelparks Niendorf/Timmendorfer Strand. Mittagessen, Spaziergang an der Ostsee, Kaffeetrinken. Kosten zirka 45 Euro. Abfahrt 9 Uhr, Hamburg-Moorweide. Gäste sind herzlich willkommen. Anmeldungen bitte baldmöglichst an Brigitte Reimer, Telefon (040) 873495.

 

HESSEN

Vorsitzender: Eberhard Traum, Wächtersbacherstraße 33, 63636 Brachtal, Telefon (06053) 708612.

Wiesbaden – Bericht vom Sommer-Gartenfest – Wenn die Fahne mit der Elchschaufel über dem Gelände des Wiesbaden-Erbenheimer „Kleingartenverein am Wasserwerk“ weht, feiern die Ostpreußen ihr traditionelles Sommer-Gartenfest. Und das schon seit 19 Jahren an dieser Stelle. „Früher kamen noch 100 Landsleute und Freunde der Landsmannschaft zu dem geselligen Beisammensein. Aber von Mal zu Mal werden es weniger“, bedauerte der Vorsitzende Dieter Schetat. „Altersbedingt nehmen die Teilnehmer der sogenannten Erlebnisgeneration mehr und mehr ab; ein Trend, der auch bei anderen ostdeutschen Landsmannschaften festzustellen ist.“ Obwohl das Thermometer auf 34 Grad geklettert war, hatten sich dennoch über 50 Gäste eingefunden. Wie die anderen Treffen und Veranstaltungen der Landsmannschaft bietet auch das jährliche Gartenfest eine gute Gelegenheit, die sozialen Kontakte aufrecht zu erhalten und nicht nur heimatliche Erinnerungen, sondern auch aktuelle Erlebnisse auszutauschen. Unter der schützenden Markise ließ sich die Hitze einigermaßen aushalten; alle sangen mit und schunkelten zu den Klängen des Gesangsduos Mathias Budau und Markus Hübenthal, das gleich zu Beginn das Ostpreußenlied „Land der dunklen Wälder“ anstimmte. Nach Kaffee und Kuchen, dieser wieder von der „Königsberger Konditorei“ Gehlhaar, konnte man sich beim Würfelspiel versuchen und als schönen Abschluss auch das Gegrillte schmecken lassen. „Ein bisschen Heimat geht bei den Ostpreußen auch durch den Magen“, weiß der Vorsitzende Dieter Schetat und hielt für seine Landsleute das bekannte heimatliche Getränk „Pillkaller“ bereit, benannt nach dem ostpreußischen Ort Pillkallen. Auf ein mit Machandelschnaps gefülltes Glas wird eine Scheibe Leberwurst gelegt. Auf die kommt ein Klacks Senf, den die Ostpreußen Mostrich nennen. Und das Ganze wird noch mit etwas Majoran bestreut. Die Leberwurstscheibe, die zuerst im Mund landet, wird dort mit dem Schnaps übergossen und alles zusammen geschluckt. Manche Ostpreußen sagen, diese Komposition sei nicht nur ein Getränk, sondern eine ganze Mahlzeit. In vielen Sprüchen, Gedichten und Sentenzen wurde das Getränk verewigt. Eine Redensart: „Nach dem fünften Glas ist die Welt nicht mehr mau und mies, alles sieht so festlich aus wie im Paradies.“

 

NIEDERSACHSEN

Vorsitzende: Dr. Barbara Loeffke, Alter Hessenweg 13, 21335 Lüneburg, Telefon (04131) 42684. Schriftführer und Schatzmeister: Gerhard Schulz, Bahnhofstraße 30b, 31275 Lehrte, Telefon (05132) 4920. Bezirksgruppe Lüneburg: Manfred Kirrinnis, Wittinger Straße 122, 29223 Celle, Telefon (05141) 931770. Bezirksgruppe Braunschweig: Fritz Folger, Sommerlust 26, 38118 Braunschweig, Telefon (0531) 2 509377. Bezirksgruppe Weser-Ems: Otto v. Below, Neuen Kamp 22, 49584 Fürstenau, Telefon (05901) 2968.

Helmstedt – Donnerstag, 14. August, 15 Uhr, Begegnungsstätte, Schützenwall 4: Treffen der Gruppe.

Osnabrück – Freitag, 15. August, 15 Uhr, Gaststätte Bürgerbräu, Blumenhaller Weg 43: Treffen der Frauengruppe.

 

NORDRHEIN-WESTFALEN

Vorsitzender: Jürgen Zauner, Geschäftsstelle: Buchenring 21, 59929 Brilon, Tel. (02964) 1037, Fax (02964) 945459, E-Mail: Geschaeft@Ostpreussen-NRW.de, Internet: www.Ostpreussen-NRW.de

Bonn – Dienstag, 5. August, 18 Uhr, Gedenkstein am Rheinufer unterhalb der Beethovenhalle: Gedenken an die Unterzeichnung der Charta der deutschen Heimatvertriebenen. Anschließend Beisammensein im Restaurant Da Capo in der Beethovenhalle. Der schon angekündigte Stammtisch der Ostpreußen am 5. August fällt daher aus. – Der Frauenkreis hat im August Ferien.

Düsseldorf – Jeden Mittwoch, 18.30 bis 20 Uhr, GHH/Eichendorff-Saal, 1. Etage: Chorprobe der Düsseldorfer Chorgemeinschaft.

Gütersloh – Donnerstag, 14. August, 15.30 Uhr, Gütersloher Brauhaus, Unter den Ulmen: Treffen der ostpreußischen Frauengruppe. – Ostpreußischer Singkreis: Die Treffen finden zurzeit einmal im Monat von 15 bis 17 Uhr in der Elly-Heuss-Knapp-Schule, Moltkestraße 13, statt. Kontakt und Informationen: Renate Thamm, Telefon (05241) 40422.

Mülheim an der Ruhr – Dienstag, 12. August, 14.45 Uhr, Wasserbahnhof Mülheim: Schiffsausflug nach Kettwig.

Siegen – Sonnabend, 9. August, 10 Uhr, Treffpunkt Wanderparkplatz „Alte Schanze“, 50 Meter vor dem Orteingangsschild Hohenhain: Der Bund der Vertriebenen lädt alle Landsmannschaften zum Wandertag ein. Wanderung im Bereich eines noch gut zu erkennenden Bodendenkmals, einer mittelalterlichen Grenzanlage. Der Wanderweg führt von dort weiter zum „Dreiherrenstein“. Es handelt sich um historische Grenzsteine dreier Herrschaftsgebiete: a) Nassau-Oranien-Siegen, b) Herzogtum Westfalen c) Wildenburg mit den Hatzfelde. Weiterer Verlauf: Wanderung zum „Hühnerkamp“. Bauer Zielenbach erwartet die Gäste. Führung durch seine Landwirtschaft mit 150 Milchkühen, der weitere Weg führt nach Hohenhain, Mittagessen im Restaurant Alte Schanze um zirka 12.30 Uhr. Nach der Mittagspause folgt die Fahrt nach Krottorf, Besuch des Wasserschlosess Krottorf mit seinem Parkgelände und der Wasserschlossanlage. Ab zirka 16 Uhr gibt es Kaffee und Kuchen in der Gaststätte „Wildenburger Hof“. Auskünfte unter Telefon (02734) 3535 und (0271) 57451. – Dank Spenden der Landesgruppe NRW und anderer landsmannschaftlicher Spender konnten erneut finanzielle Hilfen und Paketsendungen an alte und kranke Landsleute in die Heimatgebiete mitgegeben werden. Für die Empfänger ist es eine große Hilfe und das Gefühl nicht vergessen zu sein. Die ehemalige Vorsitzende Thilde Utikal (Königsbergerin) leitete die Kreisgruppe und Frauengruppe der Landsmannschaft über 20 Jahre. Sie führte bereits soziale Arbeit mit Mitglieder-Unterstützung durch, verbunden mit Besuchen im südlichen Ostpreußen bei verbliebenen Landsleuten. Der Kulturwart, seit Mitte der 70er Jahre in die landsmannschaftliche Arbeit eingebunden, führte diese Betreuungsarbeit weiter mit persönlichen Kontakten nach Ostpreußen. Die Büchersammlung in der Ostpreußenstube, in den BdV-Räumen in Siegen, Seilereiweg 19, konnte erneut durch einige beachtliche Bücherspenden erweitert werden. Die BdV-Geschäftsstelle ist jeweils mittwochs von 10-12 Uhr geöffnet. Auskünfte unter Telefon (02738) 8847.

Witten – Montag, 18. August, 15 Uhr, Evangelisch-Lutherische Kreuzgemeinde, Lutherstraße

6–10: Urlaubsberichte. Erlebnisse der Mitglieder.

 

RHEINLAND-PFALZ

Vors.: Dr. Wolfgang Thüne, Wormser Straße 22, 55276 Oppenheim.

Mainz – Jeden Freitag, 13 Uhr, Café Oase, Schönbornstraße 16, 55116: Die Gruppe trifft sich zum Kartenspielen.

 

SACHSEN-ANHALT

Vors.: Michael Gründling, Große Bauhausstraße 1, 06108 Halle, Telefon privat (0345) 2080680.

Magdeburg – Freitag, 5. August, 13.30 Uhr, Immermannstraße: Treffen der Stickerchen.

 

SCHLESWIG-HOLSTEIN

Vors.: Edmund Ferner. Geschäftsstelle: Telefon (0431) 554758, Wilhelminenstr. 47/49, 24103 Kiel.

Flensburg – Freitag, 8. August, 15 Uhr: Besichtigung und Führung durch das Schifffahrtmuseum mit Kaffeerunde. Ausstieg: Bushaltestelle schräg gegenüber dem Haus. Kosten pro Person 4 Euro zuzüglich Kaffee und Kuchen. Die Kosten für die Führung trägt die Gruppenkasse.


S. 17 Heimatarbeit

Aus den Heimatkreisen

ANGERBURG

Kreisvertreter: Kurt-Werner Sadowski. Kreisgemeinschaft Angerburg e.V., Landkreis Rotenburg (Wümme), Postfach 1440, 27344 Rotenburg (Wümme), Landkreis: Telefon (04261) 9833100, Fax (04261) 9833101.

Das Jahr 2014 steht ganz im Zeichen der Erinnerung an viele geschichtliche Ereignisse. Die Patenschaftsübernahme des Landkreises Rotenburg (Wümme) für unseren Heimatkreis durch einstimmigen Beschluss des Rotenburger Kreistages am 16. September 1954 war für uns Angerburger der erste Schritt in eine bessere Zukunft. Am 13./14. September 2014 wollen wir uns an die Patenschaftsübernahme vor 60 Jahren erinnern und dem Landkreis Rotenburg (Wümme) für die den Angerburgern in vielen Jahren gewährte Unterstützung durch möglichst guten Besuch danken. Alle Angerburger aus dem In- und Ausland sind herzlich eingeladen. Es ist auch eine gute Gelegenheit alte und neue Freunde zu treffen und sich auszutauschen. Die 60. Angerburger Tage finden in der Rotenburger Theodor-Heuß-Schule in der Gerberstraße 16 (neben dem Ratsgymnasium) statt. Eingeleitet werden die 60. Angerburger Tage am Sonnabend, 13. September, um 9 Uhr mit einer Kranzniederlegung am Patenschaftsstein neben der Angerburger Eiche beim Rotenburger Kreishaus. Anschließend tagt ab 9.30 Uhr in einer öffentlichen Sitzung im großen Sitzungssaal des Rotenburger Kreishauses die Angerburger Kreisvertretung (Delegiertenversammlung). Im Mittelpunkt der Sitzung stehen Berichte des Vorstandes sowie die Verabschiedung des Haushaltsvoranschlages für das Geschäftsjahr 2015. Es gibt somit Informationen aus erster Hand. Um 13.30 Uhr starten wir vom „Hotel am Pferdemarkt“ zu einer Kreisrundfahrt. Dafür bitten wir um einen Kostenbeitrag von unverändert 10 Euro pro Person einschließlich Kaffee/Tee und Kuchen. Die Mindestteilnehmerzahl beträgt 25. Aus organisatorischen Gründen wird um eine schriftliche Anmeldung unter Angabe der Personenzahl an Brigitte Junker, Sachsenweg 15, 22455 Hamburg, bis spätestens 31. August gebeten. Ab 15 Uhr ist die Theodor-Heuss-Schule geöffnet für Besucher, die nicht an der Busfahrt teilnehmen. Zum Abendessen (ab 18 Uhr) werden Speisen und Getränke (kleine Karte) angeboten. Der kulturelle Abend beginnt um 20 Uhr mit der Übergabe des Angerburger Kulturpreises durch den Landkreis Rotenburg (Wümme). Gestaltet wird der kulturelle Abend vom Rosenau-Trio aus Baden-Baden, dem sich ein Sektempfang anschließt. In geselliger Runde lassen wir dann den Tag ausklingen.

