28.03.2024

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Preußische Allgemeine Zeitung - Aktuelle Ausgabe

© Preußische Allgemeine Zeitung Folge 30/15 vom 25.07.2015

S. 1 Preußische Allgemeine Zeitung

Die Saat der Lüge
Asylflut: Die Unzufriedenheit wächst – Seehofer: Parteienstatik in Gefahr

Die Zuwandererflut steigt und steigt, doch die Politik zeigt sich stur und herrisch gegen Kritiker. Das könnte sich bitter rächen.

Bislang quittieren die Deutschen den explosionsartig ansteigenden Zustrom von Asylbewerbern, Flüchtlingen und illegal Einreisenden mit einem erstaunlichen Gleichmut – zumindest oberflächlich betrachtet. Laut einer Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) hat die Sorge um die Massenzuwanderung zwar erstmals seit 22 Jahren die Furcht um den Arbeitsplatz von Platz eins der Ängste der Bundesbürger verdrängt.

Dabei sorgten sich die Befragten aber vor allem um eine bessere Integration und die Bekämpfung von Ausländerfeindlichkeit, so die GfK. Antworten, in denen die Ausweisung von Asylbewerbern gefordert werde, nehmen laut GfK dagegen seit Jahren ab.

Inwieweit die Befragten ehrlich geantwortet oder sich dem Druck der „Politischen Korrektheit“ gebeugt haben, ist schwer auszumachen. Das Problem vieler Deutscher besteht darin, dass eine sachliche Debatte von Medien und Politik kaum zugelassen wird. Jede Kritik, jede Differenzierung zwischen illegal Eingereisten und wirklichen Flüchtlingen wird unter den Bann des Rassismusverdachts gestellt und praktisch unmöglich gemacht.

Das Kalkül hinter dieser Meinungsunterdrückung scheint bislang aufzugehen. Die Masse der Unzufriedenen murrt im Stillen, duckt sich aber weg, sobald ein Journalist oder ein Umfrageteam sie nach ihrer Meinung fragt.

Wer indes eine sachliche Debatte unterdrückt, der läuft Gefahr, eine rabiate, unsachliche Auseinandersetzung heraufzubeschwören, sobald der Problemdruck den kritischen Punkt überschritten hat, an dem die Furcht vor der politischen Ächtung durch die Mächtigen zurücktritt hinter die Wut über eine verfehlte Politik.

Den Grundstein für eine unappetitliche Auseinandersetzung haben Medien und Politik selbst gelegt, indem sie die Differenzierung zwischen Asylbewerbern, echten Flüchtlingen und bloß illegal Eingereisten mutwillig untergepflügt haben. Pauschal reden sie von „Flüchtlingen“, was eine Lüge ist, denn diese stellen nur eine Minderheit der Zuwanderer. Es steht zu befürchten, dass aufgebrachte Bürger diesen Unterschied dereinst auch nicht mehr machen. Leidtragende wären wahre Flüchtlinge und Asylberechtigte.

Dafür, dass der Druck steigen wird, sorgen schon die europäischen Nachbarn. In Italien und Tschechien kam es bereits zu Unruhen, ein EU-Land nach dem anderen ergreift Maßnahmen, um den Strom der Zuwanderer auf andere, also vor allem auf Deutschland, umzulenken.

Horst Seehofer zeigt angesichts dessen erste Anzeichen von Panik. Das Thema könne die „Parteienstatik verändern“, warnt der CSU-Chef, sprich: das politische Gefüge der Republik erschüttern. Die übrigen etablierten Parteien wären gut beraten, die Warnung ernst zu nehmen. Hans Heckel


Passagiere werden »gläsern«
EU-Parlament billigt umstrittene Fluggastdatenspeicherung

Das EU-Parlament hat die Einführung der umstrittenen Fluggastdatenspeicherung gebilligt. Mit 32 gegen 27 Stimmen verabschiedete der Innenausschuss am Mittwoch der vergangenen Woche einen Kompromisstext, der die Speicherung und Nutzung der Daten „zum Kampf gegen Terrorismus und schwerwiegendes, grenzüberschreitendes Verbrechen“ ermöglicht. Danach werden Passa- gierdaten nur bei Flügen von und in die EU, aber nicht bei Verbindungen zwischen EU-Ländern gesammelt. Gespeichert werden Informationen wie Reiseziele, Bank- oder Kreditkartendaten, Hotelbuchungen mit dem vollem Namen des Reisenden für 30 Tage, danach für bis zu fünf weitere Jahre, wobei die personenbezogenen Daten „ausgeblendet“ werden. Angaben, die eine Identifizierung des Reisenden erlauben, sind dann nur noch für bestimmte Sicherheitsbeamte zugänglich. Als nächsten Schritt verhandelt das Parlament über einen Gesetzestext mit dem EU-Rat und der EU-Kommission, die unter anderem längere Fristen für die uneingeschränkte Verfügbarkeit der sogenannten Klardaten mit Personenbezug wollen.

Die konservativen Abgeordneten begrüßen den Kompromiss, kritisieren allerdings die Beschränkung auf internationale Flüge. Während sie sich eine Datenspeicherung auch bei innereuropäischen und Inlandsflügen gewünscht hätten, kritisieren Grüne und Linke das ganze Vorhaben als „anlasslose Massenüberwachung“, durch die alle Fluggäste unter Generalverdacht gestellt und „komplett durchleuchtet“ würden.

Die Linken-Abgeordnete Cornelia Ernst spricht von einem „hysterischen Sicherheitswahn, in dem jedes Verbrechen zu Terrorismus hochstilisiert wird“. Der Grüne Jan Philipp Albrecht sieht noch eine weitere Gefahr: In Fällen von Terrorismus und Kriminalität sei auch die Weitergabe der europäischen Fluggastdaten an Drittländer wie die USA möglich. Diese könnten dann „ohne Erlaubnis der Europäer“ die Informationen beliebig an andere Länder weitergehen. Sollte der nun angenommene Vorschlag erwartungsgemäß endgültig verabschiedet werden, werde er „postwendend bei den Richtern des Europäischen Gerichtshofs auf dem Tisch landen“.

Jan Heitmann


Teures Griechenland
Erhöhung des Solidaritätszuschlags möglich

Clemens Fuest, Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung, fordert in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, den Deutschen angesichts des geplanten dritten Hilfsprogramms für Griechenland ehrlich zu sagen, was auf sie zukommt.

Der Wirtschaftswissenschaftler hält ein stärkeres finanzielles Engagement Deutschlands für unumgänglich. Das sei jedoch ohne Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen nicht zu bewältigen. Denn anders als bei den vorangenangenen Rettungsprogrammen gehe es nicht um Kredite, sondern um Transfers, „also um Geld, das nicht zurückkommt“. Das Auflegen eines Transferprogramms für Griechenland bedeute für die Eurozone einen grundlegenden Wandel, nämlich den Einstieg in die Transferunion, so Fuest weiter.

Dies würde die Staatshaushalte der anderen Euro-Länder erheblich belasten. Gehe man von einem Gesamtvolumen der Hilfen von 84 Milliarden Euro aus und davon, dass etwa ein Viertel auf Deutschland entfalle, bedeute das eine Belastung von 22 Milliarden Euro über drei Jahre. Fuest schlägt vor, dies beispielsweise „durch die Erhöhung des Solidaritätszuschlags von 5,5 auf 8 Prozent für drei Jahre“ zu finanzieren. J.H.


Jan Heitmann:
Stete Empörung

Klar, das hätte die Kanzlerin anders machen können. Als ihr im Bürgerdialog an einer Rostocker Schule ein aus dem Libanon stammendes Mädchen von seiner Angst vor der Abschiebung berichtete, hätte sie in bester Politikermanier einfach um das Thema herumschwafeln oder ihm einfach eine erneute Prüfung des Falles versprechen und einen dauerhaften Aufenthalt in Aussicht stellen können. Stattdessen hat sie gesagt, dass Politik „manchmal auch hart“ sei, weil nicht alle Flüchtlinge nach Deutschland kommen könnten und manche wieder zurückkehren müssten. Diese Worte waren sicherlich sehr formal-nüchtern und eher für den Dialog mit Erwachsenen als für den mit einer 14-Jährigen geeignet. Aber sie waren von entwaffnender Ehrlichkeit.

Als Merkel sah, dass das Mädchen weinte, ging sie zu ihm, sprach tröstende Worte und streichelte es. Das war nicht für die Kameras inszeniert, sondern eine authentische Geste menschlicher Zuwendung. Für die mächtigste Frau der Welt, die dafür bekannt ist, dass alles an ihr abläuft wie Spucke an der Marmorwand, war das schon allerhand. Doch was passiert? Es geht eine Empörungswelle durch das Land. Ihre Worte seien Ausdruck mangelnder Empathie, der Distanz zu den Menschen, der Herzenskälte, der Unmenschlichkeit ihrer Flüchtlingspolitik, heißt es in den Medien und digitalen Netzwerken. Und das Streicheln? Nichts als ein blamabler Akt der Hilflosigkeit. Merkel glaube wohl, Probleme einfach wegstreicheln zu können. Wie die Reaktionen der stets empörungsbereiten Gesinnungsethiker ausgefallen wären, wenn Merkel dem Thema ausgewichen wäre oder das Weinen des Mädchens ignoriert hätte, können wir uns vorstellen.


S. 2 Aktuell

Griechenland: Schrecken ohne Ende?
Am Scheideweg zwischen Perikles’ Demokratie-Vermächtnis und Epimenides’ Lügen-Paradoxon

Epimenides wusste es schon vor zweieinhalb Jahrtausenden: Dem vorsokratischen Dichter und Denker, der irgendwann im 5., 6. oder 7. Jahrhundert vor Christi Geburt in Knossos auf Kreta lebte, wird die Erkenntnis „Alle Kreter lügen“ zugeschrieben. Da er selber Kreter war, geriet der Satz zum klassischen Paradoxon – lügt er oder lügt er nicht? Oder schafft er es, gleichzeitig zu lügen und nicht zu lügen?

Sollte der Satz, den einst auch der Apostel Paulus in einem seiner Briefe zitierte, zwischenzeitlich in Vergessenheit geraten sein, so erfuhr er in den letzten Monaten unverhoffte Aktualität. Vor allem durch den griechischen Kurzzeit-Finanzminister Giannis Varoufakis. Der ist zwar gebürtiger Athener, sein Name deutet aber auf kretische Herkunft hin. Denn auf der größten Insel des Landes enden nahezu alle Familiennamen auf „akis“. Und nach den jüngsten Erfahrungen scheint der Festlandgrieche mit dem kretischen Namen wohl auch dafür zu stehen, dass der legendäre Satz des Epimenides nicht nur für die Insel, sondern für ganz Hellas gilt. Zumindest für jene Griechen, die dieser merkwürdigen Regierungskoalition aus Ultralinken und Ultrarechten angehören oder anhängen. Monatelang haben Ministerpräsident Alexis Tsipras und seine Gefolgsleute, die in deutschen Fernsehhäusern von Talk­show zu Talkshow tingeln durften, dreist jeden angelogen, der ihnen in Hörweite geriet: die Verhandlungspartner in Brüssel und Berlin, das europäische TV-Publikum, die Parlamente der Partnerländer und nicht zuletzt das eigene Volk.

Da wollte so mancher sich selbst für kritisch haltende Kleingeist in deutschen Redaktionsstuben nicht zurückstehen – was die Griechen und insbesondere die Kreter laut Epimenides schon immer konnten, das können wir doch auch! Gebetsmühlenartig wurde uns vorgejammert, was alles „tragisch“ und katastrophal sei im Staate Hellas – natürlich alles Schuld von Brüssel und Berlin, Schäuble und Merkel, Juncker und Lagarde. Verschwörungstheoretiker erschlossen neue Rekorde: Nicht mehr nur diese oder jene geheimnisvolle Macht, sondern gleich die ganze Welt hatte sich demnach gegen das wackere Volk der Griechen verschworen.

Oft stimmten die Fakten und Zahlen nicht, und wenn sie doch einmal stimmten, dann wurden sie in falsche Zusammenhänge gestellt. Beispiele gefällig?

Das staatliche griechische Elektrizitätswerk habe, so erfuhren wir, Beitragsrückstände von mehr als zwei Milliarden Euro – angeblich eine Folge der Berliner Sparpolitik, weil die Menschen zu arm seien, um ihre Stromrechnung zu bezahlen. Als Mieter einer Wohnung in Rethymnon/Kreta habe ich schon vor 25 Jahren folgendes erlebt: Eines Tages waren Strom und Wasser abgesperrt, weil der Eigentümer, ein in Athen lebender kretischer Kollege, seit drei Jahren die Rechnungen nicht bezahlt, wohl aber jedes Jahr bei mir abkassiert hatte. Drei Jahre! So lange brauchten damals die Behörden, bis sie endlich bemerkten, dass da einer weder Strom noch Wasser bezahlte! Und unser Vermieter präsentierte eine Rechtfertigungsstory, die in Gregor von Rezzoris „Maghrebinischen Geschichten“ ein eigenes Kapitel hätte hergeben können.

Krankenhauspatienten, so sahen wir in den täglichen TV-Extras und -Brennpunkten, müssen von Angehörigen und Freunden gepflegt und versorgt werden – Schuld sind natürlich die EU und die Deutschen! Ich erinnere mich aber, wie einst die Mutter eines Bekannten ins Krankenhaus musste und immer abwechselnd einer der Söhne mitsamt Fresspaket von Kreta nach Athen fuhr, um die Mutter zu versorgen; das war vor dem EU-Beitritt des Landes. Ein funktionierendes Gesundheitssystem gab es damals so wenig wie heute.

Überall im Lande, so enthüllte ein sonnengebräunter Jungredakteur nach mehrstündiger Intensiv-Recherche, stehen Bauruinen her­um, weil die Menschen angeblich wegen der Krise, also wegen Schäuble, nicht mehr weiterbauen können. Merkwürdig nur: Auch vor drei Jahrzehnten sahen wir überall im Lande Bauruinen herumstehen, besuchten gelegentlich Freunde, die eine fertiggestellte Etage mitten in einem Rohbau bewohnten. Damals gab es keine Krise und kein Spardiktat, wohl aber extrem hohe Hypothekenzinsen (bis zu 25 Prozent). Also baute man, bis das Ersparte alle war, und baute ein Stück weiter, wenn man erneut etwas zusammengespart hatte.

Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Vieles, was uns heute als vermeintliche Folge einer falschen EU-Politik verkauft wird, haben wir schon vor Jahrzehnten so oder so ähnlich erlebt, ohne Brüssel, ohne Merkel, ohne Schäuble. Die Missstände und Defizite, die Griechenland in die Staatspleite manövriert haben, sind nicht durch die EU-Rettungsprogramme entstanden. Wohl aber wurden sie teilweise durch den Euro verstärkt. Dessen Einführung hatte Athen durch Lug und Betrug erschlichen. Insofern dürfte es eigentlich sogar möglich sein, die Mitgliedschaft im Euro-System für von Anfang an nichtig zu erklären, so wie die Katholische Kirche eine Ehe zwar nicht scheiden, wohl aber annullieren kann.

Im Umkehrschluss muss man leider befürchten, dass auch ein weiteres milliardenschweres Hilfs­paket an den Ursachen der griechischen Misere nichts ändern wird. Wenn Tsipras mit seinen neuerlichen Lügen, Verleumdungen und Schuldzuweisungen durchkommt, wird er vermutlich so lange an diesem oder jenem Symptom herumdoktorn, bis die Kassen in Athen fürs erste wieder hinreichend mit fremdem Geld gefüllt sind. Auf wirkliche Reformen aber, die dem griechischen Volk die Existenzfähigkeit aus eigener Kraft zurückgeben, werden wir wohl weiterhin vergebens warten.

Ob das mit einem geordneten und sozial abgefederten Ausstieg aus dem Euro zu erreichen wäre, ist ebenfalls ungewiss und mit erheblichen Risiken verbunden. Ein solcher alternativer Weg muss aber wie jeder andere zumindest theoretisch durchgedacht und durchgerechnet werden; hätte Schäuble dies – aus Angst vor dem „Schwarzen Peter“ – versäumt, wäre er ein schlechter, pflichtvergessener Finanzminister. Ihn deshalb mit Verleumdungen bis hin zur sattsam bekannten Faschismus­keule zu verfolgen, ist maßlos überzogen, beleidigend und verlogen; immerhin hat der Minister, wie auch die Kanzlerin, stets betont, vorrangiges politisches Ziel sei es, Griechenland im Euro und in der EU zu halten. Dies übrigens zum Leidwesen der Euroskeptiker in den eigenen Reihen.

Bemerkenswert auch, wo Tsipras mit seinem Zickzack-Kurs – heute dagegen, morgen dafür, übermorgen wieder dagegen, zwischendurch auch mal beides in einem Atemzug – Zustimmung findet: in Deutschland bei der sich „Die Linke“ nennenden Fortsetzung der SED, bei den Grünen, in deren Kreisen es als chic beziehungsweise cool gilt, alles zu bestreiten außer den eigenen Lebensunterhalt, und im Lager rechts der demokratisch-bürgerlichen Mitte bis hin zu unappetitlichen Alt- und Neo-National-Sozialisten. Und ein ebenso unappetitliches Echo findet solche Gesinnung überall da, wo man „den Deutschen“ schon lange mal wieder zeigen wollte, wer den Zweiten Weltkrieg verloren hat.

Quo vadis Europa? Quo vadis Hellas? Es ist wohl kein Zufall, dass die Griechen, die einst auch die Tragödie erfunden haben, den Kontinent nun in eine Lage bringen, in welcher der eine wie der andere Weg mit Streit, Leid und Schuld verknüpft ist. Und mit viel Geld, vor allem von denen, die schließlich das griechische Volk unterstützen und nicht demütigen wollten.

Wie traurig für all jene, die immer noch frei nach Goethe „das Land der Griechen mit der Seele suchen“. Sie müssen sich von der Illusion verabschieden, dieses von Pasok, Nea Dimokratia und nun auch Syriza repräsentierte Volk habe noch etwas mit dem Volk des Sokrates, Homer oder Perikles zu tun. Ja, die von ihnen geprägte klassische Antike war die geistige Wiege der abendländischen Kultur (mit Mesopotamien und dem alttestamentlichen Palästina als „Paten“). Ja, Illias und Odyssee zählen zu den ältesten und bedeutendsten Dichtwerken, Aischylos, Sophokles und Euripides gaben bis heute gültig vor, was als dramatisch und tragisch zu gelten hat, Aristophanes erinnerte mit seinen Komödien daran, dass der Mensch auch mal was zum Lachen braucht, Thukidides und Herodot beschrieben Geschichte auf völlig neue Art, Euklid und Pythagoras rechneten vor, dass 2 mal 2 nicht alles ist, Perikles wagte es, das Volk an der Macht teilhaben zu lassen, Sokrates, Platon und Aristoteles erdachten neue Dimensionen – und Dionysos begoss das Ganze.

Aber was ist davon geblieben? Nicht Perikles, der Erfinder der Demokratie, sondern Epimenides, der Erfinder des Lügen-Paradoxons – so der in den letzten Jahrzehnten, verstärkt den letzten Monaten entstandene Eindruck. Es wird höchste Zeit, dass die Griechen aus eigener Kraft dieses schiefe Bild wieder zurechtrücken, statt in Brüssel und Berlin nach Schuldigen zu suchen. Dann können sie gern wieder ihren historisch gewachsenen Platz in Europa einnehmen. Das darf Europa sich dann auch etwas kosten lassen. Die entscheidenden Schritte aber können nur in Athen getan werden und sonst nirgendwo.

Hans-Jürgen Mahlitz


MELDUNGEN

EKD ruft Pfarrer aus Kiew ab

Kiew/Hannover – Die Bilder von einem evangelischen Geistlichen, der in Kiew im Talar zwischen den Fronten auf Schwerbewaffnete zugeht, um Frieden zu predigen, gingen vor anderthalb Jahren um die Welt. Ralf Haska, 48, war die vergangenen sechs Jahre Pfarrer der deutschen evangelisch-lutherischen Gemeinde St. Katharina in Kiew. Nun hat ihn die Kirche abberufen, weil einige seiner Aussagen bei der EKD auf Kritik gestoßen waren. Ein in einem Interview geäußerter Satz brachte das Fass zum Überlaufen: „Unter bestimmten Umständen müssen Freiheit und Frieden mit Waffengewalt verteidigt werden. Russland ist Kriegspartei. Es schickt ungehindert Söldner und militärisches Material in die Ukraine. Das muss gestoppt werden.“ Haska wird jetzt eine Stelle in der bayerischen Partnerkirche der ukrainischen Kirche antreten. B.B.

 

Südkoreaner sind wehrbereit

Seoul – Anlässlich des 65. Jahrestages des Beginns des Koreakrieges haben Meinungsumfragen in Seoul ergeben, dass bei einem erneuten innerkoreanischen Konflikt acht von zehn Südkoreanern „sofort bereit" zum Kämpfen sind. Am stärksten ist dabei mit 91 Prozent die Gruppe im Alter von 20 bis 30 Jahren. Ihr folgt mit 88 Prozent die Generation der 50- bis 60-Jährigen. Von denjenigen, die vor über 60 Jahren geboren wurden, sind 77 Prozent zum Kämpfen bereit. Die geringste Bereitschaft mit 75 Prozent zeigt die Altersgruppe der 30- bis 40-Jährigen. Sorgen vor einem erneuten Krieg auf der koreanischen Halbinsel zeigten 39 Prozent der Befragten, während über die Hälfte diese Gefahr für gering erachtet oder gar verneint. Im Jahre 2007 erwarteten noch 51 Prozent einen Ausbruch eines zweiten Koreakrieges; vor zwei Jahren sank diese Zahl auf 35, obwohl das nordkoreanische Regime in der Zwischenzeit drei Atomversuche durchgeführt hatte. F.W.S.

 

Lufthansa ein »Feind Israels«

New York – Die „Zionist Organisation of America“ (ZOA), einflussreiche und älteste zionistische Organisation in den USA, hat die Lufthansa auf die Liste der Feinde Israels gesetzt und zu einem Boykott der Fluggesellschaft aufgerufen. Grund ist, dass Lufthansa-Passagiere von und nach Israel in der Economy-Klasse nur ein Gepäckstück kostenfrei aufgeben können. Auf anderen Strecken, darunter in arabische und islamische Staaten, erlaubt die deutsche Fluggesellschaft dagegen zwei Koffer. Sollte dies nicht nur ein Versehen sein, würde es „ganz klar einen Fall von Antisemitismus darstellen“, teilte die ZOA der Lufthansa in einem Protestbrief mit. Weiter heißt es darin: „Eine deutsche Fluggesellschaft sollte besonders sensibel sein, wenn es um Diskriminierung von Juden und dem jüdischen Staat geht.“ Die Lufthansa verweist auf „wirtschaftliche und geschäftliche“ Erwägungen. Nur auf bestimmten Strecken gebe es „aus rein kommerziellen und nicht geografischen Gründen“ Ausnahmen. Viele andere Gesellschaften würden es genauso handhaben. Kurioserweise gehört auch die israelische El Al dazu, die damit der Logik der ZOA zufolge auch ein Feind Israels ist. J.H.


S. 3 Deutschland

Asylkrise: Die Stimmung kippt
Die Kluft zwischen dem wachsenden Problem und der medialen Beschönigung wird immer eklatanter

Es ist mal wieder Ungarn, das in Sachen Grenzsicherung den Vorreiter macht. Nachdem das Land im Jahr 1989 durch einem historischen Schritt den Eisernen Vorhang niedergerissen hatte, soll nun ein Grenzzaun wieder neu errichtet werden.

Nach Angaben des ungarischen Innenministeriums wird zunächst ein 150 Meter langer „Musterabschnitt“ an der bislang „grünen“ Grenze zu Serbien entstehen. Später soll eine 175 Kilometer lange und vier Meter hohe Grenzbefestigung folgen. Das Ziel des Vorhabens ist die Eindämmung illegaler Einwanderung. Im Schatten der medienwirksamen Bilder von den „Lampedusa-Flüchtlingen“ sieht sich Ungarn schon länger mit einer Welle illegaler Grenzübertritte konfrontiert. Die Ankündigung, dies künftig unterbinden zu wollen, hat außerhalb Ungarns heftige Reaktionen ausgelöst. Als würde man in Budapest planen, die Berliner Mauer samt Schießbefehl aufleben zu lassen, ist etwa von der „ungarischen Mauer“ die Rede. Schon etwas ausgewogener klingt der Bundesinnenminister: Dies sei nicht das Europa, das er sich vorstelle, so Thomas de Maizière (CDU), doch besitze Ungarn eine Schengen-Außengrenze und diese sei zu sichern.

Bei dieser Kritik an der ungarischen Regierung ist oftmals ein gehöriges Maß an Heuchelei mit im Spiel. Zwar ist auch in Ungarn die Zahl der Asylanträge auf eine neue Rekordzahl gestiegen, für die meisten derjenigen, die illegal über die Grenze kommen, ist Ungarn aber lediglich eine Zwischenstation. Die eigentlichen Ziele lauten in der Regel Bundesrepublik Deutschland, Österreich oder Schweden. Gerade die hiesige Politik hat sich allerdings bislang als unfähig erwiesen, ein Problem wie die Flut illegaler Einwanderung über die sogenannte Westbalkanroute zu lösen. Nun, da Ungarn versucht, mit eigenen Mitteln dafür zu sorgen, dass eingehalten wird, was eigentlich geltendes EU-Recht ist, sieht sich Budapest in der Rolle des Buhmanns wieder. Bis zu 1000 illegale Grenzübertritte pro Tag, die von Ungarn registriert werden, sind ein Zeichen dafür, wie ausgehöhlt mittlerweile das EU-Asylrecht ist. Ein großer Teil der Personen, die illegal die Grenze von Serbien zu Ungarn überquerten, hätte nämlich bereits in den beiden EU-Ländern Griechenland oder Bulgarien ein Asylverfahren durchlaufen müssen.

Nicht anders ist die Lage in Deutschland. Hier rechnet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in diesem Jahr mit rund 400000 Asylbewerbern. Erfahrungsgemäß reisen die meisten der Antragsteller über sogenannte sichere Drittstaaten ein, so dass Deutschland laut Dubliner Abkommen für sie eigentlich gar nicht zuständig ist. Mehr noch: Rund die Hälfte aller hierzulande gestellten Asylanträge ist faktisch chancenlos, da die Betreffenden aus Staaten ohne politische Verfolgung stammen. Vor allem die Grünen wehren sich bislang vehement dagegen, Staaten wie das Kosovo oder Albanien zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. Die Folge dieser Blockadehaltung ist, dass das deutsche Asylsystem sich in großem Umfang mit Asylanträgen beschäftigt, die faktisch keine Aussicht auf Anerkennung haben – gleichzeitig werden die Zeichen einer Überlastung des Systems immer deutlicher.

Sprengkraft steckt allerdings nicht nur in dem bisherigen Versagen der Politik, solche Fragen zu lösen. So klaffen das offizielle Bild, das Medien und Politik zur Asylproblematik entwerfen, und die Alltagserfahrungen der Normalbürger immer weiter auseinander. In Leserbriefen, in der Berichterstattung der Regionalpresse und über das Internet bricht immer wieder eine ungeschminkte Darstellung zur Asylproblematik durch. Das Bild, das dabei entsteht, wird zunehmend drastischer. Da wird etwa berichtet, dass ein einziger 20-jähriger Marokkaner in Rosenheim allein zwischen Freitagnacht und Sonntagmittag neun Polizeieinsätze auslöste. In Flensburg ist es eine Gruppe aus zehn minderjährigen nordafrikanischen Intensivtätern, die es fertigbringt, die gesamte Innenstadt zu terrorisieren. Die Errichtung immer neuer Asylunterkünfte über die Köpfe betroffener Anwohner hinweg und eine Goldgräberstimmung in der Sozialindustrie runden das Bild ab.

Inzwischen droht die Stimmung in der deutschen Bevölkerung zu kippen: Die Sorge über die wachsende Zuwanderung hat erstmals seit 22 Jahren die Angst vor Arbeitslosigkeit von Platz eins des GfK-Sorgenrankings verdrängt, wie unlängst ein Tochterunternehmen des Marktforschungsunternehmens GfK herausgefunden hat. Der Befund könnte nur ein Vorgeschmack sein, denn es ist noch mit einer Verschärfung der gesamten Problematik zu rechnen. Nach den bisherigen Erfahrungen sind die Asylbewerber, die jetzt kommen, in vielen Fällen nur eine Art Vorhut, die von Angehörigen gezielt vorausgeschickt wird. Über den Familiennachzug ist in den kommenden Jahren mit einer Vervielfachung der Zuwanderungszahlen per Asylrecht zu rechnen. Deutschland droht dann ethnisch und gesellschaftlich endgültig vollkommen umgekrempelt zu werden. Norman Hanert


Mehr Deutsch in Israel
Die Sprache wird Wahlpflichtfach an öffentlichen Schulen

Sieben Jahrzehnte nach dem Ende des Holocaust und fünf nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen wird in Israel erstmals Deutsch an öffentlichen Schulen als Wahlpflichtfach im Regelunterricht eingeführt. Eine entsprechende gemeinsame Erklärung haben der israelische Bildungsminister, Naftali Bennett, und der Generalsekretär der deutschen Kultusministerkonferenz, Udo Michallik, sowie die Gesandte der deutschen Botschaft in Tel Aviv, Monika Iwersen, in Tel Aviv unterzeichnet. An israelischen Universitäten gab es bereits vorher schon Deutschangebote, doch konnten diese von Interessierten häufig nicht genutzt werden, da in den Schulen bis jetzt keine Grundkenntnisse vermittelt wurden. Erstmals ab dem kommenden Schuljahr, das im Spätsommer beginnt, wird das Fach Deutsch an israelischen Schulen als Wahlpflichtfach im Regelunterricht gelehrt.

2012 hatte der Deutschunterricht an sieben israelischen Schulen in Arbeitsgemeinschaften begonnen. Zu diesen sieben gehört die Rabin-Oberschule in Eilat am Roten Meer, an der Deutsch als Regelfach schon in einem Pilotprojekt erprobt wird. Dort hatten im März bereits zum zweiten Mal Schüler an den Prüfungen zum deutschen Sprachdiplom teilgenommen. Eilat ist eine immer mehr vom Tourismus lebende Stadt, dort sind Fremdsprachenkenntnisse wichtig für das Geschäft.

Der Deutschunterricht als Wahlpflichtfach erfolgt zunächst an fünf Schulen und beginnt ab der neunten Klasse. Die Prüfung zum Deutschen Sprachdiplom der Kultusministerkonferenz (DSD), welche die Schülerinnen und Schüler zum Abschluss des Unterrichts ablegen, soll gemäß der Vereinbarung auch als Bagrut-Prüfung im Fach Deutsch anerkannt werden. Das Bagrut ist die israelische Form der Reifeprüfung nach Abschluss einer höheren Schulbildung. Es entspricht etwa dem deutschen Abitur und der österreichischen Matura.

Lange war es mit Deutsch in Israel eher bergab gegangen. Die im Jahr 1936 in Tel Aviv gegründete Zeitung „Israel-Nachrichten“, die sich als einzige deutsche Tageszeitung Israels vornehmlich an Einwanderer richtete, hatte im Laufe der Jahre immer mehr Leser und Abonnenten durch Absterben verloren. Im Jahr 2010 wurde die Erscheinungsweise des Blattes von täglich auf wöchentlich umgestellt und am 27. Januar 2011 musste die Zeitung ganz eingestellt werden. Erst seit Januar 2013 gibt es wieder eine Online-Ausgabe der „Israel Nachrichten“ im Internet.

Auch das Goethe-Institut Tel Aviv berichtete vor drei Jahren von einem rückläufigen Interesse an der deutschen Sprache. Der 1986 gegründete Deutschlehrerverband Israels, der einst 80 Mitglieder hatte, war 2012 auf nur noch 36 geschrumpft.

Deutsch profitiert in den letzten Jahren auch in Israel vom immer besseren Image Deutschlands in der Welt. Mitgetragen wird der Deutsch-Boom in Israel auch durch den guten Ruf Berlins als aufstrebende Kulturmetropole, der viele junge Israelis anzieht. Auch in New York erfreut sich das Deutsche dank seiner Nähe zum Jiddischen, das aus dem Mittelhochdeutschen hervorgegangen ist und in vielem dem heutigen Luxemburgischen gleicht, immer größerer Beliebtheit. Bodo Bost


Kaum noch handlungsfähig
Fortsetzung der rot-grünen Koalition in Bremen besiegelt

Rund zwei Monate haben die Koalitionsverhandlungen von SPD und Grünen in Bremen gedauert, mittlerweile ist die Fortsetzung der rot-grünen Koalition in der Hansestadt besiegelt. Der designierte Bürgermeister Carsten Sieling sprach von intensiven Diskussionen, die der 140-seitigen Vereinbarung vorausgegangen seien. Für ihn sei jedoch nie fraglich gewesen, dass sich die rot-grüne Koalition zum dritten Mal zusammenfinden würde.

Der 56-Jährige tritt die Nachfolge von Jens Böhrnsen an, der nach den dramatischen Einbußen der SPD bei den Bürgerschaftswahlen am 10. Mai von seinem Amt zurückgetreten war. Leichter wird das Regieren für Sieling und seine Mannschaft nicht. Rot-Grün hat jede Menge Vorsprung eingebüßt, die Mehrheitsverhältnisse in der Bürgerschaft sind knapp geworden.

Knapp ist auch das richtige Stichwort, wenn es um die Finanzen im Norden geht. Die Stadt ist mit mehr als 20 Milliarden Euro verschuldet. Dabei ist sie die fünftgrößte Industriestadt der Republik, große Firmen sind reihenweise vor Ort und auch die Hochschulen verfügen über eine guten Ruf. Dennoch ist die Arbeitslosigkeit hoch, die soziale Schieflage enorm. Immer mehr Menschen ziehen ins niedersächsische Umland. Schon macht das böse Wort von der „Stadtflucht“ die Runde. „Es werden schwere Zeiten“, sagt der designierte Bürgermeister, fügt aber hinzu: „Politik heißt nicht, dass man sein Handeln den Zahlen unterordnet.“

Seit Jahren behauptet die Politik, dass der Stadtstaat unverschuldet in diese Lage gekommen sei. Die Pro-Kopf-Verschuldung ist mit fast 30000 Euro höher als in jedem anderen Bundesland. die Bremer werden deshalb auch schon mal als „Griechen von der Weser“ beschimpft. Dabei liegt das monatliche Bruttoeinkommen in Bremen um 133 Euro über dem deutschen Durchschnitt. Trotzdem hat Bremen vor allem Probleme auf der Einnahmenseite. In den vergangenen 40 Jahren hat die Stadt fast 100000 Einwohner verloren, überwiegend Menschen, die in Bremen arbeiten, aber auf dem Land leben und dort Steuern zahlen.

Von der Werftenkrise und den Modernisierungen in den Hafenanlagen hat sich der Arbeitsmarkt in Bremen und Bremerhaven immer noch nicht erholt. 1970 lag die Arbeitslosenquote bei 0,9 Prozent, heute sind mehr als 16 Prozent ohne Job. Allein von 1975 bis 1985 sank die Zahl der Hafenarbeiter in Bremen von 14000 auf knapp 10000. Noch schlimmer sieht es bei den Schiffsbauern aus, dort verlor Bremen mehr als zwei Drittel seiner Arbeitsplätze.

„Die Einsparmöglichkeiten sind eindeutig ausgeschöpft. Entgegen dem verbreiteten Optimismus sind die Gestaltungsspielräume gegen Null geschrumpft“, behauptet der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. „Fiskalisch“, so Hickel, „ist der Stadtstaat kaum noch handlungsfähig.“

So bietet der neue Koalitionsvertrag wenig Überraschendes. Die Grundsteuer soll steigen, die Hundeabgaben ebenso. Neue Stellen für Polizisten sollen geschaffen werden, ein paar zusätzliche Lehrer soll es ebenfalls geben. Doch die grüne Finanzsenatorin Karoline Linnert dämpft die Erwartungen bereits im Vorfeld: „Die nächsten vier Jahre werden schwer, weil sich das Land Bremen bestimmte Sachen einfach nicht mehr leisten kann. Aber wir versuchen einen Haushalt ohne Tricksereien hinzubekommen.“ Peter Entinger


MELDUNGEN

Gericht erlaubt Wahlprüfung

Bremen – Das Verwaltungsgericht Bremen hat die Neuauszählung aller Bremerhavener Stimmzettel zur Wahl der Bremer Bürgerschaft und der Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung angeordnet. Damit gaben die Richter einer Klage der Wählervereinigung Bürger in Wut (BiW) und der AfD statt. Sie sehen ein „berechtigtes Interesse“ der Kläger an einer Überprüfung der Stimmzettel. BiW und AfD hatten ihre Klage damit begründet, dass sie bei Durchsicht der Wahlunterlagen auf zahlreiche falsch gewertete Stimmzettel gestoßen seien (siehe PAZ 22/2015). So seien beispielsweise Stimmzettel ohne Kreuze als gültig gewertet worden. Die Stadt Bremerhaven hatte eine Überprüfung verweigert. Sie hat gegen das Gerichtsurteil Beschwerde eingelegt, so dass jetzt das Oberverwaltungsgericht entscheiden muss. J.H.

 

Warnung vor Gesundheits-Apps

Bonn – Die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff warnt vor dem Gebrauch von Gesundheits-Apps. Diese vor allem von den privaten Krankenkassen angebotene Anwendungssoftware wird auf Smartphones und Tablets geladen oder befindet sich auf sogenannten Smartwatches. Sie erfasst zum Teil sehr sensible Gesundheitsdaten wie Herzfrequenz, Trainingszustand, Ess- und Schlafverhalten oder die komplette Krankengeschichte und übermittelt diese an die Kassen. Im Gegenzug werden dem Versicherten günstigere Tarife gewährt. Voßhoff rät, „die kurzfristigen finanziellen Vorteile, welche die Datenoffenbarung vielleicht mit sich bringt, gegen die langfristigen Gefahren abzuwägen“. So könnten die Daten dazu genutzt werden, das Leistungsspektrum profilgenau anzupassen, künftige Risikozuschläge zu berechnen oder ein Versicherungsverhältnis zu kündigen beziehungsweise abzulehnen. U.M.


S. 4 Die Atombombe

Barmherziges Wunder
Atom-Kontrolleure sollen jetzt den Iran überwachen. Was überprüfen sie eigentlich?

Mit hunderttausenddfachem Tod drohen die schlimmsten Waffen der Menschheitsgeschichte. Ihre Herstellung aber begleitet ein geradezu barmherziges Wunder: Kernwaffen lassen sich nur mit höchstem Aufwand produzieren. Nur deshalb besteht die Aussicht, das iranische Atomprogramm kontrollieren zu können.

Die „Augen und Ohren“ der Welt wollen sie sein, betont Chefkontrolleur Yukiya Amano. Er und seine Leute von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) werden im Iran Atomanlagen, Uranminen und Zentrifugenfabriken inspizieren. Sie werden mit Gammastrahlenmessern und Neutronenzählern anrücken. Ein sogenanntes 3DLR-Instrument wird verdächtige Einrichtungen scannen und registrieren, ob Veränderungen vorgenommen wurden. Der Zugang für die IAEA-Atomwächter soll zu jeder Zeit und an jedem Ort möglich sein. So wurde es zumindest jüngst zwischen dem Iran und den fünf Uno-Vetomächten plus Deutschland im schweizerischen Lausanne beschlossen.

Inwieweit die Vereinbarungen den Iran tatsächlich davon abhalten, sich in absehbarer Zeit in den Kreis der Atommächte einzureihen, ist umstritten. Die meisten Experten gehen davon aus, dass es der Islamischen Republik nun zumindest deutlich schwerer fallen wird, sich „die Bombe“ zuzulegen. Auch rund 70 Jahre nachdem Wissenschaftler wie der US-amerikanische Physiker Julius Robert Oppenheimer die tödlichste aller Waffen ersannen, ist ihre Herstellung immer noch kompliziert und aufwendig.

Ihre ungeheure Zerstörungskraft entwickeln Nuklearwaffen aus der Spaltung (Atombombe) oder der Fusion (Wasserstoffbomben) von Atomkernen. Da die Spaltung vergleichsweise einfacher durchzuführen ist als die Fusion konzentrieren sich Schwellenländer mit Wunsch zur ultimativen Aufrüstung in der Regel auf diese Technologie. Atombomben bestehen normalerweise aus einer Hohlkugel, in der das spaltbare Material – Uran oder Plutonium – enthalten ist. Die Kugel ist von Sprengstoff umgeben. Wird er gezündet, presst er das Material und damit dessen Atomkerne im Innern zusammen. Sie spalten sich, Neutronen werden freigesetzt, die wiederum andere Atomkerne aufspalten. Eine unkontrollierte Kettenreaktion startet. Explosion, Lichtblitz, Druckwelle, extreme Hitze und radioaktive Strahlung sind die Folge.

Das entscheidende Bestandteil der Konstruktion ist das Uran beziehungsweise das Plutonium. Uran hat den Vorteil, dass die zum Zünden nötige konventionell-chemische Sprengtechnik weniger anspruchsvoll ist als beim Plutonium. Außerdem ist das silbrig glänzende Schwermetall leichter zu lagern und zu handhaben. Nukleare „Einsteigerstaaten“ wie Nordkorea oder der Iran setzen daher auf Uran zum Bau der Bombe.

Aufwendige Arbeitsschritte sind trotzdem nötig. Für die nukleare Detonation ist hochangereichertes Uran, das sogenannte Uran-235, erforderlich. Im Natururan kommt es nur zu 0,7 Prozent vor. In der Bombe müssen es mindestens 80 Prozent sein. Zentrifugen, die sich mit einer Rotationsgeschwindigkeit von bis 700 Metern pro Sekunde drehen, sollen das leichtere Uran-235 vom Rest trennen. Die Entmischung ist aber nur schwach ausgeprägt. Zehntausende Zentrifugen müssen zum Einsatz kommen, um die nötigen Mengen – etwa 50 Kilo – für die Bombe zu produzieren.

Der Iran hat sich jetzt in Lausanne verpflichtet, zwei Drittel seiner Uranzentrifugen abzubauen. Gegenwärtig hat er mehr als 19000 in Betrieb, künftig werden es nur noch 6000 sein. Weiter wird er, so seine Zusage, Uran nur noch bis zu einem Grad von 3,67 Prozent anreichern. Weit entfernt also von den nötigen 80 Prozent für eine Bombe. Bleibt zu hoffen, dass IAEA-Direktor Amano und seine Leute das alles tatsächlich scharfäugig und hellhörig kontrollieren werden. Frank Horns


Atomare Schattenmacht
Israel hat seit Jahrzehnten Kernwaffen, bestätigt das aber nie offiziell

Von allen Atomwaffen der Welt werde man sich des israelischen Arsenals am schwierigsten entledigen können, prophezeite vor 20 Jahren der britische Friedensforscher Frank Barnaby. Dabei verfügt das Land gar nicht über Atomwaffen. Jedenfalls nicht, wenn man der israelischen Regierung glaubt. Nichts zugeben, aber vieles andeuten, das ist seit jeher ihre Taktik. Mit wohldosierten Andeutungen, dass Israel doch Atommacht sei, sorgt sie nach innen für Beruhigung und nach außen für Abschreckung. Israel werde nicht als erstes Land Atomwaffen in der Region einführen, so seit Jahrzehnten die regierungsamtliche Sprachregelung. Aber „Wir können es uns auch nicht leisten, die zweiten zu sein“, verriet der damalige Premierminister Yitzak Rabin 1975 vieldeutig.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Israel längst mit französischer Hilfe bei Dimona einen unterirdischen Reaktor zur Plutoniumgewinnung gebaut und Bombenteile produziert. Wie weit das geheime Atomprogramm fortgeschritten war, zeigte sich 1986, als der in Dimona tätige Nukleartechniker Mordechai Vanunu sein Wissen der Weltöffentlichkeit preisgab. Demnach verfügte Israel damals bereits über vermutlich mehr als 100 Atomwaffen.

Um diese einzusetzen, verfügt Israel über ein breites Spektrum von land-, luft- und seegestützten Waffenplattformen. Letztere sind insbesondere die von Deutschland gelieferten U-Boote der „Dolphin“-Klasse. Erst vor wenigen Wochen hat der Bundessicherheitsrat die Auslieferung des fünften von sechs zugesagten Booten genehmigt. Während die ersten drei noch einen konventionellen dieselelektrischen Antrieb haben, sind die folgenden Einheiten mit einer außenluftunabhängigen Brennstoffzellenanlage ausgerüstet. Die ersten beiden Boote wurden komplett vom deutschen Steuerzahler finanziert, an den Kosten aller weiteren beteiligt sich der Bund mit rund einem Drittel. Als Grund für diese Großzügigkeit nennt die Bundesregierung die „historische Verantwortung Deutschland gegenüber Israel“. Die lässt die deutsche Politik auch darüber hinwegsehen, dass die Boote die deutschen Werften so verlassen, dass sie anschließend in Israel mit geringem Aufwand für den Abschuss atomwaffenfähiger Marschflugkörper hergerichtet werden können.

Faktisch ist Israel die einzige Atommacht im Nahen Osten, seit Ägypten sein Kernwaffenprogramm im Jahre 1967 aufgegeben hat. Allerdings kann in gewisser Weise auch Saudi-Arabien zu den Atommächten gezählt werden, obwohl es den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet hat und sich für eine atomwaffenfreie Zone im Nahen Osten einsetzt. Zwar hat das Land keine Kernwaffen in seinem Arsenal, es ist jedoch anzunehmen, dass es sich jederzeit in Pakistan welche beschaffen könnte, hat es dessen Atomprogramm doch zu einem erheblichen Teil finanziert. Die saudischen Streitkräfte verfügen über verschiedene Mittelstreckenraketensysteme, die mit nuklearen Sprengköpfen bestückt werden können. Ob auch der Iran auf dem Weg zur Nuklearmacht ist, wird sich im Zuge der Umsetzung des jüngst geschlossenen Atomabkommens zeigen. Jan Heitmann


Überschätzte Gefahr aus der Terror-Werkstatt

Nach Erkenntnissen des australischen Geheimdienstes hat die Terrororganisation IS in syrischen und irakischen Krankenhäusern und Forschungseinrichtungen genug strahlende Substanzen gefunden, um eine radiologische Bombe zu bauen. Darunter versteht man eine Massenvernichtungswaffe, die aus einem konventionellen Sprengsatz besteht, dem radioaktives Material beigefügt ist, das bei der Detonation freigesetzt wird und die Umwelt verstrahlt. Dabei handelt es sich nicht um eine Kernwaffe, da bei der Detonation weder eine Kernspaltung noch eine Kernfusion erfolgt. Anders als die spaltbaren Materialien für den Bau einer Atom- oder Wasserstoffbombe sind die für eine „schmutzige Bombe“ benötigten Substanzen relativ leicht zu beschaffen. Stoffe wie Cäsium-137, Cobalt-60 oder Strontium-90 sind in vielen medizinischen und wissenschaftlichen Bereichen in Gebrauch.

Große Gefahren würden nach Einschätzung des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) von damit bestückten Waffen jedoch nicht ausgehen, da ihre Wirkung auf den Freisetzungsort beschränkt bliebe. Die Kontamination „außerhalb des unmittelbaren Wirkungskreises der Explosion“, also des Bereiches, der durch die Detonationswirkung ohnehin zerstört würde, wäre zu vernachlässigen. Um eine große Fläche zu verstrahlen, müssten also große Mengen der radioaktiven Substanz eingesetzt werden, die wiederum schwer zu beschaffen wären. Anders sähe es bei der Verwendung des kaum verfügbaren und extrem teuren Plutoniums-239 aus. In dem Fall müsste die Bevölkerung möglicherweise „in der näheren Umgebung bis zu wenigen Kilometern Entfernung“ evakuiert werden.

Weit größer als das radiologische Gefahrenpotenzial wären, so das BfS, die psychosozialen Efffekte beim Einsatz einer „schmutzigen Bombe“. Diesem könnten „überschießende Reaktionen“ bis hin zur Hysterie in der Bevölkerung folgen. J.H.


Zeitzeugen

Yukiya Amano – Seit nunmehr sechs Jahren leitet der 68-jährige japanische Diplomat als Generaldirektor die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO). Den USA gegenüber gilt er als besonders linientreu. Von seinem Amt hat er eine hohe Meinung: Die Rolle der IAEA sei nicht nur technischer, Natur. „Was auch immer ihr Generaldirektor tut und sagt, hat politische Auswirkungen“, erklärte er.

Fereidun Abbassi Dawani – Der 57-jährige ist einer von fünf iranischen Atomwissenschaftlern, auf die zwischen 2010 und 2012 ein Attentat verübt wurde. Der spätere Leiter des iranischen Atomprogramms überlebte den Bombenanschlag auf sein Auto. Die vier anderen starben. Der israelische Geheimdienst wird für die Attentate verantwortlich gemacht.

Mordechai Vanunu – Als der 1954 in Marokko geborene und dem Kommunismus zugewandte Sohn eines Rabbiners 1986 einer britischen Tageszeitung sein Wissen über das israelische Nuklearforschungs- und Waffenprogramm offenbarte, erregte er weltweite Aufmerksamkeit. Der Mossad lockte ihn nach Rom und entführte ihn nach Israel, wo er wegen Landesverrats und Spionage zu 18 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Seit seiner Entlassung 2004 lebt er unter strengen Auflagen.

Rolf Friedemann Pauls – Der ehemalige Offizier der Wehrmacht und deutsche Botschafter in den USA unterschrieb in Washington 1969 für die Bundesrepublik den Atomwaffensperrvertrag. Bis heute verpflichteten sich darin 191 Staaten, Atomwaffen nicht weiterzuverbreiten und ihre Zahl zu begrenzen. Fünf Staaten sind nicht Mitglied: Indien, Pakistan, Israel, Südsudan und Nordkorea.

Julius Robert Oppenheimer – Der US-amerikanische Physiker deutsch-jüdischer Abstammung gilt als Vater der Atombombe. Als wissenschaftlicher Leiter stand er dem Manhattan-Projekt in New Mexico vor. Dort entstanden die ersten Kernwaffen der USA. Nachdem Oppenheimer (1904–1967) die Folgen ihres Einsatzes gegen die Städte Hiroshima und Nagasaki gesehen hatte, verurteilte er später ihren Einsatz.


S. 5 Preussen/Berlin

Noch mehr Geld für Zuwanderer
Berlins Senat will Leistungen deutlich erweitern – Haben Einheimische das Nachsehen?

Berlins rot-schwarzer Senat arbeitet an einem Papier, das deutlich mehr Leistungen für Zuwanderer vorsieht. Kürzlich kündigte der Senat im neuen Haushaltsentwurf an, für die unter „Flüchtlinge“ verbuchte Zuwanderung 2016 insgesamt 383 Millionen Euro bereitzustellen. Weitere 445 Millionen Euro sind 2017 verplant. Ein internes Papier über 47 Seiten zeigt nun, wofür SPD und CDU die über 80 Prozent Mehrausgaben in diesem Bereich einsetzen wollen: für grenzenlose Zuwanderung ins Sozialsystem.

Die „Grundsätze“ des Papiers sollen in rund einer Woche beschlossen werden. Sie setzen neue Maßstäbe in puncto Unterbringung und Versorgung. Integration wird vergleichsweise klein geschrieben. In dem Programm der Senatssozialverwaltung ist schon sprachlich ungeschickt von einer „menschenwürdigen Unterkunft“ für jeden Neuankömmling die Rede. „Für alle in Berlin aufgenommenen Asylbegehrenden und Flüchtlinge wird unmittelbar nach ihrem Eintreffen eine menschenwürdige Unterkunft bereitgestellt“, steht dort. Obdachlosigkeit sei „ausnahmslos zu vermeiden“.

So setzt der Senat sich unter Druck. Obdachlosigkeit ist auch für Menschen deutscher Herkunft in Berlin ein Problem – rund 150 Menschen übernachten regelmäßig allein im Tiergarten. Für sie gibt es kein millionenschweres Programm.

Schon jetzt ist das offizielle Berlin mit der Unterbringung von Zuwanderern überfordert. Dieses Jahr gingen bis Ende Juni 11500 neue Asylanträge ein. Allein die erste Woche dieses Monats bescherte mehrere tausend neue Fälle. Bis Ende des Jahres rechnet Berlin mit 10000 zusätzlich benötigten Wohnplätzen für die Einquartierung der Zuwanderer. Damit, dass er auch noch verlangt, die Standards für solche Unterbringungen anzuheben, fordert der Senat sich und der Verwaltung kaum Mögliches ab. Er ist im Begriff, eine Rundumbetreuung von Zuwanderern zu beschließen: „Neben der Unterbringung gehören dazu eine gute Versorgung, Integration und Betreuung durch ein Maßnahmenpaket, welches unter anderem Angebote zur Sprachförderung, beruflichen Eingliederung und schulischen Versorgung umfasst.“

Auf Landesgrundstücken sollen möglichst schnell neue Unterkünfte entstehen. Berlins Politik, die weiter mit dem sozialen Wohnungsbau und der Bereitstellung von ausreichend bezahlbarem Wohnraum überfordert ist, will für die Zuwanderer an 36 Orten binnen zwei Jahren Fertighäuser in Modulbauweise errichten. Rund 7200 Unterkünfte sollen so zustande kommen.

Indes: Der Senat ahnt die Aussichtslosigkeit, den von ihm politisch ungesteuerten Zustrom zu bewältigen, und beabsichtigt daher, zusätzlichen Wohnraum auch zu mieten – möglichst mit „Anbindung an den Personennahverkehr“. Es müsse allerdings noch geprüft werden, nach welchen Voraussetzungen Asylbewerber einen Wohnberechtigungsschein erhalten könnten, so der Senat. Einen solchen Schein Zuwanderern zuzuteilen, würde bedeuten, sie bewusst am sozial geförderten Wohnungsmarkt in Konkurrenz mit deutschen Sozialhilfeempfängern zu setzen.

Der Steuerzahler wird absehbar nicht nur für den Wohnraum für Zuwanderer zur Kasse gebeten, die Landespolitik arbeitet auch an einer Gesundheits-Chipkarte für jeden Zuwanderer. Welche Daten darauf gespeichert werden und wie Missbrauch zu verhindern ist, steht in den Sternen.

Wer laut Asylbewerberleistungsgesetz anspruchsberechtigt ist, soll eine Chipkarte wie andere Krankenversicherte bekommen, freilich ohne je in das Gesundheitssystem eingezahlt zu haben. Dass Asylantragsteller Namen unvollständig oder falsch angeben, ist nach Erfahrungen der Polizei keine Seltenheit.

Das Sozialsystem auch denen zu öffnen, deren Aufenthaltsberechtigung gesetzlich eigentlich noch zu prüfen wäre, stellt einen politischen Dammbruch dar. Die an Asylsuchende vergebene Gesundheitskarte schließt nach Senatswunsch Röntgenuntersuchungen und Impfungen ein. Bisher übliche Behandlungsscheine entfallen und damit auch jede Kontrolle.

Vom Senat bezahlte Betreuer sollen zudem Traumatisierte psychologisch und fachlich betreuen. Der deutsche Krankenkassenbeitragszahler wartet in der Regel Monate auf einen Termin beim Psychologen. Im Fokus der erweiterten medizinischen Leistungen stehen demnach Kinder und Jugendliche. Sozialsenator Mario Czaja (CDU) regte einen Runden Tisch mit Berlins Sozialverbänden an, um weitere Fragen der medizinischen Versorgung zu klären. Das lässt befürchten, dass die Ausweitung der Leistungen ein dauerhaftes Geschäft für Berlins Sozialindustrie wird.

Die Bildung der Neuankömmlinge aller Art will Berlins Politik über die Förderung von Anwohnerinitiativen, aber auch über Lerngruppen für Kinder ohne Deutschkenntnisse an Berliner Schulen voranbringen. Hier sollen „bedarfsgerecht“ zusätzliche Lehrer und Erzieher eingestellt werden. Neben Angeboten zum Erlernen der deutschen Sprache will der Senat für eine (Weiter-)Bildungsberatung aufkommen. Bevor das Papier beschlossen wird, seien nur noch „einige redaktionelle Fragen zu klären“, sagte ein Senatssprecher.

Sverre Gutschmidt


Berlin, ein Sommermärchen
von Vera Lengsfeld

Berlin ist eine grüne Stadt. Das ist wörtlich und nicht politisch gemeint. Die Zahl der Parks und Grünflächen ist Legion. Es gibt aber auch ausgedehnte Stadtwälder, in denen man nicht mehr spürt, dass man sich in einer Metropole befindet.

Eines der schönsten Waldgebiete liegt rund um den Wannsee und an der Havel. Es ist so weitläufig, dass man selbst an heißen Sommertagen einsame Fleckchen findet. Immer wieder trifft der Spaziergänger auf Wasser, sei es ein See oder die Havel, die hier so breit wie ein See ist.

Die Gegend hat selbst auf Prinzen unwiderstehlich gewirkt. Deshalb stehen hier mehrere Schlösser. Eines davon ist Schloss Glienicke. An seinen Gebäuden und dem Park haben zwei der berühmtesten Architekten Deutschlands mitgewirkt: Karl Friedrich Schinkel und Peter Joseph Lenné. Das Ergebnis ist überwältigend, vor allem jetzt, wo Park und Gebäude in einem so guten Zustand sind wie seit den Zeiten von Prinz Carl nicht mehr. Der Sohn Friedrich Wilhelms III. hatte schon mit 22 Jahren das ehemalige Gut erworben und über 60 Jahre lang nach seinen Vorstellungen ausgestaltet.

Vom Schloss ist nur noch ein Teil zu sehen, auch der ist rekonstruiert, weil das Gebäude in den 70er Jahren als Sporthotel genutzt und dafür umgebaut wurde. Nun ist der Geist Schinkels wieder eingezogen. Man staunt, um welche Details bis hin zur Inneneinrichtung sich der Meister gekümmert hat. In den übrigen Räumen sind Teile der Sammlungen von Prinz Carl zu sehen, die von einem imponierenden Umfang sind. Schon im Innenhof läuft man an vielen antiken Stücken vorbei, die der Prinz von seinen ausgedehnten Italienreisen mitgebracht hat.

Schloss und Park sind so angelegt, dass auch in Preußen ein Stück Italien lebendig wurde. Wer durch den ausgedehnten Landschaftspark schlendert, trifft immer wieder auf überraschende Ausblicke und verborgene Schönheit.

An der „Neugierde“, die von Schinkel im römischen Stil angelegt wurde, damit man unbeobachtet den Verkehr auf der Potsdamer Chaussee beobachten konnte, wird man an einen wenig romantischen Teil der deutschen Geschichte erinnert. Auf Mitte der Glienicker Brücke, die Potsdam mit Berlin verbindet, verlief 40 Jahre lang eine tödliche Grenze. Hier wurden Spione ausgetauscht: 1962 der sowjetische Spitzenspion in den USA, Rudolf Iwanowitsch Abel, gegen den amerikanischen Piloten Francis Gary Powers, der über der UdSSR abgeschossen worden war. Mehr als 20 Jahre später gelangte der sowjetische Bürgerrechtler Anatolij Schtscharanskij hier in die Freiheit. Heute ist dieser einstmals dramatische Ort Weltkulturerbe.


Polizeireform zerpflückt
CDU: Neuer Behördenchef entlarvt rot-rotes Versagen

Die Äußerungen des neuen Landes-Polizeichefs Hans-Jürgen Mörke beweisen laut CDU-Opposition das völlige Scheitern der Polizeireform in Brandenburg. Mörke widerlege in einem Interview zum Amtsantritt rot-rote Dogmen. Statt jeden Tag 124 Streifenwagen im Einsatz zu halten, wie von der Regierung versprochen, fehle dafür schlicht das Personal, verrät er dort.

Mörke ist Nachfolger von Arne Feuring, unter dessen Führung seit Sommer 2013 systematisch die statistische Erfassung von Straftaten aufgehübscht worden war. Medien wie Politiker stufen Mörke als langjährigen Vertrauten Feurings ein, seine Ernennung ist daher umstritten.

„Ein Neuanfang sieht anders aus“, bemängelt CDU-Innenexperte Björn Lakenmacher. Er kritisierte Mörkes Rolle als Chef-Fahnder im sogenannten Maskenmannprozess: „Er steht im Zusammenhang mit all den Fragen, die noch nicht beantwortet sind. Deswegen wäre ein Neuanfang angemessen gewesen.“ Auch die Arbeit des erfahrenen Polizisten in der DDR stieß bei der CDU sowie polizeiintern auf Kritik. Mörke leitete bis zum Ende des Arbeiter-und-Bauern-Staates das Volkspolizei-Kreisamt Nauen, war auch für die politische Polizei zuständig.

Zum Amtsantritt redet Mörke allerdings Klartext: Es gelte allgemein, Vertrauen zurückzugewinnen. Die Polizeireform frustriere zurückgestufte Beamte aus aufgelösten Wachen. Die umstrittene Reform betreffe „jeden Polizisten, wenn 1900 Stellen abgebaut werden sollen“. Zu den angeblich 124 Streifenwagen sagte er, tatsächlich seien teils nur 80 Funkwagen im Dienst. Demnach sind „450 Stellen im Wach- und Wechseldienst gestrichen“. Bis neue Polizisten kämen, verliere er weitere, so Mörke zu den von Rot-Rot jüngst abgeschwächten Personalkürzungen.

Laut CDU belegen Mörkes Worte, wie die SPD die Wähler täuschte. Noch 2014, kurz vor der Landtagswahl, hatte der damalige SPD-Innenminister Ralf Holzschuher verkündet, dass trotz Polizeireform täglich 124 Streifenwagen bereit stünden.

„Egal ob Manipulation der Kriminalitätsstatistik, Fehler der Polizeireform oder Führungsversagen im Maskenmann-Fall: SPD und Linke haben stets hartnäckig geleugnet, dass es Verfehlungen in der rot-roten Innenpolitik gibt“, so Lakenmacher. Mörke habe die Verantwortlichen klar benannt. „Damit torpediert Mörke noch vor seinem Amtsantritt die Glaubwürdigkeit von Rot-Rot“, resümiert Lakenmacher. SG


BVG ruft »Hilfe!«
Chefin schreibt Brandbrief an den Senat

Die Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), Sigrid Nikutta, hat einen Brandbrief an Bürgermeister Michael Müller (SPD) geschickt. Tenor: Von der noch unter Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) angekündigten Sicherheitspartnerschaft zwischen BVG und Polizei sei wenig geblieben. Von mehr Polizei auf den Bahnhöfen könne keine Rede sein, so Nikutta.

Nicht nur die Sicherheit der Fahrgäste, selbst deren Beförderung bereitet Probleme. Berlins U-Bahn ist anfällig geworden, kleinere Mängel wie Türstörungen sind Alltag. Zehn Linien befahren 146 Kilometer Strecke.

Die Züge sind durchschnittlich mehr als 20 Jahre alt, die ältesten kommen auf 50. Ausfälle und lange Wartungszeiten verringern die Zahl einsatzbereiter Züge. Die Bahnwerkstätten arbeiten inzwischen auch nachts, um wieder auf mehr als die derzeit 1000 ständig eingesetzten Wagen zu kommen.

Berlins Politik hat über Jahrzehnte an den Verkehrsbetrieben gespart, die Flotte verkleinert, obwohl mehr Menschen die U-Bahn nutzen. Reserven sind Mangelware und die Fahrgäste warten immer länger. Noch 1996 brachten 1650 gelbe Wagen Berliner und Touristen ans Ziel, 2008 bewegten sich 1312 über die unterirdischen Gleise, Tendenz abnehmend.

Die neue Baureihe IK fährt vorerst nur im verlängerten Test. Die Verkehrsbetriebe denken darüber nach, 24 dieser Züge für rund 158 Millionen Euro zu erwerben, doch „wahrscheinlich erst im September“, wie der Betreiber BVG einräumt, können die Fahrgäste in den wenigen neuen Zügen mitfahren. Das reiche nicht, kritisieren Fahrgastverbände. SG


Die Mark, ein Urlaubsparadies

Das Statistikamt Potsdam hat eine weiterhin positive Entwicklung des Tourismus in Brandenburg ermittelt: Dieses Jahr besuchten von Januar bis April über eine Million Urlauber das Land, 2,4 Prozent mehr als in den ersten vier Monaten 2014. Bei den Übernachtungen fällt der Zuwachs noch stärker aus – 2,7 Millionen Übernachtungen buchten Gäste, knapp drei Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Schon 2014 verzeichnete die Mark zwölf Millionen Übernachtungen – die höchste Zahl aller Zeiten. Die deutschen Gäste kommen überwiegend aus Berlin, Sachsen, Nord­rhein-Westfalen, Niedersachsen und Hamburg. Zunehmend entdecken ausländische Urlauber Brandenburg unabhängig von Berlin-Besuchen, an der Spitze Niederländer, Polen, Tschechen und Schweizer. Durchschnittlich 5,7 Tage bleiben Gäste allgemein. Die beliebtesten Regionen sind neben Potsdam das Seenland Oder-Spree, der Spreewald und das Ruppiner Seenland. SG


S. 6 Ausland

Rechter Sektor zündelt gegen Kiew
An der Westgrenze droht eine neue Front – Oligarchen verteidigen ihren Einfluss

Seit Kurzem macht der „Rechte Sektor“, das am Umsturz in Kiew beteiligte Sammelbecken nationalistischer Kräfte, verstärkt von sich reden. Mit Bombenexplosionen und Schießereien, vor allem in der Provinz, fordert er die Regierung in Kiew heraus. Alles deutet auf einen Machtkampf der Oligarchen im Hintergrund hin.

Was vor einem Jahr in den hiesigen Medien wie dem „Spiegel“ gerne geleugnet wurde, nämlich die Beteiligung nationalistischer Kräfte – im Hintergrund gesteuert von Oligarchen und den von ihnen finanzierten Privatarmeen – am Umsturz in Kiew tritt immer offensichtlicher zu Tage. Doch nun könnten ausgerechnet diejenigen, die Poroschenko geholfen haben, sich an die Macht zu putschen, diesem zum Verhängnis werden.

Anhänger des Rechten Sektors haben in den vergangenen Wochen mit einem Bombenanschlag auf ein Polizeirevier in Lemberg, bei dem ein Polizist starb und eine völlig unbeteiligte Frau beide Beine verlor, auf sich aufmerksam gemacht. Ein größeres Medienecho fand jedoch eine Schießerei in der Provinzhauptstadt Mukatschewe in der Grenzregion Transkarpatien. Über die Ereignisse berichteten hiesige Medien allerdings erst über eine Woche später.

Was war geschehen? Laut offiziellen Angaben sind Führer des Rechten Sektors, dessen Anführer Dmitrij Jarosch seit Oktober letzten Jahres Parlamentsabgeordneter ist, in einem Café in Streit geraten, bei dem Anhänger des Abgeordneten von Mukatschewe, Nikolaj Lanjo, das Feuer eröffet haben sollen. Bei der Schießerei gab es drei Tote und 14 Verletzte. Der Streit eskalierte, weil es um einen Verteilungskampf beim lukrativen Handel mit Schmuggelware aller Art ging. Zwei Drittel der Bevölkerung dort sollen vom Schmuggel von Zigaretten, Alkohol und Bernstein leben, wobei die Geschäfte bislang von Familienclans kontrolliert wurden.

Mukatschewe in der Westukraine liegt nur 40 Kilometer von der ungarischen Grenze entfernt, 90 Kilometer von der slowakischen und 110 Kilometer von der rumänischen und 200 Kilometer von der polnischen. Um die Bedeutung der Region für die heutige Ukraine zu verstehen, lohnt ein Blick in die Geschichte: In der Region leben 1,3 Millionen Einwohner, unter ihnen eine große Minderheit von Ungarn (151000) und etwa 40000 Rumänen. Nach dem Ersten Weltkrieg gehörte Transkarpatien mal zur Tschechoslowakei, mal zu Ungarn. 1946 wurde sie Teil der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik. Nach der ukrainischen Unabhängigkeitserklärung von 1991 blieb sie Teil der Ukraine. Die dort lebenden Minderheiten sprachen Galizisch, Ungarisch und Slowakisch. Viele Ungarnstämmige haben im Zuge der politischen Ukrainisierung ihre Namen ans Ukrainische angepasst. Im Parlament von Mukatschewe sind einige Ungarnstämmige aktiv. Wie Viktor Baloga (ungarisch Balogh) oder der Oligarch Dmitrij Firtasch. Viktor Baloga, der zusammen mit Sohn und Bruder im Parlament sitzt und mit Schmuggel sein Geld verdient, gilt als Kopf der „Transkarpatenmafia“.  Die alten kriminellen Autoritäten haben sich in den 90er Jahren einen Namen gemacht. Von ihnen lebt nur noch Michail Lanjo, der wie Baloga ein Ungar und ein Volksabgeordneter ist und der in die Schießerei von Mukatschewe maßgeblich verwickelt war.

Seit einiger Zeit macht der Rechte Sektor den Oligarchen den Tabakwarenschmuggel streitig, angeblich, um für Ordnung zu sorgen und die Korruption zu bekämpfen. Viel wahrscheinlicher ist aber, dass ihr Anführer Dmitrij Jarosch gezielt in den Regionen zündelt, um die Regierung in Kiew zu stürzen. Transkarpatien, wo sich unter der ungarischen Minderheit leicht separatistische Konflikte vom Zaun brechen lassen könnten, ist dabei ein willkommenes Ziel. Auch in anderen Regionen trifft der Rechte Sektor auf offene Ohren, wie zahlreiche Demonstrationen in verschiedenen Städten zeigen. In Kiew blockierten protestierende Anhänger des Rechten Sektors die Zufahrt zum Parlament. Die Menschen sind unzufrieden, weil Reformen nicht umgesetzt werden, die EU-Annäherung nicht vorankommt und die Regierung im Osten ihrer Ansicht nach nicht entschieden genug gegen die Separatisten vorgeht.

Poroschenko hat eine Abteilung der Nationalgarde und Panzer nach Mukatschewe geschickt, um die Verantwortlichen festnehmen zu lassen. Außerdem entließ er nach den Vorfällen die gesamte Führungsebene von Zoll- und Grenzschutz der Region und setzte einen neuen Gouverneur ein, der sich im Osten der Ukraine im Kampf gegen die Separatisten als äußerst hart erwiesen hatte.

Es bahnt sich ein offener Machtkampf zwischen Rechtem Sektor und der Regierung an. Jarosch fordert die Absetzung des Innenministers Arsen Awakow. Er droht mit weiterer Eskalation und damit, dass 18 oder 19 Batallione in Wartestellung seien. Es ist gut möglich, dass Jarosch, der ein enger Freund des von Petroschenko politisch kaltgestellten Oligarchen Igor Kolomojskij ist, dessen Interessen vertritt. Seit Beginn der Ukrainekrise hatte Kolomojskij durch seine Privatbank eigene Armeen finanziert.

Neben der Gefahr durch Ultranationalisten droht Poroschenko weitere Unbill in den Vorkarpaten, wenn er gegen die örtlichen Familienclans mit Härte vorgeht. Es könnten sich neue politische Kräfte gegen Kiew stellen. Regionalzeitungen haben bereits dazu aufgerufen, keine „Fremden“ in die Region zu lassen, die das „ruhige Leben“ stören. Im benachbarten Ungarn betrachtet man die Ereignisse in der Grenzregion mit Sorge, weil man zusätzliche Flüchtlingsströme aus Transkarpatien befürchtet.

Manuela Rosenthal-Kappi


Mauert der Westen?
Wenig Tempo bei den Ermittlungen zum MH17-Absturz

Ein Jahr nach dem gewaltsamen Ende des Malaysia-Airlines-Fluges 17 über der Ukraine ist der Funkverkehr zwischen dem Flugplatzkontrollturm Kiew und dem malaysischen Flugzeug immer noch nicht bekannt, geschweige denn ausgewertet. Ebenso wenig wurde bekanntgegeben, was der Black Box zu entnehmen war, deren Suche sich Wochen hinzog. Beim tragischen Absturz der German-Wings-Maschine in den französischen Alpen hatte das nur zwei Tage gedauert und das in einem extrem schwierigen Gelände.

Auch haben die Vereingten Staaten außer ein paar nichtssagenden Satelliten-Aufnahmen kein brauchbares Material vorgelegt – ausgerechnet die USA, die doch im Rufe stehen, sich eindringlich für alle Dinge zu interessieren, die sie nichts angehen. „Wir haben den Ermittlern alle aus unserer Sicht relevanten Informationen vorgelegt“, so US-Außenamts-Sprecherin Marie Harf. Dabei geht es um Karten, „die zeigen, was aus unserer Sicht passiert ist“. Das ist wenig für eine Öffentlichkeit, die nicht wissen will, was aus Sicht der USA, sondern was wirklich geschehen ist.

Was die Niederlande angeht, welche die meisten Opfer zu beklagen haben und deshalb die Untersuchungen leiten, so tragen sie ebenso wenig bei, haben aber 147 Ermittlungsunterlagen für geheim erklärt, so, als ginge es nicht um die Offenlegung des Geschehnisses, sondern um dessen Vertuschung. Immerhin wollen die Ermittler bis Oktober einen endgültigen Bericht vorlegen – ob unter Einbeziehung der 147 geheimen Daten oder doch lieber ohne diese, das ist nicht bekannt.

Ein Jahr nach dem Absturz sind wieder Experten der Polizei und des Verteidigungsministeriums der Niederlande in der Ukraine eingetroffen, um ihre Untersuchungen fortzusetzen. Dies geschieht im Auftrag der Internationalen Expertengruppe und unter Mitwirkung der OSZE. Die Untersuchung soll zwei Wochen dauern, Einzelheiten über das Ergebnis sollen nicht bekanntgegeben werden. In einem vorläufigen Bericht heißt es, dass die Maschine wegen „einer äußeren Einwirkung zahlreicher stark energiegeladener Objekte“ geborsten sei. Soviel allerdings war schon vor vielen Monaten bekannt.

Was Russland zu der Aufklärung des Vorgangs beizutragen hätte, wird zumindest nicht zur Kenntnis genommen, wenn nicht gar verworfen. So hatte ein bislang unbekanntes britisches Institut namens Bellingcat Russland vorgeworfen, Satellitenbilder gefälscht zu haben. Natürlich nahmen westliche Medien das begierig auf, bis sich herausstellte, dass nicht die russischen Bilder, sondern die Methoden des Instituts überaus windig waren. Inzwischen wird es bei der Diskussion um MH17 nicht mehr zitiert.

Dagegen veröffentlichte das russische Ermittlungskomitee den Namen eines Hauptzeugen im MH17-Fall, der von der Beteiligung eines ukrainischen Kampfflugzeuges spricht. Wie der ehemalige ukrainische Luftwaffentechniker Jewgeni Agapow beteuert, war ein ukrainischer Kampfjet des Typs Suchoi Su-25 in die MH17-Ka­tastrophe verwickelt. Bei seiner Rückkehr habe der Pilot gesagt: „Es war das falsche Flugzeug.“ Das „richtige“ hätte die Maschine des russischen Präsidenten Wladimir Putin sein können, der sich zu diesem Zeitpunkt auf einer ähnlichen Route auf dem Heimweg von Brasilien befand. Florian Stumfall


Massive Vorwürfe
Rücktritt von Rumäniens Premier gefordert

Seit dem Amtsantritt des deutschstämmigen Staatspräsidenten Klaus Johannis hat in Rumänien ein großes Reinemachen begonnen. Dem sind bereits ein gutes Dutzend ehemaliger Minister zum Opfer gefallen. Jetzt hat die rumänische Antikorruptionsbehörde auch gegen den Premierminister Victor Ponta Ermittlungen wegen Urkundenfälschung, Geldwäsche und Steuerhinterziehung aufgenommen. Die Vorwürfe sind massiv. Nach westlichen Maßstäben könnte sich ein Politiker mit derart massiven Verfehlungen kaum noch im Amt halten. In Rumänien ist das anders. Der Aufforderung der Opposition, der US-Botschaft und auch seines eigenen Präsidenten, sein Amt zur Verfügung zu stellen, kam der 43-Jährige bislang nicht nach. Den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Ponta lehnte das Abgeordnetenhaus in Bukarest mit 231 Nein-Stimmen zu 120 Ja-Stimmen eindeutig ab. So behält der Ministerpräsident seine parlamentarische Immunität und sein Amt.

Der seit 2012 als Regierungschef amtierende Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei (PSD) hat Jura studiert und arbeitete früher als Rechtsanwalt und Staatsanwalt. Plagiatsvorwürfe konnten ihm nichts anhaben. Seiner Ankündigung, seinen illegal erworbenen Doktortitel der Universität Bukarest zurückzugeben, ist er bislang nicht nachgekommen. Der Abteilung für Korruptionsbekämpfung der Staatsanwaltschaft nach soll Ponta in den Jahren 2007 und 2008 fiktive Beratungsverträge für staatliche Energiekonzerne abgeschlossen haben. Damals arbeitete Ponta noch als Rechtsanwalt. Der Premier wies die Anschuldigungen zurück, legte allerdings keine Dokumente zu seiner Entlastung vor. Er sagte lediglich, die Politik werde im Parlament und nicht in der Antikorruptionsbehörde gemacht. Nun müssen die Korruptionsermittlungen ohne eine Aufhebung der Immunität Pontas fortgesetzt werden, was wesentlich schwieriger ist, weil keine Hausdurchsuchung durchgeführt werden kann.