Am Sonntag, 14. September, sind die Räume in der Theodor-Heuss-Schule ab 9.50 Uhr geöffnet. In der Aula der Schule findet um 11 Uhr eine Feierstunde statt. Der Sprecher der Landsmannschaft Ostpreußen, Stephan Grigat, wird die Festrede halten. Wegen zu geringer Beteiligung kann leider kein Gottesdienst mehr in der Michaelskirche stattfinden. Nach der Feierstunde treffen sich die Angerburger aus Stadt und Kreis mit alten und neuen Freunden zum Gedankenaustausch. Gelegenheit zum Mittagessen besteht ebenfalls, außerdem werden Kaffee/Tee, Kuchen und auch Getränke angeboten. Am Sonnabend und Sonntag sind das Angerburger Archiv und das Angerburger Zimmer mit der Heimatsammlung von 15 bis 16 Uhr im Hause Weicheier Damm 11 in Rotenburg (Wümme) geöffnet. In der Theodor-Heuss-Schule werden Bücher, Karten, Landkarten sowie Heimatbriefe verschiedener Jahrgänge angeboten. Das vollständige Programm mit den Übernachtungsmöglichkeiten ist im Angerburger Heimatbrief Nr. 153 (Mai 2014) auf den Seiten 46/47 abgedruckt. Im Hotel am Pferdemarkt und im Helmut Tietje-Haus sind für die Angerburger einige Zimmer reserviert. Bitte geben Sie bei der Zimmerbestellung an, dass Sie die Angerburger Tage besuchen wollen. Es empfiehlt sich, die Zimmer möglichst umgehend zu bestellen. Unterstützen Sie die Arbeit der Kreisgemeinschaft durch den Besuch der 60. Angerburger Tage am 14./15. September 2014 in Rotenburg (Wümme). Bis dahin wünscht Ihnen der Vorstand eine gute Zeit.

 

ELCH-NIEDERUNG

Kreisvertreter: Manfred Romeike, Anselm-Feuerbach-Str. 6, 52146 Würselen, Telefon/Fax (02405) 73810. Geschäftsstelle: Hartmut Dawideit, Telefon (034203) 33567, Am Ring 9, 04442 Zwenkau.

Zur Sitzung der Delegiertenversammlung der KG Elchniederung e.V. lade ich hiermit ein. Die Sitzung findet am 12. September ab 14 Uhr im Hotel Esplanade in Bad Nenndorf statt. Tagesordnung: Begrüßung durch den Kreisvertreter A. Öffentlicher Teil: 1. Eröffnung der Versammlung und Feststellung der Beschlussfähigkeit, 2. Abstimmung über die Tagesordnung, 3. Protokoll der Delegiertenversammlung vom 13. September 2013, 4. Bericht des Kreisvertreters mit Aussprache, 5. Kassenbericht 2013 – Prüfung vom 23. April 2014 (Romeike/Westphal), 6. Entlastung des Vorstandes für das Jahr 2013, 7. Wirtschaftsplan 2014–2015, 8. Veranstaltungen im Jahr 2014–2015, Ostpreußentreffen M/VP in Rostock am 27. September, Deutsch-Russisches Forum vom 17. bis 20. Oktober, Nachbarschaftsgespräch in Schmalkalden am 14. März 2015, Feier 60 Jahre Patenschaft in Bad Bentheim vom 8. Bis 9. Mai 2015, Kreis- und Nachbarschaftstreffen in Bad Nenndorf vom 10. bis 13. September 2015, 9. Wahl eines Geschäftsführers, 9a. Wahl eines 2. stellvertretenden Vorsitzenden, 10. Beitrag der Arbeitsgruppe Fortbestand Elchniederung 11. Beitrag Bildarchiv, 12. Beitrag Familienforschung, 13. Verschiedenes. B. Nichtöffentlicher Teil

 

FISCHHAUSEN

Kreisvertreter: Klaus A. Lunau, Bahnhofstraße 14, 30853 Langenhagen, Stellvertreterin: Marion Gehlhaar, Telefon (040) 476070. Geschäftsstelle: Fahltskamp 30, 25421 Pinneberg, täglich erreichbar unter Telefon (04101) 22037, Postfach 17 32, 25407 Pinneberg, E-Mail:

Geschaeftsstelle@kreis-fischhausen.de. Besichtigung nach Wunsch.

Die Pillauer feiern dieses Jubilä vom 2. bis 4. August und wir laden herzlich ein in die Patenstadt Eckernförde, ins Stadthallenrestaurant, Am Exer. Sonnabend, 2. August, 16 Uhr: Sitzung im Rathaus von Eckernförde. Sonntag, 3. August, 12 Uhr: Festakt am Kurfürstendenkmal in Eckernförde-Borby. Am 2. und 3 August findet während des Treffens die Gemeinschaftsvertreterwahl statt.

Am Sonntag, 3. August, findet um 10 Uhr ein Gottesdienst mit einer 70-Jahre-Konfirmation in der ev. Kirche in Eckernförde-Borby statt. Ein ausführliches Programm für dieses Jubiläumstreffen ist über die Vorstandsmitglieder der Heimatgemeinschaft, das Rathaus Eckernförde (Frau Fock), über den Veranstaltungskalender des Touristikinfocenters in Eckernförde und aus den Kieler Nachrichten und der Eckernförder Zeitung zu erfahren. Der Vorstand wünscht von Herzen allen Pillauern, ihren Angehörigen und Freunden, dass sie bei guter Gesundheit bleiben und denjenigen, denen es vergönnt ist, sich nach Eckernförde auf den Weg zu machen, eine gute Anfahrt und ein wunderschönes Treffen.

 

GERDAUEN

Kreisvertreter: Walter Mogk, Am Eichengrund 1f, , 39629 Bismark (Altmark), Telefon (0151) 12 30 53 77, Fax (03 90 00) 5 13 17. Gst.: Doris Biewald, Blümnerstraße 32, 04229 Leipzig, Telefon (0341) 9600987, E-Mail: geschaeftsstelle@ kreis-gerdauen.de.

Viele Landsleute werden schon sehnsüchtig auf die Sommer-Ausgabe (Nr. 53) unseres Heimatbriefes „Kreis Gerdauen“ warten. Die kommt auch, allerdings in diesem Jahr etwas später als gewohnt. Grund ist, dass unser neuer Schriftleiter, der die Aufgabe gerade erst zum Jahresanfang übernommen hat, äußerst kurzfristig das Amt niedergelegt hat. Da uns lediglich das Rohmaterial übermittelt wurde, jedoch keinerlei bereits fertiggestellte Seiten, musste unser „altes“ Heimatbrief-Team, Brigitte Havertz-Krüger und Hannelore Gruschwitz, kurzerhand einspringen und „auf die Schnelle“ eine Notausgabe erstellen. Sie hat voraussichtlich 112 Seiten, ist inzwischen in den Druck gegangen und wird im August an alle in der Versandkartei enthaltenen Adressen verschickt. Wir bitten um Verständnis für die Verzögerung und mögliche – dem Zeitdruck geschuldete – Qualitätsmängel.

 

GUMBINNEN

Kreisvertreter: Eckard Steiner, Schöne Aussicht 35, 65510 Idstein / Taunus, Telefon (06126) 4173, E-Mail: eck.steiner@ pcvos.com, Internet: www.kreis-gumbinnen.de.

Die Arbeitsgemeinschaft „Ostpreußisch Platt“ besteht seit 1985. Sie wurde vom damaligen Gumbinner Kreisvorsitzenden Dietrich Goldbeck gegründet. Neben Gumbinner Landsleuten gehören zur AG Mitglieder aus den Kreisgemeinschaften Insterburg, Goldap, Tilsit, Angerapp, Schlossberg, Ebenrode und Wehlau. Zweimal im Jahr trifft man sich in Bielefeld. Siegfried Grawitter wurde im Jahre 2000 Mitglied der Arbeitsgemeinschaft und übernahm schon 2004 die verantwortliche Funktion des 1. Vorsitzenden. Die erfolgreiche Arbeit seiner Vorgänger konnte er, unterstützt von den Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft, weiterführen.

Aus zeitlichen Gründen trat Siegfried Grawitter nun vom Vorsitz der Arbeitsgemeinschaft „Ostpreußisch Platt“ zurück. Es war keine leichte Entscheidung, die er getroffen hat, aber zu seiner Einstellung gehört es, Aufgaben nur dann zu übernehmen, wenn man sie auch uneingeschränkt ausüben kann. Als Nachfolger in der Funktion des 1. Vorsitzenden wurde im April 2014 Dieter Mau gewählt. Er findet ein gutes Fundament vor, auf das er aufbauen kann. In seiner zehnjährigen Amtszeit konnte Siegfried Grawitter das 20-jährige und 25-jährige Jubiläum der Arbeitsgemeinschaft gestalten und feiern.

Neben den jährlichen Treffen der Arbeitsgemeinschaft in Bielefeld und anderen organisatorischen Aufgaben gehört auch die Zusammenarbeit mit den Archiven des Kulturzentrums Ostpreußen in Schloss Ellingen, des Forschungsinstituts Deutscher Sprachatlas Marburg und des Bundesarchivs Bayreuth dazu. Siegfried Grawitter bedankt sich bei allen Mitgliedern für die langjährige gute und erfolgreiche Zusammenarbeit. Des Weiteren wünscht er der Arbeitsgemeinschaft „Ostpreußisch Platt“ weiterhin eine erfolgreiche Arbeit zur Erhaltung der ostpreußischen Plattsprache, ein Kulturgut, das der Nachwelt erhalten bleiben muss. Denn im nächsten Jahr darf die Arbeitsgemeinschaft wieder ein Jubiläumfeiern. Dann besteht sie bereits 30 Jahre.

Dieter Mau ist ab sofort Ansprechpartner, wenn es um die Arbeitsgemeinschaft „Ostpreußisch Platt“ geht. Zu erreichen ist Dieter Mau unter folgender postalischer Anschrift: Hinter den Kämpen 2, 58730 Fröndenberg, Telefon (02378) 3663.

 

LYCK

Kreisvertreterin: Bärbel Wiesensee, Diesberg 6a, 41372 Niederkrüchten. Stellvertr. Kreisvertreter: Dieter Czudnochowski, Lärchenweg 23, 37079 Göttingen, Telefon (0551) 61665. Karteiwart: Siegmar Czerwinski, Telefon (02225) 5180, Quittenstraße 2, 53340 Meckenheim.

Oberbürgermeister Erik O. Schulz wurde am 15. Juni direkt von der Bürgerschaft Hagen gewählt und steht seit dem 23. Juni als Vorsitzender an der Spitze des Rates der Stadt Hagen. Hagen pflegt seit 1955 eine Patenschaft mit der Kreisgemeinschaft Lyck. Die Kreisvertreterin Bärbel Wiesensee bat um einen Gesprächstermin mit dem neuen Oberbürgermeister, den sie zusammen mit dem Kreisältesten Gerd Bandilla und dem Karteiwart Siegmar Czerwinski am 14. Juli wahrgenommen hat.

Gesprächspunkte waren unter anderem das diesjährige Hauptkreistreffen der Kreisgemeinschaft Lyck am 30. und 31. August in der Stadthalle, das Archiv der Kreisgemeinschaft und die Zusammenarbeit mit der Administration in Lyck [Elk]. Herr Schulz signalisierte seine Bereitschaft, die partnerschaftlichen Beziehungen weiterhin zu unterstützen und zu pflegen und er gab seine Zusage, an der Feierstunde beim Lycker Heimattreffen teilzunehmen.

Der Kreisausschuss lädt alle Lycker aus Stadt und Land zu dem diesjährigen Kreistreffen am Sonnabend, 30. August und Sonntag, 31. August, in unsere Patenstadt Hagen in Westfalen ein. Veranstaltungsort: Sinfonium der Stadthalle Hagen.

Das Treffen hat folgende Programmpunkte: Sonntag, 30. August, 13 Uhr: Tagung der Orts- und Bezirksvertreter im Ratssaal des Rathauses der Stadt Hagen, Rathausstraße 13. 14.30 Uhr: Öffentliche Kreistagsitzung, ebenfalls im Ratssaal. Tagesordnung: 1. Eröffnung, Begrüßung, Feststellung der Beschlussfähigkeit und Wahl eines Protokollführers. 2. Totengedenken. 3. Ehrungen. 4. Genehmigung der Niederschrift über die KT-Sitzung vom 1. und 2. Februar. 5. Berichte: a) aus dem Kreisausschuss, b) Kreisvertreterin, c) Karteiwart, d) Senioren und Glückwunschkartei, e) Archivbetreuerin, f) Redaktion Hagen-Lycker Brief, g) Bücherversand, h) AK Mittlere Generation, i) Gräberfürsorge. 6. Redakteur für den HLB, 7. Zusammenarbeitsvertrag mit dem Historischen Museum in Lyck. 8. Friedhof Zielhausen Zuschuss Erbe Rowlin. 9. Lyckreise 2015. 10. Haushaltsplan 2014.