Ponta gilt als Ziehsohn seines 65-jährigen Parteifreundes Adrian Nastase. Dieser war von 2000 bis 2004 Rumäniens Regierungschef und ist 2012 wegen Erpressung zu drei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden. Bodo Bost


Rückschlag für EU-Annäherung

Die Annäherung zwischen der Republik Moldau und der Europäischen Union hat mit dem Rück­tritt des moldauischen Ministerpräsidenten Chiril Gaburici möglicherweise einen herben Rück­schlag erlitten. Der 38-Jährige hatte sein Amt zur Verfügung gestellt, nachdem sich der Verdacht erhärtet hatte, dass er sein Abiturzeugnis gefälscht habe. Erst Mitte Februar hatte Gaburici eine prowestliche Minderheitsregierung aus Liberaldemokraten und Demokraten gebildet.

Die prorussischen Parteien fordern nun Neuwahlen. Nach aktuellen Umfragen könnten sie wieder mit einer Mehrheit rechnen. Sie wollen das Partnerschaftsabkommen mit der EU rückgängig machen und stattdessen in eine Zollunion mit Russland eintreten.

In dem aus den Parlaments­wahlen vom 30. November vergangenen Jahres hervorgegangenen 101-köpfigen Parlament ist die Fraktion der prorussischen Partei der Sozialisten der Republik Moldau mit 25 Abgeordneten die stärkste. Die Liberaldemokratische Partei Moldaus, deren Kandidat Gaburici war, ist mit 23 Sitzen zweitstärkste Kraft. Auf den Plätzen drei bis fünf folgen die Partei der Kommunisten der Republik Moldau mit 21, die Demokratische Partei Moldaus mit 19 und die Liberale Partei mit 13 Mandaten.

B.B./PAZ


MELDUNGEN

Japan gibt Pazifismus auf

Tokio – Japan vollzieht einen sicherheitspolitischen Paradigmenwechsel. Das Unterhaus stimmte einer neuen Militärdoktrin zu, die das seit Ende des Zweiten Weltkrieges von der Verfassung vorgeschriebene Verbot der kollektiven Verteidigung äußerst großzügig auslegt. Bisher war ein bewaffneter Auslandseinsatz des Militärs, das die programmatische Bezeichnung „Selbstverteidigungskräfte“ trägt, nicht möglich. Nun sind auch Kampfeinsätze „zur Unterstützung von Verbündeten und zur Beilegung internationaler Konflikte“ erlaubt. Das ist nicht nur im eigenen Land umstritten, sondern wird auch in den Nachbarländern argwöhnisch beobachtet. Regierungschef Shinzo Abe erklärte, die Rolle des Militärs solle gestärkt werden, „besonders China gegenüber“, mit dem sich Japan seit Jahren im sogenannten Inselstreit befindet. J.H.

 

Jugendliche sollen von der Straße

Chicago – Ein Dutzend der bekanntesten US-Unternehmen hat sich zusammengetan, um Jugendliche von der Straße zu holen. Gemeinsam wollen sie in den kommenden drei Jahren 100000 junge Menschen im Alter von 16 bis 24 Jahren, die ethnischen Minderheiten angehören und aus einkommensschwachen Familien stammen, einstellen. Die Einstellungsoffensive startet mit einer Job-Messe in Chicago. Dabei erwarten die teilnehmenden Unternehmen mindestens 1000 Einstellungen in der Region Chicago in den nächsten 18 Monaten. Die Initiatoren planen Job-Messen in weiteren Städten und rufen andere Unternehmen auf, sich ihnen anzuschließen. Die Idee zu der Aktion stammt von dem in ärmsten Verhältnissen aufgewachsenen Howard Schultz, dem Chef der weltweit vertretenen Kaffeehaus-Kette Starbucks-Coffee. U.M.


S. 7 Wirtschaft

Geld gegen Hass
Je mehr Opfer die Deutschen für die Euro-Rettungspolitik bringen, desto unbeliebter werden sie

Eine Einigung zwischen Griechenland und seinen Kreditgebern war gerade bekanntgeworden, da organisierte sich weltweit bereits ein Sturm des Hasses gegen Deutschland.

Alarmierend ist insbesondere, auf wie viel Zustimmung ein Boykottaufruf gegen deutsche Produkte gestoßen ist. So avancierte das Schlagwort „BoycottGermany“ bei dem sozialen Internetdienst Twitter innerhalb von Stunden zu einem so genannten Toptrend. Garniert mit Hitler-Bildern, Hakenkreuzen und NS-Zitaten überschlugen sich die Forderungen. Während aus Italien ganz allgemein zum Boykott deutscher Waren aufgerufen wurde, listeten andere Twitter-Nutzer sogar ganz konkret Produkte von deutschen Firmen auf, die tunlichst gemieden werden sollen. Der durchgehende Tenor: Es sei Deutschland, das für die griechische Misere die Verantwortung trage.

Aus deutscher Sicht kann dies nur als Fiasko der bisherigen Rettungspolitik für den Euro bezeichnet werden. Deutschland ist endgültig zum Sündenbock für das gescheiterte Projekt Euro geworden. Kaum zur Kenntnis genommen wird von der internationalen Öffentlichkeit noch, dass es auch beim dritten Hilfspaket für Griechenland einmal wieder die deutschen Steuerzahler sind, die den größten Anteil schultern sollen. Ebenfalls keine große Erwähnung findet die Tatsache, dass sich bei den Verhandlungen mit der Führung in Athen andere Regierungen sehr viel kompromissloser gezeigt haben als Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Griechenlands ehemaliger Finanzminister Giannis Varoufakis hat einmal durchblicken lassen, wie unnachgiebig sich die Regierungen anderer verschuldeter Euro-Staaten bei den Verhandlungen gezeigt haben: „Von Anfang an haben die betreffenden Länder überdeutlich klargestellt, dass sie die ener-gischsten Feinde unserer Regierung sind, von Anfang an. Der Grund hierfür ist, dass ihr größter Albtraum unser Erfolg ist: Hätten wir es geschafft, einen besseren Deal für Griechenland auszuhandeln, würde sie das politisch natürlich vernichten, sie müssten ihrer eigenen Bevölkerung erklären, warum sie nicht so verhandelt haben, wie wir es taten.“ In der Öffentlichkeit hängengeblieben sind allerdings vielmehr verbale Attacken wie die von Italiens Premier Matteo Renzi, der die deutsche Regierung auf dem Höhepunkt des Verhandlungspokers mit den Worten „Deutschland, jetzt reicht es!“ anging.

Widersinnig erscheint die Politik der Bundesregierung, mit immer mehr Geld immer mehr Hass zu erkaufen, allerdings nur dann, wenn man davon ausgeht, dass Deutschlands Wohl das primäre Interesse der Bundesregierung sei. Auf mögliche andere Prioritäten verweist eine Analyse des stellvertretenden Finanzministers der USA in der Ära Reagan, Mitbegründer des damaligen wirtschaftspolitischen Programms (Reaganomics) sowie Kritiker der heutigen US-Außenwirtschaftspolitik Paul Craig Roberts: „Der Plan von EU und EZB besteht darin, die fiskalische Unabhängigkeit der EU-Mitgliedsländer zu beenden, indem die Steuer- und Haushaltspolitik der EU übertragen wird.“ Die griechische „Staatsschuldenkrise wird genutzt, um einen Präzedenzfall zu schaffen, der für alle Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten gelten würde. Die Mitgliedsstaaten wären keine souveränen Staaten mehr. Die Maßnahmen, die Deutschland und Frankreich unterstützen, werden am Ende ihrer eigenen Souveränität ein Ende bereiten.“ Tatsächlich würde diese Analyse weitaus besser das Agieren des überzeugten „Europäers“ Wolfgang Schäuble erklären als eine angebliche deutsche Großmannssucht.

Norman Hanert


Rätselraten über China
Spekulationen über die Folgen des Börsenabsturzes

Weil China eine relative Liberalisierung seiner Wirtschaft vorantreibt, vergessen viele westliche Beobachter, dass das Land nach wie vor von einem kommunistischen Regime regiert wird, dem die Mittel der staatlichen Propaganda nur zu vertraut sind. So wunderten sich zahlreiche deutsche Kommentatoren über eine Erfolgsmeldung, die von Peking aus am vergangenen Wochenende um die gesamte Welt ging. Die chinesische Wirtschaft sei im zweiten Quartal um sieben Prozent gewachsen. Dies sei die gleiche Rate wie zu Jahresbeginn, teilte eine Statistik-Behörde mit. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ schrieb daraufhin, „dass sich Chinas Wirtschaft aller Unkenrufe zum Trotz immer noch in solider Verfassung befindet.“ Doch dies ist nur die halbe Wahrheit.

In den vergangenen Monaten sind die chinesischen Aktienmärkte regelrecht kollabiert. Nur mit Hilfe staatlicher Stützmaßnahmen konnte die Situation halbwegs bereinigt werden. „Es besteht die Gefahr, dass der Börsenabsturz Chinas Wachstumsraten noch weiter einbrechen lässt, was zweifellos negative Folgen für die Weltwirtschaft hätte“, sagt Sandra Heep, Expertin des China-Instituts Merics in Berlin der Deutschen Presse-Agentur.

China ist mittlerweile zu einem wichtigen Exportpartner geworden, Anleger und Wirtschafts-Experten fürchten gar ein „zweites Griechenland“. Bereits jetzt stöhnt die in China sehr präsente deutsche Automobilindustrie. Die Wachstumsprognose wurde bis Jahresende auf drei Prozent reduziert, ursprünglich war mehr als das Doppelte veranschlagt worden.

Chinas Wirtschaft wächst so langsam wie seit 25 Jahren nicht mehr. Das offizielle Plus von sieben Prozent sei beschönigt, sagen Experten. Als realistisch gelten eher fünf Prozent, aber dies sei nun einmal schwierig nachzuprüfen. 2014 hatte sich das Wachstum der Volksrepublik bereits auf 7,4 Prozent abgekühlt, die jetzt herausgegebenen sieben Prozent bedeuten also einen neuen Tiefststand. „Das Vertrauen in Chinas Fähigkeit, die Wirtschaft im Griff zu haben, gerät jetzt ins Wanken“, erklärte Ruchir Sharma vom Investmenthaus Morgan Stanley gegenüber dem „Wall Street Journal“. „Wenn das Vertrauen zusammenbricht“, so Sharma, „werden die globalen Auswirkungen schlimmer sein als die der griechischen Schuldenkrise.“

Selbst die staatlichen Stellen scheinen ihren eigenen Zahlen nicht zu glauben. Aus einem Wikileaks-Dokument geht hervor, dass der heutige Premierminister Li Keqiang bereits im Jahr 2007 vor gefälschten Zahlen warnte. Um sich ein wahres Bild zu verschaffen, müsse er andere Quellen benutzen.

Auffallend ist derzeit die Unsicherheit, mit der Experten die Lage in Peking beschreiben. „Jammern auf hohem Niveau“, findet der Finanzmarktexperte Uwe Wiesner, der gegenüber „Spiegel Online“ darauf hinwies, „dass die Löhne steigen und damit auch der Wohlstand der Bevölkerung. Wir haben es eher mit der Normalisierung nach einem Höhenflug zu tun.“ An anderer Stelle wird dagegen auf den hohen Schuldenstand und die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit chinesischer Unternehmen hingewiesen. Sandra Heep glaubt, dass China die Probleme verschleppen wolle.

Peter Entinger


Renten fressen das Land
Athen: Altersbezüge liegen noch immer weit über dem Tragbaren

Die Fernsehaufnahmen des alten Mannes in Griechenland gingen um die Welt und erreichten die Herzen von Millionen. Weinend saß der Rentner vor seiner geschlossenen Bank. Er wollte die Rente abheben, um überlebenswichtige Medikamente für seine schwerkranke Frau zu besorgen – und konnte es nun nicht.

Die erschütternden Bilder lagen im scharfen Kontrast zu den Berichten zu hellenischen Rentenniveaus, die abnorm hoch seien, verglichen mit anderen Euro-Ländern. Erst recht, wenn Beitragsjahre und Durchschnittsgehalt berücksichtigt werden.

Der Vergleich mit Deutschland fällt trotz griechischer Kürzungen noch immer frappierend aus: Ein Grieche erhält nach Schätzung der früher „Troika“ genannten Experten der internationalen Geldgeber mehr als 80 Prozent seines Gehalts später als Rente. In Deutschland seien dies nur noch 48 Prozent, wobei die Zahl infolge fortschreitender Kürzungen auf unter 40 Prozent fallen werde.

Auch in absoluten Zahlen können sich die Griechen, was den Durchschnitt angeht, nicht beschweren.

Ex-„Wirtschaftswoche“-Chef Roland Tichy hat für sein Internetportal „Tichys Einblick“ die Daten aus vier mittelosteuropäischen Euro-Ländern, Deutschland und Griechenland nebeneinander gestellt. Anhand der Zahlen wird erklärlich, warum die Regierungen der mittelosteuropäischen Staaten einen besonders harten Kurs gegenüber Athen verlangt haben.

Laut Tichy beträgt die monatliche Durchschnittsrente in der Slowakei 391 Euro, in Estland 345, in Lettland 266 und in Litauen gar nur 237 Euro. Griechen kassierten dagegen ein Altersruhegeld von im Schnitt 833 Euro; das sei sogar mehr als ein durchschnittlicher deutscher Rentner, der mit 766 Euro auskommen müsse. Private oder betriebliche Zusatzrenten, die den Betrag bei vielen Deutschen erheblich anhöben, gebe es in Griechenland auch, so Tichy.

Andere Schätzungen kommen zwar auf niedrigere Zahlen für Hellas. Allerdings liegen auch diese deutlich über den Bezügen in den baltischen Staaten oder der Slowakei, die heute als Geldgeber für Athen in die Bresche springen müssen, auch um das dortige Sozialniveau zu stabilisieren. Hinzu kommt, dass das Renteneintrittsalter in Griechenland noch immer um Jahre unter dem deutschen liegt.

Bei der Betrachtung darf indes nicht übersehen werden, dass die Durchschnittswerte den krassen Unterschied wegwischen zwischen solchen Griechen, die als Angestellte im öffentlichen Dienst tätig waren und den Beschäftigten der Privatwirtschaft. Letztere erhalten deutlich weniger Ruhegeld als ehemalige Staatsangestellte. Die ehemaligen Staatsdiener profitieren nicht selten von beträchtlichen Sonderleistungen.

Am meisten Kopfzerbrechen bereitet den Experten, dass das griechische Rentensystem immer untragbarer wird. Ohne tiefe Einschnitte werde das Land im Jahre 2055 satte 24 Prozent seiner Wirtschaftsleistung (BIP) allein für Renten ausgeben müssen, heute seien es gut 17 Prozent. Deutschland wendet derzeit zwölf Prozent seines BIP für die Ruheständler auf. Diese Zahl wird laut Experten wegen der Einschnitte in Deutschland bis 2055 auch in etwa stabil bleiben. H.H.


MELDUNGEN

Poker um Kali und Salz

Saskatoon – Der weltweit größte Produzent von Kaliumchlorid und Düngemitteln für die Landwirtschaft, die Potash Corporation of Saskatchewan (PotashCorp) mit Sitz in Saskatoon in der kanadischen Provinz Saskatchewan, hat trotz der Ablehnung des deutschen Konkurrenten K+S, der früheren Aktiengesellschaft Kali und Salz, seine Pläne bekräftigt, den Kasseler Dax-Konzern zu übernehmen. Medienberichten zufolge soll PotashCorp 41 Euro je K+S-Aktie geboten haben. Analysten und Investoren sind sich überwiegend einig, dass PotashCorp sein Ziel notfalls auch durch eine feindliche Übernahme erreichen könnte. N.H.

 

Rekord bei Bußgeldern

Bonn – Das Bundeskartellamt hat im Jahr 2014 Gesamtbußgelder in Höhe von einer Milliarde Euro verhängt. Damit sei erstmals die Milliarden-Grenze überschritten worden, heißt es in dessen Tätigkeitsbericht. Als Grund für die hohe Summe nennt die Behörde den Abschluss der drei großen Kartellverfahren gegen Zuckerhersteller, Brauereien und Wursthersteller. Zudem wurde 2014 über 1123 Unternehmenszusammenschlüsse entschieden. J.H.


S. 8 Forum

Unlösbar
von Manuela Rosenthal-Kappi

Alles schaut nach Griechenland und auf die leidende Bevölkerung dort und vergisst, dass in der Ukraine täglich Menschen sterben in einem Krieg, für den auch Politiker im Westen die Verantwortung tragen. Die aktuellen Ereignisse im Westen der Ukraine zeigen, dass es – auch ohne Einfluss der Russen – zu Konflikten kommen kann in einem innerlich zerrissenen Land. Und das geschieht quasi vor unserer Haustür. Grund für die Schießerei in den Vorkarpaten und den Bombenanschlag in Lemberg sind korrupte und mafiöse Strukturen, die offenbar viel stärker sind, als wir uns das hier überhaupt vorstellen können. Was soll sich denn ändern, wenn eine gewählte Regierung, gebildet aus Oligarchen, durch andere, mit diesen rivalisierende Oligarchen ersetzt wird. Das ist, als wollte man den Teufel mit dem Beelzebub austreiben.

Der Majdan, der uns als Ausdruck des Wunsches der ukrainischen Bevölkerung nach einer Annäherung an den Westen verkauft wird, war nichts anderes als ein Umsturz. Wenn der Kampf der Transkarpatenmafia mit dem Rechten Sektor in die heiße Phase übergeht, haben Präsident Poroschenko, aber auch die EU, ein weiteres unlösbares Problem.


Beigeschmack
von Thomas W. Wyrwoll

Der Gouverneur von Wolgograd, Andrej Botscharow, hat vorgeschlagen, im Vorfeld der in Russland stattfindenden Fußballweltmeisterschaft 2018 ein „Friedensspiel“ der deutschen und der russischen Nationalmannschaft zu veranstalten. Wolgograd ist historischer Boden der gemeinsamen Geschichte beider Völker. Hier gab es die berühmte Herrnhuter Stadtgründung Sarepta, die für Russland in vielfacher Weise modellgebend war und an die in der Wolgastadt bis heute intensiv erinnert wird. Im allgemeinen öffentlichen Bewußtsein ist freilich die „Schlacht von Stalingrad“ präsenter, da sie weithin als Wendepunkt des Zweiten Weltkriegs angesehen wird und zahlreiche deutsche und russische Soldaten das Leben gekostet hat. Was wäre daher naheliegender, als mit einer in beiden Ländern beliebten Sportart wie dem Fußball ein Zeichen für den Frieden zu setzen? Das Spiel wäre zudem ausgezeichnet für die Einweihung des neugebauten Stadiums geeignet.

Freilich soll dieses Stadion den Namen „Siegesarena“ tragen, und bei allem aus verständlichen politischen Gründen gepflegten Stolz über den Sieg im letzten Weltkrieg denkt man in Russland leider in vielen Fällen wenig darüber nach, wie solche Begriffe andernorts ankommen. Wie wäre es, wenn man das Stadion nach dem benennt, was man zelebrieren will und was man gemeinsam als Forderung aus Stalingrad ableiten müßte: dem Frieden!? Eine Bezeichnung als „Friedensarena“ würde den bisweilen negativen Beigeschmack mancher Erinnerungsmale überdecken, der Welt gegenüber menschliche Größe zeigen und Russland in vielfacher Hinsicht zugutekommen


Auch TISA stoppen!
von Eberhard Hamer

Der Informationsdienst „Campact“ hat herausgefunden, dass die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström in der zweiten Juli-Woche in Genf für die Europäische Union mit 23 Staaten das Dienstleistungsabkommen TISA (Trade in Services Agreement, Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen) geheim weiterverhandelt hat.

Inzwischen dämmert nämlich den „Tätern“, dass das Geheimabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partner

ship, Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft) wohl wunschgemäß nicht durchgeht, dass die Bevölkerung gegen diese Machtergreifung der atlantischen Konzerne auf die Barrikaden gegangen ist und dass die Politiker sich deshalb nicht mehr trauen, das Geheimabkommen mit dem Pferdefuß Schiedsgerichtsbarkeit durchzuwinken.

Die Vereingten Staaten versuchen deshalb, vorerst mit TISA weiterzukommen. Dieses Dienstleistungsabkommen soll das Standesrecht der freien Berufe und auch die öffentlichen Dienst­leistungen wie Gesundheit, Bildung, Nahverkehr oder, Wasserversorgung zugunsten der atlantischen Konzerne weltweit ausschreibungspflichtig machen und damit beispielsweise in den Kommunen für die internationalen Investoren sicherere Umsatzrenditen der zu festen Gebühren abrechnenden Infrastruktureinrichtungen ermöglichen.

Künftig werden dann Gesundheit, Bildung, Nahverkehr und Wasserversorgung nicht mehr zugunsten der Bevölkerung, sondern zugunsten des internationalen Großkapitals betrieben – mit entsprechenden Preissteigerungen und Leistungsverschlechterungen. Und wenn die städtischen Krankenhäuser oder Stadtwerke oder Straßen einmal privatisiert sind, haben die Kommunen keine Möglichkeit des politischen Einflusses mehr, weil sie private Schiedsgerichte fürchten müssen. Die kommunale Daseinsvorsorge soll so zur Dauerrendite für die internationale Finanzclique werden, entnationalisiert und kapitalisiert.

Wir Bürger haben bei TTIP bewiesen, dass wir uns nicht alles gefallen lassen, dass wir unsere Eigenverantwortung nicht an das internationale Kapital abgeben wollen. Wir müssen jetzt auch bei TISA protestieren, damit nicht auf dem Nebenweg dieselbe internationale Kapitalherrschaft über den Dienstleistungssektor entsteht, wie es bei TTIP für die gesamte gewerbliche Wirtschaft geplant war.

Allein, dass diese Abkommen auf Befehl der USA geheim bleiben sollten, zeigt ihren Betrugs­charakter. Dass die Europäische Union dazu die Hand bietet, zeigt, dass sie nicht demokratisch den europäischen Bürgern, sondern der internationalen Finanzoligarchie dient. Beides müssen wir stoppen und gegen beides müssen wir protestieren!


Gastbeitrag
Die neue deutsche Entnazifizierung
von Wolfgang Reith

Als eine deutsche Sportreporterin während der Fußballweltmeisterschaft in Südafrika 2010 im Fernsehen ihre Freude über einen Sieg der deutschen Mannschaft in die Worte kleidete, das sei „wie ein innerer Reichsparteitag“, da gab es wegen dieser Wortwahl sofort Stimmen, die eine Entschuldigung und sogar die Entlassung der Journalistin forderten, weil es sich bei der „unverzeihlichen Entgleisung“ zweifellos um einen nationalsozialistischen Ausdruck handele. Die Dame selbst gehört der sogenannten Enkelgeneration an, ist also in einem Alter, in dem sie den Begriff höchstens mal bei ihrem Großvater, der in der NS-Zeit vielleicht schon erwachsen war, vernommen haben mag. Folglich war sie sich auch keiner Schuld bewusst, als sie die Formulierung verwendete.

Schon einige Zeit vorher war eine andere deutsche Journalistin massiv in die öffentliche Kritik geraten, weil sie sich positiv über die Familienpolitik während der NS-Herrschaft geäußert hatte. Ausschlaggebend für die bald darauf erfolgte Kündigung durch den Arbeitgeber war zwar auch die „verharmlosende“ Erwähnung der Unworte „Hitler“ und „Drittes Reich“, ebenso aber der Begriff „Familienpolitik“, der durch jene Zeit eindeutig „belastet“ sei.

Die beiden Vorgänge zeigen, dass der seit Jahren propagierte „Kampf gegen Rechts“ – gemeint ist ja eigentlich rechtsradikal beziehungsweise rechtsextrem – hierzulande skurrile Blüten treibt. Die nicht enden wollende Vergangenheitsbewältigung hat nämlich inzwischen das gesamte öffentliche Leben erfasst, und es gibt inzwischen sogar selbsternannte Sprachpolizisten, die eine Diktatur der „politisch korrekten“ Wortwahl anstreben. Wer sich dieser nicht beugt, soll an den symbolischen Pranger gestellt, ja landesweit diskreditiert werden.

Jüngstes Beispiel sind die geplanten Reformen von Bundesjustizminister Heiko Maas, insbesondere jene des Mordparagrafen, der angeblich noch vom „NS-Ungeist“ geprägt sei, so etwa, weil dort von „Heimtücke“ oder „niedrigen Beweggründen“ die Rede ist, was die „Sprache der Nazis“ sei (siehe PAZ 28/2015). Wer jedoch den Duden, immerhin das Standardwerk der deutschen Sprache, aufschlägt, findet dort sehr wohl die Wörter „Heimtücke“ oder „heimtückisch“, und wenn jemand eine gute Tat begeht, so hat er dafür meistens hehre Beweggründe, liegt ihr aber eine verbrecherische Absicht zugrunde, dann waren eben niedrige Beweggründe das Motiv.

Offensichtlich mutet solcherart „ideologischer Eifer“ wie eine neue deutsche Entnazifizierungswelle an. Hatten die Alliierten in den ersten Jahren nach 1945 noch eine Entnazifizierung der deutschen Gesellschaft eingeleitet, um sowohl die Täter zur Rechenschaft zu ziehen als auch das braune Gedankengut aus den Köpfen der Menschen zu tilgen, so erfolgte im Westen Deutschlands ab Mitte der 1960er Jahre eine zweite Entnazifizierung, diesmal von den eigenen Behörden ausgehend und bald vom Geist der 68er-Bewegung geprägt, die bis in die Gegenwart andauert.

In der DDR hatte man nach der Aussage Erich Honeckers den „Faschismus“ hingegen „mit Stumpf und Stil ausgerottet“, was dadurch „gelang“, dass viele ehemalige ranghohe Nationalsozialisten zu „gewendeten“ roten Genossen wurden, um im „Arbeiter-und-Bauern-Staat“ Karriere zu machen. Zwar war auch der Staatsdienst der alten Bundesrepublik Deutschland lange durchsetzt mit alten Parteigenossen der NSDAP, die sich dann einen demokratischen Anstrich gaben, gleichwohl fand daneben in Westdeutschland eine umfangreiche Aufarbeitung der Vergangenheit statt, wie sie die DDR nicht erlebte.

Seit einigen Jahren nun ist in Deutschland eine dritte Welle der Entnazifizierung zu beobachten, welche die beiden ersten an Gründlichkeit und Radikalität in den Schatten stellt, da sie fast alle Lebensbereiche erfasst und einen Absolutheitsanspruch erhebt, der kaum mehr eine andere Betrachtungsweise zulässt. Getragen wird sie von den zahlenmäßig kaum noch überschaubaren „Aktionen gegen Rechts“, die einhergehen mit einer geradezu totalitär anmutenden „politischen Korrektheit“. Bemerkbar macht sich dies vor allem durch die zwangsverordnete „Entnazifizierung der Sprache“ in Form einer „Ausmerzung“ beziehungsweise „Ausrottung“ (NS-Vokabular!) aller Wörter, bei denen eine vermeintliche NS-Symbolik oder ein brauner Hintergrund erkennbar zu sein scheinen.

Dabei spielt es auch keine Rolle mehr, ob die „anstößigen“ Begriffe schon vor 1933 gebräuchlich waren – Hauptsache, irgendein ranghoher Nationalsozialist hat sie mal benutzt.

Tatsächlich müssten diesem Umbenennungswahn dann so harmlose Wörter zum Opfer fallen wie Aktienrecht, Berufsschulpflicht, Gartenschau, Kleinbildkamera, Lebensmittelgesetz, Meisterbrief, Mieterschutz, Postleitzahlen, Sexualaufklärung und Verkehrsvorschriften, um nur zehn von über 1000 Begriffen zu nennen, die ihren Ursprung in der Zeit zwischen 1933 und 1945 hatten. Und wer erinnert sich heute noch, dass selbst Wörter wie Fernsehen, Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung, Umsatzsteuer oder Winterschlussverkauf seinerzeit entstanden? Sogar die „Abwrackprämie“ des Jahres 2009 hatte ihr Vorbild im „Gesetz über Steuerfreiheit für Ersatzbeschaffungen“ (sogenannte Verschrottungshilfe) vom Dezember 1933!

Wenn die Grünen erst wüssten, dass auch ihre Herzensanliegen Umweltschutz und Naturschutz dem NS-Vokabular entlehnt wurden – geprägt vom damaligen Reichsforst- und Reichsjägermeister Hermann Göring, der 1934 das seinerzeit weltweit fortschrittlichste Gesetz zum Schutz der Natur und der Umwelt schuf. Aber das darf man jetzt wohl auch nicht mehr laut sagen, weil man sonst in den Verdacht gerät, sich nationalsozialistisches Gedankengut zu Eigen zu machen. Es gibt auf jeden Fall noch ein sehr weites Feld zu beackern.


S. 9 Kultur

Nur ein Mensch mit Leidenschaften
Vincent van Goghs Tod vor 125 Jahren gibt Rätsel auf – Liebesdramen bestimmten sein Leben

Man könnte ihn eine tragische Gestalt nennen: Der vor 125 Jahren viel zu früh verstorbene Maler Vincent van Gogh fand zu Lebzeiten weder Ruhm noch Glück in der Liebe.

Was für eine Ironie der Kunstgeschichte: Die Bilder des früh verstorbenen holländischen Malers Vincent van Gogh (1853–1890) wurden zu seinen Lebzeiten nur von einigen wenigen Insidern der avantgardistischen Kunstszene geschätzt und fanden so gut wie keine Käufer. So dass der eigenwillige Holländer sein Leben lang von der Unterstützung seines Bruders Theo abhängig war. Heutzutage jedoch erzielen seine Gemälde auf Auktionen Höchstpreise.

Die meisten der im Verlauf von nur wenigen Jahren wie in einem Schaffensrausch entstandenen Bilder werden dem Postimpressionismus zugeordnet. Ihre kräftigen, hastig gesetzten Pinselstriche widerspiegeln die geradezu exzessive Leidenschaft, von der der Mensch und Künstler van Gogh beständig erfüllt gewesen war.

Voller Leidenschaft waren auch seine Beziehungen zu Frauen. Als er kurz nach seiner Ausbildung zum Kunsthändler von der Kunsthandlung Goupil zur Firmenfiliale nach London entsandt wird, verliebt sich der damals 20-jährige van Gogh in Ursula Loyer, die Tochter seiner Pensionswirtin. Als er in einer Aussprache von ihr erfährt, dass sie bereits seit Längerem mit einem anderen Mann heimlich verlobt ist, bricht für ihn eine Welt zusammen. Fortan wendet er sich intensiv dem christlichen Glauben zu. Christus nachzufolgen, den weltlichen Verlockungen zu entsagen und wie der Mönch Thomas von Kempen ein nach innen gerichtetes Leben zu führen, ist nun sein Wunsch. Im Borinage, dem belgischen Kohlenrevier, versucht er schließlich unter den Bergleuten als Evangelist zu wirken, wird jedoch nach Ablauf seiner Probezeit von dem zuständigen Missionskomitee entlassen. Daraufhin bricht van Gogh mit dem christlichen Glauben und stürzt sich in die Malerei.

Im Sommer 1881 verliebt er sich während eines Aufenthaltes in Etten, wo sein Vater als Pfarrer der reformierten Kirche tätig ist, unsterblich in seine Cousine Kee, die mit ihrem kleinen Sohn bei seinen Eltern zu Besuch ist. Kee, etwas älter als Vincent, ist immer noch in großer Trauer um ihren 1878 verstorbenen Mann. Das überstürzte Liebesgeständnis ihres Cousins entsetzt die junge Witwe. Ihre Absage an eine gemeinsame Zukunft ist eindeutig. Bald darauf kehrt sie nach Amsterdam zu ihren Eltern zurück.

Vincent jedoch weigert sich, ihr Nein zu akzeptieren. Da Kee auf seine Briefe nicht antwortet, reist er eines Tages selbst zu seinem Onkel, um die Cousine zur Rede zu stellen. Doch er bekommt sie nicht zu Gesicht. Da hilft es auch nichts, dass er vor den Augen ihrer Eltern seine Hand in die Flamme einer Lampe hält und fordert: „Lasst mich sie solange sehen, wie ich meine Hand in die Flamme halte.“ Doch man bläst ihm nur die Lampe aus. Frustriert verlässt der abgewiesene Liebhaber Amsterdam und begibt sich nach Den Haag, wo er im städtischen Vergnügungsviertel eine Prostituierte aufsucht. Seine Begründung gegenüber Theo in einem Brief: „Ich bin nur ein Mensch, und zwar ein Mensch mit Leidenschaften, Ich muss zu einer Frau, sonst erfriere ich oder versteinere ich.“

Bald schon wohnt van Gogh mit der Prostituierten zusammen. „Sien“, wie er sie nennt, hat eine vierjährige Tochter und ist erneut schwanger. Doch der Pastorensohn steht zu ihr und hofft, sie ändern und auf einen anderen Weg bringen zu können. Geradezu rührend ist er um sie, ihre Tochter und den im Verlauf des Jahres geborenen Jungen besorgt. Er hat sogar vor, sie zu heiraten.

In seinem Brief an Theo, in dem er ihm erstmals von seiner Begegnung mit Sien berichtet, gesteht er: „Es ist nicht das erste Mal, dass ich diesem Gefühl der Zuneigung und Liebe jenen Frauen gegen-über keinen Widerstand leisten konnte, besonders der Zuneigung und Liebe jenen Frauen gegenüber, die die Pastoren so verdammen und von der Höhe der Kanzel herab verurteilen und verachten.“

Doch das Zusammenleben mit Sien erweist sich auf Dauer als äußerst schwierig. Sie ist willensschwach und launenhaft und vernachlässigt den Haushalt. Überdies muss van Gogh ernüchtert feststellen, dass sie sich nach wie vor von dem unheilvollen Einfluss ihrer Mutter und Brüder bestimmen lässt. Schließlich kommt es zur Trennung.

War van Gogh bei Beginn seiner Beziehung zu Sien noch von einem Verhältnis gegenseitiger Liebe und Treue ausgegangen, so setzt sich jetzt eine ausgesprochen hedonistische Lebensmaxime bei ihm durch. Zumindest auf sexuellem Gebiet. Wobei er die Prostituierten bedenkenlos als Mittel zum Zweck der Erfüllung der eigenen männlichen sexuellen Wünsche und Bedürfnisse benutzt. „Die Hure“, schrieb er einmal an Theo, „ist wie Fleisch im Metzgerladen, und ich verfalle wieder in meinen tierischen Zustand.“

Am Ende seines kurzen, auf tragische Weise geendeten Lebens scheint sich van Gogh noch einmal in eine junge Frau verliebt zu haben. Nachdem er phasenweise von Zuständen geistiger Verwirrung heimgesucht und aus diesem Grunde mehrmals in einer Nervenheilanstalt untergebracht worden war, zog er im Mai 1890 in den nördlich von Paris gelegenen Ort Auvers-sur-Oise, wo er von dem Arzt und Kunstliebhaber Gachet betreut wurde und häufig in dessen Haus verkehrte. Als ersichtlich wird, dass der Patient große Zuneigung zu der 21-jährigen Arzttochter Marguerite empfand (und diese wohl auch zu ihm), kam es zu einem Zerwürfnis zwischen van Gogh und Gachet, der sich offenbar entschieden einer Liaison zwischen seiner Tochter und dem um 16 Jahre älteren Maler widersetzte. Kurz darauf, am 29. Juli 1890, starb van Gogh, nachdem er sich zwei Tage zuvor in die Brust geschossen hatte. Ist also eine der Ursachen für van Goghs Selbsttötung in jener ihm erneut versagten Liebesbeziehung zu sehen? Oder haben Naifeh und Smith recht, die in ihrer großen Van-Gogh-Biographie („Van Gogh. Sein Leben“, 2012) mit durchaus plausibler Begründung nicht von Selbstmord, sondern von einem tragischen Unglücksfall ausgehen, möglicherweise hervorgerufen durch Dritte? Matthias Hilbert


Ein Stück heitere, sorglose Welt
Renaissance der Chinesischen Gärten in Deutschland – Beispiel Oranienbaum

Waren aus China und anderen ostasiatischen Ländern sowie Reiseberichte hatten im Westen die Vorstellung entstehen lassen, es handle sich bei jenen Ländern um eine heitere sorglose Welt voller irdischen Glücks. Daher war an Europas Fürstenhöfen besonders im 18. Jahrhundert alles Chinoise sehr in Mode. Noch heute gibt es europaweit eine ganze Menge davon zu sehen, so dass die Staatlichen Schlösser, Burgen und Gärten Sachsen 2008 ein Symposion über das Thema veranstalteten, zu dem 2010 der Tagungsband „China in Schloss und Garten“ erschien. Verfügt Sachsen mit Pillnitz doch über eine Hochburg der Chinoiserie in Deutschland.

Auch Bayern und das alte Preußen besitzen mit der Pagodenburg in Nymphenburg und dem Chinesischen Turm im Englischen Garten, München, sowie dem Chinesischen Haus und dem Drachenhaus im Park von Sanssouci mehr oder weniger original erhaltene prägnante Beispiele der einstigen Chinamode. Die Chinesischen beziehungsweise Japanischen Teehäuser in Paretz bei Potsdam, Bellevue und Rheinsberg gingen dagegen für immer verloren.

Andere feierten Auferstehung: Die Pagode der Eremitage in Bayreuth wurde von 2000 bis 2003 als vereinfachte Rekonstruktion wieder errichtet. Das Chinesische Haus im Park von Schloss Steinhöfel in der Mark Brandenburg, gegen Ende des 19. Jahrhunderts wegen Baufälligkeit abgerissen, wurde ab 2004 stark vereinfacht wieder aufgebaut. Es diente einst dem Japanischen Haus von Paretz als Vorbild. Auch das Chinesische Häuschen im Altensteiner Schlosspark von Bad Liebenstein in Westthüringen, das ebenfalls 1923 abgerissen werden muss-te, gehört seit vier Jahren wieder zur Parkarchitektur.

Neuestes Objekt dieser Reihe ist das Chinesische Haus von Oranienbaum im Gartenteich DessauWörlitz. Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1740–1817, seit 1807 Herzog) hatte es ab 1795 errichten lassen. Doch sein Standort über dem Kanal führte schon im 19. Jahrhundert zu Schäden an Tapeten und Möbeln bis hin zu Verlusten.

Dank der finanziellen Unterstützung der Europäischen Union, der Bundesrepublik Deutschland sowie des Landes Sachsen-Anhalt, die Gelder im Rahmen des Kulturinvestitionsprogramms des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und des Leuchtturmprogramms beisteuerten, konnte die 2009 begonnene Restaurierung jetzt abgeschlossen werden. Kosten: 1,3 Millionen Euro.