11. Diesjähriges Kreistreffen.

12. Kreistreffen 2015. Eine Aufnahme weiterer Themen in die Tagesordnung ist nach Paragraph 16 der Satzung, bis spätestens eine Woche vor dem Tag der Kreistagssitzung bei der Kreisvertreterin zu beantragen. 15 Uhr: Öffnung der Stadthalle Hagen, 17 Uhr: Kranzniederlegung an den Gedenksteinen im Stadtgarten Hagen, 18 bis 19 Uhr: Möglichkeit zur Besichtigung des Archivs, Elbersufer 20. 19 Uhr: Heimatabend im Sinfonium der Stadthalle Hagen. Sonntag, 31. August, 9.30 Uhr: Öffnung der Stadthalle, 11 Uhr: Feierstunde im Sinfonium der Stadthalle, 19 Uhr: Ausklang. Der Kreisausschuss hofft, viele Landsleute in Hagen begrüßen zu können, denn solange es geht, wollen wir weiterhin zusammenarbeiten.

 

NEIDENBURG

Kreisvertreter: Jürgen Szepanek, Nachtigallenweg 43, 46459 Rees-Haldern, Tel. / Fax (02850) 1017.

Unsere Kreisgemeinschaft hat eine Schulwandkarte in den Maßen von 170 cm Höhe und 190 cm Breite erwerben können. Sie wurde 1931 zum 550-jährigen Bestehen der Stadt Neidenburg von Schulrat Paul Rathke (Neidenburg) bearbeitet. Hochinteressant sind Angaben über Höhenschichten, Laubwald, Nadelwald, Sumpf, Moor, vorzeitliche Funde und andere Angaben von großer Bedeutung. Auf dieser Karte gibt es ein Bild „Neidenburg im Mittelalter“ nach einem Entwurf von Professor O. Kloeppel, Langfuhr. Für den Umriss der Stadt wurde eine Zeichnung des Holländers D. Kemp aus dem Jahre 1602 benutzt. Ein zweites Bild zeigt „Neidenburg/Wiederaufbau nach dem Weltkrieg“ nach einer Flieger-Aufnahme der Junkers Luftbild-Zentrale Leipzig 1931 zum 550-jährigen Bestehen der Stadt. In verkleinerten Abmessungen haben wir nun Kopien anfertigen lassen. So können wir heute zwei verschiedene Exemplare anbieten. Eine begrenzte Auflage in UV-Druck auf PVC-Plane 95 Zentimeter hoch und 111 Zentimeter breit zum Selbstkostenpreis von 33 Euro ab Heimatstube Bochum oder beim Heimattreffen am 14. September in Lüneburg, oder aber per Postversand inklusive Porto und Verpackung zum Preis von

43 Euro. Als einfachere Alternative bieten wir diese Farbkarte im DIN-A4-Format faltbar und in den Maßen von 90 Zentimeter Höhe und 105 Zentimeter Breite zum Preis von 22 Euro frei Haus an. Bestellungen bitte über Telefon oder Fax an den Kreisvertreter. Sie erhalten dann umgehend die Karten zugeschickt.

 

TILSIT-RAGNIT

Kreisvertreter: Dieter Neukamm, Am Rosenbaum 48, 51570 Windeck, Telefon (02243) 2999, Fax (02243) 844199. Geschäftsstelle: Eva Lüders, Telefon/Fax (04342) 5335, Kührenerstraße 1 b, 24211 Preetz, E-Mail: Eva.lueders@arcor.de.

Die russischen Truppen befanden sich Mitte August 1914 im Raum Gumbinnen und rückten langsam in Richtung Mallwischken vor. Am 17. August kamen Flüchtlingswagen auf der Steinstraße Kauschen – Matterningken aus Richtung Gumbinnen und brachten die bisher ruhig lebende Bevölkerung in Aufregung. Am 18. August kam dann für diese beiden Orte der Fluchtbefehl. Nach damaliger Auffassung ging diese Flucht aber nur einige Dörfer weiter, vor allem über die Insterbrücke, mit deren Sprengung man gerechnet hatte. Sie wurde auch am 19. August gesprengt. Kurz nach der Abfahrt von den Höfen ritt eine russische Kavalleriepatrouille an den Fahrenden vorbei ohne sie zu behelligen. Nachdem diese in Richtung Kraupischken/Breitenstein weiterritten, machten sie nach Abgabe einiger Schüsse kurz kehrt. Inzwischen hatten deutsche Soldaten eine Verteidigungsstellung an der Inster bezogen.

Am 19. August kam das Landwehr Infanterie Regiment 4, 1. Bataillon aus Schillen bis in den Raum Kauschen. Dort wurde es in einen harten Kampf mit einer russischen Vorausabteilung verwickelt. Die Russen hatten an den Gehöften Windmühle Sachs und Sembach Kauschen Maschinengewehre in Stellung gebracht. Das Landwehr Bataillon erlitt in ganz kurzer Zeit schwere Verluste. Der Kampf spielte sich beiderseits der Chaussee im Eymenistal und Kallenfeld statt. Russische Verbände, die in Bergental gelegen hatten, griffen in den Kampf ein. Durch beiderseitigen Artilleriebeschuss brannten in Langenort, Opeln, Matterningken und Kallenfeld einige Gebäude. Spät abends zogen sich die deutschen Truppen in Richtung Kraupischken zurück. Während der Gegner den größten Teil seiner Toten und Verwundeten mitnahm, blieben die deutschen Gefallenen zunächst liegen. Sie wurden nach der Besetzung des Gebietes durch die russischen Soldaten durch die Zivilbevölkerung – 33 deutsche und zwei russische Soldaten – auf dem Kallenfelder Friedhof bestattet. In Kauschen wurden 66 deutsche Soldaten begraben. Das Kaiser-Wilhelm-Krankenhaus in Kraupischken diente als Kriegslazarett, es nahm die um Kraupischken verwundeten Soldaten beider Kriegsgegner auf. Auf dem neuen Friedhof in Kraupischken/Breitenstein liegen 83 deutsche und acht russische Soldaten, die ihren Verwundungen erlegen sind. Am 21. August wurde der Raum Kraupischken vollständig von russischen Soldaten besetzt. Nach der Schlacht von Tannenberg zogen sich die russischen Truppen fluchtartig zurück. Am 15. September marschierten deutsche Truppen, aus Belgien kommend, in Kraupischken ein. Damit war für das Kirchspiel die Besetzung im Ersten Weltkrieg vorbei.

Winfried Knocks

. Quelle: Das Kirchspiel Kraupischken-Breitenstein von Matthias Hofer und Christa Palfner, Lütjenburg 1970


S. 18 Heimatarbeit

Copernicus’ letzte Ruhestätte
Dom zu Frauenburg: Bedeutendstes Werk der Kirchenbaukunst Ostpreußens und ermländischer Bischofssitz

Weithin sichtbar nach allen Seiten überragt die auf einem Hügel gelegene, festungsartig bewehrte Domkirche zu Frauenburg [Fromburg] das gleichnamige zum Kreis Braunsberg gehörende Städtchen am Ostufer des Frischen Haffs.

Seit Jahren wird der Frauenburger Dom wieder als katholisches Gotteshaus genutzt. Die imposante Kathedrale Mariä Himmelfahrt und St. Andreas inmitten der Burganlage des 1260 gegründeten und bis 1945 bestehenden ermländischen Domstifts gilt als das bedeutendste Werk der Kirchenbaukunst im ehemaligen Ordensland Ostpreußen. Die gotische Backsteinhallenkirche repräsentiert den ermländischen Architekturstil, der sich unter dem Einfluss der Zisterzienser entwickelte. Im Mittelalter war die Wehranlage Frauenburg in das Burgennetz des Ordensstaates eingebunden, bis das Ermland infolge des Städtekriegs (1454–1466) unter die Oberhoheit der polnischen Krone kam.

Berühmt ist der Ort auch durch den 1473 geborenen Arzt und Astronomen Nikolaus Copernicus aus Thorn, der hier von 1510 bis zu seinem Tod 1543 lebte und wirkte. Hier entstand sein bahnbrechendes Werk „De revolutionibus orbium coelestium“ („Von den Umläufen der Himmelskörper“), in dem er das heliozentrische Weltbild beschrieb, das auch als kopernikanisches Weltbild bezeichnet wird.

Nicolaus Copernicus wurde im Dom beigesetzt, seine Grabstätte wurde jedoch nicht durch ein Epitaph gekennzeichnet. 1735 veranlasste das ermländische Domkapitel die Aufstellung eines marmornen Epitaphs zu Ehren von Copernicus als Ersatz für dieverloren gegangene Grabinschrift von 1581. Erst seit 2008 besteht Gewissheit über den genauen Ort seines Grabes bei einem der zahlreichen Nebenaltäre im Dom. 2005 waren an der vermeintlichen Stelle die sterblichen Überreste mit dem Schädel des dort Bestatteten entnommen worden. Durch einen DNA-Abgleich mit Haaren, die man in einem Buch von Copernicus gefunden hatte, war der Beweis erbracht. Im Burghof befindet sich das Copernicus-Museum im originalgetreu wieder aufgebauten Bischöflichen Palais, das gegen Kriegsende 1945 fast völlig zerstört worden war. Zum Museum gehört auch das im 17. Jahrhundert umgebaute Heilig-Geist-Spital nördlich der Domburg. Eine der noch vorhandenen Domherrenkurien an der inneren Festungsmauer kann ebenfalls besichtigt werden. Diese Häuser aus dem 17. und 18. Jahrhundert, von denen einzelne im Kern noch gotisch sind, bezogen die Domherren bereits zu Copernicus Lebenszeiten nur noch im Falle einer Bedrohung. Gewöhnlich bewohnten sie geräumige, mit Gärten umgebene Häuser außerhalb der Mauern. Der bis ins 17. Jahrhundert weiter ausgebaute Mauerring mit dem mehrstöckigen Eingangstor, den Rund- und Ecktürmen sowie Basteien wurde im Zweiten Weltkrieg ebenfalls beschädigt und ist um 1970 rekonstruiert worden. Der äußerlich fast vollständig wiederhergestellte Komplex gilt als die am besten erhaltene Anlage dieses Typs in Europa.

Durch Vertrag mit dem Deutschen Orden kam 1252 ein Drittel der 1243 gegründeten Diözese Ermland, das Gebiet der heutigen Kreise Braunsberg, Heilsberg, Rößel und Allenstein, unter die Herrschaft des Bischofs von Ermland und seines Domkapitels. Sitz des Bischofs war zunächst Braunsberg, ab dem 14. Jahrhundert Heilsberg. Zwischen 1260 und 1270 wurde der Sitz des Domkapitels von Braunsberg nach Frauenburg verlegt. Auf einer Anhöhe am Frischen Haff, geschützt an drei Seiten durch Schluchten und das Steilufer zum Haff, gründete das Domkapitel nach 1270 seine Residenz, wahrscheinlich innerhalb einer Erd-Holz-Befestigung aus prußischer Zeit. Am Fuß des Dombergs entstand eine Fischersiedlung, die 1310 durch den ermländischen Bischof Eberhard von Neiße lübisches Stadtrecht erhielt, kurz danach aber dem Domkapitel unterstellt wurde. Von der ersten Burganlage blieb nichts erhalten. An der Stelle der ersten Holzkirche St. Andreas begann man 1329 mit dem Bau der Kathedralkirche zur Himmelfahrt Mariens vom einschiffigen Chor her. Die Widmung durch den Namen Castrum Dominae Nostrae, „Unser Frawen Burg“, geschah zu Ehren der Jungfrau Maria, der Patronin des Deutschen Ritterordens. Im zweiten Bauabschnitt entstand das dreischiffige Langhaus von den Ausmaßen 59 zu 22 Metern. 1388 war die Vorhalle mit Giebel und der reich mit Blendarkaden geschmückten Westfassade vollendet. Die Gesamtlänge der Domkirche beträgt 99 Meter. Gemäß der Tradition der Zisterzienser wurden anstelle eines Kirchturms an den Ecken der Unterkante des steilen Satteldachs vier zierliche Ecktürme und zwei Dachreiter errichtet.

Im 17. Jahrhundert ließ Bischof Michael Stephan Radziejowski den abseits stehenden Glockenturm erbauen, genannt Radziejowski-Turm. Von der Aussichtsplattform des Turmes hat man einen prächtigen Ausblick über die Stadt und das Haff.

Die Formensprache des im Langhaus auf einfachen, achteckigen Pfeilern ruhenden gotischen Sternengewölbes entspricht dem klassischen und dem spätgotischen Stil. In den Seitenschiffen lagern die Sternengewölbe auf Dienstbündeln und profilierten geometrischen Konsolen. Von den ursprünglichen Wandmalereien sind nur vier Kirchenväter unter Baldachinen an der Nordseite erhalten. Äußerlich ist die gotische Architektur der Kirche mit ihrer reich durch Blendarkaden geschmückten Westfassade und den vier Ziertürmchen weitgehend bewahrt worden.

Aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts stammt die St.-Georg-Kapelle. 1732/33 wurde die barocke Salvatorkapelle an der Südwand angefügt. Während des schwedisch-polnischen Krieges von 1626 wurde die reiche gotische Inneneinrichtung des Doms geplündert. Sie wurde in der Mitte des 17. Jahrhunderts durch eine Neuausstattung mit einem Nebenaltar aus Marmor an jedem der 14 Pfeiler ersetzt. An den Wänden und Pfeilern befinden sich zahlreiche Epitaphien, die meisten aus Marmor. Der Hochaltar aus karpatischem Marmor ist 1750 vollendet worden. Den Altar schmückt das Hauptbild Mariae Himmelfahrt vom Dresdener Hofmaler Stefano Torelli, darüber der heiligen Andreas, Patron des Bistums Ermland. Das prachtvolle Chorgestühl mit Zinneinlagen wurde nach einem Entwurf von Christoph Peuker 1738 ausgeführt. Reste des spätmittelalterlichen Chorgestühls sind erhalten. Den Rokoko-Stil repräsentiert die Kanzel von Andreas Schmidt aus dem Jahr 1785. Die Orgel schuf der Danziger Orgelbaumeister Daniel Nidrowski 1683/84.

Wer sich, vom Dom kommend, zum Hafen begibt, von wo aus Tragflächenboote nach Kahlberg [Krynica Morska] verkehren, dem bekannten Seebad auf der Frischen Nehrung, sollte nicht versäumen, einen in einem kleinen Park aufgestellten Gedenkstein aufzusuchen. Mit einer Inschrift in deutscher und polnischer Sprache wird an die ungezählten Opfer während der Flucht über das Haff im Kriegswinter 1945 erinnert.

D. Jestrzemski


S. 19 Heimatarbeit

Kulturtradition leben und weitergeben
Kleines Ostpreußentreffen auf Schloss Burg: Generationenwechsel war ein wichtiges Thema

Ein Stückchen Mohnrolle oder ein Gläschen Bärenfang gefällig? Wie wär’s mit einem leckeren Schmalzbrot? Dabei mit Landsleuten plachandern, ein Platzkonzert und ein buntes Kulturprogramm genießen sowie eine Kundgebung anhören? Das alles und noch viel mehr bot das nunmehr 18. „Kleine Ostpreußentreffen“ auf Schloss Burg bei Solingen den zahlreich angereisten Gästen.

Im 65. Jahr ihres Bestehens lud die Landsmannschaft Ostpreußen, Landesgruppe Nordrhein-Westfalen, zur traditionellen Kulturveranstaltung ein. Landsleute, Vertreter befreundeter Landsmannschaften sowie Persönlichkeiten des politischen, kulturellen und sozialen Lebens aus Nordrhein-Westfalen waren der Einladung gefolgt und erlebten einen im wahrsten Sinne des Wortes heißen Sommersonntag im Bergischen Land.

Der Landesvorsitzende Jürgen Zauner war erfreut, dass es mit Unterstützung der vielen ehrenamtlichen Mitwirkenden aus den umliegenden landsmannschaftlichen Gruppen Wuppertal, Remscheid und Solingen sowie vor allem auch dank finanzieller Zuwendung der Bezirksregierung in Düsseldorf gelungen ist, die Kulturveranstaltung erneut abzuhalten. „Ich verkenne aber nicht“, so Jürgen Zauner, „dass dies uns immer schwerer fällt zu vertreten, denn wir, die bekennenden Ostpreußen, werden immer weniger.“

Gleichzeitig erinnerte der Landesvorsitzende daran, dass bereits 63 Jahre verstrichen sind, seit der erste Bundespräsident Theodor Heuss die Ostdeutsche Gedenkstätte auf Schloss Burg der Öffentlichkeit übergab.

Wer der Veranstaltung auf dem bergischen Plateau beiwohnte, konnte dem Geläut der Ostdeutschen Glocken lauschen und das Mahnmal der Vertreibung sowiedie Ernst-Moritz-Arndt-Bronzebüste im Innenraum der Gedenkstätte der deutschen Heimatvertriebenen im Batterieturm besichtigen.

Die diesjährige Ostpreußenbegegnung in Nordrhein-Westfalen lief unter dem Leitwort „Ostpreußen – über 3000 Jahre prußisch-preußisch-deutsche Heimat“. Die von Pfarrer Martin Lipsch aus Solingen-Wald gesprochene Andacht leitete den offiziellen Teil der Veranstaltung ein.

Beeindruckende Momente gab es beim Gedenken an die Opfer der Vertreibung mit Kranzniederlegung. „Wer im Gedächtnis seiner Lieben lebt, der ist nicht tot, der ist nur fern. Tot ist nur, wer vergessen wird“, mit diesen Worten Immanuel Kants forderte Jürgen Zauner die Anwesenden auf, die Toten aller Völker zu ehren. Und der Landesvorsitzende fügte hinzu: „Wir gedenken aller Toten, die während der über 3000-jährigen prußisch-preußisch-deutschen Historie und noch später in ostpreußische Heimaterde gebettet wurden. Stellvertretend für abertausende anonyme Schicksale von Flucht, Vergewaltigung, Vertreibung und Siegerwillkür erinnern wir heute an einen kleinen Jungen – auch ein Opfer der sogenannten vermeintlichen Befreiung Ostpreußens.“

Doch der Blick ging auch in Richtung Zukunft. Stefan Hein, der Vorsitzende des Bundes Junges Ostpreußen (BJO), stellte verschiedene Aktivitäten – darunter Seminare und Freizeiten – vor, die teilweise auch gemeinsam mit polnischen Jugendlichen stattfanden. Im BJO haben sich Ostpreußen und Freunde Ostpreußens aus der jungen und mittleren Generation zusammengefunden, denen Ostpreußen ein Anliegen ist. Sie machen aufgrund eigener Abstammung, aus historischem, politischem Interesse, aus Reiselust oder Abenteuerfreude mit. Es gilt für alle, mitzuwirken, dass ein zu schaffendes einiges Europa sich nicht um reiches Erbe bringt, dessen Verlust sich später als fataler Mangel erweisen würde. Daher darf die deutsche Geschichte Ostpreußens nicht aus vermeintlicher Opportunität relativiert oder als historisch abgeschlossene Zeit verdrängt werden. Der BJO geht weiterhin auf Entdeckungsreisen in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Auf Fahrten nach Ostpreußen und auf Ausflügen durch Deutschland wird immer wieder ein Stück Geschichte greifbar gemacht. Doch den BJO-Vorsitzenden und seine Altersgenossen interessieren natürlich auch die Perspektiven und neuen Wege, die dank der Unterstützung der Politik in einem friedvollen, vereinten Europa möglich sind.

Der Festredner Werner Jostmeier, zuständig in der CDU-Landtagsfraktion für Vertriebene und Spätaussiedler, nahm in seinem Vortrag Stellung zu den Fragen Stefan Heins. Vor dem Hintergrund der heute weltweit 45 Millionen Vertriebenen und Flüchtlinge hob Jostmeier den hohen Stellenwert der Ostpreußen sowie der 14 Millionen Heimatvertriebenen und Flüchtlinge hervor. Wer genau weiß, was es heißt, alles zu verlieren, was das frühere Leben ausgemacht hat, kann als Brückenbauer zwischen Ost und West wirken.

Jostmeier ermunterte die Anwesenden, in ihrer Arbeit und in ihrem Engagement für die Bewahrung der heimatlichen Traditionen niemals nachzulassen. Es bleibe notwendig, so der Festredner, Fakten und damit die Wahrheit gemeinsam mit den europäischen Nachbarn zu sammeln und darüber zu reden.

An den Ständen vor der Gedenkstätte wurden typische ostpreußische kulinarische Spezialitäten und Getränke, Bücher, DVDs, Landkarten und nicht zuletzt eine Auswahl an Bernstein-Schmuck angeboten. Vertreterinnen der Kreisgruppe Remscheid boten selbstgebackene Kuchen an und waren zusammen mit ihrer Vorsitzenden Irmgard Beeck frohen Mutes. Sie stellten nämlich fest, dass der BJO auch diesmal nicht nur mit seinem Informationsstand dabei war, sondern die Gäste im „Café Lorbaß“ auch mit ostpreußischem Kuchen empfing. So ist schon mal sichergestellt, dass die Backrezepte aus der Heimat erhalten bleiben.

Kompetent und überzeugend erklärte Marlies Hein, die Betreuerin der Heimatstube in Dortmund, die Eigenheiten der ostpreußischen Tracht und des passenden Bernsteinschmuckes.

Die Veranstaltung wurde erneut von den Dabringhauser Musikanten unter der Leitung von Torben Krause begleitetet. Frank Braun brachte unter anderem das Trompetensolo „Ich hatt’ einen Kameraden“ zu Gehör. Im Rahmen des von der Kulturverantwortlichen der Landesgruppe Nordrhein-Westfalen, Bärbel Beutner, moderierten und geleiteten „Bunten Reigens“ traten erstmals Mitglieder vom Soester Kultur- und Geschichtsverein der Deutschen aus Russland mit Tänzen und Volksliedern auf.

Beutner stammt aus der Nähe von Königsberg, lebt heute in Unna, besucht regelmäßig ihre Heimat und hat dort Freundschaften mit den Bewohnern geschlossen. Sie vertritt die Ansicht, dass die Landsmannschaft Ostpreußen und der Zusammenhalt auch in Zukunft – wenn die Vertreterinnen und Vertreter der Erlebnisgeneration nicht mehr da sind – dennoch weiter bestehen wird: „Ein so wichtiges Stück deutscher Kultur wird nicht einfach verschwinden. Es finden sich auch heute immer wieder junge Menschen, die Interesse an der ostpreußischen Geschichte, Kultur und Landschaft haben. Junge Historiker, Volkskundler, Architekten, Geografen und Juristen könnten dazu beitragen, dass sich die Szene ändern und vor allem verwissenschaftlichen wird, aber auf jeden Fall weiter lebt.“ Dieter Göllner


S. 20 Heimatarbeit

Spätes Wiedersehen mit der Heimat
69 Jahre nach der Flucht: Autor erhielt als Geburtstagsgeschenk Reise nach Willenberg

Nach 69 Jahren betrat ich erstmals wieder heimatlichen Boden und war erstaunt über meine Gefühle.

Bis dahin war ich immer der Meinung gewesen: „Ich möchte meine Heimat so in Erinnerung behalten, wie ich sie verlassen musste.“ Meine starken Heimatgefühle ließen mir einfach keine andere Wahl.

Wie kam ich dann aber zu einer anderen Ansicht? Nun, ich hatte Geburtstag und meine Familie schenkte mir diese Reise nach Masuren in die Heimat. Zunächst war ich widerwillig und sträubte mich. Nachdem aber meine Kinder und meine Frau mitfahren wollten, sagte ich schließlich zu. Ab dem Flughafen München gelangten wir nach knapp zwei Stunden nach Warschau, dort mieteten wir ein Leihauto, um besser beweglich zu sein. Eine Ferienwohnung hatte wir in Ortelsburg, am Haussee gelegen, bereits zuvor gemietet.

Die Vermieter Andreas und Danuta Rybaka empfingen uns sehr freundlich. Sie boten uns alle vorhandenen Annehmlichkeiten: Die Wohnung lag zirka 30 Meter vom Haussee entfernt, von der Terrasse aus mit Blick zum See und der Stadt, ein Traum masurischer Schönheit. Als ich den Sonnenuntergang sah, fühlte ich, dass ich in der Heimat angekommen und willkommen war. Es gab weder Enttäuschungen, noch Hass, Neid oder Trauer. Meine Seele sagte zu mir: „Deine Heimat lebt, sie ist da, behalte sie, liebe sie.“

Jeden Tag machten wir Ausflüge mit dem Auto nach Willenberg und Umgebung, zum Omuleffluss und zum Sawitzfluss, unternahmen Waldspaziergänge, Bootsfahrten, angelten und machten alte Gebäude ausfindig.

Alles wurde mit dem Fotoapparat festgehalten. Mit jedem Tag neuer Erlebnisse stieg unsere Begeisterung für dieses Land und die Landschaft. An der ehemaligen Grenzstelle betraten wir die Waldkultur, unglaublich schön ist der Kiefernwald, besetzt mit Wacholdersträuchern, vielen Bodenpflanzen, Blaubeersträuchern. Auf sandigem Boden sind hier und da Eichen und andere Laubbäume angesiedelt. So wie ich meine Heimat in Erinnerung hatte war sie immer noch. Die Tränen konnte ich dennoch kaum unterdrücken.

Wir fanden immer wieder Bilder in der Landschaft, die mir noch bekannt waren, wie der Weg zur Schule, Kirchen, Straßen und Plätze. Am Samsonow-Gedenkstein hatte ich oft als Kind mit anderen gespielt. Danke lieber Gott für dieses Geschenk.

Ich glaube, am 20. Januar 1945 hatte ich meine Heimat verloren und heute, nach über 69 Jahren, habe ich sie wiedergefunden. Ich bin überwältigt, das Gefühl Heimat bedeutet mir sehr viel, ja vielleicht alles.