Besondere Sorgfalt galt der Rekonstruktion der drei Innenräume. Die schönen Papiertapeten mit Vogelmotiven waren bis auf zwei Motive verlorengegangen. Da sie im 18. Jahrhundert auch im Schloss Paretz angebracht worden waren, sich dazu zwei Bahnen im Schloss Wörlitz finden ließen und gute historische Fotos vorlagen, machen heute Kopien den ursprünglichen Raumeindruck wieder lebendig. Auch für die Rekonstruktion der Möbel gab es Vorbilder, die textilen Bezüge wurden in Anlehnung an historische Fotos beschafft.

Den klimatischen Bedingungen relativ gut trotzen konnten dagegen, dank ihres mineralischen Grundes, die Wandbilder des mittleren Raums. Hier mussten nur die Malschicht befestigt und Retuschen vorgenommen werden. Die Darstellungen zur Philosophie des Konfuzius lassen den Pavillon als Ort der Kontemplation begreifen. Neben dem Chinesischen Haus beherbergt Oranienbaums Chinesischer Garten noch eine fünfgeschossige Pagode. Damit gilt er als einzig in seiner Art in Deutschland.

Helga Schnehagen

Sonderführung „China im Gartenreich“: 26. Juli, 2., 9., 16., 23. und 30. August, 6., 13., 20. und 27 September jeweils 11 Uhr. Treffpunkt ist der Gartenreich-Laden im Schlosshof.


Verkehrte Welt
Landesbibliothek: Ort des Schwadronierens

Früher wurde an den deutschen Hochschulen die künftige gesellschaftliche Elite des Landes herangezogen. Damit ist es schon des Längeren vorbei: Jetzt sind die Universitäten eher ein Sammelbecken für Spätpubertierende, denen in ihrer bisherigen Bildungskarriere kein ausreichendes Sortiment an sozialen Normen und fachlichen Kompetenzen vermittelt wurde. Das spürt man beim Besuch der entsprechenden Bibliotheken. Ein typisches Beispiel ist die Sächsische Landesbibliothek (SLUB), welche als Bibliothek des Freistaates und als Universitätsbibliothek der Technischen Universität Dresden dient. Trotz dieser Doppelfunktion wird das Haus in allererster Linie von Studenten überrannt, welche hier einen „Lern- und Arbeitsort“ finden sollen. Dabei nutzen die „Lernenden“ die SLUB aber eher zum Schwadronieren als zum Studieren – was nicht zuletzt für einen Geräuschpegel sorgt, der jeden ernsthaften Leser in die Flucht treibt.

Und auch sonst ist das Auftreten des akademischen Nachwuchses derart grenzwertig, dass die Bibliothek mit der anlassbezogenen Novellierung ihrer Benutzungsordnung kaum noch nachkommt. So musste in der Vergangenheit bereits untersagt werden, den „Lern- und Arbeitsort“ ohne Schuhwerk und mit freiem Oberkörper zu betreten.

Das heißt aber nicht, dass es jedem Studenten an der Fähigkeit mangelt, das gewünschte „ruhige und rücksichtsvolle“ Verhalten zu zeigen. Das beweisen unter anderem jene, die in den zahllosen Couchecken in den Untergeschossen, wo die geisteswissenschaftliche Literatur wartet, den Schlaf der Gerechten schlafen.

Verhaltensweisen, die der um Ernsthaftigkeit bemühte Bibliotheksbenutzer nicht mehr nachzuvollziehen vermag, finden sich indes auch beim Personal. So unterbleibt der Ankauf wichtiger Fachliteratur, weil angeblich keine Mittel hierfür zur Verfügung stehen. Zugleich werden jedoch Bücher beschafft, die man beim besten Willen nur als rechtsesoterisch bezeichnen kann, wie „Flugscheiben über Neuschwabenland“ oder „Hochtechnologie im Dritten Reich. Reichsdeutsche Entwick-lungen und die vermutliche Herkunft der UFOs“. Wie passt das wohl zum angeblichen wissenschaftlichen Anspruch der Einrichtung sowie zur erklärten Politik der SLUB, den Kampf, den die TU Dresden gegen alles führt, was irgendwie „rechts“ zu sein scheint, nach Kräften zu unterstützen? Wolfgang Kaufmann


S. 10 Geschichte

Als die »Großen Drei« sich selber Lügen straften
Das Verhalten der Siegermächte auf der Potsdamer Konferenz widersprach ihren Beteuerungen in der Atlantk-Charta

In der nach der Gründung der Vereinten Nationen in Potsdam vom 17. Juli bis 2. August 1945 abgehaltenen Dreimächtekonferenz hätten die „Großen Drei“, der US-Präsident Harry S. Truman, der sowjetische Regierungs- und Parteichef Josef Stalin sowie der britische Premier Clement Attlee, beweisen können, dass sie keinerlei Bereicherung, keine territorialen Veränderungen anstreben, wie in der Atlantik-Charta bekundet. Es wäre ein einmaliger Friedensakt gewesen. Doch sie entschieden sich dagegen.

Von der Potsdamer Konferenz wurden sowohl die Öffentlichkeit als auch das Völkerrecht ausgeschlossen. Der Demokratisierung der Welt wurde ein Bärendienst erwiesen. Das Deutsche Reich, das in seinen Grenzen vom 31. Dezember 1937 für völkerrechtlich fortbestehend erklärt wurde, wurde aufgeteilt in drei Besatzungszonen und unter Kontrollratshoheit gestellt. Alle Siegermächte machten sich über die fette Beute her und bereicherten sich schamlos. Man konfiszierte unzählige Patente, demontierte Industrieanlagen, raubte Kunstschätze, machte aber auch Jagd auf nützliche hochqualifizierte Techniker und Wissenschaftler.

Das Potsdamer Abkommen ist nur ein gemeinsames Konferenz-Kommuniqué, eine Absichtserklärung der „Großen Drei“. Es ist kein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag. Mit ihm wurde kein Recht geschaffen. Es ist ein Diktat, dem sich der Besiegte zu fügen hatte. Das Potsdamer Abkommen ist weder Recht noch eine „rechtliche Grundlage“, wie es fälschlich Bundespräsident Joachim Gauck am 20. Juni 2015 beim Weltflüchtlingstag der UN darstellte. Geradezu zynisch hört sich angesichts der brutalen Massenvertreibung von etwa zwölf Millionen Deutschen der „Pontius-Pilatus-Satz“ an, dass bitte eine humane und „ordnungsgemäße Überführung deutscher Bevölkerungsteile“ erfolgen solle. Das Elend konnte man mit Händen greifen. Der Raub der Heimat kann nie human sein. Die „Großen Drei“ wussten um die Deportationszüge gen Russland, aber auch um die katastrophalen Zustände in den US-Lagern bei Bretzenheim und in den Rheinwiesen bei Remagen.

Der Beschluss, dass das Deutsche Reich in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 fortbestehe, wurde 1943 bei einer Konferenz der Außenminister in Moskau getroffen. Im Londoner Protokoll 1944 wie der Potsdamer Konferenz 1945 wurde diese nicht völkerrechtskonforme „Grenze“ bestätigt. Wenn auch das Datum 31. Dezember 1937 willkürlich gewählt war, so wurde damit doch wenigstens die völkerrechtliche Kontinuität des Deutschen Reiches bestätigt. Der Begriff „Deutschland als Ganzes“ wurde in Artikel 23 des Grundgesetzes aufgenommen und mit ihm das „Wiedervereinigungsgebot“. Die am 23. Mai 1949 begründete Bundesrepublik Deutschland trat die Rechtsnachfolge des Deutschen Reiches an und erhob den Anspruch auf „Alleinvertretung“. Sie hatte per Grundgesetz die Aufgabe, die drei Besatzungszonen wieder zu vereinen. Darin stimmten anfangs alle demokratischen Parteien überein. Bei allen Konferenzen der Sieger war nie von einer Annexion „Ostdeutschlands“ die Rede. Auch bei der Teheran-Konferenz vom 28. November bis 1. Dezember 1942 war davon nicht die Rede. Dort wurde nur die Aufteilung in die drei Besatzungszonen festgelegt. Berlin wurde in Sektoren aufgeteilt.

Die Absprache über die Zukunft der „Ostgebiete“ wurde ohne die USA wahrscheinlich bei der Moskauer Konferenz vom 9. bis 20. Oktober 1943 zwischen Winston Churchill und Stalin getroffen. Zwischen beiden ging es um die Zukunft Polens, denn sowohl die Londoner Exilregierung als auch das kommunistische „Lubliner Komitee“ waren dabei. Polen wollte Ostpreußen, aber Stalin wollte unbedingt Königsberg als eisfreien Hafen haben. Da Stalin aber auch „Ostpolen“ behalten wollte und die Zustimmung der Polen benötigte, bot er ihnen die Gebiete Deutschlands östlich der „Oder-Neiße-Linie“ an. Polen erhielt zur Abrundung noch Stettin.

Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland bestand in dieser noch ein breiter Konsens, dass Ostdeutschland zu Deutschland gehört. Am 13. Juni 1950 erklärten die Fraktionen im Bundestag mit Ausnahme jener der KPD feierlich: „Gemäß dem Potsdamer Abkommen ist das deutsche Gebiet östlich von Oder und Neiße als Teil der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands der Republik Polen nur zur einstweiligen Verwaltung übergeben worden Das Gebiet bleibt ein Teil Deutschlands: Niemand hat das Recht, aus eigener Machtvollkommenheit Land und Leute preiszugeben oder eine Politik des Verzichts zu treiben.“

Das nach Siegermanier von den „Großen Drei“ verfasste Potsdamer Abkommen wurde schließlich abgelöst durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag. Er wurde am 12. September 1990 in Moskau ausgehandelt. Es ist ein Staatsvertrag zwischen den vier Siegern Frankreich, Großbritannien, USA und UdSSR auf der einen und der Bundesrepublik Deutschland wie der Deutschen Demokratischen Republik auf der anderen Seite. Mit der Anerkennung der „Oder-Neiße-Linie“ als Grenze wurde der Weg zur „Wiedervereinigung“ frei. Der schmerzliche Preis war der Verzicht auf die ostdeutschen Provinzen. Der Zwei-plus-Vier-Vertrag ist ein der momentanen machtpolitischen Lage angepasster „Statusvertrag“, aber kein Friedensvertrag. Die Deutschen wurden von besatzungsrechtlichen Beschränkungen befreit. Deutschland wurde aber auch von seinen „Ostgebieten“ mit Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als Staatsgrenze befreit.

Wolfgang Thüne


»Es lebe das Neue; es lebe die deutsche Republik«
Philipp Scheidemann kam mit seiner Proklamation Liebknecht zuvor und verweigerte die Unterzeichnung des Versailler Diktates

Zu seinem 150. Geburtstag hat die Deutsche Post Philipp Scheidemann eine 145-Cent-Briefmarke gewidmet und als Bildmotiv wurde (natürlich) seine Proklamierung der deutschen (parlamentarischen) Republik gewählt. Man kann lange darüber streiten, ob die Bedeutung dieses Aktes eher in der Beendigung der Monarchie oder in der Verhinderung einer Bolschewisierung des Reiches durch Karl Liebknecht und Genossen lag, geschichtsträchtig war er auf jeden Fall.

Möglicherweise wäre Philipp Scheidemann nie ein so herausragender Exponent der Sozialdemokratie geworden, wenn er nicht 1879 seinen Vater verloren hätte. Bis dahin hatte der am 26. Juli 1865 in Kassel geborene Sohn eines Tapezier- und Polstermeisters nämlich materiell nichts auszustehen gehabt. Nichts stand ihm anfänglich im Wege, seinen Bildungshunger zu befriedigen. Ab 1871 besuchte er die Bürgerschule, später dann die Höhere Bürgerschule in Kassel. Nach dem Ausfall des Ernährers fehlten jedoch die Mittel für Schulgeld wie das damals übliche Lehrgeld und die Halbwaise erlernte so den Beruf des Schriftsetzers, was ihr immerhin einen Wochenlohn von zwei Reichsmark einbrachte.

Scheidemann, der später als Politiker vor allem durch seine Rhetorik zu überzeugen wusste, verfeinerte so seinen Umgang mit der deutschen Sprache. Für den Kontakt mit der Sozialdemokratie sorgte ein Onkel. Noch während der Sozialistengesetze trat er der Partei bei. Parallel engagierte er sich gewerkschaftlich im Buchdruckerverband.

1895 vollzog er einen einschneidenden beruflichen Wechsel. Nachdem er bis dahin entsprechend seiner Berufsausbildung als Schriftsetzergehilfe, Korrektor und Werkmeister einer Buchdruckerei mit Fremdtexten gearbeitet hatte, wurde der Autodidakt in jenem Jahr Re­dakteur, später gar Chefredakteur. Seine Arbeitgeber wurden nun sozialdemokratische Blätter in Gießen, Nürnberg, Offenbach und Kassel.

Da anders als heute sozialdemokratische Karrieren im Staatsapparat damals eher die Ausnahme waren, kam ein großer Teil der SPD-Politiker aus den Redaktionsstuben der sozialdemokratischen Presse. Auch Scheidemann wechselte vom Politik beschreiben zum Politik machen. 1903 wurde er Reichstagsabgeordneter, acht Jahre später Mitglied des Parteivorstandes.

Neben dem bereits erwähnten rhetorischen Talent werden dem einstigen Besucher der Bürger-, und der Höheren Bürgerschule bürgerliche Umgangsformen, ein pragmatischer Politikstil und Humor bescheinigt. So verfasste der Politiker und Journalist nebenher unter dem Pseudonym „Henner Piffendeckel“ humorige und gerne gelesene „Geschichderchen“ in Kasseler Mundart. Mit diesen Eigenschaften gewann Scheidemann auch außerhalb seiner eigenen Partei und Fraktion Sympathien. 1912 wurde er als erster Sozialdemokrat zum Vizepräsidenten des Reichstags gewählt – wenn ihm auch die Bestätigung bei der obligatorischen zweiten Abstimmung versagt blieb, da er dem Kaiser den damals üblichen, aber in der SPD verpönten Antrittsbesuch verweigerte.

Der Tod von August Bebel im Jahre 1913 brachte außer für Scheidemann auch für Friedrich Ebert und Hugo Haase einen Karriereschub: Ebert wurde Bebels Nachfolger als einer der beiden Parteivorsitzenden in der Doppelspitze mit Haase; Haase und Scheidemann wurden Bebels Nachfolger als Vorsitzender der Reichstagsfraktion. Haase brach jedoch mit der SPD im Ersten Weltkrieg wegen der Kriegsfinanzierung. Es blieben Scheidemann und Ebert, wobei Scheidemann populärer war, aber Ebert als der bessere Taktiker und Sachpolitiker galt.

Von Ebert ist das Wort überliefert, dass er die soziale Revolution hasse wie die Pest. Eine vergleichbare Äußerung Scheidemanns ist nicht bekannt, doch dachte er kaum positiver über die Novemberrevolution. In dieser Überlegung Otto von Bismarck nicht ganz unähnlich, meinte er jedoch, dass man sich lieber an die Spitze einer Bewegung stellen sollte, als ihre Führung anderen und sich selber von ihr überrollen zu lassen. So rief er gegen den Widerstand Eberts am 9. November kurz nach 14 Uhr von einem Fenster des Reichstages die (parlamentarische) Republik aus und kam damit Karl Liebknechts Proklamation der „freien sozialistischen Republik Deutschland“ um wenige Stunden zuvor.

In der Revolution setzten sich relativ schnell die Anhänger der parlamentarischen gegenüber jenen der Rätedemokratie, des Sowjetsystems durch und es stellte sich die Frage, wer nach dem Sturz der Monarchie nun in der parlamentarischen Republik Reichspräsident in der Tradition des Kaisers und wer Reichsministerpräsident in der Tradition des Reichskanzlers werden solle. Scheidemann vertrat zwar die Ansicht, dass Eberts Stärken eher in der praktischen als in der repräsentativen Tätigkeit lägen und kandidierte deshalb selber für das Präsidentenamt. Er konnte sich jedoch bei der Wahl des ersten Reichspräsiden durch die Nationalversammlung gegen Ebert nicht durchsetzen und ließ sich anschließend von diesem zum Reichsministerpräsidenten berufen. In dieser Funktion stand er an der Spitze einer Regierung der Weimarer Koalition.

Überschattet war Scheidemanns Regierungsära innenpolitisch von der Auseinandersetzung mit den Kommunisten und außenpolitisch von der Auseinandersetzung mit den Siegern des Ersten Weltkrieges. Am Versailler Diktat zerbrach schließlich seine Regierung. Für ihn selber war nach dem Bekanntwerden der Bedingungen klar: „Welche Hand müsste nicht verdorren, die sich und uns diese Fesseln legt?“ Seine Regierung war jedoch ebenso zerstritten wie die sie tragende Koalition. Er zog daraus die Konsequenz, am 20. Juni 1919 zurückzutreten.

Scheidemann verlor den Machtkampf mit Ebert. Aus einem Gestalter wurde immer mehr ein Warner und Mahner der zusehends von Ebert gestalteten Parteilinie. Der Sozialdemokrat wurde der Rolle des Oppositionellen in der eigenen Partei müde und ergriff die Möglichkeit, sich auf den Oberbürgermeisterstuhl seiner Heimatstadt Kassel zurückzuziehen. Dieser war frei geworden, weil der bisherige Amtsinhaber, Erich Koch-Weser, als Innenminister in das Kabinett seines Nachfolgers als Regierungschef des Deutschen Reiches, Gustav Bauer, eintrat.

1925 schied Scheidemann auch aus diesem Amt aus. Manfred Kittel, Vertriebenen bekannt als ehemaliger Direktor der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung in Berlin, nennt als Grund ein Magenleiden. Andere Quellen nennen politische Gründe, verweisen auf die schwere Niederlage der SPD bei den Kommunalwahlen 1924 und den anschließenden erfolgreichen bürgerlichen Misstrauensantrag gegen Scheidemann.

Was Scheidemann vorerst blieb, war sein Reichstagsmandat, das er auch während seiner Oberbürgermeisterzeit nicht aufgegeben hatte. Zudem griff der vormalige Redakteur nun wieder verstärkt zur Feder, verfasste unter anderem seine „Memoiren eines Sozialdemokraten“, die 1928 erschienen. Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten verließ der Sozialdemokrat Deutschland. In Kopenhagen, seinem letzten Exil, verstarb er am 29. November 1939. Manuel Ruoff


S. 11 Preussen

Der Begründer der modernen Embryologie
Vor 200 Jahren wurde der Arzt, Zoologe, Physiologe und Neurologe Robert Remak in Posen geboren

Robert Remak begründete nicht nur die moderne Embryologie, sondern beschrieb zudem noch vor Rudolf Virchow den wahren Mechanismus der Zellteilung. Darüber hinaus schuf er das wissenschaftliche Fundament für die Elektrotherapie.

Robert Remak wurde am 26. Juli 1815 als Sohn des jüdischen Kaufmanns Salomon Meyer Remak und dessen Frau Friedrike Caro in Posen geboren. Nach dem Besuch des Posener Gymnasiums begann Remak 1833 an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität Medizin zu studieren. Dabei fielen bis 1838 Vorlesungsgebühren in Höhe von 87 Talern und 15 Groschen an. Der künftige Arzt konnte sie zwar nicht bezahlen, aber sie wurden ihm großzügig gestundet. Der Grund hierfür waren wohl die außergewöhnlichen Leistungen Remaks, die ihm reichlich Fürsprache eintrugen, darunter auch von Johann Lukas Schönlein, dem Direktor der Berliner Charité und Leibarzt von König Friedrich Wilhelm IV. So publiziert Remak bereits zwei Jahre vor seiner Promotion, also 1836, eine Arbeit über das menschliche Nervensystem, in der er erstmals das Axon, den leitenden Teil der Nervenfasern, beschrieb.

Am 11. Mai 1839 erhielt der nunmehrige Doktor der Medizin die Zulassung als Arzt – vorerst beschränkt auf die Provinz Posen. Aufgrund seines Interesses an der Forschung verblieb Remak jedoch in Berlin, um dort bis 1847 im Labor der Charité zu arbeiten. Dabei befasste er sich insbesondere mit der mikroskopischen Untersuchung der Zell- und Embryonalentwick­lung beim Menschen. Er entdeckte, dass die drei embryonalen Keimblätter Ektoderm, Mesoderm und Endoderm die Basis für die nachfolgende Entwick­lung sämtlicher Organsysteme des Ungeborenen darstellen. Hierdurch wurde Remak de facto zum Begründer der modernen Embryologie.

Ähnlich richtungsweisend waren seine Arbeiten auf dem Gebiet des Zellwachstums und der Zellvermehrung. Wie der Breslauer Pathologe Friedrich Günzburg wies Remak darauf hin, dass sich Tumor- und Embryonalzellen durch Teilung der Zellkerne vermehren und nicht durch die Zunahme des Zytoplasmas, also der Zellmasse, in die der Kern eingebettet ist. Indes wurde gerade diese Entdeckung später einzig und allein Rudolf Virchow zugeschrieben. Letzterer veröffentlichte hierüber 1858 einen Aufsatz, der ihm Weltruhm eintrug – und in dem die Vorarbeiten Günzburgs und Remaks keine Erwähnung finden.

Virchow war es dann auch, der den neugeschaffenen Berliner Lehrstuhl für pathologische Anatomie und Therapie erhielt. Um den hatte sich zwar auch Remak intensiv bemüht, aber seine Chancen waren von Anfang an schlecht. Juden durften nämlich laut einer königlichen Verordnung vom 18. August 1822 keine universitären Lehrämter bekleiden. Diese Regelung hätte Remak zwar durch eine Konversion zum Christentum unterlaufen können, doch genau das ging ihm gegen den Strich, wie er freimütig bekannte: „Auch habe ich von jeher den groessten Widerwillen gegen den Gedanken, durch Religionswechsel aeussere Vorteile zu erlangen.“ Deshalb musste er damit leben, dass die preußischen Kultusminister Karl vom Stein zu Altenstein, Johann Albrecht Friedrich Eichhorn und Karl Otto von Raumer seine Habilitation immer wieder unter Verweis auf den Erlass von 1822 verhinderten. Das wiederum empörte einen der langjährigen Förderer Remaks, Alexander von Humboldt. Der Naturforscher und „Wissenschaftsfürst“ wandte sich schließlich an den König mit einer Petition des Inhalts, Remak die Habilitation zu gewähren. Und das tat der Monarch dann tatsächlich auch vermittels einer Allerhöchsten Ka­bi­netts­ordre vom 8. März 1847.

Unmittelbar danach fasste die medizinische Fakultät der Berliner Universität den einstimmigen Beschluss, Remak ohne jede weitere Prüfung die Lehrbefugnis zu erteilen – derart groß war mittlerweile die Anerkennung für dessen wissenschaftliche Leistungen. Andererseits erhielt er trotzdem nicht den ersehnten Lehrstuhl. Dafür war wohl auch die politische Haltung Remaks mitverantwortlich. So trat er im Revolutionsjahr 1848 vehement für die Unabhängigkeit Polens ein und engagierte sich zudem im „Demokratischen Klub“ und der universitären Opposition.

Aufgrund seiner zunehmenden Abneigung gegen den Wissenschaftsbetrieb sowie Persönlichkeitsveränderungen – der bisher höchst umgängliche Forscher verwandelte sich in einen verbitterten, reizbaren und oft verletzend auftretenden Menschen – verzichtete Remak darauf, den ihm schließlich angebotenen Lehrstuhl für pathologische Anatomie in Krakau anzunehmen. Stattdessen eröffnete er 1849 eine eigene Praxis, was mit der teilweisen Abkehr von theoretischen Forschungen verbunden war.

Ab 1856 versuchte er, galvanischen Gleichstrom für Therapiezwecke zu nutzen. Dabei orientierte er sich ganz besonders an dem Briten Golding Bird, der 1847 damit begonnen hatte, neurologische und andere Erkrankungen vermittels Elektrizität zu behandeln. Das hierfür nötige Galvanos­kop erhielt Remak von Werner von Siemens und Johann Georg Halske, die 1847 die Telegraphen Bau-Anstalt von Siemens & Halske, die heutige Siemens Aktiengesellschaft, gründeten. Seine Erfahrungen mit der neuen Behandlungsmethode publizierte Remak 1858 in dem Standardwerk „Galvanotherapie der Mus­kel- und Nervenerkrankungen“, das auch umfangreiche Indikationslisten enthielt. Dort lieferte Remak die erste wissenschaftliche Erklärung, warum das Ganze eigentlich funktioniert: Der Strom sorge für den Abtransport von Flüssigkeit aus dem erkrankten Gewebe, was dessen Heilung fördere.

Die so erzielten Behandlungserfolge trugen ihm zwar die Dankbarkeit seiner Patienten ein, minderten aber nicht die Skepsis der zumeist doch eher konservativ orientierten Berliner Klinikärzte. Deshalb scheiterte die Einrichtung einer Abteilung für Elektrotherapie an der Charité, und das, obwohl diese Remak 1859 schließlich doch noch zum außerordentlichen Professor ernannte hatte. Zu solchen und weiteren beruflichen Ärgernissen kamen persönliche Schicksalsschläge wie der frühe Tod seiner Frau und eine lebensgefährliche Erkrankung des einzigen Sohnes. Infolgedessen war Remaks Gesundheit schon mit gerade einmal 50 Jahren derart angeschlagen, dass er sich zu einem längeren Kuraufenthalt in Bad Kissingen gezwungen sah. Die erhoffte Genesung blieb aus. Vielmehr verstarb Robert Remak während dieses Kuraufenthaltes. Am 29. August jährt sich sein Ableben zum 150. Mal. Wolfgang Kaufmann


Ein Maler der Gegenwart und der Zukunft
Am 25. Juli 1895 wurde Georg Kolm in Insterburg geboren – Er war immer suchend, immer irgendwie heimatlos

Georg Kolm stammte aus einer ländlichen Besitzerfamilie und muss eine schwere Kindheit erlebt haben, „eigenwillig vor den Eltern und fremd unter den Geschwistern“. So formulierte es der deutsche Jurist und Kunsthistoriker Carl von Lorck in seinem Beitrag für ein Heft, das zum Gedächtnis von Kolm in dessen Todesjahr 1930 bei Gräfe & Unzer herausgekommen ist. Nach dem Abschluss einer Tischlerlehre, nach freiwilligem Kriegseinsatz und nach seiner schweren Verwundung nahm Kolms Leben, sozusagen durch das Schicksal gezwungen, den ihm vorbestimmten Lauf. Über die Werkstätten für behinderte Soldaten, die es auch damals schon gab, führte sein Weg in die Kunstakademie in Königsberg, wo er trotz der für immer gelähmten rechten Hand Schüler und später Meisterschüler des Graphikers Heinrich Wolff wurde, der für die künstlerische und geistige Entwicklung des jungen Kolm von größter Bedeutung werden sollte.

Nach der Heirat im Jahre 1921 wurde in Königsberg eine bescheidene, oft von wirtschaftlichen Sorgen belastete Existenz aufgebaut. Wenn man Kolms Bildern in der Öffentlichkeit begegnete, schienen sie in ihrer fast farblosen Schwere irgendwie aus dem Rahmen des Herkömmlichen herauszufallen. Immer überraschten sie durch die Großflächigkeit der Kompositionen, durch die Sparsamkeit der Nuancierung in der Farbgebung, ja, durch die „fast lackartige Glätte“, von der der sachverständige Kunstkenner Lorck sagt: „Wo ist in diesen Gemälden Schatten und Licht? Wo sind hier Nähe und Ferne? Und wo sind Vergangenheit und Zukunft? Die Gestalten sind ohne Licht und Schatten in einer licht- und schattenlosen Umwelt gemalt, und doch erkennbar da, wo sie selbst Licht und Schatten geworden sind.“

Selbst die Bilder von einer für Kolm sehr wichtigen Spanien- und Frankreichreise im Jahre 1926 sind noch geprägt von dieser herben Strenge, die nur wenig dem Wesen der südlichen Landschaft und ihrer heißblütigen Menschen zu entsprechen scheint. Erst in den letzten Bildern, fast alle aus dem Jahre 1930, „wird die handschriftliche Struktur flockiger, kleinteiliger, weicher und tausendfach belebt durch zarte Spachtelaufträge zu einem hellen, buntfarbigen Teppich von zahllosen Nuancen“.

Lorck nennt Kolm mit Recht in einer Zeit des allgemeinen Umbruchs einen Maler der Gegenwart, deren Probleme auch heute noch nicht gelöst sind, sondern noch vertieft zu sein scheinen. Nicht von ungefähr heißt es in dem Gedicht, das der ostpreußische Schriftsteller Fritz Kudnig zu der 1930 bei Gräfe & Unzer herausgekommenen Würdigung Kolms beigesteuert hat: „Zur Wüste haben wir Menschen die herrliche Erde gemacht:/in das Blühen und Leuchten der Gotteswelt/trugen wir Hass und Neid und Erbärmlichkeit,/so dass die Liebe fast ausstarb auf unserer Erde/und jeder von uns ist des Nächsten erbitterter Feind …“

Somit hätte man Kolm auch einen Maler der Zukunft nennen können, so, als hätte er, der immer Suchende, der immer irgendwie Heimatlose, die spätere Heimatlosigkeit seiner Landsleute vorausgeahnt. Selbst in dem von ihm oft gestalteten Motiv der Familie, eines Menschenpaares, scheint etwas von dieser Verlassenheit zu liegen, auch wenn diese Menschen vor der heimatlichen Kulisse der vertrauten Landschaft, der Geborgenheit des Hauses dargestellt sind.

Es ist erstaunlich, wie aus­drucks­stark trotz der strengen Malweise die Gesichter seiner Modelle sind, nicht zuletzt die Porträts vieler prominenter Königsberger Persönlichkeiten. Man erkennt es an den herben, verschlossenen Zügen des Selbstbildnisses oder an dem wie erstarrten Gesicht des Mannes vor der „Henkersmahlzeit“. Da spricht ein Künstler zu uns, der an seiner Zeit gelitten und sie in voller Realität, oft bis an die Grenzen der Hässlichkeit, gestaltet hat.

Wenn Lorck abschließend sagt, Kolm sei „nie von der erreichten Höhe herabgesunken, sondern er habe mit jedem Werk neue Stufen erklommen“, so heißt es bei Kudnig von diesem Werk: „das schwer und voll Not und verhaltener Sehnsucht/weil es zum Himmel wollte und doch an die Erde gefesselt war./Wir aber stehen davor in Ehrfurcht, gesenkten Hauptes/wie vor allem,/das von dem Kampf des Menschen mit seiner Erde künde.“

Im Jahre 1930 erhielt Georg Kolm, der dem Werkverzeichnis nach neben vielen Zeichnungen allein etwa 60 Ölgemälde geschafften hat, den Dürerpreis. Bei Teichert fand eine sehr erfolgreiche Ausstellung statt, die keiner so leicht vergessen haben wird, der dabei sein konnte. Aber der Künstler war schon krank und verstarb am 12. November des gleichen Jahres, nach einer Operation, „an Entkräftung“, wie es bei Lorck heißt.

E.B.


S. 12 Leserforum

Leserforum

Bürger, macht Euch auf alles gefasst!

Zu: Verbrannte Erde (Nr. 28)

Die Kanzlerin muss achtgeben, dass sie durch nachgiebige Europapolitik nicht die dritte Regierende Deutschlands wird, die den Bürgern ihres Landes die Ersparnisse wegnimmt. Zwar muss­ten „Kaiser und Führer“ für Inflation und Währungsreform erst Weltkriege inszenieren, die nur durch Geld aus der deutschen Notenpresse bezahlt werden konnten, wogegen wir jetzt noch scheinbar friedliche Zeiten haben. Aber die europäische Gelddruckerei der EZB läuft mit Billigung der deutschen Kanzlerin auch ohne Krieg schon auf vollen Touren und wird nach der „Griechenpleite“ und durch den bald einsetzenden Druck der Südländer und Frankreichs zur Umkehrung der Sparpolitik zur Investitionspolitik noch mehr in Schwung kommen.

Die Vorstufen einer dritten Enteignung erleben wir schon seit längerer Zeit bereits mit realen Null- und Minuszinsen für die kleinen Sparer sowie einer gesicherten Bankengarantie für nur 100000 Euro pro Konto. Und die volle Kontrolle über unsere Sparbücher wird schon seit einiger Zeit durch das gesteuerte Thema „Abschaffung des Bargeldes“ vorbereitet. Nur diejenigen, die wie in Griechenland ihre Gelder rechtzeitig auf Schwarzgeldkonten in England, der Schweiz oder den USA verschieben können, werden ungeschoren davonkommen. Der Euro sollte als „ewige Friedenswährung“ Kriege auf unserem Kontinent für immer verhindern, nun wird gerade er Grund für neue Zerwürfnisse zwischen den Staaten. Wieder einmal mit dem gesteuerten Stigma „der bösen Deutschen“. Bürger, macht Euch auf alles gefasst!

Helmut von Binzer, Hamburg

 

 

Geht’s noch?

Zu: Minirockverbot wegen Asylanten (Nr. 27)

Geht’s noch? Die Aufnahme von 200 syrischen Asylbewerbern war richtig und für die Kommune Pocking sicherlich nicht einfach. Dass die Asylbewerber von ihrer eigenen Kultur geprägt sind, ist ebenfalls richtig. Übrigens: Vor dem syrischen Bürgerkrieg sah man auch dort junge Frauen und Mädchen mit westlichem Outfit. Doch ist die Frage erlaubt, was ist denn mit unserer deutschen, vom christlichen Abendland geprägten, Kultur? Je eher sich die Asylbewerber, wenn sie denn hier bleiben dürfen, im Rahmen der vielbeschworenen Integration daran gewöhnen, umso besser.

Ich hätte dann noch ein paar Vorschläge an die Pockinger Verwaltung: Vielleicht könnte zur Abwechslung mal ein Burka-Gebot für die Pockinger Mädchen und Frauen die heraufbeschworenen Gefahren abwenden und gleichzeitig den Asylbewerbern ein wenig Heimatgefühl vermitteln oder aber dem ungarischen Beispiel folgend mal wieder eine Mauer bauen. Wer wen nicht anglotzen oder fotografieren soll, geht aus der PAZ-Meldung leider nicht ganz hervor, da auch inzwischen fast jeder Asylant ein Smartphone besitzt.

Helmut Hahn,Wachtberg

P.S.: Als Mitleser ihrer Zeitung darf ich der gesamten Redaktion meine Hochachtung aussprechen. Es ist immer wieder wohltuend, in unserer inzwischen entweder links- oder rechtslastigen Presse Meinungen zu lesen, welche eine der preußischen Tugenden, nämlich die Geradlinigkeit, widerspiegeln und nicht immer dem Mainstream entsprechen, aber sicherlich vielen Deutschen aus dem Herzen sprechen!

 

 

Eine kräftige Ohrfeige

Zu: Bis alles zusammenbricht (Nr. 29)

Europa in Frieden und Eintracht war und ist das Ziel. Doch wie weit hat sich die EU in Brüssel, Luxemburg und Strasbourg davon entfernt? Ist es nicht ein Europa der Banken und einer ausufernden Bestimmung von Eurokraten geworden, welche Zwietracht und Streit säen und nun folgerichtig Sturm ernten?

Länder wie Dänemark, Ungarn und die Slowakei, welche ihre Eigenständigkeit und Tradition bewahren wollen, werden mehr oder weniger beschimpft und sind der Kritik einer sogenannten Qualitätspresse ausgesetzt.

Der alte Vampir Kommunismus wurde durch ein Vierteljahrhundert kümmerlich an blutarmen Ersatzideologien wie Gender-Mainstreaming und Gutmenschentum am Leben erhalten. Jetzt kriecht dieser Vampir mit Millionen Opfern der Geschichte im Gepäck aus seinen Schlupfwinkel wieder an das Tageslicht.

Aus Griechenland sowie von Ministerpräsident Alexis Tsipras und Ex-Finanzminister Giannis Varoufakis hörte man es tönen: „Die Deutschen zerstören uns.“ „Oxi“ (nein), so der Ruf seiner Anhänger. Sündenbock für die gesamte griechische Misere sei ein Rollstuhlfahrer mit dem Namen Schäuble, welcher auf Plakaten mit Hitlerbärtchen dekoriert wurde. „Eine Schweinerei der Deutschen, denn sie wollen uns nicht länger alimentieren.“

Nun hat der deutsche Finanzminister den Politikclowns in Athen und Brüssel nur ein wenig in die Suppe gespuckt, was ihn zum Hassobjekt avancieren ließ.

Nicht nur Griechenland ist in diesen Tagen gespalten, sondern Europa auch. So hat laut „Financial Times“ die 89-jährige Mutter von Griechenlands Ex-Ministerpräsident Giorgos Papandreous 550 Millionen Dollar mal schnell auf einem Schweizer Konto gebunkert. Unsere Schweizer Brüder und Schwestern haben es dankbar angenommen, da sie sicher sind, dass die deutschen Deppen es Griechenland, egal wie, mit Sicherheit ausgleichen werden.

Das Referendum brachte nun einen klaren Sieg für Tsipras und „Oxi“. Prominentes „Opfer“ wurde der bekennende Motorradfahrer Varoufakis. „Und ich werde die Verachtung der Gläubiger mit Stolz tragen“, lautete sein letztes Statement.

Schulz, Junckers und Merkel haben eine kräftige Ohrfeige erhalten, mehr aber noch nicht. Die EU wackelt und fängt an zu bröckeln, daran kann auch die alternativlose Kanzlerin nichts ändern.

Hans-Joachim Nehring, Neubrandenburg

 

 

Forderung nach Denkmal

Zu: Ein Spiegel der Nation (Nr. 23)

Diese PAZ-Ausgabe ist wieder einmal herausragend gelungen. Was die Autoren Heckel, Heitmann, Maas, Röhl oder Eva Herman thematisieren, kann ich auch als Zeitzeuge, Jahrgang 1924, unterstreichen. Aber auch andere Autoren sowie die Leserbriefschreiber sind noch nicht von der täglichen Propaganda verunsichert und haben noch gute Kenntnisse der Geschichte. Zum Beispiel erinnert PAZ-Redakteurin Rosenthal-Kappi an das Bundesarchiv, wo sich Publizisten über die Siegerwillkür – auch „Befreiung“ genannt – informieren können.

Ich habe einen offenen Brief an die politische Elite gerichtet, da unsere Führungsspitzen die eigenen Opfer missachten. Dieser Brief hatte mich dann dazu bewogen, ein Denkmal für die Opfer der Millionen vergewaltigter Frauen zu fordern. Die Berliner Charité hatte seinerzeit 2,5 Millionen Opfer errechnet. Natürlich hatten die Frauen auch noch zusätzlich Verschleppung und Todesfolgen zu erleiden. Die 50 Unterschriften zu meinem Antrag an den Bundestag waren mit Leichtigkeit zu erreichen und es zeigt, dass unseren Bürgern der Gedankenmissstand bewusst ist.