Nach dem vierten Tag lud ich meine Familie zu einem Ausflug nach Nikolaiken ein, eine Abwechselung sollte es sein, auf dem großen Spirdingsee eine Bootsfahrt mitzumachen. Die kleine Rundfahrt dauert anderthalb Stunden und ist wunderschön. Der ehemalige größte Binnensee Deutschlands ist 22 mal 13 Kilometer groß, ringsum mit Wald besetzt, von einem dichten Schilfgürtel umrandet. Auf der Rückfahrt nach Ortelsburg sahen wir Störche auf den Wiesen oder im Nest auf den Dächern der Bauernhäuser.

Danach wurden wir von Andreas zur Masurentaufe mit Seewasser und Binsen geholt. Er sprach: „Liebet diese Landschaft und Masuren, setzt euch ein für Gerechtigkeit und Versöhnung.“

Als wir in Willenberg, Kirchenstraße 43, beim Mittagstisch saßen, erstanden vor meinem inneren Auge die Gedanken und Bilder von damals. Da war viel Aufregung und Treiben auf dieser Straße: Militär, Fahrzeuge, Gespanne und Panzer rollten in Richtung Bahnhof, Kanonendonner dröhnte in der Ferne. Aus diesen Gedanken wurde ich jäh herausgerissen, als ich wieder solche Geräusche hörte. Donner von einem Gewitter grollte, aber das Rasseln der Panzerketten gab mir die Gewissheit, dass es kein Gewitter und kein Traum war. Es waren polnische Einheiten, die eine Übung abhielten, sicherlich wegen der Ukraine-Krise.

Nach einem weiteren Besuch in Willenberg suchten wir nach alten Bauten und so suchten wir auch den alten Friedhof auf. Der war total verwildert, von Sträuchern überwuchert, Brennesseln blühten dort.

Eine meiner schönsten Erlebnisreisen ging zu Ende und ich würde sehr gerne schnell wieder hin fahren, diesmal mit mehr Zeit im Gepäck.

Siegfried Petrikowski


Es war einmal
Lehrer über einklassige Dorfschule

Wer auf dem Land groß geworden ist, kennt sie noch, die einklassige Dorfschule, in der die Schüler aller Altersgruppen gemeinsam in einem Raum unterrichtet wurden. Die Lehrer Siegfried Kirchner, Manfred Wenderoth und Egon Busch begannen Anfang der 1960er Jahre in solchen Dorfschulen ihre Laufbahn in Westdeutschland. Heiter, witzig, oft auch skurril sind die Anekdoten und Geschichten aus dieser Zeit, als der Herr Lehrer neben dem Bürgermeister und dem Pastor noch zu den hochgeachteten Persönlichkeiten im Dorf zählte. Egon Busch schildert am Ende des Buches, wie der Wandel des Schulsystems auch das Dorf erreichte. 1968 kam dann das endgültige Aus für die „Zwergenschulen“.

Mit einem Schuss jugendlicher Unbeschwertheit stand jeder der drei frischgebackenen Junglehrer damals vor einer neuen Herausforderung. Manfred Wenderoth und Egon Busch beginnen ihre Lehrerlaufbahn in Rheinland-Pfalz, Siegfried Kirchner trat seine erste Stelle in einem Dorf in Mittelfranken an. Die Drei erleben in der Folge eine Fülle ausgefallener, oft lustiger Begebenheiten. Sie erzählen im Buch von kuriosen Begebenheiten aus dem Klassenzimmer und dem Dorfalltag, von Wanderungen und Festen und von Klassenfahrten der „Landeier“ in Großstädte. Immer wieder müssen die jungen Lehrer unvorhersehbare Situationen meistern. Flexibilität ist gefragt, wenn während des Unterrichts plötzlich ein Feuer im Schulhaus ausbricht, der Kollege in der Parallelklasse aber unbedingt noch seine Hausaufgaben aufgeben möchte. Zuweilen kann der Lehrer auch nur hilflos zusehen, wie ein verwilderter großer Hund täglich die Kinder auf dem Schulhof in Angst und Schrecken versetzt. Ein andermal gefährden Jungbullen die Bundesjugendspiele im Dorf.

Ein komisches Bild gibt der Lehrer ab, der seine Klasse vom Birnbaum aus beaufsichtigt, ein anderer lernt im Biologieunterricht plötzlich selbst noch etwas dazu, als sich seine Klasse als ein Trupp erfahrener Maulwurfsjäger entpuppt. Es sind herrlich unterhaltsame Schulgeschichten, die bei den Lesern Erinnerungen an ähnliche Episoden aus der eigenen Schulzeit wecken werden. Aus den Schilderungen aller drei Autoren spricht die große Liebe zu ihrem Beruf und zu ihren Schülerinnen und Schülern. EB

Siegfried Kirchner, Manfred Wenderoth, Egon Busch: „Guten Morgen, Herr Lehrer“. Drei Dorfschullehrer erzählen. 1959–2002. Unterhaltsame und heitere Erinnerungen an die einklassige Dorfschule. 256 Seiten mit vielen Abbildungen, Ortsregister, Zeitgut Verlag, Berlin. Klappenbroschur, 10,90 Euro


S. 21 Reise

Von vielen Herren geprägt
Zahlreiche Ausgrabungsstätten und historische Orte zeugen von Santorins vielseitiger Vergangenheit

Die Inselgruppe hat weitaus mehr zu bieten als nur schöne Strände. Doch über allem thront ein Vulkan, dessen nächster Ausbruch bereits von Wissenschaftlern befürchtet wird.

Wenn es eine griechische Inselgruppe gibt, die aus der Masse der zehntausend Ägäis-Eilande heraussticht, dann ist dies der kleine Archipel von Santorin. Hier nämlich kann der Tourist den sprichwörtlichen „Tanz auf dem Vulkan“ erleben. Dazu muss er lediglich mit einem der zahlreich vorhandenen Ausflugsboote die knappe Seemeile zwischen der halbmondförmigen Hauptinsel Thira und Nea Kameni zurücklegen, was schon insofern für Beklemmungsgefühle sorgt, als es sich dabei um eine Fahrt im Inneren eines gigantischen, teilweise aufgesprengten Kraterringes handelt, dessen nahezu senkrechte Wände den Meeresspiegel um bis zu 350 Meter überragen. Zudem ist der Vulkan trotz der wassergefüllten Caldera auch keineswegs erloschen. Dies zeigt sich bei jedem Schritt auf der nur drei Quadratkilometer großen „Neuen Verbrannten“, wie die vor 500 Jahren aus dem Wasser aufgestiegene Insel Nea Kameni wörtlich übersetzt heißt: überall steigt schwefelhaltiger gelber Rauch aus dem Boden und schon wenige Zentimeter unter dem Lavageröll am Boden ist die Temperatur so hoch, dass selbst die derben Profilsohlen eines Bergstiefels nur begrenzte Überlebenschancen haben.

Natürlich kommt es auf Nea Kameni, deren brodelnder Zentralkegel die Rangliste der aktivsten Vulkane im gesamten östlichen Mittelmeerraum anführt, auch permanent zu Ausbrüchen – der letzte fand erst 1950 statt, bot aber nur ein harmloses Feuerwerk im Vergleich zu der gigantischen Minoischen Eruption, welche vor rund 3600 Jahren dafür sorgte, dass die einstmals aus einem Stück bestehende Insel Santorin zuerst explodierte und dann in sich zusammenbrach, woraufhin ein Tsunami durch die Ägäis raste, der möglicherweise das Ende der minoischen Kultur auf der 120 Kilometer entfernten Insel Kreta einläutete. Ja, einige Wissenschaftler wie der Grieche Spyridon Marionatos (1901–1974) vertraten sogar die Ansicht, Santorin sei das sagenumwobene Atlantis gewesen. Zur Klärung dieser Theorie tauchte der französische Unterwasserforscher Jacques-Yves Cousteau (1910–1997) im Laufe des Jahres 1978 mehrmals auf den lavabe- deckten Grund des 400 Meter tiefen Kratersees, wo er aber in keiner Weise fündig wurde.

Allerdings hatte der Ausbruch um 1600 v. Chr. tatsächlich eine blühende, hochentwickelte Stadt vernichtet, nämlich Akrotiri im Südwesten von Thira. Dieser minoische Außenposten versank indes nicht im Meer wie Atlantis, sondern unter einer meterdicken Bimssteinschicht. Seine an Pompeji erinnernden Reste sind seit April 2012 wieder zu besichtigen, nachdem die Ausgrabungsstätte wegen des Einsturzes eines großen, EU-geförderten Wetterdaches sieben Jahre geschlossen bleiben musste.

Ab 900 v. Chr. ließen sich dann Dorer auf der Insel nieder und gründeten hoch oben auf dem Berg Mesa Vouno die Siedlung Alt-Thira, welche zwischen 1896 und 1902 von dem preußischen Archäologen Friedrich Freiherr Hiller von Gaertringen (1864–1947) ausgegraben wurde – und zwar auf eigene Kosten. Diese Ruinenstätte ist heute ebenfalls für Touristen zugänglich, sofern selbige sich die Mühe machen, die steile Serpentinenstraße vom Badeort Kamari aus hinaufzuwandern. Der letztere entstand übrigens erst nach dem verheerenden Erdbeben vom 9. Juli 1956 als Ersatz für das völlig zerstörte Dorf Mesa Gonia und bietet genau wie das benachbarte Perissa das ganz normale mittelmeertypische Strandleben, wegen dem man nun freilich nicht unbedingt nach Santorin kommen muss.

Über den Relikten von Alt-Thira, von wo aus im 7. Jahrhundert v. Chr. Kolonisten nach Nordafrika entsandt worden waren, die dort das später so mächtige Kyrene gründeten, thront der mit 568 Metern höchste Berg der Insel namens Profitis Ilias, auf dessen marmornem Gipfel sich seit 1711 ein Kloster befindet, das neuerdings Gesellschaft in Form von Radarkuppeln bekommen hat. Ein weiteres beeindruckendes Zeugnis der reichen Geschichte der Insel, welche nacheinander unter der Oberhoheit der Athener, Ptolemäer, Römer, Byzantiner, Venezianer und Osmanen stand, ist die prächtige Bischofskirche Panagia Episkopi, welche vom byzantinischen Kaiser Alexios I. Komnenos (1048–1118) gestiftet wurde.

Und dann sind da noch die vier pittoresken Ortschaften, welche direkt auf der Kraterkante schweben und mit ihren weißen Häusern aus der Ferne den Eindruck von Schnee vermitteln: Fira, Imerovigli, Finikia und Oia. Hier finden sich praktisch überall Gelegenheiten zu spektakulären Schnappschüssen, wie sie denn auch nahezu jeden Griechenland-Reisekatalog zieren, als ob es in der gesamten Ägäis so aussehen würde wie auf Santorin, dessen Name übrigens auf die Heilige Irene (Santa Irini) und das Jahr 1207 zurückgeht, in dem die Venezianer die Inselgruppe von Byzanz übernahmen. Allerdings wird es spätestens zum Sonnenuntergang eng in den Gassen und Tavernen mit Blick auf den Kratersee und hinüber zur zweitgrößten Insel des Archipels, dem verschlafenen Thirassia mit seinen rund 300 Bewohnern auf neun Quadratkilometern – ein Eiland ohne Wasserleitung, aber mit einem offiziellen „Parkplatz“ für Maultiere.

Ähnlich urtümlich wirken die Dörfer Pyrgos und Vothonas auf Thira: Hier finden sich sehenswerte mittelalterliche Kastelle und Höhlenwohnungen, die tief in den weichen Bimsstein getrieben wurden. Ebenso lohnt der Gang durch die Weinfelder rund um Akrotiri mit ihren typischen, zu runden Kränzen zusammengeflochtenen Stöcken, welche sich in kleine Steinmulden ducken und so der Austrocknung entgehen.

Wen all dies reizt, der sollte die wohl eigentümlichste sämtlicher griechischen Inseln bald besuchen, denn möglicherweise ist es mittelfristig zu spät dafür. Wie nämlich vom ortsansässigen Institut für das Studium und die Observation des Santorini-Vulkans bekannt gegeben wurde, wölbt sich die Hauptinsel Thira seit Januar 2011 merklich auf, was die Vulkanologen damit erklären, dass sich gigantische 14 Millionen Kubikmeter heißen Magmas unter dem Archipel zusammengeballt haben – und das könnte in einigen Jahren oder Jahrzehnten zu einem ähnlich verheerenden Ausbruch führen wie damals zur Zeit der Minoer. Wolfgang Kaufmann


Auf der Suche nach Kunta Kinte
In Juffure im westafrikanischen Gambia ist die Zeit der Sklaverei noch präsent und ein wichtiger Wirtschaftszweig

Träge schleppt sich der Gambia-Fluss auf seinen letzten Kilometern dahin, ehe er in den Atlantik vor Westafrikas Küste mündet. Bis zu zehn Kilometer dehnt sich das Flussdelta in die Breite. Den winzigen gleichnamigen Staat teilt der Gambia in eine Nord- und eine Südhälfte.