Martin Schröder, Detmold

 

 

Mangelnde Identifizierung

Zu: Abriss der Stadtautobahn geplant (Nr. 25)

Interessant ist, dass Polen Danzig weitgehend original wieder aufgebaut hat, wie ich bereits bei einem Besuch im Ok­tober 1961 dort bemerkt habe, und wie nun danach der polnische Reiseleiter nicht ohne Stolz berichtete. Aber das lag wahrscheinlich daran, dass sich die Polen wie die Deutschen mit der alten Hansestadt verbunden fühlen. Und dabei war Polen im Zweiten Weltkrieg zweimal Kriegsschauplatz total.

Von der Sowjetunion und Russland wurde vergleichsweise nur ein kleines Stück bis kurz vor Mos­kau in Mitleidenschaft gezogen. Und dennoch wird bezweifelt, ob das gegenüber Polen doch so reiche Russland in der Lage ist, dem knapp 800 Jahre alten Königsberg seine alte Identität wiederzugeben? Aber das liegt wahrscheinlich daran, dass die nach Königsberg zugezogenen Russen sich nicht mit der Königsberger Geschichte identifizieren, sondern dem Stalin-Vertrauten Kalinin nachtrauern.

Hans-Peter Lötzsch, Berlin

 

 

Der Leserbriefschreiber hat recht

Zum Leserbrief: Ungleich verteilte Sozialgelder (Nr. 25)

Ich kann die Erfahrungen des Leserbriefautors voll bestätigen. Am Bahnhof wohnend, beruhen meine Erlebniswerte auf statistischer Breite. Die Ausstattung der Asylanten: neuestes Smartphone, erstklassige Kleidung, nur Markenjeans, neue Klamotten vom Feinsten und Teuersten, im Winter Stiefel, neuestes Kinderwagenmodell, gute Fahrräder mit Körben (diese Zutat ist neu), die streckenweit neben sich geschoben werden – offenbar will man nirgendwo hin. Versorgung per Nothilfe oder Sonderangebote der Discounter haben sie nicht nötig. Letzteres kaufen nur Deutsche.

Unvergesslich ist mir ein Auftritt des Stolzes in dieser Ausstattung im Sozialamt. Die leise, bemühte Dame, die damit fertig werden musste, tut mir heute noch leid. Übrigens: Hier bereits länger lebende Ausländer fallen dagegen eindeutig ab.

Gudrun Schlüter, Münster

 

 

Wie ich die polnische Besatzungszeit im Emsland erlebte

Zu: Als Papenburg polnisch wurde (Nr. 28)

Ein sehr interessanter Artikel, der 2015 zum Gedenken „70 Jahre bedingungslose Kapitulation“ passt und gehört. Als seinerzeitiges Flüchtlingskind im Emsland – unmittelbar betroffener Zeitzeuge – haben von 1945 bis 1950 meine Familie und ich unsere persönlichen Erlebnisse gehabt. Durch diesen Artikel wird somit meine Erinnerung erneut sehr gegenwärtig. Dem Redakteur und Historiker Dr. Manuel Ruoff danke ich für seine umfassenden Recherchen. Damit dokumentiert er das Geschehen des seinerzeitigen kleinen und unbedeutenden Kriegsschauplatzes in der Nähe der holländischen Grenze am Ende des Krieges. Die tiefgreifenden Folgen der Besatzungszeit für die Menschen – Einheimische und Flüchtlinge – sind klar formuliert.

Wir schrieben den 19. März 1945. Eine sechswöchige Flucht näherte sich dem Ende. Ein mit hunderten von ostdeutschen Flüchtlingen – mehrheitlich Ostpreußen – überfüllter Personenzug aus Mecklenburg kommend passierte Oldenburg und erreichte bald den Sackbahnhof Sedelsberg am Küsten-Kanal. Ein Heer von landwirtschaftlichen Fuhrwerken aus den umliegenden Dörfern erwartete uns. Unsere Familie, Großvater, Mutter und drei kleine Jungen, wurden in das Dorf Neu-Vrees im Kreis Aschendorf-Hümmling gefahren. Unsere Familie wurde auf zwei kleine Gehöfte verteilt. Nur acht Tage blieben wir, denn die Überbelegung mit Flüchtlingen war zu groß. Man siedelte uns um ins drei Kilometer entfernte Dorf Rastdorf bei Werlte. Es war eine in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts entstandene Neubau-Siedlung, weil die Bevölkerung das bisherige Heimatdorf Wahn wegen des Schießplatzes der Firma Krupp zwangsläufig aufgeben musste. Meine Familie erhielt durch den Ortsbürgermeister eine schöne Zwei-Zimmer-Neubauwohnung bei einem netten Bauern zugewiesen. Mit seiner Familie zusammen erlebten wir am 12. April den Einmarsch und die Besetzung des Dorfes durch kanadische Panzertruppen. Sie hielten sich nicht lange auf – deren Marschrichtung ging nordostwärts in den Großraum Oldenburg/Bremen. Im Mai/Juni 1945 folgten dann jedoch wirklich Besatzungstruppen. Teile der unter britischem Oberkommando stehenden 1. Polnischen Panzerdivision nahmen diverse Dörfer in Beschlag. Neuvrees musste komplett von der deutschen Bevölkerung geräumt werden. Im Dorf Rastdorf durften die Einheimischen zwar bleiben, aber die Flüchtlinge wurden aus den Quartieren umgehend vertrieben. Allen wurde das verlassene, leerstehende, verwahrloste Wehr-ertüchtigungslager der Hitlerjungend am Dorfrand zugewiesen. Mit unseren wenigen Pacheidels wanderten wir kaum tausend Meter zu den Holzbaracken. Meine Familie kampierte von nun an mit mehr als 50 anderen Flüchtlingen in einem fast leeren Schlafsaal. Mir – als Achtjährigem – machte das alles nicht viel aus. Aber alle Erwachsenen litten seelisch sehr. Durch die uniformierten Soldaten hatte die Bevölkerung nicht allzu viel an Schikanen zu leiden. Aber es gab immer größer werdende Scharen von Zivilpolen in der Gegend. Sie kamen aus den im Emsland bestehenden zahlreichen Konzentrations- und Arbeitslagern. Sehr stark waren kriegsgefangene Männer und Frauen vertreten, die in Warschau 1944 in der polnischen Heimatarmee gekämpft hatten.

Nach dem Krieg erhielten sie – mit zahlreichen anderen Nationalitäten – den Namen „Displaced Persons“. Bei uns im Raum Rastdorf/Werlte/Sögel vagabundierten sie in den Wäldern, belästigten häufig Mädchen und Frauen. Diese wagten zum Einkaufen im Nachbarort nur in Gruppen von mindesten sechs Personen zu gehen. Die Bauern fürchteten sich vor Diebstahl von Vieh, Kartoffeln oder Gegenständen.

Ab August 1945 wurde das Flüchtlingslager teilweise entlastet, indem die örtliche deutsche Verwaltung Familien auf weitere Dörfer des Emslandes verteilte. Damals bestand der heutige Kreis Emsland aus den drei Kreisen Aschendorf-Hümmling, Meppen und Lingen. Unsere Familie wurde nach Lathen an der Ems transportiert. Dieser Ort liegt nur neun Kilometer von Haren entfernt, damals Kreis Meppen. Haren an der Ems wurde – und das behandelt der Artikel sehr umfassend – zu einer kleinen Hauptstadt für polnische Bürger. Der Ort wurde in „Maczków“ umbenannt. In vielen Orten des größeren Umkreises haben damals die einheimischen Bewohner Harens bei Verwandten oder in Notunterkünften das Leben des Vertriebenenseins erfahren müssen.

Siegfried Dreher, Großhansdorf/Zinten


S. 13 Das Ostpreußenblatt

Königsberg muss sparen
760-Jahrfeier fand in abgespecktem Rahmen statt – Delegationen aus 15 Partnerstädten nahmen teil

Russen feiern ihre Feste gerne bunt und fröhlich. Deshalb war die Enttäuschung groß, als die Stadtoberen den Umzug anlässlich des diesjährigen Stadtfests aus Kostengründen absagen wollten. Erst das Eingreifen von Gouverneur Nikolaj Zukanow und ein Zuschuss aus dem Gebietshaushalt machten den Festumzug doch noch möglich.

Die Stadt Königsberg wurde vor 760 Jahren gegründet. Obwohl es ein fast rundes Datum war, ist das Fest in diesem Jahr sparsamer als sonst verlaufen. Sowohl das Programm als auch das Format der Feier waren deutlich abgespeckt. Die Stadt hatte sogar auf den Festumzug und die Einrichung einer Fußgängerzone, die sich in den vergangenen Jahren großer Beliebtheit erfreut hatte, verzichten wollen. Noch einen Monat vor der Feier hieß es, dass lediglich einige Konzertplätze als Ersatz für die Festmeile eingerichtet werden sollten. Im letzten Moment griff Gouverneur Nikolaj Zukanow ein. Er machte Mittel aus dem Regionalhaushalt locker, so dass der Festumzug über die Hufenallee [Prospekt Mira] doch noch stattfinden konnte.

Bemerkenswert ist, wie erfinderisch die Stadtoberen darin waren, die wahren Gründe für das Streichen der Festmeile (nämlich fehlendes Geld) zu verschleiern. In den Dokumenten hieß es: „Die Entscheidung, keine Fußgängerzone auf dem Prospekt Mira einzurichten, wurde mit dem Ziel getroffen, ein neues Konzept der Stadtfeier auszuprobieren – ohne Festmeile. Diese Entscheidung hat auch damit zu tun, dass die meisten Städter den Tag am Sonnabend feiern wollen, damit sie am Sonntag ausruhen können, um am Montag zur Arbeit gehen zu können.“ Die Einrichtung der Fußgängerzone hat bisher umgerechnet knapp 49000 Euro aus dem Stadthaushalt verschlungen. Laut Bürgermeister Alexander Jaroschuk kann die Stadt sich solche Ausgaben heute nicht mehr erlauben.

Auch wenn es am Ende doch noch eine Festmeile gab, dauerte die Feier nur noch einen Tag anstatt der üblichen zwei Tage. Das Stadtfest, das in diesem Jahr auf den 11. Juli fiel, wurde von weniger gutem Wetter begleitet. Dennoch war eine ganze Schar von Stadtbewohnern mit Gästen gekommen. Es gab bunte Trommler, Künstler auf Stelzen und sogar Dudelsackspieler. Es fand ein Radrennen statt, ein Jazz-Konzert sowie ein „Street Food Festival“, bei dem leckere Burger zubereitet wurden. Neben dem Eingang zum Stadion „Baltika“ gab es ein reges Gedränge auf dem Flohmarkt.

Unter den Festteilnehmern zeigte sich Gouverneur Zukanow in ungewohnter Aufmachung: Er hatte sich auf Inline-Skates unter die Feiernden gemischt. Für gewöhnlich kann man ihn an Feiertagen auf einem Motorrad sehen. Doch diesmal hatte er sich unters Volk gewagt – es nahen die Gouverneurswahlen, die im September stattfinden, das verpflichtet.

Für eine feierliche Atmosphäre sorgten verschiedene Musik- und Theatergruppen: Das „Theater der Träume“ und das Feuerwehrorchester aus Warschau, das Altstadttheater aus Wilna, ein Dudelsack-Ensemble aus Krakau, das Theater Piles aus Memel und andere zeigten ihr Können. In diesem Jahr waren auch offizielle Delegationen aus 15 Partnerstädten Königsbergs zugegen. Dabei wurden Städte aus Russland, Weißrussland, Deutschland, Polen, Frankreich, Georgien und China vorgestellt.

Beim Denkmal Peters des Großen gab es einen Handwerkermarkt, und auf der Kniprodestraße [Teatralnaja-Straße] neben der Gebietsregierung waren Oldtimer ausgestellt. Die Festteilnehmer hatten die Möglichkeit, im zentralen Stadtpark eine köstliche Fischsuppe anlässlich des parallel stattfindenden „Tages des Fischers“ zu verzehren.

Zum Stadtfest hatte auch das Fort Nr. 11, bekannt als „Graf Dönhoff“, seine Pforten für Besucher geöffnet. Diese Befestigungsanlage ist nach dem Krieg in einigermaßem guten Zustand erhalten geblieben. Viele Metallteile wurden hier gefunden, wie Treppen und Abschusseinrichtungen. Auf dem Gelände des Forts konnte man Mitgliedern des Klubs der historischen Rekonstruktionen begegnen.

Am Abend wurde die Feier auf die Fläche vor dem Haus der Räte verlegt. Hier fand eine Zeremonie zur Ernennung zum Ehrenbürger Königsbergs statt und ein Galakonzert mit bekannten russischen Künstlern. Am Ende des Stadtfestes durfte das traditionelle Feuerwerk natürlich nicht fehlen.

Jurij Tschernyschew


Geld für Via Baltica
EU-Kommission bewilligt 400 Millionen Euro

Die Europäische Kommission hat 400 Millionen Euro für den Bau der Via Baltica bewilligt. Zuvor hatte es Gerüchte gegeben, denen zufolge für das Straßenprojekt kein Geld vorhanden sei.

Dem Bau dieser Trasse für den schnellen Verkehr, die von der litauischen Grenze in Budziski über Suwalken [Suwalki], Lyck, Lomscha [Lomza] nach Ostrow Mazowiecki verlaufen soll, hat die polnische Regierung zugestimmt. Die Finanzierung erfolgt aus dem allgemeinen Programm „Europa verbinden“. Aus dieser Quelle werden Investitionen mit überlokaler Bedeutung finanziert. Die Via Baltica beziehungsweise die Schnellstraße S 61 fällt ideal in dieses Programm, denn sie verbindet die baltischen Länder mit dem Zentrum Europas. Die S 61 ist zur Zeit die einzige polnische Investition in den Straßenverkehr, die aus dem Programm „Europa verbinden“ finanziert wird.

Die Europäische Union übernimmt in diesem Falle 51 Prozent der Kosten. Den Rest muss der polnische Staat zulegen.

„Ich bin überzeugt, dass es damit keinerlei Probleme geben wird“, sagte Andrzej Orzechowski, Lycker Sejm-Abgeordneter der Bürger-Plattform (PO). Er ist einer derjenigen, die für den Bau der Via Baltica am meisten Werbung betrieben haben.

Die Vorbereitung der Investition, die bis 2020 fertig sein soll, läuft. Das größte Engagement ist für die Umgehung von Suwalken als Teil der Via Baltica zu finden. Die Generaldirektion für Straßen und Autobahnen soll die Unterlagen für die Ausschreibung erarbeiten. Für den Bau des 13 Kilometer langen Abschnittes sind drei Jahre vorgesehen. Wenn in diesem Tempo die weiteren 190 Kilometer der Trasse gebaut werden, dann bekommt Polen jedoch ein Problem mit der Inanspruchnahme der bewilligten Finanzierung. PAZ


Ersatz für Nord-Stream
Gazprom will Flüssiggashafen vor Königsberger Gebiet bauen

Eigenen Angaben zufolge will das staatliche russische Gasunternehmen Gazprom in Kürze den Bau eines bereits 2013 beschlossenen eigenen Flüssiggashafens vor dem Königsberger Gebiet beginnen. Der Mitteilung nach hat die südkoreanische „Hyundai Heavy Industries“ die Ausschreibung der Gazprom-Tochter „Gazprom Flot“ gegen zwei weitere südkoreanische Mitbewerber für sich entschieden und wird den Vertrag mit Gazprom noch in diesem Monat unterzeichnen.

Die Asiaten sollen ein Rück-vergasungsschiff, das dreieinhalb Kilometer vor der ostpreußischen Küste im Bereich der südlichen Kurischen Nehrung stationiert sein wird, sowie ein Unterwassergasleitungssystem von dort ans Festland und schließlich die Anlieferungseinheit südlich der Kurischen Nehrung bauen, wobei eine Fertigstellung der Gesamtanlage für den November 2017 vorgesehen ist. Die Kosten hierfür belaufen sich auf knapp 300 Millionen Dollar.

Verwunderlich ist bei dem Projekt, dass vor St. Petersburg ein größerer Gashafen gebaut werden soll, der in Zukunft auch als Lieferant für das Königsberger Gebiet und Ersatz für den ostpreußischen Gashafen vorgesehen ist: Die enormen Kosten für die Königsberger Anlage würden sich, wenn überhaupt, nur dann rentieren, wenn sich der Bau ihres Petersburger Gegenstücks noch deutlich länger verzögern sollte.

Nach dem Ende des South-Stream-Projektes, bei dem ein Pipeline-Netz über das Schwarze Meer vor allem Südeuropa mit russischem Erdgas versorgen sollte, versucht Präsident Wladimir Putin, die Gasverflüssigung im eigenen Land anzukurbeln, für die es bisher nur eine einzige Anlage auf Sachalin gibt, an deren Ausbau sich nun auch Shell beteiligt. Die französische Gesellschaft Total will auf der Jamal-Halbinsel in Nordsibirien eine eigene gigantische Gasverflüssigungsanlage bauen, wenn China die dazu notwendigen Kredite in Höhe von 15 Milliarden US-Dollar zur Verfügung stellt. Ob diese bisher größte chinesische Auslandsfinanzierung zustande kommt, ist noch nicht ganz klar. Wann letztendlich russisches Flüssiggas für Königsberg zur Verfügung steht und ob sich dessen Verwendung rechnet, bleibt abzuwarten.

In jedem Fall hätte eine solche Anlage das Potenzial, die zwischenzeitlich angedachte, allerdings bisher nicht gebaute Abzweigung der Nord-Stream-Pipeline durch die Ostsee nach Königsberg zu ersetzen. Vor allem aber wäre sie in der Lage, das für die Region katastrophale im Bau befindliche Kernkraftwerk an der Memel überflüssig zu machen, dessen Erstellung man jetzt möglicherweise still auslaufen lassen möchte.

Thomas W. Wyrwoll


MELDUNGEN

Millionäre in Lyck

Lyck – Im Jahr 2014 haben beim Finanzamt in Lyck 33000 Personen Steuererklärungen abgegeben. Es zeigte sich, dass sich unter diesen 27 Personen befinden, deren Einnahmen die Grenze von einer Million Zloty, etwa 240000 Euro, überschritt. Im Jahr zuvor waren es 21 Millionäre. Zum Vergleich: In den Kreisen Lötzen und Angerburg, die vom Finanzamt in Lötzen bearbeitet werden, wohnen 16 Personen, deren Einkommen eine Million Zloty überschreitet. PAZ

 

Zu wenig Wasser

Osterode – Wegen des niedrigen Wasserstandes sind die Fahrten auf dem restaurierten Oberländischen Kanal eingeschränkt. Man kann nur auf dem mittleren und dem unteren Abschnitt fahren. Grund für den niedrigen Wasserstand ist das Fehlen von ausreichend Regen. Für die Touristen werden kürzere Strecken empfohlen, und zwar einerseits von Elbing nach Buchwalde und andererseits von Buchwalde nach Osterode. Darüber berichtet Cezary Wawrzynski, Sekretär der Gemeinde Osterode, Autor etlicher Arbeiten über den Kanal. Niedrigen Wasserstand haben auch die großen masurischen Seen. Größere Schiffe haben an manchen Stellen ein Problem mit ihrer Fahrt. Bei der mittlerweile beendeten Renovierung des Kanals hat man offenbar vergessen, ihn zu vertiefen und von Gewächsen zu befreien. PAZ

 

Oktoberfest und Kantgedenken

Hamburg – Königsberg und Hamburg begingen den zehnten Jahrestag ihres Freundschaftsvertrages – mit einem neuen Vertrag. Der vom Hamburger Ersten Bürgermeister Olaf Scholz und seinem Königsberger Amtskollegen Alexander Jaroschuk in Gegenwart des Königsberger Gouverneurs Nikolaj Zukanow unterzeichnete neue Vertrag sieht für die nächsten zwei Jahre Projekte in den Bereichen Wirtschaft, Umweltschutz, Kultur und Bildung sowie Jugend- und Sozialpolitik vor. So soll in Königsberg ein „Oktoberfest der deutschen Wirtschaft“ stattfinden, das auch auf Russisch „Oktoberfest“ heißt, und die Häfen beider Städte beabsichtigen eine engere Kooperation, unter anderem im Bereich Logistik. Hamburg will auch Schützenhilfe beim Wiederaufbau der darniederliegenden Königsberger Industrie leisten. Zukanow ließ seine deutschen Gastgeber bei dieser Gelegenheit wissen, dass die Kantgedächtnisstätten in Ostpreußen noch in diesem Jahr als „Kulturkomplex“ zu Ehren des Philosophen ausgebaut werden sollen. T.W.W.


S. 14 Ostpreussische Familie

Lewe Landslied,
liebe Familienfreunde,

unterschiedlicher können die Zuschriften nicht sein, die für unsere Ostpreußische Familie bestimmt sind, und das macht unsere Kolumne so bunt und vielseitig. Und selbst, wenn mehrere Briefe unaufgefordert zu demselben Thema kommen, ist der Bogen der Meinungen weit gespannt, die Ansichten sind konträr und werden zur Diskussion gestellt. Das fällt mir in der letzten Zeit bei mehreren Zuschriften auf, die – unabhängig voneinander – das Thema „Nachfluchtgeneration“ ansprechen. Es geht um unsere Kinder und Enkel und ihr Verhältnis zu der verlassenen Heimat ihrer Eltern und Großeltern, und da sprechen Sorge, Resignation, Zweifel und sehr viel Unsicherheit mit. Aber auch Freude, wenn die Nachfahren ohne Zwänge der vertriebenen Generation ein reges Interesse zeigen, manchmal sogar den Anstoß zu einem Bewahren des Überlieferten geben und so zu einem Brückenschlag vom Gestern zum Heute führen. Mir liegen hier drei Briefe vor, in denen die Betreffenden unaufgefordert zu diesem Thema Stellung nehmen, und sie zeigen die ganze Spannweite der Empfindungen. Ich veröffentliche diese Briefe ohne Kommentar, damit sich interessierte Leserinnen und Leser unbeeinflusst ihre Meinung bilden und, wenn sie wollen, sich dazu äußern können.

Der erste Brief kommt aus Gifhorn, Frau Brigitte Miersch geborene Salamon hat ihn uns zugesandt, weil ein auf unserer Familienseite veröffentlichtes Gedicht sie dazu angeregt hat. Sie, die Flucht und Vertreibung aus der ostpreußischen Heimat als Vierjährige erlebt hat, schreibt:

„Eben erst ist mir das von Ihnen veröffentlichte Gedicht ,Der Treck‘ in die Hände gefallen. Diese nie enden wollende Ostpreußen-Sehnsucht! Dieses Gedicht hat mich so gerührt, dass ich sofort und spontan Ihnen dafür danken muss. Zwei davon werde ich meiner in Seegutten geborenen Tante nach Ohio und an meinen Onkel in Hamburg schicken. Ich selbst bin 1941 in Bartenstein geboren und mit meiner Mutter Herta Salamon geborene Wittke aus Ostpreußen geflüchtet. Über Pillau und Gotenhafen – wir waren bereits auf der Gustloff, hatten Bordpapiere, sollten aber ohne eine Nachbarin meiner Mutter die Überfahrt machen. Da sich meine schwangere Mutter nicht von ihr trennen wollte, sind wir wieder von Bord und haben die Flucht auf einem Begleitschiff der Gustloff angetreten. Dieses Schiff muss­te dann Überlebende der Gustloff aufnehmen. Meine Mutter erwähnte, dass diese Schiffbrüchigen streng getrennt wurden von unserer Flüchtlingsgruppe. Warum wohl? Meine Mutter ist vor 20 Jahren gestorben. Leider habe ich viel zu spät angefangen, sie zu befragen – ein nicht wieder gut zu machender Fehler. Bei meinen Söhnen versuche ich, ihr masurisches Erbe wach zu halten. Aber wie kann ein solches Unterfangen gelingen? Nun, die Zukunft wird es zeigen, ob auch meine Enkelkinder noch wissen werden, wo das Land Ostpreußen einst lag und welche Bedeutung es hatte.“

Soweit das Schreiben von Frau Miersch, für das ich ihr sehr danke, denn es war für mich der Anlass, dieses Thema aufzugreifen. Denn nun kommt Herr Reinhold Kalisch aus Baden-Baden zu Wort, der – Sohn einer Samländerin – seinen Bericht gerne zur Diskussion stellt, und die wird geradezu bei unseren älteren Leserinnen und Lesern herausgefordert.

Er übertitelt seinen Beitrag mit „Leserbericht über Ostpreußen von einem, der die Flucht nie erlebt hat!“ Und so empfindet Reinhold Kalisch das heutige Ostpreußen, unbeeinflusst von allen Reminiszenzen, als neutraler Beobachter, wie er sich selber bezeichnet:

„Wir hatten schon einmal Kontakt, als ich meine Geschichte bekannt gab in der Hoffnung, jemanden zu finden, der mir hätte weiter helfen können. Es ging damals um meine Mutter, Frau Lieselotte Kalisch geborene Müller, später Blei. Sie kam auch immer regelmäßig zum Treffen der Samländer. Nun, es hat nicht sollen sein. Aber mittlerweile habe ich Königsberg und Ostpreußen in Form einer Rundreise besucht. Für mich war es eine Reise in ein interessantes Land – wohlgemerkt, ich bin kein Heimwehtourist und trage die Monstranz der Vertreibung nicht vor mir her. Daher konnte ich alles als neutraler Beobachter sehen und erleben.

Ostpreußen ist wunderschön, wirklich ein Land der dunklen Wälder, es nimmt einen sofort für sich ein. Was mich besonders freut, ist die Tatsache, dass die Leute, die jetzt dort leben, dieses Land als ihre Heimat betrachten, sich damit identifizieren und uns Deutschen offen und frei gegenüber treten. Ich habe keine Vorbehalte gegenüber Menschen erlebt, die einst dort lebten und ihre Heimat verlassen mussten. Ich hatte den Vorteil, dass ich relativ gut russisch spreche und daher mit vielen Leuten ins Gespräch kam. Freilich habe ich auch verlassene Dörfer erlebt, viele verlassene Häuser und Kirchen. Doch denke ich etwas anders als die älteren Heimwehtouristen. Wem nützt es zum Beispiel, in Gilge die Kirche für teures Geld zu renovieren, wo nur zehn Leute noch zur Kirche gehen? Da sollte man es lieber in die Infrastruktur investieren. In Breitenstein besuchte ich das Museum von Schuldirektor Jurij, das neue Gestüt in Georgenburg. Da muss man das alte Gestüt der Trakehner wirklich nicht aufbauen.

Aber unvergesslich bleiben für mich die vielen Aktivitäten, die gemeinsam von den dort lebenden Russen mit Deutschland stattfinden, zum Beispiel der Soldatenfriedhof in Insterburg, die Salzburger Diakonie mit Diakon Anatolij, in der Rominter Heide und so weiter. Ein gutes Miteinander, was beiden Seiten nützt. Und genau so sollte meine Generation dieses herrliche Land sehen und erleben. Natürlich sollte man die Geschichte nicht vergessen. Für die, die unfreiwillig weg mussten, kann ich deren Schmerz und Heimatgefühl verstehen. Aber meine Generation (geboren 1945) tut gut daran, dieses schöne Land als ein interessantes Reiseziel zu sehen, das man besuchen und erleben sollte. Wir können Damals und Heute nicht vergleichen, aber Ostpreußen ist nun mal ein Teil Russlands, natürlich mit deutschen Wurzeln, die dieses Land geprägt haben, auf deren Spuren man immer wieder trifft. Und wir sollten uns freuen, dass unsere Völker sich heute freundschaftlich begegnen. Ich stelle diesen Bericht gerne zur Diskussion.“

Was wir hiermit getan haben. Und dieser Beitrag bietet genügend Ansatzpunkte für einen regen Meinungsaustausch, denn er enthält auch Widersprüchlichkeiten. Ich will, wie schon erwähnt, keine Stellungnahme dazu abgeben, aber zwei Wörter kann ich nicht so einfach stehen lassen: „Heimwehtouristen“ und „Monstranz“. Ich dachte, die erste Vokabel sei längst aus dem Sprachgebrauch verschwunden. Sie kam in der Tourismusbranche mit den ersten Reisezügen auf, die wieder nach Ostpreußen fuhren, und machte die Bezeichnung für unser berechtigtes Verlangen, die Heimat zu sehen, zu einer billigen Floskel. Für mich ist eine Reise in mein Geburtsland eine Heimkehr auf Zeit, es sind begrenzte und deshalb besonders intensiv erlebte Stunden, in denen ich allerdings meine Vertreibung aus der Heimat nicht wie eine Monstranz vor mir hertrage, anbetungsvoll und mit gebührendem Abstand und sie dann in einem kostbaren Schrein zur Schau stelle. Ich habe sie in mir, sie ist ein Teil meines Lebens und wird es bleiben.

Und nun zu unserem dritten Beitrag. Er stammt aus der Feder von Bernd Dauskardt aus Hollenstedt, der uns immer wieder mit Berichten aus unserer Heimat bedenkt, die auf eigenen Erlebnissen und Begegnungen beruhen. Auch er ist ein Nachgeborener, aber er ist und bleibt der Heimat seiner Vorfahren auf das Engste verbunden, so dass er Dinge aufspürt, die andere kaum bemerken. Was er uns nun zusandte, bezeichnet er als eine nachträgliche Betrachtung zu einem Konfirmationsgespräch, aber es ist mehr als das. Es fügt sich gut in das heutige Leitthema ein, wenn ich einige Auszüge aus dem längeren Bericht entnehme:

„Bei meinen Forschungen im Land der Ahnen, im Memelland, bin ich auf einen alten „Eingeborenen“ gestoßen, Herbert Jurkuhn aus dem Kirchspiel Plaschken. Sein Name hat für mich einen prussischen Klang. Es entwickelte sich ein intensiver Schriftverkehr, müssen wir als Enkel doch ständig bemüht sein, unser Wissen über Ostpreußen aufzufrischen. Es ergibt sich dann immer wieder die neugierige Frage: Wie war es denn damals zu deutscher Zeit? Jurkuhn hat das alte Ostpreußen noch bewusst erlebt, wenn auch in jungen Jahren. Er hat mir seinen schönen Konfirmationsspruch überlassen und mir berichtet, dass ihn dieser sein Leben lang begleitet hat. Sicherlich hat er am Tag seiner Konfirmation nicht geahnt, dass er ein halbes Jahr später die Heimat mit seinen Eltern verlassen musste. Das Kirchspiel Plaschken war mit rund 30 Dörfern und 3600 Einwohnern einmal eine blühende Gemeinde. Heute ist der Glanz aus deutscher Zeit erloschen, etliche Dörfer sind verschwunden, es stehen nur noch wenige Häuser. Die 300 Jahre alte Kirche ist eine Ruine, trotzdem wurden in den vergangenen Jahrzehnten drei Gottesdienste in Deutsch und Litauisch abgehalten. Zum Jubiläum im Jahr 1995 habe ich die letzten dort wohnenden Deutschen aufgesucht, sie alle kamen zum Gottesdienst, gehalten von Pfarrer Ernst Roga aus Heydekrug. Das ausgeteilte Abendmahl war für mich ein unvergessliches Erlebnis, spürte ich doch die Nähe meiner Ahnen. Ich bin als Enkel vermutlich der letzte Nachfahre, der bis heute Kontakt zu diesem Fleckchen Erde im Memelland hat“.

(Anschriften: Brigitte Miersch, Lutherstraße 14 in 38518 Gifhorn / Reinhold Kalisch, Sonnenweg 7 in 76530 Baden-Baden, Telefon 07221/28719, E-Mail: wolfssky@aol.com / Bernd Dauskardt, Eichenweg 8 in 21279 Hollenstedt, Telefon 04165/80343.)

Eure Ruth Geede


Dann klappt es eben auch mit den Nachfahren
Sie sind nicht nur Biografen, sondern auch Nachlassträger geistigen Erbes

Die Thematik unserer Kolumne können wir nahtlos weiterführen, wir müssen dies sogar, denn zwei Vertreter der Nachfolgegeneration geben ein großartiges Beispiel für die lebendige Erhaltung ihres Ahnenerbes. Sie sehen sich nicht nur als Biografen ihrer namhaften Verwandten, die im ostpreußischen Kulturleben eine bedeutende Rolle gespielt haben, sondern als Nachlassträger eines in der Familie bewahrten Wissens und Empfindens, über das nur sie verfügen. Durch unsere Ostpreußische Familie haben sich nun unerwartete Verbindungen zwischen diesen beiden Nachkommen ostpreußischer Familien ergeben, die uns bisher Unbekanntes übermitteln konnten und es weiter tun werden: Es sind dies die Großnichte des Königsberger Publizisten Dr. Ludwig Goldstein, Frau Monika Boes, Herausgeberin der verloren geglaubten Memoiren ihres Großonkels, und Herr Eberhard Jung, Urgroßneffe der Dichterin Frieda Jung, der die Erinnerungen an die ostpreußische Dichterin lebendig hält. Es war uns eine Freude, in Folge 23 über die bisher unbekannte Jugendliebe zwischen dem Königsberger Sekundaner Ludwig Goldstein und der 16-jährigen Lehrertochter aus Kiaulkehmen, Frieda Jung, zu berichten, die leider schon endete, ehe sie eigentlich begann. Der Journalist und Kulturredakteur ist der Dichterin in seinem späteren Leben oft begegnet, da war aber die Liebe längst einer verlässlichen Freundschaft gewichen, die sich auch auf das literarische Schaffen von Frieda Jung auswirkte. Doch das konnten wir in dem Bericht nur kurz andeuten – wenn wir jetzt darüber berichten, hat das noch einen anderen Grund: Eberhard Jung, der ebenfalls von der nun entdeckten ersten Liebe seiner Urgroßtante überrascht war, schrieb uns folgende Zeilen:

„Nachdem ich den Artikel zum zweiten Mal gelesen hatte, sagte ich: Das füllt ja eine Lücke! Diese zarte Liebe zwischen Ludwig Goldstein (etwa 17) und der jungen Lehrertochter Frieda Jung, deren Vater 1882 starb. Da war sie 16 Jahre alt, und die Namen in dem Artikel – ,Goldstein‘ und ,Darkehmen‘ – wo hatte ich sie schon gelesen? Ja doch: Friedels fünf Jahre ältere Schwester Martha und ihr Mann Carl Mengel übernahmen in Darkehmen ein kleines Kolonialwarengeschäft, bevor sie dann 1885 in Buddern, Kreis Angerburg, ein Grundstück mit Geschäft kaufen konnten. Und Goldstein? Ein Jahr nach dem Tod der bekannten und verehrten Dichterin Frieda Jung treffen sich Freunde und Mitstreiter auf dem Friedhof von Insterburg, um einen Gedenkstein zu enthüllen. ,Die Weiherede hält Ludwig Goldstein vom Goethebund‘ ist in dem Buch ,Frieda Jung, Leben und Werk‘ von Klaus Marczinowski zu lesen.“

Und auch in den von Monika Boes herausgegebenen Memoiren ihres Großonkels „Heimatgebunden“ steht noch viel, viel mehr über die Verbindung zwischen Ludwig Goldstein und Frieda Jung drin. Wir schlagen das umfangreiche Buch auf und lesen über das Wiedersehen der damaligen Jungverliebten: „Ich möchte berichten, wie ich Frieda Jung nach der zwar sehr innigen, doch völlig gelösten Jugendbeziehung wieder gefunden habe. Es war im Advent 1899. Ich berichtete für die Hartungsche Zeitung über eine der öffentlichen Bescherungen, der Lichterbaum strahlte über Hunderte erwartungsvoller Kinderaugen, da schoss einer der Verantwortlichen, der Licentiat Rich. Hoffmann, auf mich zu und stellte mir die Frage: ,Aber sagen Sie, warum haben Sie noch kein Wort über die schönen Gedichte von Frieda Jung gebracht?‘ Frieda Jung – Gedichte? Kenne ich gar nicht. Oder doch? ,Ja, ich erinnere mich, vor zwölf Jahren oder mehr eine junge Dame dieses Namens gekannt zu haben. Aber ich wusste nicht, dass sie eine Dichterin ist.‘ Tags darauf stürmte ich eine Buchhandlung, kaufte das etwa 100 Seiten umfassende Bändchen, las und las und wusste jetzt: Frieda Jung ist eine Dichterin. Eine gläubige tiefe Seele, die in den dazwischen liegenden Jahren durch eine harte Schule gegangen ist, der aber ein Gott gab, zu sagen, was sie leidet.“

Wann, wo und wie das erste Wiedersehen stattfand, ist aus den Memoiren nicht ersichtlich, sie dürfte auf einer der von Goldstein veranstalteten Lesungen erfolgt sein. Der Kunsthistoriker und Chef des Feuilletons der angesehenen „Hartungschen“ gründete im April 1901 den Goethebund und gestaltete ihn zu einem lebendigen Kunstforum zum Nutzen von Lesenden und Schreibenden gleichermaßen. Frieda Jung hat dreimal im Goethebund gelesen, anfangs mit Zittern und Zagen, später geübter und sicherer. Goldstein vermerkt: „Das liebe Landkind war von Natur ein kleiner Angsthase und bedurfte, um zu bestehen, immer gehöriger Vorbereitung und entschiedenen Zuspruchs.“ Als Frieda Jung das erste Mal in der Dreikönigsloge aufgetreten war, bedachte sie ihn mit einem Bild und einem Gedicht, in dem es heißt: „Aus Traum und Schaum, aus Nacht und Schweigen: Ein neuer Tag …“ Er wurde für sie zum Ehrentag. Die Leute waren in Scharen gekommen. Als die von R. Schwalm und ihrem Neffen Siegfried Jung vertonten Lieder verklungen waren, drängten sich begeisterte Menschen um sie. Frieda Jung hatte ihren Weg gemacht. Goldstein sah in ihrer neuen Begegnung auf so verwandtem Gebiet einen Wink des Schicksals. „Meine sachliche und meine persönliche Anteilnahme waren nicht mehr zu trennen. Nur war an Stelle erster Liebeswallungen eine wunsch- und fleckenlose Freundschaft getreten.“ Mit der Zeit ernannte sie den im ostpreußischen Kulturleben so dominanten Ludwig Goldstein zum „guten Geist ihres Daseins“. Und es blieb immer bei einem auf Abstand bedachten „Sie“, was nicht die kleinste zärtliche Zuwendung erkennen ließ. Sie war ja nun auch nicht mehr gegeben. R.G.


S. 15 Glückwünsche

Wir gratulieren

ZUM 101. GEBURTSTAG

Piepereit, Emma, aus Lyck, am 29. Juli

Staats, Erwin, aus Gollen, Kreis Lyck, am 26. Juli

Stumm, Grete, aus Malga, Kreis Neidenburg, am 31. Juli

ZUM 98. GEBURTSTAG

Oltmann, Christel, geb. Runz, aus Sonnenmoor, Kreis Ebenrode, am 30. Juli

ZUM 96. GEBURTSTAG

Ruhe, Alfred, aus Woinassen, Kreis Treuburg, am 31. Juli

Wydrinka, Walter, aus Martins-hagen, Kreis Lötzen, am 29. Juli

ZUM 95. GEBURTSTAG

Perlbach, Lieselotte, geb. Raase, aus Groß Schiemanen, Kreis Ortelsburg, am 30. Juli

Wichert, Gertrude, geb. Malessa, aus Balden, Kreis Neidenburg, am 28. Juli

ZUM 94. GEBURTSTAG

Berkowitz, Elly, geb. Matern, aus Nickelsdorf, Kreis Wehlau, am 31. Juli

Burger, Dora, geb. Josuttis-Siegenthaler, aus Lyck, Bismarckstraße 36, am 26. Juli

Drescher, Erna, aus Lauken, Kreis Ebenrode, am 28. Juli

Gothmann, Klaus, aus Georgens-walde, Kreis Samland, am 31. Juli

Haut, Ulrich, aus Schlesien, am 29. Juli

Heyduck, Alfred, aus Treuburg, am 25. Juli

Kraushaar-Roßdeutscher, Christel, aus Lötzen, am 30. Juli

Kurschat, Herta, geb. Augustin, aus Ossafelde, Kreis Elchniederung, am 31. Juli

Litzbarski, Lene, geb. Cybulla, aus Groß Schläfken, Kreis Nei-denburg, am 25. Juli

Nass, Käte, geb. Balzer, aus Kilianen, Kreis Treuburg, am 29. Juli

Otto, Hilde, geb. Lorenzen/Lojewski, aus Millau, Kreis Lyck, am 28. Juli

Sauer, Erika, geb. Gottschling, aus Kirpehnen, Kreis Samland, am 25. Juli

ZUM 93. GEBURTSTAG

Feuerer, Gerda, geb. Rinas, aus Treuburg, am 30. Juli

Greifenberg, Hildegard, geb. Kukowski, aus Martinshöhe, Kreis Lyck, am 26. Juli

Griesel, Emmi-Wanda, geb. Brussas, aus Sentken, Kreis Lyck, am 25. Juli

Herrmann, Fritz, aus Herzogskirchen, Kreis Treuburg, am 27. Juli

Kellmann, Frieda, geb. Schmeling, aus Kiekwieden, Kreis Ebenrode, am 29. Juli

Stahnke, Irmgard, geb. Redwanz, aus Lyck, Bismarckstraße 37, am 30. Juli

ZUM 92. GEBURTSTAG

Jerowski, Ursula, geb. Kewitz, aus Tapiau, Kreis Wehlau, und aus Rhein, Kreis Lötzen, am 31. Juli

Kneisel, Eva, geb. Czychi, aus Neumalken, Kreis Lyck, am 30. Juli

Schröder, Margarete, geb. Hamm, aus Leißienen, Kreis Wehlau, am 29. Juli

Tresp, Rosemarie, aus Glinken, Kreis Lyck, am 30. Juli

Wagner, Heinz, aus Tapiau, Kreis Wehlau, am 25. Juli

ZUM 91. GEBURTSTAG

Brendel, Antonie, geb. Bemba, aus Königsfließ, Kreis Lötzen, am 26. Juli

Eczko, Elfriede, aus Berglingen/Angerapp, Kreis Lyck, am 29. Juli

Fritschi, Johanna, geb. Maseyzik, aus Soffen, Kreis Lyck, am 28. Juli

Großheim, Erna, aus Tilsit, am 30. Juli

Heyduck, Karl, aus Treudorf, Kreis Ortelsburg, am 30. Juli

Krupp, Gertrud, geb. Wolff, aus Willkassen, Kreis Treuburg, am 28. Juli

Matzeit, Ella, geb. Broszeit, aus Heinrichswalde, Kreis Elchniederung, am 25. Juli

Potreck, Wolfgang, aus Rauschen, Kreis Samland, am 25. Juli

Reinhardt, Kurt, aus Ebenrode, am 29. Juli

Till, Herbert, aus Wehlau, am 30. Juli

Zabel, Margarete, geb. Krüger, aus Kandien, Kreis Neidenburg, am 25. Juli

ZUM 90. GEBURTSTAG

Abbott, Eva-Maria, geb. Paprotka, aus Treuburg, am 25. Juli

Behrens, Lucie, geb. Hackensohn, aus Friedrichsthal, Kreis Wehlau, am 30. Juli

Bieber, Helmut, aus Fronicken, Kreis Treuburg, am 26. Juli

Bottke, Helene, geb. Siminoff, aus Seehag, Kreis Neidenburg, am 27. Juli

Bülles, Herta, geb. Mortzeck, aus Skottau, Kreis Neidenburg, am 28. Juli

Ewert, Ulrich, aus Sangnitten, Kreis Preußisch Eylau, am 25. Juli

Gakenholz, Elfriede, geb. Kroll, aus Dingeln, Kreis Treuburg, am 30. Juli

Grzywatz, Irmgard, geb. Buyny, aus Königsruh, Kreis Treuburg, am 31. Juli

Hänsel, Edith, geb. Schein, aus Georgenswalde, Kreis Samland, am 28. Juli

Krüger, Artur, aus Neidenburg, am 26. Juli

Kruse, Eva-Edith, geb. Sieloff, aus Schakendorf, Kreis Elchniederung, am 25. Juli

Oelsner, Grete, geb. Petereit, aus Kobilinnen, Kreis Lyck, am 29. Juli

Piekatz, Oskar, aus Nareythen, Kreis Ortelsburg, am 13. Juli

Radigk, Herbert, aus Frischenau, Kreis Wehlau, am 25. Juli

Schröter, Margarete, aus Eydt-kau, Kreis Ebenrode, am 29. Juli

Zekau, Günter, aus Grammen, Kreis Ortelsburg, am 30. Juli

ZUM 85. GEBURTSTAG

Böhm, Helmut, aus Grunau, Kreis Heiligenbeil, am 30. Juli

Grimm, Dieter, aus Goldbach, Kreis Wehlau, am 31. Juli

Hemker, Edith, geb. Grochowski, aus Soffen, Kreis Lyck, am 27. Juli

Herbst, Wolfgang, aus Lyck, am 31. Juli

Holthaus, Margot, geb. Laukien, aus Pillau, Kreis Samland, am 30. Juli

Jäger, Ilse, geb. Mehldau, aus Langheide, Kreis Lyck, am 25. Juli

Jüsche, Horst, aus Trömpau, Kreis Samland, am 31. Juli

Lange, Elli, geb. Kretschmann, aus Bladiau, Kreis Heiligenbeil, am 28. Juli

Luedtke, Walter, aus Rodental, Kreis Lötzen, am 26. Juli

Lüdtke, Walter, aus Fließdorf, Kreis Lyck, am 26. Juli

Mahlke, Ilse, geb. Slopianka, aus Schwarzenofen, Kreis Neiden-burg, am 30. Juli

Morgenbrodt, Helga, geb. Hintze, aus Bieberswalde, Kreis Wehlau, am 29. Juli

Neumeier, Fritz jun., aus Barten-hof, Kreis Wehlau, am 26. Juli

Olk, Günter, aus Kuckerneese, Kreis Elchniederung, am 29. Juli

Orlowski, Horst, aus Neuendorf, Kreis Lyck, am 27. Juli

Ossewski, Dagobert, aus Rorbach, Kreis Lyck, am 30. Juli

Przygodda, Hildegard, geb. Kili-mann, aus Rehbruch, Kreis Ortelsburg, am 26. Juli

Rommler, Elli Elisabeth, geb. Böhm, aus Grunau, Kreis Heiligenbeil, am 30. Juli

Schmidt, Sabine, geb. Kobbert, aus Paggehnen, Kreis Samland, am 26. Juli

Thiemann, Edith, geb. Klowsky, aus Ostseebad Cranz, Kreis Samland, am 25. Juli

Trottner, Horst, aus Lerchenborn, Kreis Ebenrode, am 26. Juli

Tumat, Ursula, geb. Schittko, aus Heinrichsdorf, Kreis Neidenburg, am 29. Juli

Tyburcy, Melitta, aus Prostken, Kreis Lyck, am 30. Juli

Wargalla, Heinz, aus Omule-hofen, Kreis Neidenburg, am 26. Juli

Wilhelm, Erna, geb. Schipp, aus Neukirch, Kreis Elchniederung, am 26. Juli

Wlotzki, Alwin, aus Krokau, Kreis Neidenburg, am 31. Juli

ZUM 80. GEBURTSTAG

Adamus, Waltraud, aus Steinkendorf, Kreis Lyck, am 30. Juli

Adelberg, Fritz, aus Bürgersdorf, Kreis Wehlau, am 29. Juli

Baltrusch, Edith, aus Nesobrust, am 26. Juli

Böhm, Herta, geb. Lundschien, aus Dünen, Kreis Elchniederung, am 30. Juli

Freiholz, Hildegard, geb. Katzmarski, aus Wallen, Kreis Ortelsburg, am 28. Juli

Goetzmann, Renate, geb. Mienert, aus Neukuhren, Kreis Samland, am 28. Juli

Gregorzewski, Waldemar, aus Klein Rauschen, Kreis Lyck, am 27. Juli

Hampel, Eveline, geb. Füllhase, aus Tilsit, am 26. Juli

Henck, Ruth, geb. Marzian, aus Mulden, Kreis Lyck, am 31. Juli

Imhülse, Waltraud, geb. Perkuhn, aus Bürgersdorf, Kreis Wehlau, am 28. Juli

Janz, Bernhard, aus Stobingen, Kreis Elchniederung, am 31. Juli

Junk, Edith, geb. Godau, aus Ostseebad Cranz, Kreis Samland, am 30. Juli

Kalleja, Inge, geb. Harder, aus Groß Blumenau, Kreis Samland, am 26. Juli

Konopka, Siegfried, aus Vorbergen, Kreis Treuburg, am 27. Juli

Lindenberg, Christel, geb. Böhm, aus Grunau, Kreis Heiligenbeil, am 27. Juli

Milbitz, Rudolf, aus Seerappen, Kreis Samland, geb. in Königsberg, am 29. Juli

Reimer, Hermann, aus Heinrichswalde, Kreis Elchniederung, am 31. Juli

Rogalski, Karl-Heinz, aus Guhsen, Kreis Treuburg, am 28. Juli

Rummel, Irmgard, geb. Jedamski, aus Schuttschen, Kreis Neiden-burg, am 26. Juli

Serafin, Hubert, aus Buschwalde, Kreis Neidenburg, am 30. Juli

Stüber, Erika, geb. Braun, aus Rauschen, Kreis Samland, am 25. Juli

Tertel, Klaus, aus Scharfenrade, Kreis Lyck, am 28. Juli

Viebrock, Herta, geb. Mattulat, aus Ibenberg, Kreis Elchniederung, am 26. Juli

Walz, Manfred, am 29. Juli

Wiertalla, Gerhard, aus Seeben, Kreis Neidenburg, am 28. Juli

Wörmann, Gerda, geb. Cirkel, aus Breitenfelde, Kreis Neiden-burg, am 25. Juli

Zakowski, Hans, aus Hügelwalde, Kreis Ortelsburg, 29. Juli

ZUM 75. GEBURTSTAG

Bialuschewski, Leo, aus Gim-mendorf, Kreis Neidenburg, am 26. Juli

Brzoska, Botho, aus Rettkau, Kreis Neidenburg, am 25. Juli

Domsalla, Elfriede, aus Montwitz, Kreis Ortelsburg, am 25. Juli

Gardewischke, Hans-Georg, aus Schwalg, Kreis Treuburg, am 28. Juli

Kaniewski, Karin, geb. Eggert, aus Pobethen, Kreis Samland, am 26. Juli

Kinder, Margot, geb. Grasteit, aus Wittken, Kreis Elchniederung, am 29. Juli

Knorr, Günter, aus Canditten, Kreis Preußisch Eylau, am 28. Juli

Kondracki, Inge, geb. Zipplies, aus Legenquell, Kreis Treuburg, am 25. Juli

Koytka, Norbert, aus Kobulten, Kreis Ortelsburg, am 31. Juli

Leibinnes, Horst, aus Kernhall, Kreis Tilsit-Ragnit, am 27. Juli

Martensen, Erna, geb. Schlenther, aus Buttenhagen, Kreis Elchniederung, am 31. Juli

Schulz, Siegfried, aus Goldensee, Kreis Lötzen, am 30. Juli

Reinecker, Waldemar, aus Eben-rode, am 28. Juli

Wriedt, Günter, aus Richau, Kreis Wehlau, am 26. Juli

Zander, Siegrid, geb. Block, aus Ortelsburg, am 31. Juli

Diamantene Hochzeit

Koppel, Ewald, aus Michelsdorf, Kreis Ortelsburg, und Ehefrau Herta, geb. Salewski, aus Gusken, Kreis Johannisburg, am 29. Juli

Kutz, Gustav, aus Angerburg, und Ehefrau Iris, geb. Pflaumbaum, aus Kussen, Kreis Pilkallen, am 30. Juli


Nehmt einander an
7. Heimatgottesdienst in Lüneburg

Am Sonnabend, 1. August, 14 Uhr, findet in der St. Johanneskirche in Lüneburg, der 7. festliche Ökumenische Ost-Heimatgottesdienst, statt. Die Predigt hält in diesem Jahr Pastor Fryderyk Tegler zum Thema der Jahreslosung 2015 „Nehmt einander an!“

Tegler ist gebürtiger Ostpreuße, lebt aber seit 39 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland, davon 22 Jahre im Raum Lüneburg. Er pflegt enge Kontakte zu seiner Heimat und wurde dafür in Polen mehrfach ausgezeichnet und immer wieder geehrt.

Die Orgel spielt Irina Kague-manova, geborene König, aus Königsberg. Außerdem wirken mit: Der Posaunenchor vom Amt Neuhaus, der Chor Legende aus Königsberg, der Chor der Deutschen Minderheit aus Lötzen sowie die Solisten BernStein (Gesang) und Kerstin Harms (Trompete). Eine weitere Überraschung ist das Spiel auf dem Hackbrett von Lena Buko und Irina Karnitskaya aus Weißrussland. Nach dem Gottesdienst sind alle Besucher ins Glockenhaus zu Kaffee und Kuchen eingeladen.

Im Glockenhaus findet ebenfalls am 1. August (Beginn: 10 Uhr) der Tag der Offenen Tür des Vereins Freunde Masurens statt. Zum Festprogramm gehören Ausstellungen, darunter Aquarelle aus Masuren, – sowie Musikpäsentationen, ostpreußische Spezialitäten und ein großes Gewinnspiel. Die Teilnehmer können eine Reise nach Masuren und Königsberg gewinnen. Die Schirmherrschaft über die Festlichkeiten hat der Generalkonsul der Republik Polen in Hamburg, Marcin Cichosz, übernommen.

Ab 13 Uhr singt der Chor der Brüdergemeinde Lüneburg in der St. Johanniskirche. Veranstalter des Ost-Heimatgottesdienstes ist die „Gemeinschaft evangelischer Ostpreußen“ unter der Leitung von Pastor Tegler und seinem Team aus Scharnebeck.

Die Kollekte ist für Weihnachts-pakete kinderreicher Familien in Masuren bestimmt.


S. 16 Heimatarbeit

Landsmannschaftliche Arbeit

BUND JUNGESOSTPREUSSEN

Vorsitzender: Stefan Hein, Gst.: Buchtstr. 4, 22087 Hamburg, Tel.: (040) 4140080, E-Post: kontakt@junge-ostpreussen.de, www.junge-ostpreu­ssen.de.

Breslau – 26. September: In der niederschlesischen Stadt Breslau findet dieses Jahr das Kulturfestival der Deutschen Minderheit in der Jahrhunderthalle statt. Dieses gibt es nur alle drei Jahre und ist durchaus etwas Besonderes. Die Stadtfahrt dient dazu, sich gemeinsam einen Eindruck von der Veranstaltung zu verschaffen, und bietet Gelegenheit, die schöne Stadt zu erkunden, und das natürlich nicht nur am Tage. Die Teilnehmer treffen sich in Breslau am Abend des 24. Septembers und reisen am 27. September wieder ab. Der Altersschwerpunkt der Stadtfahrt liegt zwischen 16 und 35 Jahren. Die Einladung mit weiteren Einzelheiten findet sich auf www.junge-ostpreussen.de.

Düsseldorf – Freitag, 9. bis Sonntag 11. Oktober, Düsseldorf: Bundestreffen. Am 11. Oktober 2015 steht in diesem Rahmen eine Führung durch das Museum Stadt Königsberg in Duisburg auf dem Programm, das Ende 2015 seine Tore schließen wird. Anmeldeschluss ist der 31. Juli 2015! Späteren Anmeldungen kann kein Platz in der Jugendherberge ga-rantiert werden.

 

BADEN-WÜRTTEMBERG

Vors.: Uta Lüttich, Feuerbacher Weg 108, 70192 Stuttgart, Telefon und Fax (0711) 854093, Geschäftsstelle: Haus der Heimat, Schloßstraße 92, 70176 Stuttgart, Tel. und Fax (0711) 6336980.

Landesgruppe – Mittwoch 5. August, 17 Uhr, Gedenkplatte auf dem Schlossplatz in Stuttgart: Chartafeier. Alle Landsmannschaften und Heimatgruppen sind dazu eingeladen. Bitte kommen Sie recht zahlreich zu dieser wichtigen Feierstunde.

Göppingen – Jeweils am ersten Mittwoch im Monat trifft sich um 14 Uhr im Lokal Glashaus, Weberstraße 15, 73084 Salach die Kreisfrauengruppe zu ihren Kulturnachmittagen. Ansprechpartner ist Vera Pallas, Telefon (07162) 5870.

Lahr – Donnerstag, 6. August, 18 Uhr, Zarko: Stammtisch.

Stuttgart – Sonnabend, 29. August, 14,30 Uhr, Großer Saal, Haus der Heimat: Die Westpreußen der Stuttgarter Gruppe treffen sich zum interessanten Kulturnachmittag unter Leitung von Herrn Schwalke. Alle Ostpreußen sind herzlich eingeladen.

Ulm/Neu Ulm – – Mittwoch, 5. August, 14 Uhr, Ulmer Stuben: Gemeinsame Fahrt zum Ernsthof bei Ehingen.

 

BAYERN

Vorsitzender: Friedrich-Wilhelm Böld, Telefon (0821) 517826, Fax (0821) 3451425, Heilig-Grab-Gasse 3, 86150 Augsburg, E-Mail: info@low-bayern.de, Internet: www. low-bayern.de.

Altmühlfranken – Sonnabend, 25. Juli, 15 Uhr, Seezentrum Gunzenhausen-Schlungenhof: Seefahrt mit der MS „Gunzenhausen“ auf dem Altmühlsee.

Ansbach – Sonnabend, 25. Juli: Sommerfest auf dem Altmühlsee. Gefeiert wird mit den Landsleuten aus Gunzenhausen/Weißenburg.

Landshut – Dienstag, 18. August, 14 Uhr, Hotel-Gasthof Zur Insel, Badstraße 16, 84028 Landshut; Gemeinsames Treffen

 

BERLIN

Vorsitzender: Rüdiger Jakesch, Geschäftsstelle: Forckenbeck-straße 1, 14199, Berlin, Telefon (030) 2547345, E-Mail: info@bdv-bln.de, Internet: www.ostpreussen-berlin.de. Geschäftszeit: Donnerstag von 14 Uhr bis 16 Uhr Außerhalb der Geschäftszeit: Marianne Becker, Telefon (030) 7712354.

Gumbinnen –

11. August, Berlin: Treffen im Restaurant „Mazedonia“, Hans-Sachs-Straße 41 (am S-Bahnhof Lichterfelde). Weitere Informationen: Joseph Lirche, Telefon (030) 4032681.

 

HAMBURG

Erster Vorsitzender: Hartmut Klingbeutel, Haus der Heimat, Teilfeld 8, 20459 Hamburg, Tel.: (040) 444993, Mobiltelefon (0170) 3102815. 2. Vorsitzender: Manfred Samel, Friedrich-Ebert-Straße 69 b, 22459 Hamburg, Telefon/Fax (040) 587585, E-Mail: manfred-samel@hamburg.de.

KREISGRUPPEN

Insterburg, Sensburg – Die Heimatkreisgruppe trifft sich jeden ersten Mittwoch im Monat (außer im Januar und im Juli) zum Singen und zu einem kulturellem Programm um 12 Uhr, im Hotel Zum Zeppelin, Frohmestraße 123–125, 22459 Hamburg. Kontakt: Manfred Samel, Friedrich-Ebert-Straße 69b, 22459 Hamburg. Telefon/Fax (040) 587585, E-Mail: manfred-samel@hamburg.de.

 

HESSEN

Vorsitzender: Eberhard Traum, Wächtersbacherstraße 33, 63636 Brachtal, Telefon (06053) 708612.

Wiesbaden – Das letzte Monatstreffen unter der Überschrift „Eine Frau, die Spuren in der Geschichte hinterließ“ war mit einem Film der preußischen Königin Luise gewidmet, die oftmals als herausragende Persönlichkeit der Hohenzollerndynastie und populärste Frau der preußischen Geschichte bezeichnet wird. Sie starb früh, 1810, mit vierunddreißig Jahren an einem Lungenleiden. Ihr Name ist besonders mit dem Tilsiter Frieden von 1807 verbunden.

Der Film, im dem die Schauspielerin Luise Heyer die Königin verkörpert, zeigte Stationen aus dem Leben der jungen Herrscherin vor dem Hintergrund des damaligen historischen Geschehens. Schon zu Lebzeiten wurde sie wegen ihrer Volksnähe verehrt, aber auch durch ihre Schönheit und Anmut. So zeigte der Film das Entstehen der berühmten Prinzessinnengruppe des Bildhauers Johann Gottfried Schadow, in der er Luise und ihre Schwester Friederike als Glanzstück seiner Kunst verewigte. Von ihm stammt auch die Quadriga auf dem Brandenburger Tor.

Ausführlich dargestellt im Film wurde der Bittgang der Königin zu Napoleon, um einen milden Frieden für Preußen zu erreichen. Doch das Gespräch mit Bonaparte endete jäh, als der Gatte der Königin, Friedrich Wilhelm III, in das Zimmer stürmte. „Der König kam zur rechten Zeit, sagte der Franzose später. „Wäre er eine Viertelstunde später hereingekommen, so hätte ich der Königin alles versprochen.“

„Zu Ehren der beliebten Königin gab es fast in jedem Ort ein Denkmal; so auch im Park Jakobsruh in Tilsit, unweit unserer damaligen Wohnung in der Marienstraße“, sagte der Vorsitzende Dieter Schetat in seiner Einführung zum Film. Vor dem Krieg spazierte er oft mit seiner Großmutter zu dem acht Meter hohen Standbild aus carrarischem Marmor, das im Jahr 1900 im Beisein von Kaiser Wilhelm eingeweiht worden war.

Bei seinem letzten Tilsit-Besuch im August 2013 sah er zu seiner Überraschung im Park vorbereitende Arbeiten zur Wiedererrichtung des in den Kriegswirren verloren gegangenen Denkmals – und hatte dazu auch zwei Bilder parat. Und ein Jahr später, am 6. Juli 2014 – anlässlich der

207. Wiederkehr des Tilsiter Friedensschlusses – wurde an alter Stelle wieder das originalgetreu geschaffene Denkmal festlich eingeweiht.

„Bemerkenswert ist, dass auch die heutigen Bewohner der inzwischen russischen Memelstadt Luise lieben und von ihr als ,Königin der Herzen’ sprechen; vielleicht auch deswegen, weil Luise die Großmutter des russischen Kaisers Alexander II. ist“, meinte Schetat.

 

MECKLENBURG-VORPOMMERN

Vorsitzender: Manfred F. Schukat, Hirtenstraße 7 a, 17389 Anklam, Telefon (03971) 245688.

Parchim – An jedem dritten Donnerstag, 14.30 Uhr, Café Würfel, Scharnhorststraße 2: Treffen der Kreisgruppe. Gemütlicher Nachmittag, um über Erinnerungen zu sprechen, zu singen und zu lachen. Weitere Informationen: Charlotte Meyer, Kleine Kemenadenstraße 4, 19370 Parchim, Telefon (03871) 213545.

 

NIEDERSACHSEN

Vorsitzende: Dr. Barbara Loeffke, Alter Hessenweg 13, 21335 Lüneburg, Telefon (04131) 42684. Schriftführer und Schatzmeister: Gerhard Schulz, Bahnhofstraße 30b, 31275 Lehrte, Telefon (05132) 4920. Bezirksgruppe Lüneburg: Manfred Kirrinnis, Wittinger Straße 122, 29223 Celle, Telefon (05141) 931770. Bezirksgruppe Braunschweig: Fritz Folger, Sommerlust 26, 38118 Braunschweig, Telefon (0531) 2 509377. Bezirksgruppe Weser-Ems: Otto v. Below, Neuen Kamp 22, 49584 Fürstenau, Telefon (05901) 2968.

Helmstedt – Jeder zweite Donnerstag im Monat, 15 Uhr, Begegnungsstätte, Schützenwall 4: Gemeinsames Treffen. Die nächsten Termine: 13. August, 10. September.

Osnabrück – Freitag, 21. August, 15 Uhr, Gaststätte Bürgerbräu, Blumenhaller Weg 43: Treffen der Frauengruppe.

Rinteln – Donnerstag, 13. August 2015, 15 Uhr, Hotel Stadt Kassel, Klosterstraße 42, 31737 Rinteln: Erwin Kornitzki aus Bückeburg berichtet über „Meine Heimat Ostpreußen und Eindrücke von meinen Reisen dorthin“. Angehörige und Freunde sowie interessierte Gäste sind ebenfalls herzlich willkommen. Auskünfte und Informationen zur landsmannschaftlichen Arbeit in Rinteln gibt es beim Vorsitzenden Joachim Rebuschat unter Telefon (05751) 53 86 oder per E-Mail: rebuschat@web.de

 

NORDRHEIN-WESTFALEN

Vorsitzender: Jürgen Zauner, Geschäftsstelle: Buchenring 21, 59929 Brilon, Tel. (02964) 1037, Fax (02964) 945459, E-Mail: Geschaeft@Ostpreussen-NRW.de, Internet: www.Ostpreussen-NRW.de

Bielefeld – Montag, 3. August, 15 Uhr, Kreisvereinigung, Wilhelmstraße 1B, 33602 Bielefeld: Treffen der Frauengruppe. – Donnerstag, 6. August, 15 Uhr, Kreisvereinigung: Gesprächskreis der Königsberger und Freunde der ostpreußischen Hauptstadt.

Bonn – Dienstag, 28 Juli, 14 Uhr, Nachbarschaftszentrum Brüserberg. Fahrenheitstraße 49: Treffen des Frauenkreises – Dienstag,

4. August, 18 Uhr, Haus am Rhein, Elsa-Brändström-Straße 74: Sommerstammtisch in lockerer Runde.

Düsseldorf – Jeden Mittwoch, 18.30 Uhr, Eichendorff-Saal, Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus (GHH), Bismarckstraße 90: Chorprobe der Düsseldorfer Chorgemeinschaft „Ostpreußen-Westpreußen-Sudetenland“ unter Leitung von Radostina Hristova – Sonntag, 26. Juli, 9.30 Uhr, Mariendom Neviges, Velbert/Rheinland: Pontifikalamt zum 20-jährigen Jubiläum „Mutter-Anna-Wallfahrt“ – Mittwoch, 5. August, 15 Uhr, Raum 311, GHH: Ostdeutsche Stickerei mit Helga Lehmann und Christel Knackstädt. – Donnerstag, 6. August, 19.30 Uhr, Raum 412, GHH: Offenes Singen mit Barbara Schoch. – Freitag,

14. August, 17 Uhr, Terrasse, GHH: Grillfest. –Sonnabend, 15. August, 18 Uhr: Feierstunde anlässlich der Ausstelllung der Pommerschen Landsmannschaft „Vertrieben und Vergessen – Pommern in der deutschen und europäischen Geschichte“. Die Ausstellung läuft bis zum 10. September.

Neuss – Donnerstag, 30. Juli, bis Sonntag, 2. August: Jahresausflug nach Hamburg. Anmeldung: Peter Pott, Zollstraße 32, 41460 Neuss, Telefon (02131) 3843400. Programm bitte anfordern. – Sonnabend, 8. August, 12 Uhr, an der Cornelius-Kirche, Neuss-Erfttal: Großes Grillfest mit ostpreußischen Spezialitäten.

Siegen – Im 70. Jahr der Vertreibung beging die Kreisgruppe Siegen der Landsmannschaft Ost- und Westpreußen 60 Jahre ihres Bestehens. Am 18. Januar 1955 wurde sie auf die maßgebliche Initiative von Max Gorski gegründet, der dann erster und langjähriger Vorsitzender der Kreisgruppe wurde. Der Gründungstermin erinnert an die Krönung des Kurfürsten von Brandenburg, Friedrich III., zum König in Preußen 1701.

Die Veranstaltung war in erfreulichem Maße besucht. Neben den Mitgliedern der Kreisgruppe sowie Vertretern und Mitgliedern der übrigen Vertriebenenverbände in Siegen konnten die stellvertretende Landrätin des Kreises Siegen-Wittgenstein, Jutta Capito, der Bürgermeister der Stadt Siegen, Steffen Mues, und als Vertreter der Landesgruppe NRW der Landsmannschaft Ostpreußen deren Ehrenvorsitzender Ehrenfried Mathiak begrüßt werden. Einleitend hörten die Anwesenden das Gedicht von Agnes Miegel „Es war ein Land“.

In Ihren Grußworten gratulierten die Vertreter der Kommunalpolitik der Kreisgruppe zu ihrem 60-jährigen Bestehen und hoben ihre erfolgreiche Mitwirkung an der Eingliederung der Vertriebenen im Siegerländer Raum hervor. Sie würdigten die Arbeit der Kreisgruppe für die Erhaltung und Wahrung kultureller und geschichtlicher Überlieferung Ostpreußens. Der Bürgermeister der Stadt erinnerte insbesondere an historische Beziehungen zwischen dem Siegerland und Ostpreußen. So hätten viele Absolventen der 1853 gegründeten Siegener Wiesenbauschule in Ostpreußen ihr Tätigkeitsfeld gefunden und dazu beigetragen, dass dort landwirtschaftlich nutzbare Flächen vermehrt wurden.

Von der Landesgruppe NRW der Landsmannschaft wurden Grüße und Glückwünsche durch Mathiak überbracht. In seiner Ansprache gab er der Freude über das 60-jährige Bestehen der Kreisgruppe Ausdruck, doch gleichzeitig wies er darauf hin, dass auch im 70. Jahr nach der Vertreibung die Wunden ihres Unrechts nicht geheilt seien, Entschädigungsfragen noch offen und auch eine vorbehaltlose Würdigung ihrer Opfer an einem eigenen nationalen Gedenktag nicht erfolge. Insofern könne die Freude nicht ungetrübt sein. Den Einsatz und die Arbeit von Anton Olbrich als Vorsitzenden der Kreisgruppe seit 2004 würdigte er mit der Verleihung des Ehren- und Verdienstabzeichens der Landesgruppe NRW.

Anton Olbrich widmete sich in einem Vortrag den wechselseitigen Beziehungen zwischen Ostpreußen und dem Siegerland. Hatte der Bürgermeister der Stadt Siegen an die Bedeutung der Siegener Wiesenbauschule für die Landwirtschaft Ostpreußens erinnert, so wies Anton Olbrich darauf hin, dass nach der Vertreibung viele Ost- und Westpreußen maßgebliche Positionen in Politik, Wirtschaft und im kirchlichen Leben des Siegerlandes eingenommen haben. So bewertete er die Eingliederung der vertriebenen Ost- und Westpreußen nach anfänglichen Schwierigkeiten als gelungen.

Während einer Kaffeepause und danach erfreute ein Kinderchor die Anwesenden mit erfrischenden Liedern. Er regte sie auch an, die Lieder „Die Gedanken sind frei...“ und „Flogen einst fünf wilde Schwäne ...“ mitzusingen. Mundartliche Vorträge erweckten heitere Erinnerungen an Ostpreußen; der Film „Das war Königsberg“ trug zurück in seine Geschichte. Mit dem gemeinsamen Singen des Ostpreußenliedes beendeten die Anwesenden die Gedenkfeier.

Witten – Montag, 17. August, 15 Uhr, Evangelisch-Lutherische Kreuzgemeinde, Lutherstraße 6–10: Urlaubsberichte von Reisen in die Heimat

 

SACHSEN-ANHALT

Vors.: Michael Gründling, Große Bauhausstraße 1, 06108 Halle, Telefon privat (0345) 2080680.

Dessau – Montag, 10. August, Seniorenfreizeitstätte Krötenhof, Wasserstadt 50: Berichte aus der Heimat.

Gardelegen – Freitag, 31. Juli, 14 Uhr, Waldgaststätte Lindenthal: Grillnachmittag mit Programm. – Montag. 17. August, 13. Seenfahrt von Ketzin zum Paretzer Kanal.

Magdeburg – Dienstag, 11. August, 13 Uhr, Immermannstraße: Treffen der Stickerchen. – Donnerstag, 13. August, Sportgaststätte Post, Spielhagenstraßestraße: Tag der Heimat

 

SCHLESWIG-HOLSTEIN

Vors.: Edmund Ferner. Geschäftsstelle: Telefon (0431) 554758, Wilhelminenstr. 47/49, 24103 Kiel.

Bad Oldesloe – Nach der Begrüßung der Juli-Runde der Landsmannschaft Ost- und Westpreußen erinnerte Gisela Brauer an die besonderen Ereignisse im Nachkriegsdeutschland. Erst 1948 erlaubten die Alliierten den Zusammenschluss der Heimatvertriebenen, sodass Landsmannschaften gegründet werden konnten. Am 23. Mai 1949 trat das Grundgesetz in Kraft, das vom Parlamentarischen Rat beschlossen worden war. Damit wurden die westlichen Besatzungszonen zu einem Staatswesen mit einer demokratischen Verfassung. Das Grundgesetz enthielt auch einige Rechte der Heimatvertriebenen. Am 5. August 1950 entstand die Charta der Heimatvertriebenen mit Verzicht auf Rache und Vergeltung im Hinblick auf ein vereintes Europa. Das Buch von Jörg Magenau „Schmidt-Lenz – Geschichte einer Freundschaft“ war eine gute Hilfe, diesen Erinnerungen weiter nachzugehen. In den Gesprächen des Hamburger Politikers mit dem ostpreußischen Literaten erscheint die gesamte Geschichte der letzten Jahrzehnte, wie wir sie selbst erlebten. Es geht um die RAF in den 70-er Jahren, die Ermordung Hanns Martin Schleyers, die Flugzeugentführung nach Mogadischu, Gefährdung von Natur und Umwelt. Es entwickeln sich aber auch Dialoge nach Osten.

1977 reiste Helmut Schmidt nach Polen in Begleitung von Siegfried Lenz. Lenz war dort als Schriftsteller schon bekannt, und er war Masure. Vereinbarungen folgten, es kam zu dem Doppelbeschluss. In der Regierungszeit von CDU und FDP mit Bundeskanzler Helmut Kohl fiel der Eiserne Vorhang. Aus der ehemaligen DDR entstanden die neuen Bundesländer.

Mit eigenen Erinnerungen ergab sich eine rege Diskussion. Geburtstagskinder des Monats waren Hildegard Neppessen, Karla Baltrusch und Ulrich Klemens. Gisela Brauer Bad Schwartau – „Am 30. Juli 2015 wird gefeiert! Wir sind dann 60 Jahre verheiratet, sind auf unserem gemeinsamen Lebensweg durch Dick und Dünn gegangen und haben alle Höhen und Tiefen gemeinsam gemeistert.“ Kurz und bündig – so beginnen die Einladungen zur Diamantenen Hochzeit von Iris und Gustav Kutz. Inzwischen dürften die Schreiben trotz Poststreik alle Gäste erreicht haben. Gefeiert wird bei Familie Kutz in Bad Schwartau.

Iris und Gustav Kutz sind seit 1978 aktive Mitglieder der Landsmannschaft Ostpreußen in Bad Schwartau, und ohne die tatkräftige Hilfe der beiden – auch im Vorstand – wäre vieles bei der Landsmannschaft nicht vorangekommen. Seit 2009 tragen beide mit Stolz das silberne Ehrenzeichen der Landsmannschaft und sind auch heute noch verlässliche beratende Partner des Vorstandes. Tochter Sigrun und Schwiegersohn Thomas Brauer haben in diesen Jahren den Eltern zur Seite gestanden – und so manche Teilnahme an den Festumzügen der Schwartauer Schützengilde von 1923 wäre ohne diese Familie nicht möglich gewesen. So auch noch heute beim Martinsmarkt oder unter anderem bei den Vorbereitungen zum Fleckessen. Die beste Leberwurst zum Pillkaller besorgt Familie Kutz - und die Marzipantorte von Iris Kutz ist beim Martinsmarkt ein gefragter Artikel. Man könnte noch so vieles aufzählen, was bei den meisten bereits schon selbstverständlich geworden ist.

Eine ostpreußische Ehe, die am 30. Juli 1955 begann: Tischlermeister Gustav Kutz, der im April seinen 87. Geburtstag feierte, kommt aus Angerburg. Iris Kutz, die am 27. September 94 wird, als geborene Pflaumbaum aus Küssen Kreis Pillkallen/Schloßberg.

Mit Tochter Sigrun, Schwiegersohn Thomas und Enkelin Sandra ist es eine ostpreußische Familie geworden, die noch vieles aus der Vergangenheit in das Heute hereinbringt und so vor dem Vergessen bewahrt.

Flensburg – Dienstag, 4. August, 15 Uhr, AWO Stadtteilcafé Mathildenstraße 22: Vortag von Uwe Carstens, Langenhorn, mit dem Thema: „Das Ende des Zweiten Weltkrieges in Flensburg“ (Hier landete am 5. Mai 1945 im Hafen auf dem Eisbrecher „Ostpreußen“, Erich Koch in Zivilkleidung, Gauleiter von Ostpreußen!).

Neumünster – Mittwoch, 5. August, 14 Uhr, Bahnhofstraße / Kirche: Abfahrt zur Kaffeefahrt nach Schafstedt. Busbeteiligung: 5 Euro für Mtglieder, 10 Euro für Gäste. Anmeldung bitte bis zum 31. Juli unter Telefon (04321) 82314.

– Bericht –

Die Landsmannschaft der Ost- und Westpreußen traf sich zur monatlichen Veranstaltung am 8. Juli im „Restaurant am Kantplatz“. Ausgiebig thematisiert wurde – mit vielen Teilnehmern und Gästen – die ostpreußische Sprachkultur: „Von nuscht kommt nuscht! So schabberten wir to Hus!“ – Der ostpreußische Wortschatz ist gespickt mit Humor! Und jede Landschaft hat ihre Originale, ihren Humor, ihre Aussprache und das gilt natürlich auch für unser Ostpreußen.