Im sonst so verschlafenen Dorf Juffure am Nordufer des Gambia lassen die Fischer ihre Netze liegen und werfen rasch die Außenbordmotoren ihrer kleinen Boote an, sobald Touristen auftauchen. Ausflugsziel: James Island, eine kleine unbewohnte Insel im mangrovengesäumten Strom, eine Bastion vergangenen Horrors. Im 17. und 18. Jahrhundert deportierten britische und französische Kolonialtruppen von hier aus rund 16000 Sklaven in die „Neue Welt“ – nach Amerika und in die Karibik. Im Vergleich zum zentralen Sklavenumschlagplatz Gorée Island vor der Küste Senegals war James Island damit nur ein nachrangiger Außenposten.

Juffure und James Island sind seit Langem Wallfahrtsorte für schwarze US-Amerikaner, die auf der Suche nach ihren Wurzeln sind. Fremdenführer wie Bora Taal erzählen von der Zeit der Sklavenverschleppung, als hätte sie erst gestern geendet. „Manchmal wurden die Sklaven von Aufsehern getötet, wenn ein Fluchtversuch misslang“, erzählt Taal. „Andere kamen in die Dungeons.“

Taal zeigt auf eines der Verliese. Das alte Fort auf James Island ist längst eine Ruine. Die Geschützstellungen sind vom Tropenklima verwittert. Die unterirdischen Kerker verbreiten heute noch eine Atmosphäre kalten Grauens. In den Dungeons saßen aufsässige Sklaven ein, ohne Licht, ohne Kleidung, angekettet bei Wasser und Brot. Die in die Kerkerwände eingelassenen Eisenketten sind bis heute erhalten. Seit 2003 ist die Stätte Unesco-Weltkulturerbe.

Die Sklaverei war Teil eines Dreieckshandels: Westafrikas Häuptlinge bekamen für ihre Menschenware von den Europäern Textilien, alte Gewehre, billigen Fusel und Glasperlen, die Besitzer der überseeischen Plantagen zahlten die Europäer mir ihren Erzeugnissen aus: Zucker, Tabak, Baumwolle, Gewürze und Kaffee. Wie viele Afrikaner in der Zeit vom 15. bis zum 19. Jahrhundert versklavt wurden, ist umstritten. Die Schätzungen schwanken zwischen zehn und 60 Millionen. Ein Großteil starb bereits auf der Überfahrt an Krankheit, Entkräftung, Hunger, Durst oder durch Strafen.

Einer, der die Versklavung überlebte und dessen Geschichte Weltruhm erlangte, war der Mandingo-Junge Kunta Kinte aus Juffure. Er wurde im Jahr 1767 als 17-Jähriger beim Holzsammeln von Sklavenjägern überfallen, in Ketten nach Amerika verschleppt und dort an einen Südstaatenfarmer verkauft. Von seinen 140 Leidensgenossen auf dem Schiff sollen nur 98 die Überfahrt überlebt haben. Viermal versuchte Kinte zu fliehen, bis ihm zur Strafe ein Fuß abgehackt wurde.

Der schwarze US-Schriftsteller Alex Haley setzte dem Sklavenjungen 1976 mit der Familiensaga „Roots“ („Wurzeln“) ein literarisches Denkmal. Roman und TV-Verfilmung gingen um die Welt. Zwölf Jahre und viele Reisen nach Westafrika hatte es Haley gekostet, seine eigenen Wurzeln in Gambia zu finden und die Geschichte seines Urahns Kunta Kinte zu rekonstruieren. Wahrheit und Fiktion vermischen sich in dem Roman. Haleys Vorfahren hatten die Geschichte Kunta Kintes von Generation zu Generation weitergegeben.

Allein aus Juffure sollen im Laufe der Jahrhunderte 600 Einwohner versklavt worden sein. Dass viele von ihren eigenen Häuptlingen und Familienoberhäuptern verschachert wurden, ist im Dorf und im örtlichen Sklavereimuseum kein Thema. Manche im Ort bezweifeln auch, dass Kunta Kinte aus Juffure stammte. Dem Gedenktourismus tut das keinen Abbruch.

Die Sklavereigeschichte ist für Juffure längst ein wichtiger Wirtschaftszweig. Souvenirverkäufer, Bootsverleiher, Fremdenführer und auch der Clan der Kintes selber verdienen mit. Im Hof des Anwesens der Kinte-Nachfahren spielt ein Gitarrist gegen Bares ein Lied über Kunta Kintes Martyrium. Jahrelang wurden die Touristen zu Binta Kinte geschleust, einer inzwischen verstorbenen Cousine Haleys. Heute spinnen Fremdenführer von außerhalb der Familie den Erzählfaden weiter. Alte Fotos machen die Runde – von Alex Haleys letztem Besuch in Juffure. 1992 war das, zehn Jahre vor seinem Tod.

Vor allem Afroamerikaner werden mit viel Nostalgie bedient. Den eigenen Vorfahren kommt aber kaum einer auf die Spur. Auch Fremdenführer Bora Taal weiß wenig über seine Ahnen. „Auch meine Vorfahren müssen Opfer der Sklaverei gewesen sein“, sagt er. „Aber wir können die Spuren nicht verfolgen, weil unsere Leute ihre afrikanischen Namen nicht mehr tragen.“ Denn die meisten Sklaven nahmen in Amerika christliche Namen an. So bleiben ihnen nur das kollektive Gedenken und die Spurensuche in den Fußstapfen Alex Haleys. Kai Althoetmar

Informationen: Zur Einreise genügt der noch mindestens sechs Monate gültige Reisepass. Malaria-Prophylaxe wird dringend angeraten. Flüge unter anderem mit Royal Air Maroc (ab 680 €Euro) oder Direktflug mit TUI (ab 780 Euro). Literaturtipp: Alex Haley: „Wurzeln“, Fischer Verlag, Taschenbuch, 9,95 Euro. Weitere Informationen im Internet: www.visitthegambia.gm.


S. 22 Neue Bücher

Kaiserreich im Visier
»Spiegel« über Großen Krieg

Aus Anlass des 100. Jahrestages des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges haben die drei „Spiegel“-Mitarbeiter Annette Großbongardt, Uwe Klußmann und Joachim Mohr einen Aufsatzband herausgegeben, in dem sich insgesamt 24 Autoren des Blattes sowie ein Fachwissenschaftler zur sogenannten „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ äußern. Dabei heißt es im letzten Beitrag des Buches aus der Feder des Berliner Politologen Herfried Münkler: „Es gehört zu den Merkwürdigkeiten in der Historiografie dieses Krieges, dass gerade in Deutschland, von wo aus die Begrifflichkeit des Weltkriegs ... durchgesetzt worden ist, die globale Dimension dieses Krieges und seine globalen Folgen weithin aus dem Blick geraten sind.“ Ironischerweise ist genau das auch das Manko des „Spiegel“-Werkes: Soldaten aus 38 Staaten kämpften im Ersten Weltkrieg von Ostasien über Afrika und den Nahen Osten bis eben nach Europa gegeneinander, doch am Ende wird der Leser fast nur mit Berichten über den letztgenannten Kriegsschauplatz abgespeist. Das Ringen um die deutschen Kolonien in Afrika, China und der Südsee: Fehlanzeige. Die versuchte oder tatsächliche Indienstnahme muslimischer Verbündeter im Nahen und Mittleren Osten durch Deutsche und Briten: kein Thema. Der Kreuzerkrieg auf allen Meeren: unwichtig! Und so weiter …

Diese konventionelle Sichtweise auf den Ersten Weltkrieg ist aber nicht das einzige Ärgernis des Bandes. Ebenso stört der oftmals abwertende, ja bösartige Unterton bei der Charakterisierung der deutschen Protagonisten in Militär und Politik. Obwohl der Militärhistoriker Sönke Neitzel im Eingangsinterview ganz im Sinne von Christopher Clark klarstellt, „dass es einen Alleinschuldigen an diesem Krieg nicht gab“, wird alles unternommen, um trotzdem unterschwellig den Eindruck zu vermitteln, dass der angebliche aggressive Dilettantismus von Personen wie Schlieffen und Moltke sowie natürlich Kaiser Wilhelm II. den Ausbruch des Krieges sowie die deutsche Niederlage verursacht habe. Besonders negativ fällt in diesem Zusammenhang der Beitrag von Michael Sontheimer über die Oberste Heeresleitung auf.

Fazit: Ein über weite Strecken schlichtweg langweiliges Buch mit wenig Informationsgehalt, dessen lesenswertester Beitrag der eingangs erwähnte Essay von Münkler über den „Zerfall der Imperien“ ist. Darin heißt es unter anderem, dass „der Staat der eigentliche Gewinner des Krieges“ gewesen sei – so würde es in Deutschland ohne den Ersten Weltkrieg wohl keinen derart ausufernden Steuerstaat geben. Darüber hinaus habe der Krieg die Mittelschicht hierzulande derart unwiederbringlich geschwächt, dass man die Folgen bis heute spüren könne.

Außerdem wäre da noch der partielle Aha-Effekt, der sich beim Lesen des Aufsatzes von Norbert Pötzl einstellt. Da-rin wird geschildert, was Stalin, Hitler und Churchill zwischen 1914 und 1918 getrieben hatten: Während die beiden Letztgenannten bekanntlich mehr oder weniger lange an der Front zubrachten, „litt“ Stalin in der Verbannung bei der Jagd und dem Schwängern von minderjährigen Bauernmädchen, und als er dann 1917 endlich eingezogen werden sollte, schaffte er es, den Untauglichen zu mimen. Der spätere Generalissimus der Sowjetunion leistete also im Ersten Weltkrieg keinen einzigen Tag Wehrdienst.

Wolfgang Kaufmann

Annette Großbongardt, Uwe Klußmann und Joachim Mohr (Hrsg.): „Der Erste Weltkrieg. Die Geschichte einer Katastrophe“, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2014, geb., 302 Seiten, 19,99 Euro


Der Knall kommt am Schluss
Ehemaliger hoher EU-Beamter wagt Abrechnung mit dem Euro

Der Titel „Die Euro-Party ist vorbei. Wer bezahlt die Rechnung?“ klingt nach einer Abrechnung. Schaut man sich auch noch den Hintergrund des Autors Wolfgang Hetzer an, dann ist die Neugier groß, denn von einem ehemaligen Abteilungsleiter des Europäischen Amts für Betrugsbekämpfung OLAF und vorherigen Referatsleiter im Bundeskanzleramt erwartet man keine Abrechnung.

Doch schnell wird deutlich, dass Hetzer Kritik üben wollte, ohne jedoch in den Geruch zu kommen, EU-Kritiker zu sein. Daher lässt er überwiegend andere zu Wort kommen. Selten kommentiert er selbst, Seite um Seite hingegen gibt er wieder, wie Experten die Euro-Krise bewerten und hangelt sich hierbei an deren Ablauf entlang. So ist das Buch eine streckenweise schwer zu lesende Fleißarbeit geworden, die schwerpunktmäßig zwar Euro-Kritiker zu Wort kommen lässt, aber auch regelmäßig die Positionen derjenigen aufführt, die der Meinung sind, alles sei grundsätzlich gut. In der Folge ist Hetzers nach Abrechnung klingende Abhandlung weder Fisch noch Fleisch.

Allerdings sprechen viele vom Autor gelieferte Informationen für sich. „Nach Hochrechnungen unter Berücksichtigung der Inflation belaufen sich die deutschen Nettobelastungen in den Preisen von Anfang 2013 seit 1991 auf fast 250 Milliarden Euro. Daher ist die EU nicht erst seit dem Beginn der ,Euro-Rettung‘ in erheblichen Umfang eine Transfer- und Umverteilungsunion.“ Doch gleich danach entschärft Hetzer diese getroffene Aussage, in der er betont, dass die deutsche Wirtschaft ja vom EU-Binnenmarkt profitiere und Solidarität zwischen starken und schwachen Ländern eine gute Sache sei, die jedoch noch besser wäre, wenn die Nettobelastung der Zahlerländer proportional gleich wäre.

Auch merkt der Autor sachlich an, dass Zweifel am Euro und der EU insgesamt im Laufe der letzten Jahre als „Ausweis ,nationalistischer‘ Gesinnung denunziert“ worden seien. Und anstatt selber die EU-Rettungspolitik zu kritisieren, was offenbar sein Antrieb ist, versteckt er sich hinter anderen. So sei die Antwort der EU auf die Krise nicht ein Neubau des Systems, sondern nur als Anbau eines dauerhaften Rettungsschirms an das alte, schiefe Fundament der Währungsunion empfunden worden. Auch erwähnt er, dass „manch einer“ den Eindruck gehabt habe, dass die „verlässlich mahlende Brüsseler Verhandlungsmühle“ deutsche Stabilitätsversprechen zerrieben habe. Und „man“ könne den Eindruck haben, dass die Politiker versuchten, die Schuld für die Euro-Krise Spekulanten zuzuschreiben, statt Verantwortung für die Mittäterschaft zu übernehmen.