Menschen von einmaliger Art, urwüchsig, auffallend durch ihre besondere Art. Die Sprache ist breit, hart, sie klingt schwerfällig und ist doch so „jemütlich“ wie das alte Kachelöfchen!

Die Sprache, unser Wortgeplämper, ist gespickt mit Sonderausdrücken Außenstehende schütteln vielleicht „den Deetz“. Sie sind zum Beispiel ratlos beim Wort „Dubbas“. Ein Dubbas oder ein Dingslamdei kann alles sein – ein bestimmter Begriff für etwas, wofür man das richtige Wort nicht findet. – Soll man zum Beispiel einen komplizierten Vorgang an einer Maschine erklären. Sind die richtigen Fachausdrücke nicht zur Hand, so hilft man sich folgendermaßen: Der vorderste Dubbas, das Dingslamdei bewegt mit dem kleinen Hebel, den hinteren Dubbas und so weiter.

Ja, und wer hat schon mal vom „unegalem Finger“ gehört? Von „durch nem Finger ziehen“ und „zu nem Fenster?“ Ganz selbstverständlich und ernsthaft sagen wir: Herr Dokterchen, Herr Pfarrerchen, das liebe Gottchen, na – und „die lieben Kinderchens“!

Uns ist das alles lieb und vertraut. Wir haben die Muttersprache mit all‘ ihren Eigentümlichkeiten damals von Kindesbeinen an in uns hineingesogen. Ein Interview mit Landsmann Fritjof Berg und der 92-jährigen Landsmännin Ilse Lux war doch sehr interessant, zumal der ostpreußische Dialekt zu hören war. Landsmännin Hildegard Henning konnte im echten ostpreußischen Dialekt Gedichte vorlesen.

Viele Redensarten mit den passenden Erläuterungen trug Brigitte Profè vor. Ein bunter Reigen liebevoll ausgewählter Gedichte und Schabberein weckten Erinnerungen an die Kinder- und Jugendzeit – ja, so plachanderten wir früher! Der vergnügte Nachmittag verlieft viel zu schnell und endete mit dem West- und Ostpreußenlied.

Brigitte Profé

 

THÜRINGEN

Vors.: Edeltraut Dietel, August-Bebel-Straße 8 b, 07980 Berga an der Elster, Tel. (036623) 25265.

Schmalkalden – Donnerstag, 6. August, 14 Uhr, Klub der Volkssolidarität: Heimatnachmittag der Kreisgruppe „I. Kant“.


S. 17-19 Heimatarbeit

Aus den Heimatkreisen

JOHANNISBURG

Kreisvertreter: Dr. Manfred Solenski, Fichtenstraße 14, 26316 Varel, Telefon (04451) 4581, Fax (04451) 9189298, E-Mail: solenski@kreisgemeinschaft-johannisburg.de. Internet: www.kreisge-meinschaft-johannisburg.de

Die Kreisgemeinschaft veranstaltet am Sonntag, 13. September, im Goldsaal des Kongresszentrums Westfalenhalle in Dortmund ihr 60. Heimatkreistreffen. Es werden Teilnehmer aus vielen Teilen der Bundesrepublik und auch heimatverbliebene Landsleute aus Polen, aus dem Kreis [Pisz] erwartet. Die ofrizielle Feierstunde beginnt um 11 Uhr und endet etwa gegen 12.30 Uhr.

Das Festprogramm wird musikalisch umrahmt von einem Musiker sowie einem Chor aus Dortmund. Das Treffen steht unter dem Leitwort „Vertreibungen sind Unrecht – gestern wie heute“.

 

LÖTZEN

Kreisvertreter: Dieter Eichler, Bilenbarg 69, 22397 Hamburg. Geschäftsstelle: Ute Eichler, Bilenbarg 69, 22397 Hamburg, Telefon (040) 6083003, Fax: (040) 60890478, E-Mail: KGL.Archiv@gmx.de

Am 25. Juli 2015 wird im Lötzener Heimatmuseum, Sudetenlandstraße 18 H (Böcklersiedlung), um 15. 30 Uhr die Ausstellung „Lieselotte Plangger-Popp – Eine ostpreußische Grafikerin“ eröffnet.

Dieter Eichler, Vorsitzender der Kreisgemeinschaft Lötzen, wird die Gäste begrüßen. Eine Einführung in Leben und Werk der Künstlerin erfolgt durch Jörn Barfod, Kustos am Ostpreußischen Landesmuseum in Lüneburg. Die musikalische Umrahmung der Eröffnung liegt in den Händen von Peter Döhring, Violine (Berlin) und Eckhard Schlemminger, Viola (Hamburg).

Zu besichtigen ist die Ausstellung darüber hinaus am 15. August, 19. September, 17. Oktober und 21. November jeweils von 10 bis 15.30 Uhr und – fast jederzeit – nach telefonischer Absprache unter (040) 608 30 03 (Eichler). Der Eintritt ist frei.

Ein Besuch der Ausstellung lohnt, denn Lieselotte Popp, die 1913 auf Gut Karlsfelde im Kreis Treuburg [Marggrabowa] geboren wurde, hatte eine ausgesprochene Begabung für die Druckgrafik. Dies beweisen vor allem ihre Linol- und Holzschnitte, ihre Holzstiche, aber auch ihre Lithografien und Radierungen. Hinzu kommen meisterliche Rohrfederzeichnungen. Den Eindruck des Gesamtwerks beherrschen jedoch die Holzschnitte.

Zur Zeit der Ausbildung Lieselotte Popps war er hochaktuell. Die Expressionisten hatten sich stark mit ihm beschäftigt. Die Künstlerin erwähnt Ernst Barlach, Edvard Munch und Frans Masereel als anregend für ihr Werk. Landschaften und Menschen der ostpreußischen Heimat waren die ersten Themenschwerpunkte im Schaffen Lieselotte Popps. Im feinen Holzstich, an altmeisterliche Art anknüpfend, ganz im Sinn der Neuen Sachlichkeit, gestaltete sie Szenen und Landschaften. Subjektiver und kräftiger waren ihre Illustrationen zu Dichtungen, zum beispiel zu Hölderlin, Storm, Sudermann, Rilke, Hesse. Agnes Miegel, die sie 1938 kennenlernte, blieb sie lebenslang verbunden.

Ab 1939 lebte Lieselotte Popp als Werkstattleiterin der Wagnerschen Universitätsbuchhandlung in Innsbruck. In den Jahren bis 1945 unternahm sie zwei Italienreisen, sie skizzierte in Südtirol für Buch- und Kalenderillustrationen, und sie beteiligte sich an Kunstausstellungen in München, Wien, Dresden und Königsberg. Ihre Ferien verbrachte sie in jedem Jahr in Ostpreußen, am liebsten auf der Kurischen Nehrung.

Das Ende des Zweiten Weltkrieges brachte der Künstlerin einen zweifachen Verlust, den der Eltern und den der Heimat. Dieses Schicksal spiegelt sich in ihrem Werk wider. Flucht und Flüchtlingselend werden in den Jahren ab 1945 zu beherrschenden Themen vieler Arbeiten.

Ab 1946 nahm Lieselotte Plangger-Popp ein Studium an der Hochschule für Bildende Künste auf (von 700 Bewerbern wurden 40 angenommen). Der Lehrbetrieb fand in Haimhausen statt. Besonders durch die Professoren Schinnerer und Geiger wurde ihre künstlerische Entwicklung auf dem Gebiet der Grafik gefördert. In diese Zeit fielen auch die Kontakte zu zwei bedeutenden und aus Ostpreußen stammenden Grafikern: Gertrud Lerbs und Robert Budzinski.

1954 heiratete Lieselotte Popp den Bildhauer Hans Plangger, einen „echten Südtiroler“. Der Umzug von Bayern nach Bozen brachte für Lieselotte Plangger-Popp Anregungen und neue Motive. Sie hatte die Alpen schon in ihrer Innsbrucker Arbeitszeit erlebt und gestaltet. Nun jedoch gelangte sie zu freieren und großzügigeren Formen in ihrer künstlerischen Handschrift.

Nach dem Tod ihres Mannes 1971 führten sie Reisen durch viele Landschaften der Welt. Doch ihre erste Heimat blieb Ostpreußen, und diese Thematik durchzieht ihr ganzes Werk. Als ihr 1982 der Kulturpreis der Landsmannschaft Ostpreußen verliehen wurde, bekannte sie in ihrer Dankesrede: „Das Wort Heimat wird für mich immer auch das Wort Heimweh beinhalten.“

Lieselotte Plangger-Popp lebte seit 1983 in Meran, sie starb 2002, bestattet in Haimhausen..

Jörn Barfod, Ute Eichler

 

KÖNIGSBERG LAND

Kreisvertreterin: Gisela Broschei, Bleichgrabenstraße 91, 41063 Mönchengladbach, Telefon (02161) 895677, Fax (02161) 87724. Geschäftsstelle: Im Preußen-Museum, Simeonsplatz 12, 32427 Minden, Telefon (0571) 46297, Mi. Sa. u. So. 18-20 Uhr.

Wir trauern um Helmut Borkowski, der im Alter von 83 Jahren verstorben ist. Unser ehemaliger Kreisvertreter starb am 10. Juni 2015 im Alter von 83 Jahren. Er wurde auf dem Friedhof in Lengerich, dem Wohnort seiner Familie, beigesetzt. Er hinterlässt seine Ehefrau, zwei Töchter und einen Sohn.

Hellmut Borkowski wurde am 2. Februar 1932 in Kraussen im Kreis Königsberg geboren. Nach dem Krieg trat er in die Fußstapfen seines Vaters, Leo Borkowski, der Gärtnermeister war, und erlernte den Garten- und Landschaftsbau. An der Fachhochschule Osnabrück schloss er später ein Studium an, das er als Diplom-Ingenieur für Garten- und Landschaftsbau beendete. Angestellt in einem größeren Betrieb in Münster, der landschaftsbauliche Arbeiten für Behörden und die Bundeswehr ausführte, war er im ganzen Bundesgebiet auf Baustellen tätig.

Von 1963 an war Helmut Borkowski selbständiger Unternehmer und beschäftigte bis zu 20 Mitarbeiter, bis er nach Erreichen der Altersgrenze Ruheständler wurde.

Als langjähriges Mitglied der Kreisgemeinschaft Landkreis Königsberg wurde er im Jahre 1991 zum Kreisvertreter gewählt und übte dieses Amt zwölf Jahre lang aus. Wegen seiner Verdienste für die Heimatarbeit zeichnete ihn die Landsmannschaft Ostpreußen mit der Silbernen Ehrennadel aus.

Seine Heimat Ostpreußen und ihr Schicksal, insbesondere in der letzten Zeit des Krieges, ließen ihn nicht los. So beschäftigte er sich intensiv mit der jüngsten Geschichte Ostpreußens. Er wurde zum ausgewiesenen Kenner der deutschen Militärgeschichte in Ostpreußen und verfasste eine viel beachtete und immer wieder aufgelegte Schrift „Die Kämpfe um Ostpreußen und das Samland“. Die letzte stark erweiterte Auflage konnte er noch im letzten Jahr fertig stellen. Seine Verbundenheit mit unserer Kreisgemeinschaft bekundete er auch damit, dass er auf die Einnahmen für sein Buch verzichtete und den Erlös der Kreisgemeinschaft für die Erfüllung der heimatlichen Aufgaben spendete.

Ein immer der Heimat verbundener Ostpreuße ist von uns gegangen. Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren.

Gisela Broschei Kreisvertreterin

 

NEIDENBURG

Kreisvertreter: Jürgen Szepanek, Nachtigallenweg 43, 46459 Rees-Haldern, Tel. / Fax (02850) 1017.

Unser diesjähriges Heimattreffen findet am Sonntag, dem 6. September von 9 bis 18 Uhr im Erich-Brühmann-Haus, Kreyenfeldstraße 32, 44894 Bochum-Werne, statt. Der nach Jahrzehnten vom RuhrCongress nach Werne vollzogene Wechsel fand aus Gründen der Räumlichkeiten, als auch der unmittelbaren Nähe zur Heimatstube, die Zustimmung des Vorstandes. Das neue Lokal liegt genau gegenüber unserer Heimatstube, die am Sonntag für unsere Besucher geöffnet sein wird. Parkplätze sind auf dem Marktplatz Werne, direkt hinter der Heimatstube, reichlich vorhanden. Bei Fragen zur Familienforschung, dem Bildarchiv Neidenburg, wie auch diversen anderen Anliegen werden sich unsere ehrenamtlichen Mitarbeiter bemühen, zu helfen. Unsere bereits in vierter Auflage erstellten DVDs von allen Neidenburger Heimatbriefen ab 1947. die beiden in den 1980er Jahren herausgegebenen Kreisbüchern und Bildbänden können sofort beim Kreisvertreter bestellt oder aber beim Heimattreffen erworben werden. Am Sonnabend, dem 5. September findet um 14.30 Uhr die öffentliche Kreistagssitzung im Bildungs- und Verwaltungszentrum der Stadt Bochum, Gustav-Heinemann-Platz (hinter dem Rathaus) statt. Zu beiden Veranstaltungen laden wir herzlich ein.

 

PREUSSISCH EYLAU

Kreisvertreterin: Evelyn v. Borries, Tucherweg 80, 40724 Hilden, Telefon (02103) 64759, Fax: (02103) 23068, E-Mail:

evborries@gmx.net. Kartei, Buchversand und Preußisch Eylauer-Heimatmuseum im Kreishaus Verden/Aller Lindhooper Straße 67, 27283 Verden/Aller, Telefon (04231) 15589, E-Mail: preussisch-eylau@landkreis-verden.de, Internet:

www.preussisch-eylau.de.

In diesem Jahr wird das Dorf Tharau [Wladimirowo] im Kreis Pr. Eylau 700 Jahre alt. Die Russen wollen das Jubiläum am Sonnabend, dem 3. Oktober 2015, würdig feiern. Die deutsche Seite sollte bei diesem Festakt große Präsenz zeigen, denn Tharau ist nicht nur viele Jahrhunderte ein ostpreußisches Kirchdorf und Gut gewesen, sondern verkörpert auch durch das Lied und die Figur des Ännchens von Tharau eine große Symbolik und Berühmtheit sowohl für die Deutschen als auch für die Russen.

Ich rufe daher alle Tharauer Landsleute, deren Nachkommen sowie alle interessierten Landsleute aus dem Kreis Pr. Eylau und aus Nah und Fern auf, an dieser Jubiläumsfeier teilzunehmen. Nähere Einzelheiten und Meldungen bitte an Joachim Anker, Lyonel-Feininger-Weg 9, 76227 Karlsruhe, Telefon (0721) 494329, E-Mail: joachim-anker@t-online.de

 

RASTENBURG

Kreisvertreter: Hubertus Hilgendorff, Tel. (04381) 4366, Dorfstr. 22, 24327 Flehm. Gst.: Patenschaft Rastenburg: Kaiserring 4, 46483 Wesel, Tel. (0281) 26950.

Der Kreis Wesel und die Kreisgemeinschaft der Rastenburger laden am 22. und 23. August herzlich zum 59. Kreistreffen ein. Verbunden ist die Veranstaltung am 23. mit einer Mitgliederversammlung und einer Kreistagssitzung. Anträge beziehungsweise Vorschläge dafür sind bis zum 10. August einzureichen. Hier die bisherige Tagesordnung: 1. Begrüßung durch den Kreisvertreter, 2. Feststellung der Anwesenden und Genehmigung des Protokolls vom Vorjahr, 3. Bericht des Kreisvertreters, 4. Kassen- und Prüfungsbericht, 5. Entlastung des Vorstands und der Kassenführung, 6. Haushaltsplan 2016, 7. Heimatbriefe „Rund um Rastenburg“, 8. Bildband, 9. Rastenburger Treffen 2015/2016, 10. Verschiedenes.

Das Programm des Hauptkreistreffens am Samstag, 22. August:

9.30 Uhr: Abfahrt mit dem Bus ab Hotel Kaiserhof zum Friedhof.

10 Uhr: Kranzniederlegung auf dem Friedhof an der „Trauernden Vesalia“, Caspar-Baur-Straße.

10.30 Uhr: Kranzniederlegung am Ehrenmal an der Schillkaserne in Wesel und Besichtigung der Traditionsstube.

14 Uhr: Gemütlicher Nachmittag im Biergarten des Hotels Kaiserhof.

19 Uhr: Geselliges Beisammensein und Lichtbilder aus dem Kreis Rastenburg in der Niederrheinhalle.

Das Programm am Sonntag, 23. August:

9 Uhr: Einlass in die Niederrheinhalle, Möglichkeit zum Frühstück.

9.30 Uhr: Evangelischer Gottesdienst in der Gnadenkirche, Wackenbrucher Straße 82, Predigt Pfarrerin M. Biebersdorf mit Abendmahl 10 Uhr: Katholischer Gottesdienst in der Kirche Herz-Jesu in der Feldmark, Wesel.

14.30 Uhr: Hauptkreistreffen in der Niederrheinhalle Wesel:

– Musikeinführung mit der Blasmusik Lackhausen

Begrüßung Hubertus Hilgendorf, Kreisvertreter

Gemeinsames Lied „Land der dunklen Wälder“

Ansprachen von Heinrich Friedrich Heselmann, stellvertretender Landrat des Kreises Wesel, und Ulrike Westkamp, Bürgermeisterin der Stadt Wesel

16 Uhr: Großer Zapfenstreich mit der Blasmusik Lackhausen und dem Tambourcorps Wesel-Fusternberg.

16.30 Uhr: Geselliges Beisammensein.

 

TILSIT–STADT

Stadtvertreter: Hans Dzieran, Stadtgemeinschaft Tilsit, Postfach 241, 09002 Chemnitz. Geschäftsführer: Manfred Urbschat, E-Mail: info@tilsit-stadt.de.

Mit der Ausgabe 96 von „Land an der Memel – Tilsiter Rundbrief“ ist es dem neuen Schriftleiter Heiner C. Coenen gelungen, einen in Optik und Inhalt hochwertigen Heimatbrief zusammenzustellen, der viele positive Reaktionen ausgelöst hat.

Alle Tilsiter, die den Heimatbrief bisher nicht bekommen haben, sei es durch nichtgemeldeten Wohnungswechsel oder durch langjährige Spendenabstinenz, haben die Möglichkeit, ein Exemplar anzufordern bei Siegfried Dannath-Grabs, Angelikastraße 13, 01099 Dresden.


Mit wachsendem Selbstbewusstsein
Die Kulturtage der Russlanddeutschen zeigten nicht nur mitreißende Vorführungen, sondern auch eine starke Minderheit

Mehr als 500 Gäste verfolgten am 17. Mai 2015 gebannt das Geschehen auf der Bühne der Königsberger Philharmonie. Eingeladen unter der Obhut des Deutsch-Russischen Hauses zu den „Kulturtagen der Russlanddeutschen des Kaliningrader Gebiets“, so die offizielle Bezeichnung, hatten die hier wohnenden Russlanddeutschen. Über Zuspruch und Interesse konnten sie sich nicht beklagen. Und was auf der Bühne ablief, waren nicht die Bemühungen von Laienspielgruppen, sondern Darbietungen von eindrucksvoller Professionalität. Wie durch eine glückliche Fügung befand sich gleichzeitig ein Chor aus dem sächsischen Wilsdruff bei Dresden in Königsberg, so dass auch er seinen Beitrag zu den Kulturtagen leisten konnte. Er stand unter der Leitung von Günter Hertel, Professor an der TU Dresden und Vorstandsmitglied der „Freunde Kants und Königsbergs“.

Von besonderer Bedeutung war der Auftakt, denn er vermittelte eine deutliche Botschaft: Das vom sächsischen Chor vorgetragene Lied „Ännchen von Tharau“, das als Liebeslied nicht nur an die ostpreußische Gefühlswelt rührt, sondern sich auch dem Charakter einer Landeshymne nähert, vermochte die Herzen zu gewinnen. Es folgte eine Rezitation des Gedichtes „An Deutschland“ der russischen Lyrikerin Marina Zwetajewa, vorgetragen von Günter Hertel auf deutsch und in russisch von der im Gulag geborenen Schauspielerin Wilhelmina Wall.

Im Rahmen der Veranstaltung übte dieses Gedicht eine besondere Funktion aus. Es wurde zum ersten Mal am 1. Dezember 1914 öffentlich verlesen. In dieser Zeit hatte die Armee des Zaren Tannenberg verloren und stand in Galizien in Kämpfen mit den Österreichern, deren Ausgang höchst ungewiss war. Der Mob in St. Petersburg hatte die deutsche Botschaft gestürmt und die deutschen Geschäfte geplündert. Bereits kurz nach Kriegsbeginn hatte Wladimir Ern, philosophischer Vertreter einer neoslavischen Richtung, die Polemik „Von Kant zu Krupp“ geschrieben, in der er die Vernunftphilosophie Kants als Urgrund einer fortwährenden deutschen Aggressivität brandmarkte.

Dagegen ist das aus acht Strophen bestehende Gedicht von Marina Zwetajewa eine leidenschaftliche Liebeserklärung an Deutschland und eine Antwort auf den damals um sich greifenden Deutschenhass. Bis zu ihrem Tode 1941 hielt die Lyrikerin an diesem Gedicht fest. In der fünften Strophe heißt es zum Beispiel: „Wie könnte ich mich von dir wenden,/Germanien, mein lichter Stern,/denn meine Liebe nicht verschwenden,/halb Lieben hab ich nicht gelernt!“. Lied und Dichtung verfehlten ihre Wirkung nicht, es waren deutliche Signale an die Besucher. Nach dieser Einstimmung gab der Leiter des Deutsch-Russischen Hauses, Andrej Portnjagin, eine kurze Übersicht über die Geschichte der Russlanddeutschen.

Das Gesamtprogramm bot eine glückliche Mischung von Volksliedern und Gesangseinlagen, Tanzvorführungen und Sketchen, Rezitationen und konzertanten Musikdarbietungen. Beim Veranstaltungsort, der Philharmonie, handelte es sich eigentlich um die katholische „Kirche zur Heiligen Familie“, die zwischen 1904 und 1907 von Friedrich Heitmann in deutlicher Anlehnung an die Ordensarchitektur gestaltet wurde. Nach 1945 zunächst als Lazarett und Düngemittellager zweckentfremdet, wurde sie durch ihre Umwandlung in einer Konzerthalle der Zerstörung entzogen.

Nun bot sie Raum für viele gelungene Aufführungen. Gestaltet wurde das Programm von sieben Klubs der Region, die alle deutsch als Muttersprache pflegen, und zusätzlich drei Musikgruppen. Insgesamt verrieten die Darbietungen ein wachsendes kulturelles Selbstbewusstsein. Zwar spricht die offizielle Einladung von „Kaliningrader Gebiet“, aber die Verkrampfung hat sich längst gelöst und „Königsberg“ tauchte in den Ankündigungen und Gesprächen freimütig auf.

Es scheint so, als ob sich die mentale Lage und das Selbstbewusstsein der Russlanddeutschen, von denen nach offiziellen Angaben gegenwärtig an die 8000 in dem Gebiet leben, in letzter Zeit verändert haben. Dabei ist es ganz offensichtlich ein Problem, wer als Russlanddeutscher gelten soll. Bis vor kurzem diente das Königsberger Gebiet vielfach lediglich als Sprungbrett in die Bundesrepublik. Selbst die evangelische Auferstehungskirche mit der Propstei in der Hufenallee war nicht frei von dieser Tendenz. Nach einer extrem unglücklichen Personalpolitik, die zu einem Rückgang der Gemeinde von etwa 800 Mitgliedern auf kaum mehr als 200 führte, siedelte die erst kürzliche gewählte russlanddeutsche Pröpstin nach nur wenigen Monaten Amtszeit mit ihrer gesamten Familie völlig überraschend in die Bundesrepublik über.

Dagegen kommt jetzt zunehmend die dritte Generation der von Stalin nach Mittelasien deportierten Deutschen nach Königsberg. In der Regel sind sie gut ausgebildet und bringen ein neues Selbstbewusstsein mit. Sie verlassen die mittelasiatischen Republiken, weil sie dort keine Zukunft für ihre Kinder sehen. Der russische Anteil an ihrer Identität ist beträchtlich, und häufig sprechen sie kein einziges Wort deutsch mehr. Aber sie wollen ihre Kinder an die deutsche Sprache und Kultur heranführen und betrachten Königsberg als ihre neue Heimat. Nicht wenige von ihnen haben die russlanddeutschen Kulturtage besucht. Auf die Frage, warum die Entscheidung für Königsberg gefallen sei, kam eine Antwort, die das Empfinden von vielen widerspiegelt: „Weil es hier die meisten Schnittmengen zwischen Deutschland und Russland gibt“. Ein aufmerksames Auge kann diese Schnittmengen allenthalben beobachten. Eine große Bäckereikette in Königsberg nennt sich ganz offiziell „Königsbäckerei“, und ihre Backwaren sind gut. Walter T. Rix


S. 20 Heimatarbeit

»Schwerelos und glücklich«
»Bermerkens- und bestaunenswertes« erlebte Teilnehmerin Ulrike Madeya beim 8. Musikwochende im Ostheim

Gesungen, getanzt und auf vielerlei andere Weise musiziert wurde zu Pfingsten im Ostheim in Bad Pyrmont. Vom 22. bis 25. Mai hatte die Landsmannschaft zusammen mit dem Arbeitskreis Nordostdeutsche Musik zum 8. Musikwochenende eingeladen. Eine traditionsreiche Veranstaltung, die schon seit 1979 stattfindet. Seit 2008 erklingt das nordostdeutsche Liedgut im Ostheim.

Zum Programm der stets gut besuchten Veranstaltungen gehört nicht nur zwangloses Singen, Musizieren und Tanzen, sondern auch die Fortbildung. Schon am zweiten Abend wurde uns in diesem Jahr ein bemerkenswerter Vortrag von dem Musikstudenten Benjamin Mausolf und seinem Bruder Raphael über Carl Loewe geboten. Beide Brüder kennen die Musikwo-chenenden schon von Kindesbeinen an, denn sie wurden regelmäßig von ihrer Großmutter mitgenommen. Ihren Vortrag über Loewe lockerten sie mit Lichtbildern und Musikbeispielen gekonnt auf.

Danach folgte der gemütliche Teil mit Geschabber und Gesang. Er klang spät aus, wie sich denken lässt. Ein festes Arbeitsprogramm gab es für die nächsten Tage. Um sieben Uhr wurde geweckt, doch nicht mit einem Gong, sondern mit engelsgleichem Gesang und zarten Flöten- oder Geigentönen. Jeden Morgen übernahm jemand anderer diese Aufgabe. Um 7.45 Uhr wurde dann im Treppenhaus schwungvoll und fröhlich der Morgen begrüßt, bevor es zum Frühstück ging.

Danach wurde nach einer Stunde gemeinsamen Singens bis zum Mittagessen in Gruppen gearbeitet: der Chor mit der begnadeten Leiterin Karin Petersen, jetzt Gloger, die Flötengruppe unter der bewährten Leitung von Solveig Hachtmann und die Gitarren- und Violinengruppe, die von Roland Funck geführt wurde. Er ist der Sohn von Eike Funck, dem langjährigen Vorsitzenden des Vereins und Herausgeber des Liederbuchs „Der wilde Schwan“ mit 265 Liedern aus Pommern, Ost- und Westpreußen und dem Baltikum.

Um zwölf Uhr wurde ein deftiges Lied „Bevor das Essen kommt herein“ geschmettert. Der Nachmittag leiteten Volkstänze unter Leitung von Brigitte Schulze ein, an denen jeder teilnehmen konnte. Die einen zogen dem ein Mittagsschläfchen vor, andere wollten lieber Besorgungen oder einen Spaziergang im Kurpark machen. So blieb die Gruppe überschaubar.

Nach der Kaffeepause traf man sich wieder in den Arbeitsgruppen zum gemeinsamen Tun. Auch für den Abend war etwas Besonderes vorgesehen. Die Chorleiterin Karin Petersen hatte sich kürzlich das Ja-Wort mit Bernd Gloger gegeben. Nun sahen die Teilnehmer ein Video der naturreligiösen Hochzeit und feierten das Ereignis — nicht nur mit fröhlichen Liedern – gebührend nach.

Ähnlich wie der Sonnabend strukturierte sich auch der nächste Tag. Der Abend war schon der letzte gemeinsame. Daher war eine Art Generalprobe für den Abschlussvormittag vorgesehen. Die Arbeitsgruppen führten ein Kurzprogramm vor – ein wunderschöner Vorgeschmack auf den kommenden Tag. Daneben erfreuten uns die vier Damen aus Ostpreußen – drei aus Lötzen, eine aus Osterode – mit ostpreußischem Bärenfang und Gebäck als Dankeschön für die schönen, anregenden und inhaltsreichen Tage im Ostheim.

Am Pfingstmontag dann lagen Höhepunkt und Schluss dicht nebeneinander. Einen kleinen Aufschub sah das Programm allerdings noch einmal vor: Üben in den Arbeitsgruppen und Tanzen bis 11 Uhr. Danach erwartete die Teilnehmer mit dem gemeinsamen Musizieren aller Gruppen der große

Schlussakkord! Es war wie im letzten Jahr – alles, was beim Proben noch nicht klappte und dem Dirigenten und den Leitern sicher den Puls schneller schlagen ließ, gelang nun fast fehlerfrei! Einmalige Zutat: Das jungvermählte Paar erschien in seinem mittelalterlichen Hochzeitsgewand. Die „Braut“ mit Blumenkranz im Haar dirigierte uns schwerelos und glücklich. Es war wie eine heilige Stunde, voller innerer Sammlung und tiefer Inbrunst, ein Eins-Sein miteinander und mit der jahrhundertealten Kutur, in die wir eingetaucht waren, nicht zuletzt mit dem Gefühl des Teil-Seins eines großen klingenden Universums.

Für mich, die Schreiberin und erst zum zweiten Mal dabei, gab es vieles, was darüber hinaus bemerkens- und bestaunenswert war: Die vielen Jahre der Arbeit, um dieses Kulturgut zu sammeln und zu erhalten, die unvorstellbare Intensität der Übungsarbeit an den Musiktagen, das Zusammengehörigkeitsgefühl, die Tatsache, dass man in so kurzer Zeit ein Programm gestalten kann.

Auch die Vielfalt und Breite dessen, was erarbeitet wurde, war beeindruckend: Die Liedauswahl reichte von volkstümlich bis zu hoch konzertant, die Tänze von dörflich bis zu höfisch, Gitarren und Violinen konzertierten vorzüglich zusammen. Die Flöten boten Beschwingtes, Tänzerisches wie auch Getragenes. Selbst das Generationenthema gestaltete sich überaus glücklich: Zu den „Alten“ gesellten sich die mittlere und junge Generation sowohl beim Singen als auch beim Tanzen und Konzertieren. Eine Komposition von Professor Eike Funck wurde von Sohn Roland und Enkel Ferdinand vorgetragen. Eine Hoffnung für die Zukunft! Mögen das Musikseminar und die generationsweitertragende Kulturarbeit noch lange erhalten bleiben.


S. 21 Lebensstil

Fledermäuse retten kaiserliche Werft
Nach Beinah-Abriss des Monumentalbaus des Berliner Architekten Fritz Riekert:  Wilhelmshaven plant eine Wiederherstellung

Wilhelmshaven gilt als Klein-Berlin an der Nordsee, weil Berliner Architekten die Stadt im Kaiserreich als wichtigen Kriegshafen planten und bauten. Von der einstigen Bedeutung einer Kaiserstadt und des Hafens ist wenig geblieben. Davon zeugen ein erfolgloser Tiefwasserhafen und ein glückloses Monument.

Eine harte Stadt. Häfen, Frachtschiffe, Kriegsschiffe und Ruinen. Die Bedeutung, die Wilhelmshaven einst im Deutschen Reich hatte, ist heute am Stadtbild nur noch schwer nachzuvollziehen, muss aus den noch vorhanden Fragmenten und Bauten herausgelesen werden.

Es war das Jahr 1853, als Preußen 313 Hektar Land an Jade und Nordsee erworben hatte, um hier einen Hafen zu errichten. Die Regionalmacht suchte damals einen Zugang zum Wasser, wollte gar einen Kriegshafen errichten, um mit anderen Mächten mithalten zu können. Die kleine Ansiedlung am Hafen trug damals den Namen Rüstringen.

Nach der Gründung des Deutsches Reichs 1871 wurde der noch bescheidene Ort Standort des „Reichskriegshafens“ – und wurde fortan nach dem deutschen Kaiser „Wilhelmshaven“ genannt. Die Architektur, die in Wilhelmshaven in den Jahren nach der Reichsgründung errichtet wurde, erinnert bis heute stark an Berlin, ja Wilhelmshaven wurde ein kleines Berlin, von Berliner Planern entwickelt, von Berliner Architekten errichtet.

Unter den Nationalsozialisten sollte Wilhelmshaven neue, größere Häfen bekommen und auf 500000 Einwohner wachsen – doch wurde diese Zahl nie erreicht. Nach dem Krieg verlor die Stadt zeitweise die Marine, aber stattdessen entstanden neue Industriebetriebe, so das Werk des Schreibmaschinenherstellers „Olympia“, das in der Wirtschaftswunder-Ära bis zu 12000 Arbeiter beschäftigte. 1956 wurde Wilhelmshaven auch wieder Marinestadt – und ist es bis heute geblieben.

Doch wie viele andere Industriestädte in Niedersachsen – zu nennen sind Delmenhorst, Salzgitter oder Peine – sind die Zeiten des Aufstiegs längst Vergangenheit. Wie in anderen Industriestädten schrumpft die Bevölkerung drastisch. 2020 sollen laut einer aktuellen Prognose in Wilhelmshaven, einst eine Großstadt mit über 100000 Einwohnern, nur noch 63000 Menschen leben.

Für die Politiker kam Anfang der 2000er Jahre der Plan wie gerufen, einen Tiefwasserhafen in der Jadestadt zu gründen. Damals schien absehbar, dass die größten der großen Containerschiffe die Häfen in Hamburg und Bremen nicht mehr anlaufen können. Wilhelmshaven bot mit seinem direkten Zugang zu tiefem Nordseewasser den Ausweg. Der neue Hafen sollte, so dachte man bis zur großen Krise von 2008, viele tausend Arbeitsplätze schaffen.

Tatsächlich wurde der Hafen in den vergangenen Jahren gebaut und 2012 in Betrieb genommen. Doch der Containerumschlag läuft nur zögerlich an. Immerhin hat die Reederei Maersk Anfang 2015 einen Linienverkehr von Hamburg nach Wilhelmshaven verlegt. Andere regelmäßige Verkehre werden, so hoffen die Wilhelmshavener, bald folgen.

Doch vielleicht schauen die Politiker der Badestadt auch zu sehr auf die Arbeitsplätze im Hafen, vielleicht kümmern sie sich zu wenig um die eigene große Vergangenheit und das bauliche Erbe. Manche Arbeitsplätze in Dienstleistungsbranchen entstehen bekanntlich erst, wenn aus einem Standort der Industrieruinen und der traurigen Brachen eine postindustrielle Stadt der Kultur geformt wird. Diesen Weg ist Hamburg erfolgreich gegangen; und auch Bremen ist mit der Umwandlung der Häfen in ein modernes Dienstleistungsquartier gut voran gekommen.

Der fast ignorante Umgang der Stadtväter mit dem kulturellen Erbe, das eigentlich große Chancen für die Zukunft bietet, das Basis des Strukturwandels werden könnte, wird vor allem an der jüngeren Geschichte der ehemaligen kaiserlichen Werft, der „Südzentrale“ deutlich.

Bei der Südzentrale handelt es sich um ein monumentales Kraftwerk, das 1909 direkt an der Zufahrt zu den Häfen errichtet worden ist. Der Architekt Fritz Riekert kam damals natürlich aus Berlin und übertrug auch die Berliner Formensprache des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts an die Jade. Die hoch aufragende Südzentrale mit ihren vertikalen Fensterstreifen und dem leicht geschweiften Giebel sowie der stolzen Aufschrift „Kaiserliche Werft“ symbolisierte nichts weniger als den militärisch-industriellen Komplex des Kaiserreichs.

Direkt neben der Südzentrale war bereits 1904 die „Kaiser-Wilhelm-Brücke“ errichtet worden, die größte Drehbrücke Europas. Die Schiffe, die damals in die Wilhelmshavener Häfen einliefen, passierten den Giebel der Südzentrale und durchfuhren die hochaufragenden Stahlträger der Brücke – das war der erste Eindruck des Deutschen Reiches und dieser erste Eindruck sollte machtvoll sein.

Südzentrale und Brücke haben in ihrer symbolischen Bedeutung, die ihresgleichen sucht, geradezu das Zeug zum Weltkulturerbe. Nur der Reichstag in Berlin steht ähnlich symbolisch für die deutsche Geschichte. Hätte die Stadt sich um den Erhalt, die Pflege der Südzentrale gekümmert, hätte sie Gutachten und Anträge schon vor Jahren in Auftrag gegeben oder geschrieben (so wie es Kollegen in Goslar, Essen oder Völklingen getan hatten), hätte die Stadt am Meer heute womöglich ein paar Probleme weniger.

Doch seit mehr als zwei Jahrzehnten steht die großartige, alles überragende Südzentrale leer und verfällt. Sie wurde einst, nachdem sie als Kohlekraftwerk nicht mehr gebraucht wurde, vom Bundesvermögensamt verkauft und fiel in die Hände von Investoren, die kein Interesse an einem Erhalt haben. Nach fortgeschrittenem Verfall und nachdem die Turbinenhalle inoffizieller Treffpunkt der Wilhelmshavener Jugend geworden war, gab die Stadt dem Ibbenbührener Eigentümer die Genehmigung für den Abriss des Bauwerkes. Im Sommer 2014 fuhren die Bagger auf und begannen sofort mit dem Demolieren und Niederreißen der Nebengebäude. Doch genau zu dem Zeitpunkt, als auch das Hauptgebäude fallen sollte, entdeckten Biologen drei Fleder-mausarten in der Ruine – die Fransenfledermaus, das Mausohr und die Wasserfledermaus – alle drei auf der roten Liste der bedrohten Arten. Im letzten Augenblick retteten also ausgerechnet Fledermäuse das Bauwerk. Nun müssen die Eigentümer Gutachten in Auftrag geben und für eine Umquartierung der Tiere sorgen – das kann allerdings dauern.

Unterdessen konnte eine rührige Initiative, die sich für den Erhalt der Südzentrale einsetzt, Architekten, Künstler und auch Unternehmer gewinnen, Konzepte für einen Erhalt des Bauwerks zu entwickeln. Nach ihren Berechnungen lässt sich mit recht wenig Geld das Bauwerk sichern, allerdings müssen zehn bis 20 Millionen Euro in die Hand genommen werden, um es komplett zu sanieren.