Bei einem Thema, bei dem er sich selber auskennt, nämlich der EU-Betrugsbehörde OLAF, beruft er sich aber aus gutem Grund auf einen Rechtswissenschaftler, der sich gewundert habe, dass das Amt im Falle der von Griechenland falsch gemeldeten Zahlen an die EU-Behörden kein Ermittlungsverfahren gestartet habe, dabei hätte dies doch dem Schutz der finanziellen Interessen der EU gedient. Worauf dieser dann den Schluss zieht, dass die EU zur Selbstkritik unfähig sei und somit selbst völliges Versagen der EU-Kommission folgenlos bleibe. Somit könnten die EU-Bürger wählen, wen sie wollten, am Ende säße da immer wieder eine EU-Bürokratie, mit der sie sich nicht mehr identifizierten. Hier kann man Hetzer dafür loben, dass er auch entschiedenen EU-Kritikern ein Forum bietet.

Doch kaum ist der Autor derart vorgeprescht, zieht er sich schnell wieder auf Linie zurück. In seinen 30 Thesen zur Zukunft Europas spricht er dann auch vom „überkommenen Souveränitätsbegriff der Nationalstaaten“ und betont, dass die Mitgliedstaaten Teile einer Schicksalsgemeinschaft seien. Nach einigem EU-Lob folgt bald jedoch wieder knackige Euro-Kritik. Und während der Leser sich noch verwirrt fragt, was der Autor denn nun schlussendlich bezwecken will, wagt sich Hetzer mit seinen letzten Sätzen dann doch überraschend weit vor: „Es gibt immer eine Alternative: Europa kann und wird scheitern, wenn seine Völker zulassen, dass inkompetente Politiker, Teile von selbsternannten und selbstsüchtigen Eliten, asoziale Wirtschaftsführer und unregulierte Finanzmärkte eine Allianz gegen die vitalen Interessen der Menschen eines ganzen Kontinents bilden und wenn seine Bürger nicht stärker und entschlossener ihre ,Eigenmacht‘ dagegensetzen.“

Rebecca Bellano

Wolfgang Hetzer: „Die Euro-Party ist vorbei. Wer bezahlt die Rechnung?“, Westend, Frankfurt am Main 2014, geb., 415 Seiten, 22,99 Euro


Soldaten auf Sinnsuche
Militärs über ihr Selbstbild, das Fremdbild und das Feindbild

Vergleichsweise trockene Kost, nichtsdestoweniger jedoch wichtig, ist der Sammelband „Soldatentum“. Darin begeben sich 15 Soldaten und Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen auf die Suche nach Identität und Berufung der Bundeswehrsoldaten von heute. Diese Betrachtung ist notwendig, haben die deutschen Streitkräfte in den vergangenen 20 Jahren auf dem Weg von der Landesverteidigungs- zur Einsatzarmee doch einen atemberaubenden Wandel vollzogen. Was bei all den Reformen, Transformationen und der derzeitigen „Neuausrichtung“ der Bundeswehr auf ihren Hauptdaseinszweck Einsatz indes auf der Strecke geblieben ist, sind klare Aussagen zur Legitimation soldatischen Dienens in Zeiten, in denen wir nach Aussagen der Politik „ausschließlich von Freunden umgeben“ sind. Die He-rausgeber des Sammelbandes sind drei aktive Offiziere, noch so jung an Jahren, dass sie Wehrdienst in einer bipolaren, atomar hochgerüsteten Welt nur noch aus Erzählungen kennen. Für sie ist es selbstverständlich, dass die Erfüllung ihrer Eidespflicht bedeutet, für außen- und sicherheitspolitische Ziele irgendwo auf der Welt zu töten und getötet zu werden. Dass gerade sie dieses Buch initiiert haben, zeigt, wie sehr die Soldaten von heute ein von Politik und Gesellschaft vermitteltes geistiges Gerüst für ihren Dienst vermissen.

Die Autoren des Sammelbandes nähern sich dem Thema unter den Gesichtspunkten Selbstbild, Fremdbild und Feindbild. Geht es im ersten Teil um die Sicht auf das eigene Berufsbild, das sich zwischen klassischem Vaterlandsverteidiger und technokratischem Sicherheitsdienstleister bewegt, behandelt der zweite Teil das Bild der Bundeswehr in der Öffentlichkeit und damit das schwierige Verhältnis der deutschen Gesellschaft zu „ihren“ Soldaten. Im Kapitel „Feindbilder“ geht es zunächst um den Soldaten als Feindbild der die Gesellschaft lange beherrschenden pazifistischen Leitidee, auf das die Bundeswehr mit der widersinnigen Schaffung des Bildes vom Soldaten als Friedenskämpfer reagiert hat. Thema des nächsten Beitrages ist das „echte“ Feindbild des Soldaten, das sich im Laufe der letzten Jahre vom Werkzeug eines feindlichen Staates zum Partisanen, Milizionär und Stammeskrieger gewandelt hat. Den Abschluss bildet eine Begründung für die Notwendigkeit von Feinden auch für demokratische Systeme, da diese selbst zu Feinden auserkoren und somit in die Unterscheidung von Freund und Feind gezwungen würden.

Auch wenn die Autoren des Sammelbandes die gegenwärtige Lage von Militär und Gesellschaft analysieren und Wege zu einer zeitgemäßen Begründung des militärischen Dienens beleuchten, vermögen sie keine gültigen Antworten auf die Frage nach Identität und Berufung des Soldaten von heute zu geben. Sie geben mit ihren Überlegungen aber einen hilfreichen Anstoß zu einer durchaus wichtigen politischen und gesellschaftlichen Dis-kussion.

Jedem, der wissen will, was Krieg unter den heutigen sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen bedeutet, sei dieses Buch nachdrücklich empfohlen.

Jan Heitmann

Martin Böcker, Larsen Kempf und Felix Springer: „Soldatentum. Auf der Suche nach Identität und Berufung“, Olzog, München 2013, geb., 224 Seiten, 24,90 Euro


Wieso die Philosophie abgewirtschaftet hat
Züricher Professor versucht zu erklären, warum die Geisteswissenschaft an Bedeutung verloren hat

Außerhalb der Hochschulen spielt die akademische Philosophie als „Sachwalterin der natürlichen, göttlichen, weltgeistlichen oder diskursiven Vernunft“ kaum noch eine Rolle, erklärt der 1961 geborene Züricher Philosophieprofessor Michael Hampe in seinem neuen Buch „Die Lehren der Philosophie“. Es fehlt ein Untertitel, um auf ein Anliegen des Autors hinzuweisen, das dem Buchtitel nicht zu entnehmen ist, sich aber aus seinen Analysen ergibt und für ihn persönlich offenbar eine hohe Priorität hat. In seiner brillanten Abhandlung unternimmt Hampe einen lehrbuchartigen Streifzug durch die Philosophiegeschichte und kommt zu einem alarmierenden Ergebnis, den Zustand der akademischen Philosophie betreffend. Dabei bedient er sich der Fachsprache seines Sachgebiets, wodurch der Text natürlich für den Durchschnittsleser schwer verständlich wurde. Der Autor muss sich daher fragen lassen, wie denn der Misere der Philosophie und der Geisteswissenschaften insgesamt beizukommen sei, wenn sich die Wortwahl seiner und anderer geisteswissenschaftlicher Fachdisziplinen derart gravierend von der stark reduzierten Sprache der Smartphone- und Internet-Nutzer, also der Allgemeinheit, abhebt.

Hampes Meinung nach hat die Philosophie sozusagen abgewirtschaftet, da die meisten akademischen Philosophen sich noch immer als Vertreter von „Schulen“ verstünden und andere belehren wollten, sich aber nicht als Praktiker verstünden, die der Kunst des Nachdenkens nachgehen und anderen helfen, sie zu verstehen. Weder die Wissenschaft noch die Kunst oder die Politik würden von der Philosophie noch gedankliche Impulse erwarten.

Interessant ist die Verbindung seiner Kritik der doktrinären Philosophie mit einer fundamentalen Kapitalismuskritik, die aus dem Hintergrund seiner Ausführungen des Öfteren auftaucht. Da die Lehren der Philosophen überwiegend auf Behauptungen beruhten, seien sie übertönt worden von den Behauptungen der Wissenschaft, so Hampe. Daran habe „der globale Kapitalismus“ mit seiner Erzählung vom Menschen als Marktteilnehmer anknüpfen können. Der globale Kapitalismus verstehe sich als wissenschaftliches Mittel zur Erzeugung von Finanzprodukten; durch Sprache, Erziehung und Ausbildung habe er diese Deutungsmuster zur Realität gemacht. Infolgedessen habe „das als Ressource dienende Einzelwesen, der Mensch, weder Gestalt noch Geschichte, sondern aufgrund der ihm zugeschriebenen Eigenschaften einen relativen Wert auf einem Markt“. Hampe spricht auch vom Bankrott des Humanismus, was ein besseres, weil weiter gefasstes Erklärungsmuster ergibt.

Wie kann, wie sollte die Philosophie darauf reagieren? Durch unterhaltende Literatur, meint der Autor. Dichtkunst sei „Erzählen, ohne zu behaupten“, sie rege die Menschen an, die Wirklichkeit mit den Augen anderer wahrzunehmen. So wie J. M. Coetzee in seinem romanhaften Lehrstück „Elisabeth Costello“ (2003). Seine fiktive Heldin, die 1928 geborene Erfolgsautorin Elisabeth Costello, beschäftigt sich in ihren Romanen mit philosophischen Fragen, mit Nächstenliebe und dem Verhältnis von Tier und Mensch. Die Art und Weise, wie Coetzee die an der Philosophie Interessierten erzieht, findet Hampe vorbildlich.

Dagmar Jestrzemki

Michael Hampe: „Die Lehren der Philosophie“, Suhrkamp, Berlin 2014, geb., 455 Seiten, 24,95 Euro


S. 23 Rautenberg Buchhandlung

Rautenberg Buchhandlung


S. 24 Panorama

Der Wochenrückblick mit Hans Heckel
Willkommen im Mittelalter! / Warum die nächste WM gleich in Katar stattfinden sollte, wieso das niemand ablehnen dürfte, und welche Fragen wir nicht mehr stellen

Endlich werden Nägel mit Köpfen gemacht: Führende Politiker der Union fordern, dass wir den Russen die Fußball-WM 2018 wieder wegnehmen. Als Strafe für alles, was die US-Geheimdienste an Beweisen zu Putins Untaten in der Ukraine ins Fenster gestellt haben.

Einige meinen schon, Deutschland, dessen Anlagen von 2006 noch gut in Schuss sind, könnte sich ja bewerben als Ersatz für die finsteren Moskowiter. Aber warum denn? 2022 wäre Katar dran, und da bauen die ja schon ganz eifrig. Wenn man die Peitsche nur noch etwas schwungvoller auf den Rücken der Sklavenarbeiter am Golf tanzen ließe, werden sie vielleicht schon vier Jahre früher fertig. Alles eine Frage der Motivation der Arbeiter.

Von Motivation verstehen die Kataris eine ganze Menge. In aller Herren Länder motivieren sie islamistische Gruppen wie die Moslembrüder, immer noch etwas härter zuzupacken bei der Ausmerzung des Unglaubens. Hinter einer endlosen Reihe von Fanatikerzellen weltweit steckt katarisches Geld. Nach Informationen der syrisch-katholischen Kirche auch hinter der Gruppe „Islamischer Staat“, kurz IS, besser unter dem bisherigen Namen Isis bekannt. Die mordet sich gerade durch Syrien und Irak.

Beste Voraussetzungen also für eine „Fußballweltmeisterschaft des interreligiösen Dialogs und der Toleranz“ in dem Golf-Emirat. Dort hätten wir die WM gern schon vier Jahre früher, statt unsere Goldjungs 2018 bei diesen undurchsichtigen Russen kicken zu lassen. Da ist ja nicht bloß diese Ukraine-Sache. Auch mit den Menschenrechten soll es hapern bei den Russen und überdies hegen Beobachter Zweifel, dass es bei den Wahlen dort immer mit rechten Dingen zugeht. Katar dagegen ist von jedem Verdacht der Wahlfälschung frei. Es gibt nämlich gar keine Wahlen, das Emirat ist eine absolute Monarchie, der auch die Medien zu gehorchen haben. Und was Menschenrechte sind, steht in der Scharia, dem islamischen Recht, das in Katar gilt.

Also jetzt mal wieder nüchtern werden: Soll das ein Witz sein? An so ein Land vergeben sie die WM, und an Russland werden „Zweifel“ laut? Ja, genauso ist das. Und wissen Sie warum? Nein?

Der Trick geht ganz einfach. Wer Katar kritisiert, kann es gar nicht vermeiden, irgendwann auch am Islam entlang zu schrammen. Denn praktisch alles, was mit dem Rechtssystem und der Kultur des Landes zu tun hat, ist aufs Engste mit jener Religion verflochten, meist sogar direkt aus ihr hergeleitet.