Die Stadt Wilhelmshaven hat bereits abgewunken. Sie hat kein Geld für das potenzielle Weltkulturerbe. Politiker denken nur bis zur nächsten Wahl – und bislang scheint der Erhalt der Südzentrale kein populäres Thema zu sein. Und die Eigentümer? Die wollen nach dem Abriss der Südzentrale auf dem Gelände Einzelhandelsmärkte ansiedeln. Lidl und andere statt „Kaiserliche Werft“.

Wilhelmshaven, das kleine Berlin, ist eine Stadt der verpass-ten Chancen. Neben der Südzentrale stehen im Stadtgebiet unzählige interessante Bauten, die kaum beachtet werden, so das „Oceanis“-Gebäude oder die ehemaligen Minenlagerhäuser. Die Wasserflächen sind bis auf den Südstrand noch zu wenig erschlossen und in den Organismus der Stadt einbezogen. Auch der neue Tiefwasserhafen ist mehr Fremdkörper denn Teil der Stadt – er kann aus Sicherheitsgründen nicht besichtigt werden. Die große Geschichte der Stadt – von der Südzentrale über Olympia bis zur Marine-Präsenz – wird als gegeben hingenommen, wird nicht gewürdigt. Im August 2014 schrieb der Vorsitzende der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, Horst von Bassewitz, in einem an die Verantwortlichen der Jadestadt gerichteten offenen Brief: „Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz erwartet vor allem von den in Politik und Wirtschaft verantwortlich Handelnden Sensibilität, Verantwortungsbewusstsein und Standfestigkeit im Umgang mit den unter Denkmalschutz stehenden Bauten.“ Wilhelmshaven hat ausgerechnet diese Sensibilität bislang vermissen lassen – zum Schaden der Stadt und ihrer Zukunft.

Nils Aschenbeck


Verschlüsselte Botschaften an Außerirdische
Vor rund 40 Jahren wurde mittels »Arecibo« die erste elektronische Flaschenpost ins All ausgesendet

Schon lange bemüht man sich, sinnvolle Funksignale aus dem Weltraum zu empfangen, bisher ohne Erfolg. Vor inzwischen 40 Jahren probierte man es auch umgekehrt: Eine gefunkte Flaschenpost rast seither durch die Galaxis und befindet sich bereits in einer Entfernung von der Erde, in der sie schon jemand aufschnappen könnte. Das Gedudel und Gepiepse des Radiowellen-Signals muss dann nur noch entschlüsselt werden. Ein Kinderspiel, meinte zumindest ihr Autor Frank Drake.

Wenn das Signal seinen Zielbereich, den Kugelsternhaufen M13, erreicht, werden etwa 25000 Jahre vergangen sein. Eine mögliche Antwort an uns braucht dann nochmal so lange. Mit über 300000 Einzelsternen bietet dieser Bereich jedoch hervorragende Möglichkeiten, dass unsere Nachricht nicht ungehört verhallt.

Bei der Kodierung der Botschaft standen die Tüftler vor der Aufgabe, möglichst wichtige Informationen in einem sehr simplen Raster unterzubringen. Obwohl die Darstellung der Nachricht einem grob geknüpften Berberteppich ähnelt, ist darin so ziemlich alles enthalten, was man über die Welt und die auf ihr wohnende Menschheit wissen muss. Die Nachricht besteht aus 1679 Feldern, die sich nur in einer einzigen Weise zu einem Rechteck darstellen lässt, nämlich in eins mit 23 mal 73 Feldern. Entscheiden sich die „grünen Männchen“ für

73 mal 23, haben sie Pech, denn dann können sie nichts erkennen. Jedes Feld kann nur „an“ oder „aus“ sein, also zum Beispiel schwarz oder weiß. Dadurch ergeben sich rasterförmige Figuren, jeweils getrennt durch Zwischenräume.

Der erste Teil der Botschaft zeigt die Zahlen eins bis zehn in binärer Codierung, von oben nach unten zu lesen. Wer das geschafft hat, kommt auch mit den anderen Informationen klar. Im zweiten Absatz geht es um wichtige chemische Elemente, zuerst kommt eine Leseanleitung, die die Protonenanzahlen der chemischen Elemente Wasserstoff, Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff und Phosphor enthält. Warum gerade die? Weil daraus die DNS besteht. Jetzt kommen nämlich die Nukleotide an die Reihe, also die Bausteine unserer Erbanlagen. Die erste Spalte zeigt die Anzahl der Wasserstoffatome, die zweite die der Kohlenstoffatome. Die dargestellten zwölf Objekte stehen für zwei Sprossen der DNS. Dadurch sollen Außerirdische noch genauer wissen, mit wem sie es zu tun haben. Danach kommt, ebenfalls binär kodiert, die Zahl 4294441822, sie gibt die im Jahre 1974 geschätzte Anzahl der Nukleotide des menschlichen Genoms wieder. Darum herum angeordnet, ist als Doppelhelix die räumliche Struktur der DNS dargestellt.

Anschließend werden drei Objekte aus der menschlichen Anatomie und der Menschheit gezeigt: zunächst die Größe des Menschen, die man finden kann, wenn man die dort kodierte Zahl 14 mit der Wellenlänge der Nachricht multipliziert. Danach kommt eine Abbildung des Menschen, rechts findet sich die Zahl 4292853750 als Angabe über die damalige Anzahl der Menschen auf der Erde.

Anschließend folgen Angaben über unser Sonnensystem und die Position der Erde, zuletzt solche über den Sender, das Arecibo-Observatorium. Genau unter der Erde des sechsten Teils befindet sich eine Skizze davon, versehen mit der Angabe des Durchmessers. Mit dieser Information endet der Inhalt der Botschaft. Sie reicht aus, so Kritiker, die Menschheit und ihren technologischen Stand korrekt einschätzen zu können, weshalb davon ausgegangen werden müsse, dass eine außerirdische intelligente Zivilisation uns aufgrund dieser Nachricht entdecken und unterjochen könnte. Andererseits stellt sich auch dann das Problem der Raumüberbrückung, daher ist die Sorge um einen möglichen „Krieg der Welten“ vielleicht übertrieben.

Die Botschaft wurde mit einer Sendeleistung von einem Megawatt in den Orbit geschickt, bei der gewählten Datenübertragungsrate von zehn Zeichen pro Sekunde dauerte das Absenden zwei Minuten und 50 Sekunden. Ob die Nachricht mehrfach hin­tereinander abgeschickt wurde, was aus naheliegenden Gründen sinnvoll wäre, konnte nicht mehr ermittelt werden. Seit dem Versenden der Nachricht wurde viel über ihre Interpretierbarkeit und über mögliche Folgen für uns diskutiert. Alexander Glück


S. 22 Neue Bücher

Finster und marxistisch
Von der Klima-Hypochondrie

Es ist ein umfangreiches und aufregendes Buch. Seine Autorin, die in Kanada lebende Naomi Klein, wird als eine der „profiliertesten Intellektuellen“ unserer Zeit bezeichnet. Die Internet-Wissensdatenbank Wikipedia führt sie als Journalistin, Schriftstellerin, Globalisierungskritikerin und politische Aktivistin.

Gleich welche Bezeichnung am ehesten zutreffen mag, ihr jüngstes Buch „Die Entscheidung. Kapitalismus vs. Klima“ zeigt, dass Intellektualität und Intelligenz nicht deckungsgleich sind. Schon in der Einleitung gesteht Naomi Klein, dass ihr all das „wissenschaftliche Drumherum“ zu kompliziert war. Sie habe ein gutes Rechercheteam engagiert, so dass sie ihren Gefühlen frei heraus Lauf lassen konnte. Dies zeigte sie auch am Ende des Buches, als sie Alexis Tsipras, den griechischen Regierungschef, als einen „der wenigen Hoffnungsträger in einem von Austerität verwüsteten Europa“ bezeichnete.

Das Buch dreht sich um zwei Kontrahenten: Da ist einerseits der Klimawandel, der zur Existenzkrise für die Menschheit geworden sei. Da ist andererseits der Kapitalismus als herrschende Ideologie, der jedwede kollektive Antwort auf den Klimawandel systematisch sabotiert habe. „Unser Wirtschaftssystem und unser Planetensystem befinden sich miteinander im Krieg.“ Klein sieht den Klimawandel als Kampf zwischen dem Kapitalismus und der Erde. Diesen Kampf könne die Erde nur gewinnen, wenn radikale Veränderungen auf gesellschaftlicher, kultureller, politischer und wirtschaftlicher Ebene vorgenommen würden. Der Klimawandel sei ein Weckruf an die Zivilisation, überbracht in der Sprache von „Feuern, Überschwemmungen, Dürren und Artensterben“. Daher müsse der Kapitalismus radikal zerstört werden. Dies ihr Credo.

Das Kommunistische Manifest von Marx und Engels von 1848 ist Fundament für Naomi Klein. Sie fordert einen „grünen Kommunitarismus“ und damit eine – sozial-philosophische – Lehre, die sich gegen den Individualismus stellt. Dem gemeinsamen durch sozialen Austausch geschaffenen Guten kommt höhere Priorität zu als dem kurzfristigen individuellen Interesse. Schöne Worte, die Naomie Klein tatsächlich zum Sprachrohr eines atheistisch-anarchischen Zeitgeistes machen. Triebfeder ist ihre „ökologische Verzweiflung“.

Hoffnung sieht sie in einer internationalen Bewegung für Klimagerechtigkeit. Nur: Solange die Erde eine Kugel und keine Scheibe ist, ist dies schlicht und einfach unmöglich. Dass die Tropenzonen gegenüber den Polen mehr Sonnenenergie bekommen – die üppige Vegetation zeigt es – liegt an der Kugelgestalt der Erde und ist kein Akt der Ungerechtigkeit, der durch die primitive Forderung nach „Klimagerechtigkeit“ beseitigt werden könnte. Glaubt sie, mit der Ächtung und Verteufelung des CO2 der Schöpfung einen Dienst erweisen zu können? Im Gegenteil, ohne das Spurengas CO2 würden die grünen Pflanzen eingehen und nach ihnen die Tiere mangels Nahrung und Sauerstoff mitsamt dem Menschen.

Es ist ein Buch, das ob der grassierenden Klima-Hypochondrie unverblümt zur globalen Revolution aufruft. Was den Vatikan an Naomi Klein als Rednerin vor dessen Akademie der Wissenschaften fasziniert, bleibt unverständlich. Ist es das Konzept einer egalitär armen, aber glücklichen Welt? Tatsächlich ist „Die Entscheidung“ ein die demokratische Weltordnung zersetzendes Buch. Es ist ein gefährliches, weil unkritische Geister leicht betörendes Werk. Eine offenbarende Lektüre, die Einblick gewährt in die finsteren revolutionären Taktiken des marxistischen Ökologismus. Wolfgang Thüne

Naomi Klein: „Die Entscheidung. Kapitalismus vs. Klima“; FischerVerlag, Frankfurt am Main 2015, gebunden, 699 Seiten, 26,99 Euro


Schlimme Mädchen
Eine Journalistin lässt sich als IS-Kämpferin anwerben

Zu Recht schrieb die bekannte Zeitung „Paris Match“ über Anna Erelles „Undercover Dschihadistin“, dass sich das Buch wie ein packender Thriller lese. Die derart angepriesene Story begann im letzten Jahr. Eine französische Journalistin interessierte sich für die Motive, die junge Europäer nach Syrien gehen lässt, um dort für Allah zu töten und auch selber zu sterben. Bekanntlich bergen soziale Netzwerke wertvolle Informationen und wie viele Journalisten agierte sie dort auch unter einem Namen, der keine Rückschlüsse auf ihre wahre Identität zuließ.

Derart getarnt im Internet unterwegs, entdeckte sie das Video eines französischen „Gotteskriegers“. Unter dem Decknamen Abu Bilel präsentierte er sich stolz in Militäruniform und mit Maschinenpistolen. Im Kommunizieren mit ihm sah sie eine einzigartige Chance, unter anderer Identität möglichst viele Informationen zu erhalten. Glaubhaft täuschte sie vor, zum Islam konvertiert zu sein. Seine Antwort bestand im Angebot: „Ein guter Mensch sollte nach Syrien kommen und der Sache Gottes dienen – wobei er ihr das Land als eine Art Postkartenidylle vorgaukelte.

Der Islamische Staat werde zudem bald auch die USA erreicht haben und seinen Krieg führen, um sie dem Willen Allahs zu unterwerfen. „Die ganze Welt wird nur noch ein einziger großer Islamischer Staat sein“, phantasierte Abu Bilel. Solche Internet-Propaganda erreicht Tausende junger Menschen im Westen. Vielen mangelt es an Anerkennung, manche möchten „Helden“ werden. Entsprechend täuschte auch die Verfasserin vor, eine junge naive Frau zu sein, ein sich verloren fühlender Teenager mit schwieriger Vergangenheit, der ein Ziel sucht.

Abu Bilel versucht, Zweifel an der westlichen Welt zu säen und zugleich Schuldgefühle zu wecken: „Während wir hier unser Leben riskieren, vergeudet ihr eure Tage mit Nichtigkeiten.“ Ihre vorgetäuschte Sorge um ihn schmeichelt den „Gotteskrieger“: Stolz erzählt er, einigen „Ungläubigen“ die Kehle durchgeschnitten und die Köpfe abgeschlagen zu haben. Sie selber werde in Syrien Schießunterreicht erhalten und dürfe manchmal auch an der Front schießen. „Die „Ungläubigen? Du kannst sie verbrennen oder erwürgen – Hauptsache, der Tod ist grausam. Damit stelltst Du Dich in den Dienst Allahs!“

Junge Mädchen aus Europa seien „fast schlimmer als wir“, weiß Abu zu berichten: Ihr neuester Modegag sei ein Sprengstoffgürtel, den sie um die Hüfte trugen, um sich damit als potenzielle Selbstmordtäterin hervorzutun. Trotz wachsenden Widerwillens zeigt die Autorin ein geduldiges Ohr für seine Äußerungen und so erfährt sie von seiner Funktion und seinen Verbindungen zu hohen IS-Führern. Überraschend teilt er ihr in den folgenden Tagen mit, sie sei jetzt seine Frau. Das gelte mit Betreten syrischen Bodens. Er befielt der völlig Überraschten, sie solle alles aufgeben, keinen Abschiedsbrief schreiben, sie müsse „einfach verschwinden“, Erst von Syrien aus dürfe sie eine Nachricht an ihre Familie geben.

Die weiteren Anweisungen dokumentieren ein schon recht umfassendes Wissen von den heutigen Möglichkeiten der Technik und kenntnisreiche Erfahrungen im Untergrund, die von den Abwehrstellen Europas noch immer unterschätzt werden. So soll sie nach Holland oder Deutschland reisen, dort ihr Handy wegwerfen, dafür ein Kartenhandy erwerben und dessen Nummer an seine Skype-Anschrift senden: Nur so könne er sicher sein, dass die Nachricht von ihr stamme. Sie werde danach weitere Instruktionen über ihre Reise nach Istanbul bekommen. Auf Fragen solle sie behaupten, für die „Ärzte ohne Grenzen“ zu arbeiten.

In der Tat: Sie fliegt nach Amsterdam, doch wird sie zusehends unsicher über ihren weiteren Weg: Zum einen sieht sie deutlich die Gefahren für sich, andererseits reizt die Journalistin das weitere Doppelspiel mit der Gegenseite. Schließlich ruft sie ihn an, doch ohne Echo. Stattdessen verkündet keine 24 Stunden später die französische Terrorismusabwehr die Verhaftung von sechs Personen wegen Beteiligung am Rekrutierungsnetzwerk der „Gotteskrieger“ – sie hatte ihre Telefone abgehört. Genauso plötzlich kommt die Nachricht von Bilels Tod. Angeblich wurde er von einer anderen Terroristengruppe in eine Falle gelockt. Oder ermordeten ihn eigene Leute, weil er zu viele Interna verriet? Bald kursieren Aufrufe gegen sie, die zu ihrem Mord auffordern.

So ist Anna Erelle auch nicht der wirkliche Name der Autorin sondern ein Pseudonym. Die Autorin lebt derzeit unter Polizeischutz im Verborgenen, irgendwo in Frankreich …

Friedrich-Wilhelm Schlomann

Anna Erelle: „Undercover Dschihadistin“, Droemer-Verlag, München, 2015, 269 Seiten; 18,68 Euro


Monumente der Fehlbarkeit
Städteporträts der anderen Art ­– eine Autorin spürt verlassenen Orten nach

Gerne möchte man dieses Buch uneingeschränkt empfehlen, denn es geht um ein faszinierendes Thema. Auf anschauliche Weise sagt es mehr über das menschliche Dasein aus als so manche tiefschürfende philosophische Abhandlung.

Die französische Journalistin Aude de Tocquville beschreibt in ihrem „Atlas der verlorenen Städte“ mehr als 40 Metropolen, die von ihren Bewohnern aufgegeben wurden. In Afrika, Amerika, Asien und Europa hat die Journalistin die mehr oder weniger gut erhaltenen Geisterstädte entdeckt. Ihre Porträts reichen vom antiken Hattusa, der Hauptstadt der Hethiter in der heutigen Türkei, bis hin zu den futuristischen Wohnkapseln in Wanli auf Taiwan. Der finnische Stararchitekt Matti Suurunen hatte die auf Pfählen stehenden Appartements in den 70. Jahren entworfen. Reichen Taiwanern und US-Soldaten, die auf der Insel stationiert waren, sollten sie als Feriendomizile dienen. Die Amerikaner zogen ab, der Bauherr ging Pleite und das verbaute Material erwies sich als minderwertig. Die Häuser wurden nie bezogen und warten noch heute auf ihre Einweihungspartys.

„Verlorene Städte sind Poesie, Traum und Kulisse unserer Leidenschaften. Sie sind wie eine Metapher für unser Leben“, schreibt die Autorin. „Manchmal künden sie auch vom Irrsinn der Welt, von der Gewalt der Natur und der Menschen.“

Pripjat ist dafür ein Beispiel. Die ukrainische 50000-Einwohner-Stadt musste 1986 nach dem Atomunfall im nahegelegenen Tschernobyl aufgegeben werden. Die Autorin beschreibt – fein beobachtend – das Grauenvolle und das Normale, das heutige Besucher im „nuklearen Pompeji“ empfinden. „Makabre Krönung der gespenstischen Szenerie ist der Vergnügungspark mit seinen verrosteten Attraktionen. Er wurde niemals eröffnet. Seine Einweihung war für das Frühjahr 1986 geplant.“

Jede der Geisterstädte hat eine einzigartige individuelle Geschichte. Die Autorin vermittelt sie in einem lebendigen, beinahe morbid-poetischem Stil. Da fällt das einzige Manko umso stärker auf. Man hätte sich eine etwas gründlichere Lektorierung gewünscht. Vergangenheit und Gegenwart geraten in den Texten zuweilen durcheinander und erschweren das Lesen. Auch haben sich manchmal Ungenauigkeiten in den Zeitangaben eingeschlichen. Andererseits: Angesichts der aufgeführten kolossalen Monumente menschlicher Fehlbarkeit sind dies eigentlich sehr lässliche Sünden.

Frank Horns

Aude de Tocqueville: „Atlas der verlorenen Städte“, Fredeking & Thaler, München 2015, gebunden, 144 Seiten, 29,99 Euro


Von Glockengießern und Lüftlmalern
Ein Bildband zeigt die Welt der alten Handerksberufe. Unfreiwillig macht er auch deutlich, wie fern uns diese Zeit heute ist

Als Gartenzier Hölzerne Speichenräder vom Bauernwagen, alte Tischlerwerkzeuge als Dekoration für Partyräume – das und ähnliches mehr sind Zeugnisse der Nostalgie und der Sehnsucht nach der guten alten Zeit.

Wie und mit welchen Materialien und Werkzeugen damals gearbeitet wurde, welche Sitten und Bräuche mit jedem handwerklichen Berufsstand verbunden waren, darüber gibt das großformatige, opulent bebilderte Buch „Alte Handwerkskunst. Aus Liebe zum Landleben“ von Margit Bachfischer und Reinhard Jarczok Auskunft. Die Einteilung des Buches folgt dem Schema der menschlichen Grundbedürfnisse, denn darüber hinaus gab es zu einer Zeit, in der die dörflichen Einwohner weitgehend Selbstversorger waren, kaum etwas zu produzieren. Es geht um „Die Grundversorgung mit Nahrung“. Andere Kapitel heißen „Auf dem Bau“ oder „Arbeiten mit Holz“. Mit „Stets passend und gut gekleidet“ wird auf das Schneiderhandwerk und verwandte Berufe eingegangen.

Deutlich wird anhand des Schemas, dass die Handwerke in gegenseitiger Abhängigkeit voneinander ausgeübt wurden. Höchst anschaulich berichten die Autoren über die Tätigkeit der Müller und Brauer, Köhler und Kalkbrenner. Wo immer durch Handel Geld angehäuft wurde, waren auch die Steinmetze, Glockengießer, Stuckateure und – in Bayern – die Fassaden- oder Lüftlmaler zur Stelle. Diese Handwerke wurden überwiegend in den Städten ausgeübt und existieren heute noch, wenn auch in bescheidenem Umfang.

All dies illustruieren die beiden Autoren mit gut ausgewählten Bildbeispielen. Entstanden ist so ein Buch für Mußestunden, das vor allem geschichtlich und volkskundlich interessierte Leser begeistern dürfte. Die Autoren gehen außerdem der Frage nach, wo traditionelles Handwerk heute noch fortgeführt wird, und geben sogar je nach Möglichkeit Anwendungsbeispiele, um selbst etwas herzustellen wie „anno dunnemals“.

Man erfährt, wie Sauerteig angesetzt wird, wie man einen Korb flechtet oder einen Holzlöffel schnitzt. Historische Texte verweisen auf die lange Geschichte der einzelnen Handwerke. Unter der Rubrik „Wissenswert“ finden sich volkstümliche oder sakrale Bildnisse von männlichen und weiblichen Kirchenheiligen, den Schutzpatronen der verschiedenen Handwerke. Ihre unterschiedlichen Attribute verweisen auf die jeweilige Zuständigkeit.

Bei ihren Ausführungen beschränken sich die Autoren auf das Wesentliche und lassen im Übrigen die Bilder für sich sprechen. Beeindruckende historische Farb- und Schwarzweißfotos wechseln ab mit sorgfältig ausgewählten, teils ausgesucht stimmungsvollen zeitgenössischen Fotos von Landschaften, historischen Gebäuden, Menschen in Werkstätten bei der Arbeit sowie Detailaufnahmen. Teilweise wirken die auf den zeitgenössischen Fotos abgebildeten Szenen und Motive allerdings nachgestellt und daher steril. Das mag dem Anspruch einer speziellen Ästhetik zugutekommen. Doch der Betrachter registriert sehr wohl, dass Momentaufnahmen und reale Arbeitssituationen aus der Gegenwart fehlen, wie man denn auch vergeblich nach den Spuren langjähriger harter körperlicher Arbeit in den Gesichtern der Menschen forscht. Aber so ist es nun mal: Die letzten „Rückzugsgebiete“ alter Handwerkskünste sind heutzutage oftmals Freilichtmuseen, wo Besucher bei Vorführungen traditioneller Handwerke wie Messerschmieden und Tauwerkschlagen zuschauen können.

Die sogenannte „gute alte Zeit“ ist eben auch eine unwiederbringlich vergangene Zeit.

Dagmar Jestrzemski

Reinhard Jarczok, Margit Bachfischer: „Alte Handwerkskunst. Aus Liebe zum Landleben“, Dort-Hagenhausen-Verlag, München 2015, gebunden, 208 Seiten, 24,95 Euro


S. 23 Rautenberg Buchhandlung

Rautenberg Buchhandlung


S. 24 Panorama

Der Wochenrückblick mit Hans Heckel
Pst, Feind hört mit! / Wieso heikle Informationen vor uns zu verbergen sind, wie die Wahrheit den Frieden gefährdet, und wie vorbildlich die Deutschen sind

Pst, Feind hört mit!“, warnte die Staatsmacht im Zweiten Weltkrieg. Die Leute sollten sich hüten, Sachen auszusprechen, die militärisch auch nur irgendwie wichtig sein könnten, weil’s ein Spion mitbekommen könnte.

Das ist, zum Glück, lange her, aber unser Staat hat immer noch Feinde, vor denen er wichtige Informationen schützen muss. Nein, ich rede natürlich nicht über US-Dienste, die hören uns, unsere Kanzlerin, ihre Minister und die deutsche Wirtschaft nur ab, um uns vorm Bösen zu beschützen.

Es geht nicht um den US-Spion, nicht einmal um „den Russen“. Der gefährliche Feind von heute, gegen den sich unsere Geheimhaltung richten muss, das sind Sie und ich, das sind die – scheinbar! – ganz normalen Bürger.

Zu den ganz heiklen, gewissermaßen „kriegswichtigen“ Informationen, die wir vor uns geheim zu halten haben, gehört alles, was die Asyl- und Zuwanderungspolitik in unerfreuliches Licht rücken könnte.

In bestimmten Bereichen kann diese Geheimhaltung allerdings nur lückenhaft funktionieren. Wenn etwa Asylbewerber auf Polizisten, Wachschützer oder andere Asylbewerber losgehen, sickert das schon mal durch. Aber nicht sehr weit, obwohl es schon Tote gab. Dennoch versickern solche Meldungen meist in den Lokalnachrichten, die weiter draußen im Land keiner mitbekommt.

Gehen dagegen Deutsche auf Asylsucher los, reicht schon ein Handgemenge, um bundesweit Schlagzeilen zu machen. Nicht zu reden von den vielen Brandanschlägen auf (unbewohnte) Asylheime. Da werden selbst handfeste Zweifel am Wahrheitsgehalt der gewünschten „Informationen“ beiseite gewischt.

So stellte dieser Tage ein Nachrichtenmagazin eine „Liste der Schande“ ins Internet, wo auch der Brand in dem noch unbewohnten Asylheim in Tröglitz am 4. April als ausländerfeindliche Tat angeprangert wird.

Tröglitz, Tröglitz ... was war da noch? Richtig: Da brannte der Dachstuhl. Allerdings kam bald der Verdacht auf, dass es sich vielleicht eher um einen „heißen Abriss“ als um kalten Hass gehandelt haben könnte. Aber was soll’s, macht sich trotzdem gut in der „Liste der Schande“.

So ist das eben im Krieg: Den Feind mit Fehlinformationen oder Halbwahrheiten hinters Licht zu führen, gehört ebenso zum Geschäft wie die Geheimhaltung wichtiger Wahrheiten.

Daher schlug dem Kämmerer der Kleinstadt Mettmann in Nordrhein-Westfalen jener heilige Zorn entgegen, der einem Verräter an der eigenen Sache gebührt. Der hatte eine Anhebung der Grund- und der Gewerbesteuer mit den „Kosten für die Flüchtlinge“ begründet. 1,5 Millionen Euro müsse die 38000-Einwohner-Gemeinde dafür aufwenden.

„Grob fahrlässig“, schimpfte die SPD, die Grünen waren öffentlich „entsetzt“. Über die Anhebung der Steuer? Nein, natürlich nicht, sondern darüber, dass der Kämmerer dem Feind, also den Bürgern, verpetzt hat, wofür sein Geld verwendet werden soll.

„Das gießt Rechtspopulisten Öl ins Feuer und schafft sozialen Unfrieden“, fürchten Mettmanns Grüne. Auf Deutsch: Wer dem Volk sagt, was wir mit seinem Geld machen, der arbeitet für die Gegenseite, für die Bösen.

Bundesweites Aufsehen hat der Fall Mettmann glücklicherweise nicht erregt. Da klappte das „Pst!“ der großen Staats- und Konzernmedien recht gut. Bei einem anderen Fall ging das leider vollkommen daneben.

Ein kleines Rudel Finsterlinge, mutmaßlich eine rechtsradikale Splittergruppe, hatte eine Karte ins Internet gesetzt, auf der sämtliche Asylheime Deutschlands eingetragen waren. Reaktion wie gehabt: Empörung, Entsetzen, Fassungslosigkeit – das übliche Programm.

Das Blöde war: Bis zu der öffentlichen Aufwallung hatte von der Karte kaum jemand etwas mitbekommen, ich auch nicht und die meisten von Ihnen vermutlich ebenso wenig. Nur weil die Staats- und Konzernmedien die Sache riesengroß aufgeblasen haben, war auf einmal ganz Deutschland im Bilde. Als der Suchdienst „Google“ die Karte sperrte, hatte sie jeder, der sie sehen wollte, auch zu Gesicht bekommen. Was für ein ärgerlicher Schnitzer!

Die dürre Begründung für die Sperrung der Karte sagt alles über die Hilflosigkeit der Akteure: Sie animiere Neonazis zu Angriffen auf Asylheime.

Ach ja? Glauben die wirklich, dass solche Leute eine Deutschlandkarte benötigen, um festzustellen, dass in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft plötzlich unbekannte junge Männer „südländischen Typs“ aus Containerfenstern gucken, die vorher noch nicht da waren? Hamburgs SPD-Sozialsenator Detlef Scheele sagte neulich: Egal, wo man in der Hansestadt vor die Tür trete, werde man demnächst in weniger als einem Kilometer Entfernung auf ein Asylheim stoßen. Ganz ohne Karte.

Das Machwerk war in Wahrheit aus einem ganz anderen Grunde so gefährlich. Hier konnten die Bürger in der Zusammenschau sehen, wie viele von den Heimen und Lagern es bereits gibt, wie eng das Netz ist, das sich da übers Land gelegt hat. Es ging also nicht um Sicherheitsbelange, sondern um Politik. Und dabei weiß ja jeder, dass wir vermutlich erst am Anfang der Offensive stehen. Da ist Geheimhaltung, da sind tarnen, tricksen, täuschen unerlässlich, wenn die Operation gelingen soll.

Ein großer Erfolg war die Auskostung der Tränen, die aus dem verzweifelten Flüchtlingsmädchen Reem schossen, als die Kanzlerin verkünden musste, dass „nicht alle bleiben können“. Ralf Stegner stieß sofort in die Bresche: „Eine Flüchtlingspolitik, die zulässt, dass junge, blitzgescheite Menschen von Abschiebung bedroht sind, ist inhuman und muss geändert werden“, so der SPD-Vize mit dem ewig mauligen Gesicht. Das dürfte noch mauliger werden, wenn man ihm die unentrinnbare Anschlussfrage nicht erspart: Was meinen Sie denn damit, Herr Stegner? Etwa, dass andere, weniger „blitzgescheite“ Menschen abgeschoben werden sollten mit der Begründung „Zu dumm für Deutschland“?

Nun, richtige Einwanderungsländer machen das tatsächlich seit Generationen so; sie prüfen noch vor der Einreise, ob sie den Bewerber überhaupt gebrauchen können. Wenn sie keine Verwendung für den Menschen haben, darf der gar nicht erst herein. Doch genau eine solche Auswahl nach nationalem Eigennutz versuchen Stegner und die Seinen ja konsequent zu verhindern.

Also, was sollte dann das Gerede? Die Wahrheit: Der arme Mann hat sich im Geflecht seiner eigenen Propaganda verfangen. Das wird allerdings erst sichtbar, wenn ihm jemand die genannte Anschlussfrage auch stellt. Da Stegner aber zu den Guten gehört, wird das niemand tun: Pst!

Die Herausforderungen an unsere Fähigkeit zur Geheimhaltung und zum tarnen, tricksen und täuschen dürften noch gewaltig anwachsen. Unsere lieben europäischen Partner tun sich nämlich zunehmend schwer mit der „gerechten Lastenverteilung“.

Auch benehmen sie sich so, dass man zeitweise fragen möchte, auf welcher Seite sie in der Propagandaschlacht eigentlich stehen. Es ist doch erschreckend, mit welch brutaler, unverantwortlicher Offenheit Politiker in Frankreich und Italien, Polen oder Tschechien über Zuwanderung und „Asylantenschwemme“ debattieren! So, dass alle Bürger es mithören können und sich am Ende sogar herausnehmen, eine eigene Meinung haben zu dürfen!

Nein, nein, so war das nicht gemeint: Wir wollen den anderen keine Ratschläge erteilen. Aber einiges lernen können sie von den braven Deutschen doch: Wir sind dermaßen politisch korrekt geworden, dass wir uns schon selbst nicht mehr zu verraten wagen, was wir erfahren haben – weil wir gelernt haben, dass wir selbst die Bösen sind, denen man nicht trauen darf. Vorbildlich.


MELDUNGEN / ZUR PERSON

Asyl: 80 Prozent ohne Papiere

Erfurt – Mehr als 80 Prozent der Asylbewerber kommen ohne Ausweispapiere, meldet der MDR unter Berufung auf die Beauftragte für Integration, Migration und Flüchtlinge des Landes Thüringen, Mirjam Kruppa. Dies mache eine Abschiebung der Bewerber sehr schwer, so Kruppa, da nicht klar sei, in welches Land sie zurückzukehren hätten. Die Zahl der Asylbewerber stieg im ersten Halbjahr um 132 Prozent zum Vorjahreszeitraum auf fast 180000. H.H.

 

Athen bricht bereits Zusagen

Athen – Griechenlands Premier Alexis Tsipras hat offenbar schon damit begonnen, die in Brüssel gemachten Versprechen an die Geberländer zu brechen. Die Abschaffung fast aller Steuervergünstigungen für griechische Bauern nahm Tsipras kurzerhand von der Tagesordnung des Parlaments. Die Streichung war Teil der Brüsseler Vereinbarung, von der Tsipras sagte, er müsse sie zwar schweren Herzens unterzeichnen, er glaube aber nicht an sie. H.H.

 

Managerin mit ordentlich Biss

Eigentlich sind schrille Töne nicht ihre Sache, aber wenn der Vorstandsvorsitzenden der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) etwas besonders wichtig ist, kann sie auch anders. Als ihre Forderung nach mehr Geld für die Sanierung maroder U-Bahnhöfe beim Senat auf taube Ohren stieß, drohte Sigrid Nakutta vor einigen Wochen an, im kommenden Jahr mehrere Stationen zu schließen. Den Bahnhof Weinmeisterstraße ließ sie mit gelben Preisschildern bekleben, um den Finanzbedarf plastisch darzustellen: 1200000 Euro – ein Aufzug, 50000 Euro – eine Säule und so weiter. Jetzt hat sich die BVG-Chefin in einem Wutbrief an den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) gewandt und die mangelnde Sicherheit auf den Bahnhöfen der Hauptstadt beklagt (siehe Seite 5).

Die 1969 im ostpreußischen Ortelsburg geborene und im ostwestfälischen Enger aufgewachsene Managerin weiß, wovon sie redet, ist die promovierte Psychologin doch seit über 20 Jahren im Verkehrsgewerbe tätig. Nach dem Studium mit dem Schwerpunkt Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologie arbeitete sie zunächst bei einem mittelständischen Unternehmen, bevor sie zur Deutschen Bahn wechselte. Dort stieg sie im Laufe weniger Jahre zur Sprecherin der Geschäftsführung des Transportbereichs Ganzzugverkehr der DB Schenker Rail auf und war damit Chefin aller Lokführer und Lokomotiven im Güterbereich der Bahn. Seit Oktober 2010 ist sie Vorstandsvorsitzende und Vorstand Betrieb der BVG. Unter ihrer Führung schrieb das Unternehmen im vergangenen Jahr erstmals in seiner Geschichte schwarze Zahlen. Nikutta stand ab 2011 auf der Liste der „25 Top-Business-Frauen“ der „Financial Times Deutschland“ und wurde 2012 als „Managerin des Jahres“ ausgezeichnet. J.H.


MEINUNGEN

Alexander Kissler drückt im „Cicero“ (14. Juli) seine Fassungslosigkeit darüber aus, dass die Deutschen ihre schleichende Enteignung in Folge der Euro-Politik ohne Gegenwehr hinnehmen:

„Dass die Bürger gegen diese fortschreitende Enteignung ihrer Vermögen, gegen das rapide Dahinschmelzen ihrer staatlichen wie privaten Altersvorsorge in der neuen Null-Zins-Ära nicht auf die Barrikaden gehen, zeugt von bemerkenswerter Indolenz. Von einer Unlust an der Zukunft, einer Abneigung gegen das Politische, die sprachlos machen.“

 

 

Christian Rothenberg, Kommentator von n-tv (20. Juli) rätselt über die Motive von Bernd Luckes neuer Parteigründung:

„Am Ende wird man bei Lucke den Eindruck nicht los, dass es ihm möglicherweise gar nicht darum geht, Politik zu machen. Angesichts der Art und Weise, wie er aus der AfD gedrängt wurde, ist das Kalkül nachvollziehbar: (Luckes neue Partei) Alfa wird die AfD schwächen und möglicherweise kommt es Lucke genau darauf an. Auf Rache.“

 

 

Der „Spiegel“ (18. Juli) zitiert aus einem Brief, den der Chefredakteur des Pariser Satireblattes „Charlie Hebdo“, Stéphane Charbonnier, zwei Tage vor seiner Ermordung durch radi­kalislamische Terroristen geschrieben hat:

„Der Hinweis, man dürfe über alles lachen außer über einige Aspekte des Islam, weil die Muslime viel empfindlicher reagieren als die übrige Bevölkerung, ist nichts anderes als Diskriminierung. Die zweitgrößte Weltreligion und angeblich zweitstärkste Religionsgemeinschaft in Frankreich sollte anders behandelt werden als die größte Weltreligion? Es wäre an der Zeit, dass die vermeintlich linken, weißen, bürgerlichen Intellektuellen mit ihrem ekelhaften Paternalismus aufhören ...“

 

 

Wirtschaftsautor Marc Friedrich nimmt im „Focus“-Interview (20. Juli) die neueste Griechenland-Volte zum Anlass, um an eine unangenehme Wahrheit zu erinnern:

„Es wird immer klarer und bestätigt die Vergangenheit: Währungsunionen mit unterschiedlich starken Volkswirtschaften sind zum Scheitern verurteilt. Sie haben noch nie funktioniert und werden nie funktionieren! So hart es klingt, sagen wir als überzeugte Demokraten und Europäer: Der Euro eint nicht Europa, der Euro zerstört Europa, unseren Wohlstand und unsere Demokratie!“

 

 

Michael Klonovsky widmet sich in seinem Blog „Acta Diurna“ (15. Juli) jenen Ex-Nazis und anderweitig NS-Belasteten, die sich nach 1945 als besonders eifrige „Vergangenheitsbewältiger“ und Kritiker alles Deutschen hervortaten:

„Die persönliche und/oder familiäre Vorbelastung ist typisch für die erste Generation der exzessiven ,Vergangenheitsbewältiger‘. Sie schufen jenes Klima der Heuchelei und alles bekannte Maß sprengenden ,Selbst‘bezichtigung, in welchem bis heute Karrieristen, Betroffenheitsathleten und Lippenbekenntnisautomaten in der Baumschulenschlichtheit von Reichsparteitagsmarschblöcken gedeihen.“