Sollten Sie also der verwegenen Idee verfallen, an Katar als WM-Ausrichter herum zu nörgeln, haben wir Sie sofort als „Islamhasser“ beim Wickel. Denn Kritik am Islam ist verboten.

Haben Sie es nicht bemerkt? Wir sind Zeugen eines Epochenwechsels: Der kalte Wind der Aufklärung, der seit der frühen Neuzeit über Europa fegte, beginnt, sich sachte aber stetig zu legen. Der wohlige Muff des Mittelalters breitet sich statt seiner wieder aus.

Die Aufklärung hatte die ungemütliche Regel mitgebracht, dass alles und jeder kritisiert werden durfte: Herrscher und Systeme, wissenschaftliche Gewissheiten, Überzeugungen und – ja: auch Religionen. Das war vorher undenkbar. Wer nicht gläubig war, der hatte wenigstens so zu tun. Oder er hatte wenigstens die Klappe zu halten. Spätestens seit dem 19. Jahrhundert dagegen konnte man Religion ganz offen attackieren, ja, sie sogar als gefährlich verdammen oder als Volksverdummung (Karl Marx: „Religion ist Opium für das Volk“) verachten. Ganz öffentlich.

Das war einmal, das haben wir hinter uns. Eine Religion öffentlich in Gänze abzulehnen, ist nicht mehr statthaft, denn „wer eine Religion pauschal ablehnt, der stellt sich gegen Millionen und Milliarden von Menschen, die in ihrer überwältigenden Mehrheit friedlich leben“.

Das Zitat habe ich von Kai Diekmann, dem Chefredakteur der „Bild“-Zeitung. Im Verlagshaus Springer tobt gerade heftiger Tumult, weil der Vizechef der „Bild am Sonntag“, Nicolaus Fest, geschrieben hatte, „der Islam stört mich immer mehr“ wegen der „weit überproportionale(n) Kriminalität von Jugendlichen mit muslimischem Hintergrund“ und der „totschlagbereite(n) Verachtung ... für Frauen und Homosexuelle“. Fest mag auch „Zwangsheiraten, ,Friedensrichter‘, ,Ehrenmorde‘ “ nicht, die er mit dem Islam in Verbindung bringt, ebenso wie „antisemitische Pogrome“. Wegen seiner gesammelten Eigenschaften, wie Fest sie sieht, sei der Islam ein „Integrationshindernis“, was man „bei Asyl und Zuwanderung ausdrücklich berücksichtigen“ sollte.

Nachdem das am Sonntag in Fests Blatt gestanden hatte, brach ein Sturm los. „Gruselig“ und „dumm“ findet die „taz“ den Fest-Kommentar, der Autor sei ein „Idiot“. Und „Bild“-Chef Diekmann lässt keinen Zweifel, dass in seinem Hause „kein Raum“ sei für Fests Meinung. Der „Tagesspiegel“ treibt es ganz geschickt und erklärt Fests „Islamhass“ listig selbst zur „Religion“ deutscher „Rassisten“.

Letzteres ist besonders aufschlussreich: Es war kennzeichnend fürs Mittelalter, dass Unterschiede der Anschauungen fast immer religiös definiert waren: Moslem oder Christ etwa. Selbst in der Wissenschaft war neben der Sache auch immer enorm wichtig, ob eine These gottgefällig war oder nicht. Im Zeitalter der Aufklärung hingegen stritten die Protagonisten nur noch um politische und wissenschaftliche Anschauungen und ließen die Religion in der Kirche. Die „Tagesspiegel“-Kommentatorin steht indes wieder dermaßen tief im Mittelalter, dass sie sich selbst die Ablehnung einer Religion nicht anders erklären kann denn als Ausdruck einer weiteren Glaubensrichtung, die sie mal kurz die „Religion der Islamhasser“ tauft.

Orthodoxe islamische Geistliche und Prediger dürfen sich in ihrem Erfolg sonnen. Ohne dass wir es merken, haben sie unser Denken zurückmanipuliert in jene längst überwundene Epoche, in der sie sowieso am liebsten gelebt hätten. Nur ein paar Wörter mussten sie austauschen, damit es nicht so auffällt, denn die neuen Mittelaltermenschen kommen sich selbst unverdrossen vor wie die Spitze des Fortschritts. Ein Irrtum, den sie unbedingt beibehalten müssen, damit sie auch weiter so gut funktionieren.

Daher heißt es nicht mehr „Ketzerei“, wenn jemand die (selbstredend einzig wahre) Religion aufs Korn nimmt, sondern „Verletzung der Gefühle von Millionen und Milliarden friedlicher ...“ Und was im ersten Durchlauf des Mittelalters noch als Bannspruch unfehlbarer Religionsführer dekretiert wurde, das wird uns heute als „Regeln der Toleranz“ aufgepresst.

Dass es letztlich das Gleiche ist, beweist der Umgang mit kritischen Fragen. Wenn wir beispielsweise von Greueltaten muslimischer Gruppen gehört haben, wird verlesen, dass „der Islam“ eine „Religion des Friedens“ sei und die Totschläger nur irregeleitete Abweichler. Wenn jemand dann nachweist, dass der Islam sehr wohl gewaltgeneigte Aspekte aufweist, dann wird er barsch zurechtgewiesen, dass es „den“ Islam gar nicht gebe, sondern nur eine „bunte Vielfalt ganz unterschiedlicher Richtungen“.

Da juckt natürlich die Frage auf der Zunge: Wie kann „der“ Islam eine Religion des Friedens sein, wenn es „den“ Islam gar nicht gibt? Sehen Sie: Aber genau diese Frage stellen wir selbstverständlich nicht, weil wir als Menschen des neuen Mittelalters längst gelernt haben, dass es sich nicht gehört, auf solch freche Weise in den Ratschlüssen der Großen her­umzufummeln, wie wir es noch in der Zeit der verfluchten Aufklärung getan hätten.

Nicht nur unser Reden können wir mittlerweile perfekt kontrollieren, auch unser Gehör. Als die Männer des IS neulich verkündeten, dass sie bis 2020 Madrid erobern wollen, haben wir das vielleicht vernommen, aber gehört haben wir es im eigentlichen Sinne trotzdem nicht. Wenn doch, dann machen wir uns sofort selber klar, dass das mit „dem“ Islam ja gar nichts ... Sie wissen schon.


MELDUNGEN / ZUR PERSON

Neue Runde im Maut-Desaster

Berlin – Stand Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) bereits wegen seines Entwurfes zur Pkw-Maut im Kreuzfeuer der Kritik, so belastet nun auch das Pendant für Lastwagen seinen Ruf. „Dobrindt will Lkw-Maut senken“, vermeldeten nun Medien und kritisierten den Minister dafür, dass so Mindereinnahmen in Höhe von 460 Millionen Euro von 2015 bis 2017 auf den Bund zukämen. Richtiger wäre jedoch die Überschrift gewesen „EU zwingt zur Senkung der Lkw-Maut“. Dobrindt setzt nur um, was Brüssel verlangt. Bel

 

Österreich: Flirt mit EU-Austritt

Linz – Erstmals hat sich eine knappe Mehrheit in Österreich für einen Austritt aus der EU ausgesprochen. Bei einer Umfrage des IMAS-Instituts bei 1004 Österreichern stimmten 46 Prozent der Befragten der Frage, ob Österreich wieder aus der EU austreten solle, voll oder teilweise zu. Nur 44 Prozent hingegen tendierten zu den Optionen „eher nicht“ und „gar nicht“. Bel

 

Islamisierung als Ziel

Man stelle sich einen Schwimmwettbewerb vor“, zitiert die „FAZ“ den Kolumnisten Mehmet Türker, „und einer der Schwimmer hat einen Motor am Hinterteil befestigt.“ Gemeint ist der türkische Ministerpräsident Tayyip Recep Erdogan, der sich dieser Tage seinen Landsleuten zur Wahl als Präsident stellt. Als Ministerpräsident darf er nicht erneut kandieren, doch nutzt er sein Amt, um Wahlkampf für sich zu machen und so ist er derzeit in türkischen Medien noch präsenter als sonst.

Kurzfristig wurde er jedoch von seinem Wegbegleiter und Stellvertreter auf dem Posten des Ministerpräsidenten, Bülent Arinç, aus den Schlagzeilen verdrängt. Dieser hatte mit der Kritik an der Heiterkeit von Frauen doch ein selbst für türkische Verhältnisse heikles Thema angesprochen. „Wo sind unsere Mädchen, die leicht erröten, ihren Kopf senken und die Augen abwenden, wenn wir in ihre Gesichter schauen, und somit zu einem Symbol der Keuschheit werden?“, sehnte er sich zurück in Zeiten, in denen Frauen im Koran lasen, statt via Handy Tratsch auszutauschen und mit ihrem lauten Lachen zum Verfall der Moral beizutragen, so der Verfechter des Kopftuches.

Da Arinç wie Erdogan mit zu den Gründern der Partei AKP gehört und er Erdogans Islamisierungskurs mitträgt und sogar verstärkt, wird spekuliert, ob der Rechtswissenschaftler diese Äußerung bewusst wenige Tage vor der Wahl getätigt hat, um so die ultrareligiösen Kreise im Land anzusprechen und auf die AKP und Erdogan einzuschwören. Es würde zu Arinç passen, der weiß, was seine jeweiligen Zuhörer hören wollen. 2012 bei einem Vortrag bei der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung erzählte er, wie wichtig ihm der Schutz religiöser Minderheiten sei, daheim aber lässt er Kirchen in Moscheen umwandeln. Bel


MEINUNGEN

Alexander Marguier entgegnet Ex-Präsident Christian Wulff, der seine Aussage von 2010, der „Islam gehört zu Deutschland“, in diesen Tagen noch einmal bekräftigte, im Magazin „Cicero“ vom 23. Juli:

„,Der Islam‘ umfasst keineswegs nur die Millionen friedlichen, friedliebenden und den verfassungsrechtlichen Wertekonsens respektierenden Muslime in Deutschland, sondern alle Facetten einer Religion, die dort, wo sie zur vollen Entfaltung kommt, verlässlich ihre totalitären Züge zeigt ... Wer also behauptet, ,der Islam‘ gehöre zu Deutschland, der sollte ehrlicherweise hinzufügen, dass dann auch die in dieser Religion endemische Gewaltverherrlichung, Antisemitismus und ein gelinde gesagt ungeklärtes Verhältnis zu Demokratie, Menschenrechten und Freiheit ,zu Deutschland gehören‘.“

 

 

Die „Wirtschaftswoche“ (25. Juli) sieht Deutschland auf dem gleichen Weg wie Argentinien. Dazu zitiert sie Peter Ramsauer (CSU), Präsident des Wirtschaftsausschusses im Bundestag, der warnt:

„Wir sind dabei, unsere Energiekosten zu erhöhen, unsere Sozialkosten zu erhöhen und unsere Investitionen herunterzufahren. Damit gefährden wir die Wettbewerbsfähigkeit und Zukunft Deutschlands.“

 

 

Daniel Eckert verwahrt sich in der „Welt“ (28. Juli) dagegen, dass der Staat so tut, als „schenke“ er durch Steuererleichterungen oder „Steuerschlupflöcher“ den Menschen Geld:

„Das Wort von den ,Steuergeschenken‘ ist entlarvend. Als ob der Staat die Bürger beschenken würde, wenn er ihnen etwas weniger von ihrem eigenen verdienten Geld abzieht, das er zur Umverteilung einsetzen kann.“

 

 

Der ehemalige verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU, Willy Wimmer, äußert sich im Internet-Portal „Telepolis“ am 26. Juli entsetzt über die ausufernde Propaganda gegen Russland und Putin:

„Jetzt reicht es, wenn man Bilder wie die in der aktuellen Ausgabe des amerikanischen Magazins ,Newsweek‘ sieht, die den russischen Präsidenten Putin zeigen. Die Visagen aus dem (US-Horrorfilm) ,Schweigen der Lämmer‘ sind nichts dagegen. ,Newsweek‘ nimmt damit rechtzeitig zur Erinnerung an die einhundertste Wiederkehr des Kriegsausbruches 1914 eine Tradition auf, die sich auch schon einmal den deutschen Kaiser Wilhelm II. vorgenommen hatte.“

 

 

Der UN-Sonderbeauftragte für den Aufbau von Afghanistan, John F. Sopko, kritisiert im „Handelsblatt“ vom 28. Juli, dass die USA zwar Milliarden in Afghanistan investiert, aber an einen sinnvollen Einsatz des Geldes nicht geachtet hätten:

„Ich war gerade in Kandahar, dort gibt es keinen Strom. Man würde doch glauben, dass es Pläne gegeben hätte, ein Stromnetz in allen wichtigen Städten aufzubauen, und dass dies Priorität genossen hätte ... Und wer ist in der US-Regierung auf die brillante Idee gekommen, den Afghanen Sojabohnen schmack-haft zu machen? Die Afghanen essen kein Soja, es gibt für Soja keinen Markt. Trotzdem wollen wir einen schaffen.“